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FORTBILDUNG
Omega-3-Supplementation zur kardiovaskulären Prävention – ein Update
AHA empfiehlt Fischöle weiterhin für KHK- und neu für Herzinsuffizienzpatienten
Auf einer seinerzeit relativ schmalen Basis entsprechend günstiger Studienresultate hatte die American Heart Association (AHA) im Jahr 2002 in einem Scientific Statement für Patienten mit koronarer Herzkrankheit eine Nahrungssupplementierung mit Omega-3-Fettsäuren zur Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse empfohlen. Seither ist die wissenschaftliche Erkenntnis zu den kardiovaskulären Effekten von Fischölen deutlich gestiegen und umfasst nun auch Ergebnisse bei Patienten mit Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern. Grund genug für die AHA, die 15 Jahre alten Empfehlungen auf ihre Gültigkeit zu überprüfen und neue Forschungsergebnisse aufzugreifen.
Circulation
von randomisierten, kontrollierten Studien (RCT). Allerdings haben sich diese Untersuchungen nicht mit der Rolle der Omega-3-Fettsäuren für die CV-Primärprävention befasst, sondern deren Stellenwert zur Sekundärprävention bei Patienten mit Diabetes mellitus und Prädiabetes sowie bei solchen mit hohem kardiovaskulärem Risiko oder mit bereits bestehender koronarer Herzkrankheit (KHK) unter die Lupe genommen. Zurzeit haben nun David S. Siscovick und Kollegen im Namen der American Heart Association (AHA) im Fachjournal (Circulation) ein Science Advisory herausgegeben, mit dem in einer klinischen Annäherung versucht wird, einen Überblick über die möglichen Indikationen einer Omega-3Supplementation zur Prävention klinischer CV-Ereignisse zu geben und anhand der Einschätzung und Bewertung von existierenden Daten unter Massgabe entsprechender AHAKriterien zu Empfehlungen zur Omega-3-Supplementation bei Patienten mit KHK und anderen oben genannten klinischen Indikationen zu kommen.
Zu den Effekten einer Nahrungssupplementation mit den landläufig als «Fischöle» bezeichneten mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) hinsichtlich des Auftretens von kardiovaskulären (CV-)Erkrankungen existiert eine Fülle
MERKSÄTZE
O Obwohl jüngste Forschungsergebnisse den Nutzen von Omega-3-Fettsäuren zur Prävention klinischer kardiovaskulärer Ereignisse zum Teil infrage stellen, haben die AHAEmpfehlungen zur Omega-3-Supplementation grundsätzlich weiterhin Gültigkeit.
O Die Omega-3-Supplementation wird für Patienten mit koronarer Herzkrankheit (z.B. kürzlich erlittener Herzinfarkt) nach wie vor empfohlen.
O Neu wird eine entsprechende Behandlung auch für Patienten mit bestehender Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) empfohlen.
O Bezüglich einer Empfehlung zur Supplementation bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko konnte das Expertengremium keinen Konsens erzielen.
Update des AHA Scientific Statement von 2002
Im Jahr 2002 hatte die AHA auf der Basis zweier grosser RCT, welche eine signifikante Reduzierung tödlicher CV-Ereignisse durch EPA- und DHA-Supplemente nachgewiesen hatten, ein Scientific Statement veröffentlicht, indem zum einen weitere entsprechende Studien zur Bestätigung dieser Resultate, zum anderen aber für Personen mit dokumentierter KHK auch die Einnahme von 1 g EPA plus DHA pro Tag, vornehmlich über fettigen Speisefisch, empfohlen wurde. In das hier referierte Update zu den Empfehlungen von 2002 flossen die Ergebnisse grosser RCT mit Endpunkten in Form von wesentlichen klinischen CV-Erkrankungen sowie die Evidenz aus Metaanalysen solcher RCT ein. Ein umfassender Literaturreview zu den gesundheitlichen Effekten einer Supplementation wurde nicht vorgenommen, und Daten aus Beobachtungsstudien gingen nicht in die Analyse mit ein. Mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren können entweder über frei verkäufliche oder aber über verschreibungspflichtige Präparationen eingenommen werden, welche hinsichtlich der enthaltenen Menge und des Verhältnisses von EPA zu DHA sowie bezüglich dessen Bioverfügbarkeit voneinander abweichen. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, welche sich mit den kardiovaskulären Effekten einer Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren über den Verzehr von Meeresfrüchten befasst haben, wurden bei der dem hier referierten Science Advisory zugrunde gelegten Datenauswertung bewusst nicht mitberücksichtigt.
