Transkript
Gichttherapie immer wieder anpassen
Harnsäurewert ändert sich je nach Komorbidität
BERICHT
Gicht ist eine chronische Erkrankung, die sich kontinuierlich manifestiert und deren Ursache in einer unkontrollierten Hyperurikämie begründet ist. Das therapeutische Ziel besteht darin, den Uratwert unterhalb der Löslichkeitsgrenze zu halten und damit Ablagerungen von Harnsäure im Gewebe zu vermeiden. Wie das am besten geht, erklärte Prof. Jean Dudler vom Kantonsspital Fribourg am Satellitensymposium von Menarini anlässlich der SGAIM in Lausanne.
Valérie Herzog
Gicht ist abgesehen von den sehr schmerzhaften Symptomen ein unabhängiger Risikofaktor für Herzinfarkt, selbst jüngere Gichtpatienten und solche ohne andere kardiovaskuläre Risikofaktoren haben ein erhöhtes Myokardrisiko (1). Weil die Gicht eine lebenslange Behandlung nach sich zieht, muss eine eindeutige klinische oder radiologisch bestätigte Diagnose einer tophischen Gicht gestellt werden, dies fordert Prof. Jean Dudler. Eine urikostatische Therapie ist bei mehr als zwei wiederkehrende Episoden akuter Gichtanfälle pro Jahr, bei rezidivierender Uratnephrolithiasis und bei Uratnephropatie empfohlen. Nur in 10 bis 20 Prozent der Fälle ist die Gicht Resultat einer Harnsäureüberproduktion, bei den meisten ist die Ursache eine verminderte Harnsäureausscheidung der Niere. Krankheitserschwerende Faktoren wie zum Beispiel eine purinreiche Kost, Medikamente wie Diuretika, Ciclosporin, Tacrolimus, Salicylate, Levodopa, Ethambutol oder Pyrazinamid können die Harnsäurekonzentration erhöhen. Eine Ernährungsumstellung auf purinarme Kost senkt den Harnsäureanteil jedoch um höchstens 10 Prozent. Alkohol dagegen, insbesondere Bier, erhöht die Produktion und vermindert gleichzeitig
die Ausscheidung von Harnsäure in viel entscheidenderem Ausmass, so Dudler. Das gilt auch für alkoholfreies Bier, fruktosehaltige Softdrinks und Orangensaft.
Eingestellter Harnsäurewert bleibt nicht fix
Bei einem Gichtpatienten sollte die Wirkung der Therapie hinsichtlich der Frage, ob der Uratwert nicht überschritten wird, regelmässig überprüft werden. Dieser kann sich verändern. Eine amerikanische Untersuchung zeigte, dass unter erwachsenen Gichtpatienten unter harnsäuresenkender Therapie 49 Prozent einen Uratspiegel von über 360 µmol/l aufweist, Gichtpatienten mit chronischer Nierenerkrankung (Stadium 2–5) oder einer Nierensteinanamnese haben in zwei Drittel der Fälle einen Uratspiegel von über 360 µmol/l. Bei älteren oder hypertonen Gichtpatienten war die Prävalenz für einen Uratspiegel von über 360 µmol/l niedriger, bei Gichtpatienten mit Diabetes mellitus und Adipositas dagegen höher (2).
Goldene Regel
Der normale Harnsäurewert liegt bei Frauen zwischen 150 und 360 µmol/l, bei Männern zwischen 210 bis 420 µmol/l. Ein grosser Prozentsatz der Patienten
mit einem Serumharnsäurespiegel von über 600 µmol/l wird früher oder später symptomatisch. Die Therapie besteht aus einer Schmerz- und Entzündungshemmung während eines Gichtanfalls (Antiphlogistika, Colchicin) sowie einer medikamentösen Senkung des Harnsäurespiegels mit Urikostatika (XanthinoxidaseHemmer: Allopurinol, Febuxostat) und als zweite Wahl Urikosurika (Probenecid, Benzbromaron). Erste Wahl für eine urikostatische Therapie ist der Einsatz von Allopurinol 300 bis 600 mg pro Tag, die Höchstdodis liegt bei 800 mg. Die Dosis wird beginnend bei 50 bis 100 mg in 50- bis 100-mg-Schritten alle 2 bis 4 Wochen auftitriert. Allopurinol senkt den Harnsäurespiegel, Zielwert ist ein Spiegel unter der Löslichkeitsgrenze von 360 µmol/l. Bei Bedarf soll die Therapie angepasst und intensiviert werden, auch auf Dosen über 300 mg, so Dudler. Allopurinol kann zu Nebenwirkungen führen wie Dyspepsie, Kopfschmerzen, Durchfall, juckendem Hautausschlag in den ersten Wochen. Schwere Nebenwirkungen wie beispielsweise Nephritis, Vaskulitis, granulomatöse Hepatitis, toxische Epidermolyse und das DRESS-Syndrom (Drug Rash with Eosiniphilia and Systemic Symptoms), das mit Polyadenopathie, hohem Fieber, Hepatitis, interstitieller Pneumonie, interstitieller Nephritis oder Myokarditis einhergehen kann, kommen selten vor. «Klären Sie die Patienten darüber auf, denn nur 30 bis 60 Prozent von ihnen nehmen das Allopurinol ein Jahr lang», so Dudler. Bei Unverträglichkeit oder ungenügender Wirkung von Allopurinol kann als Alternative auf Febuxostat umgestellt werden. Die Dosierung beträgt 80 bis 120 mg pro Tag. Die Anfangsdosis liegt bei 40 mg, eine Dosiserhöhung erfolgt
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nach 2 bis 4 Wochen. Dosisanpassungen bei leichter und mittelschwerer Nieren- oder Leberinsuffizienz sowie bei älteren Patienten braucht es keine. Unter Febuxostat ist mit einer Erhöhung der hepatischen Enzyme und einer diskreten Erhöhung von kardiovaskulären Ereignissen zu rechnen. Durchfall, Übelkeit, Kopfschmerzen, Hautausschlag und Ödeme sind häufige Nebenwirkungen. Zu akuten Gichtanfällen kann es ebenfalls kommen, da durch die Senkung des Harnsäure-
spiegels Uratablagerungen im Gewebe
mobilisiert werden können. Bezüglich
Wirksamkeit ist die Behandlung mit
Febuxostat 80 oder 120 mg einer Allo-
purinoltherapie 100 bis 300 mg hin-
sichtlich der Senkung des Harnsäure-
spiegels unter die Löslichkeitsgrenze
von 360 µmol/l überlegen, wie die
52 Wochen dauernde FACT-Studie bei
720 Patienten statistisch signifikant
gezeigt hat (3).
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Valérie Herzog
Referenzen: 1. Kuo CF et al.: Risk of myocardial infarction among
patients with gout: a nationwide population-based study. Rheumatology 2013; 52: 111–117. 2. Juraschek SP et al.: Gout, urate-lowering therapy, and uric acid levels among adults in the United States. Arthritis Care Res 2015; 67: 588–592. 3. Garcia-Valladares I et al.: Efficacy and safety of Febuxostat in patients with hyperuricemia and gout. Ther Adv Musculoskelet Dis 2011; 3: 245–253.
Quelle: Satellitensymposium Menarini AG: «La goutte au fil du temps». Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine und Innere Medizin (SGAIM), 3.–5. Mai 2017, Lausanne.
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