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Koronare Herzkrankheit
Primärprävention RCT, die sich ausschliesslich mit der Primärprävention von KHK, also mit dem Effekt von Omega-3-Supplementen in der allgemeinen Population von Patienten ohne vorbestehende KHK, befasst haben, existieren nicht. Von daher können zu dieser Bevölkerungsgruppe auch keinerlei Empfehlungen zur Behandlung mit Omega-3-Fettsäuren abgegeben werden (keine Empfehlung).
Prävention von CV-Mortalität bei Patienten mit (Prä-)Diabetes Die bis anhin verfügbaren Daten (u.a. ORIGIN-Studie mit > 12 500 Teilnehmern) können nicht bestätigen, dass Omega3-Fettsäuren bei Patienten mit Diabetes mellitus oder mit Prädiabetes das Auftreten von CV-Ereignissen verhindern. Daher ist eine entsprechende Behandlung in dieser Patientengruppe nicht indiziert (Klasse-III-[«no benefit»-]Empfehlung).
Omega-3-Fettsäuren eine Reduktion des zusammengesetzten Endpunkts aus mehreren koronaren Ereignissen (plötzlicher Herztod [PHT], tödlicher und nicht tödlicher Myokardinfarkt und andere nicht tödliche CV-Ereignisse) gezeigt (relative Risikoreduktion [RR], allgemein: 19%, p = 0,01; bei vorangegangener CV-Erkrankung: 19%, p = 0,048; ohne vorangegangene CV-Erkrankung: 18%, p = 0,132). Die Risikoreduktion resultierte dabei hauptsächlich aus einer Verminderung von instabiler Angina, CABG (coronary artery bypass graft) oder perkutaner transluminaler Koronarangioplastie. Den Ergebnissen der JELIS-Studie massen die Autoren des Science Advisory allerdings unterschiedliche Bedeutung bei, sodass letztlich zur Frage, ob die verfügbare Evidenz die Supplementierung mit Omega-3-Fettsäuren bei CV-Hochrisikopatienten unterstützt oder nicht, kein allgemeiner Konsens erzielt werden konnte (mehrheitlich Klasse-III-Empfehlung, eine Minderheit der Autoren spricht eine Klasse-IIb-Empfehlung aus).
KHK-Prävention bei CV-Hochrisikopatienten Neben der ORIGIN-Studie haben drei weitere grosse RCT CV-Hochrisikopatienten mit oder ohne vorangegangene klinisch manifeste KHK eingeschlossen, von denen zwei keinerlei Nutzen einer Omega-3-Supplementation nachweisen konnten. Lediglich in der Studie JELIS (Japan EPA Lipid Intervention Study) hatte sich bei Patienten unter Behandlung mit
Sekundärprävention von KHK und plötzlichem Herztod bei Patienten mit KHK In der Zusammenschau der verfügbaren Daten aus RCT ergibt sich eine Tendenz, dass die Omega-3-Supplementation bei Patienten mit bereits bestehender KHK möglicherweise durch eine Reduktion ischämiebedingter PHT die KHKMortalität reduziert. Die Mehrheit der Autoren spricht daher
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Tabelle:
Omega-3-Fettsäure-Supplementation zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse: Empfehlungen zum klinischen Einsatz nach Indikation und Population
Indikation (Population) KHK-Primärprävention (Allgemeinbevölkerung [ohne KHK]) Prävention von KHK-Mortalität bei Diabetes mellitus/ Prädiabetes KHK-Prävention bei CV-Hochrisikopatienten (gemischte Population mit/ohne KHK) Sekundärprävention von KHK und PHT bei Patienten mit bestehender KHK Primärprävention von Schlaganfall (hohes CV-Risiko [mit/ohne bestehende KHK]) Schlaganfall-Sekundärprävention HI-Primärprävention Sekundärprävention von CV-Ereignissen bei HI-Patienten VHF-Primärprävention VHF-Sekundärprävention bei Patienten mit stattgehabtem VHF VHF nach Herzchirurgie
Empfehlung Keine Empfehlung Behandlung nicht indiziert
Empfehlungsklasse Evidenzlevel –– III* B-R
Behandlung nicht indiziert
III*†
B-R
Behandlung vertretbar
IIa†
A
Behandlung nicht indiziert
III*
B-R
Keine Empfehlung Keine Empfehlung Behandlung vertretbar Keine Empfehlung Behandlung nicht indiziert Behandlung nicht indiziert
– – IIa – III* III*
– – B-R – A A
KHK: koronare Herzkrankheit; CV: kardiovaskulär; PHT: plötzlicher Herztod; HI: Herzinsuffizienz; VHF: Vorhofflimmern Empfehlungsklassen – IIa: moderat; IIb: schwach; III: kein Nutzen. Evidenzlevel – A: Evidenz hoher Qualität aus mehr als einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT), Metaanalysen von RCT hoher Qualität, 1 oder mehr RCT bestätigt durch Registerstudien hoher Qualität; B-R: Evidenz von moderater Qualität aus 1 oder mehr RCT, Metaanalysen von RCT moderater Qualität. * Kein nachgewiesener Nutzen † Das Gremium erzielte keinen Konsens in dieser Indikation, wobei ein Teil der Mitglieder eine Klasse-IIb-Empfehlung aussprach.
(nach Siscovick et al.)
für die Behandlung zur Sekundärprävention KHK-bedingter Todesfälle eine Klasse-IIa-Empfehlung aus, während sich eine Minderheit nur zu einer Klasse-IIb-Empfehlung durchringen konnte.
Schlaganfall Primärprävention Es existieren keine RCT, in denen das Auftreten von Schlaganfällen als primärer Endpunkt untersucht worden ist. In einigen Studien ist das Auftreten von Schlaganfallereignissen jedoch als Teil von zusammengesetzten Endpunkten analysiert worden. Insgesamt ergibt sich aus diesen Daten sowie aus Metaanalysen kein belegbarer Nutzen einer Omega-3Fettsäuren-Supplementierung zur Schlaganfallprimärprävention (Klasse-III-Empfehlung).
lediglich auf eine Post-hoc-Analyse der JELIS-Studie, in der sich eine leichte Reduktion von Schlaganfallereignissen in der EPA-Gruppe ergeben hatte. Die Ergebnisse sind jedoch aufgrund der Limitationen dieser Untersuchung mit Vorbehalt zu betrachten. Insgesamt bestehen keinerlei Hinweise auf einen Nutzen von Omega-3-Fettsäuren zur Verminderung des Risikos von erneut auftretenden Insulten oder anderen CV-Ereignissen (keine Empfehlung).
Herzinsuffizienz Primärprävention Bis anhin sind keinerlei RCT publiziert worden, in denen der Effekt einer Omega-3-Supplementation hinsichtlich der Primärprävention von Herzinsuffizienz untersucht wurde (keine Empfehlung).
Sekundärprävention Die Datenlage zum Effekt einer Omega-3-Supplementation zur Verhinderung von Schlaganfallereignissen bei Patienten mit erlittenem Insult ist äusserst beschränkt und stützt sich
Sekundärprävention Obwohl lediglich abgestützt auf eine einzelne RCT, besteht Evidenz, dass Omega-3-Fettsäuren bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (heart failure
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with reduced ejection fraction, HFrEF) von Nutzen sein könnten (Klasse-IIa-Empfehlung). Weitere Studien bei Herzinsuffizienzpatienten mit erhaltener Auswurffraktion (heart failure with preserved ejection fraction, HFpEF) sind notwendig.
Vorhofflimmern Primärprävention Auch zum Effekt einer Omega-3-Supplementation zur Primärprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) existieren bis anhin keinerlei Daten aus grossen RCT (keine Empfehlung).
Sekundärprävention In zwei grossen RCT war eine Omega-3-Supplementation bei Patienten mit erlittenem VHF nur mit geringen beziehungsweise mit keinerlei Effekten auf die Häufigkeit des Wiederauftretens von VHF assoziiert. Auch in einer Metaanalyse dieser beiden grossen und mehrerer kleinerer RCT, die eine Risikoreduktion von lediglich 0,95 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,79–1,13) ausweist, sowie in zwei nachfolgenden RCT ergaben sich konsistent kaum Hinweise für einen Nutzen einer Supplementierung. Dies ist insofern bemerkenswert, als die genannten Studien jeweils unterschiedliche Designs und Patientencharakteristika aufwiesen. Insgesamt spricht die verfügbare Evidenz hoher Qualität nicht für eine Omega-3Supplementation zur Vermeidung des Wiederauftretens von VHF (Klasse-III-Empfehlung).
VHF nach Herzchirurgie Die Daten aus einer grossen (RR: 0,96, 95%-KI: 0,77–1,20, p = 0,74), aus insgesamt fünf kleineren RCT sowie aus einer Metaanalyse über sämtliche sechs Studien (RR: 0,92, 95%KI: 0,78–1,10) können einen Nutzen einer Omega-3-Supplementation als Massnahme zur Verhinderung von postoperativem VHF bei Patienten nach herzchirurgischen Eingriffen nicht bestätigen (Klasse-III-Empfehlung).
Wirkungsweise von Omega-3-Fettsäuren
Der vermutete Mechanismus, der dem Nutzen von Omega3-Fettsäuren zur Verhinderung KHK-bedingter Todesfälle zugrunde liegen könnte, hängt eher mit den physiologischen Wirkungen dieser Fettsäuren im Rahmen von ischämiebedingtem Kammerflimmern zusammen als mit grösseren Effekten auf atherosklerotische Progression, Plaque-Stabilität/-Ruptur oder Thrombose. Die Omega-3-Supplementierung nimmt Einfluss auf multiple Risikofaktoren und Pathways, welche für den beobachteten positiven Effekt der Supplementation bei Patienten mit Herzinsuffizienz und verminderter linksventrikulärer Funktion verantwortlich sein könnten. Inwieweit einer dieser Faktoren hier eine vorherrschende Rolle spielt, bleibt in weiteren Untersuchungen zu klären.
Klinische Bedeutung
Mit Blick auf die Empfehlungen im Scientific Statement von
2002 kommen die Autoren zum Schluss, auch in diesem
Update nach wie vor für eine fachärztlich begleitete Omega-
3-Fettsäuren-Supplementierung zur Sekundärprävention ei-
ner KHK bei Patienten mit Koronarereignis (z.B. Myokard-
infarkt) zu plädieren. Zusätzlich empfehlen sie neu eine Sup-
plementierung bei Patienten mit HFrEF.
O
Ralf Behrens
Quelle: Siscovick DS et al.; American Heart Association Nutrition Committee of the Council on Lifestyle and Cardiometabolic Health; Council on Epidemiology and Prevention; Council on Cardiovascular Disease in the Young; Council on Cardiovascular and Stroke Nursing; and Council on Clinical Cardiology: Omega-3 polyunsaturated fatty acid (fish oil) supplementation and the prevention of clinical cardiovascular disease: a Science Advisory from the American Heart Association. Circulation 2017; 135(15): e867–e884.
Interessenlage: Ein Teil der Autoren der referierten Originalpublikation deklariert Beziehungen zu diversen Pharmaunternehmen.
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