Transkript
BERICHT
PCSK9-Hemmung senkt LDL-Cholesterin und beeinflusst klinische Endpunkte
Auch sehr tiefe Cholesterinspiegel schaden nicht
Foto: HB
In einer grossen Studie bei Patienten mit bekannter kardiovaskulärer Erkrankung bewirkte die PCSK9-Hemmung mit Evolocumab vor dem Hintergrund einer hoch dosierten Basistherapie mit Statinen eine massive Reduktion des LDL-Cholesterins. Im Vergleich zu Plazebo traten signifikant weniger Herz-Kreislauf-Ereignisse auf, die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität blieben jedoch unbeeinflusst.
Halid Bas
Bei der Geburt beträgt die Konzentration des LDL-(low-density-lipoprotein-) Cholesterins etwa 1 mmol/l, bei Erwachsenen hingegen im Durchschnitt 3 mmol/l, erinnerte Prof. Dr. med. Stephan Krähenbühl, Abteilung für Klinische Pharmakologie, Universitätsspital Basel: «Wir sind es also von Geburt her gewohnt, tiefe LDL-Cholesterin-Werte zu haben.» Über die letzten Jahrzehnte
MERKSÄTZE
ist es gelungen, den LDL-CholesterinSpiegel therapeutisch sehr deutlich zu senken. Eine Reduktion des LDL-Cholesterins auf Werte unter 1,8 mmol/l mit Statinen allein oder in Kombination mit Ezetimib führte zuverlässig zu einer Verminderung klinischer Ereignisse, meist zusammengefasst in einem kombinierten primären Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Myokardinfarkt oder zerebrovaskulärem Insult, akutem Koronarereignis und koronarer Revaskularisation.
O Bei der Geburt beträgt die LDL-Cholesterin-Konzentration etwa 1 mmol/l, im Erwachsenenalter durchschnittlich 3 mmol/l.
O Die Senkung des LDL-Cholesterins unter 1,8 mmol/l senkt das kardiovaskuläre Risiko.
O Bei Patienten mit bekannter kardiovaskulärer Krankheit und zusätzlichen Risikofaktoren kann mit Evolocumab (Repatha®) das LDL-Cholesterin weit unter die empfohlenen Zielwerte gesenkt werden.
O Die PCSK9-Hemmung mit Evolocumab zusätzlich zu einer Statintherapie vermindert die kardiovaskulären Ereignisse und hat ein sehr gutes Sicherheitsprofil.
Auch sehr tiefe LDL-Cholesterin-
Werte nicht schädlich
Ausgehend von der Beobachtung, dass eine Malfunktion der Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) das kardiovaskuläre Risiko senkt, wurde die PCSK9-Hemmung durch Antikörper als neues therapeutisches Prinzip eingeführt, das eine Senkung des LDLCholesterins bis weit unter die bisher empfohlenen Zielwerte erlaubt. Inzwischen sind beim Menschen über 160 Allelvarianten von PCSK9 beschrieben worden, von denen einige zu einer gesteigerten und andere zu einer reduzierten Funktion führen, was bei den Trägern das kardiovaskuläre Risiko erhöht respektive senkt. Mit dem gegen PCSK9 gerichteten Antikörper Evolocumab (Repatha®) wurde die FOURIER-Studie durchge-
führt, deren klinische Ergebnisse kürzlich publiziert worden sind (1). In der randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Studie erhielten 27 564 Patienten mit kardiovaskulärer Krankheit und LDL-Cholesterin-Werten von 1,8 mmol/l (70 mg/dl) oder höher eine Statinbehandlung. Zusätzlich wurden die Patienten zu Evolocumab (140 mg alle 2 Wochen oder 420 mg 1-mal pro Monat) oder zu Plazebo als subkutane Injektion randomisiert. Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Hirnschlag, Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris und koronarer Revaskularisation. Der sekundäre Endpunkt fasste kardiovaskulären Tod, Myokardinfarkt und Hirnschlag zusammen. Die mediane Beobachtungszeit betrug 2,2 Jahre.
636
ARS MEDICI 14+15 I 2017
BERICHT
Nach 48 Wochen erreichten die LDLCholesterin-Spiegel in der EvolocumabGruppe von einem Ausgangswert von median 2,4 mmol/l das sehr niedrige Niveau von 0,78 mmol/l (p < 0,001). Im Vergleich zu Plazebo reduzierte Evolocumab das Risiko für den primären Endpunkt signifikant (9,8% vs. 11,3%; Hazard Ratio [HR]: 0,85, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,79– 0,92, p < 0,001) sowie ebenfalls den sekundären Endpunkt (5,9% vs. 7,4%; HR: 0,80, 95%-KI: 0,73–0,88, p < 0,001). Die Ergebnisse waren über alle Subgruppen konsistent, inklusive derjenigen mit den tiefsten LDL-CholesterinAusgangswerten. Zwischen den Gruppen wurden keine Unterschiede bei den Nebenwirkungen beobachtet (inkl. neu aufgetretenem Diabetes und neurokognitiver Ereignisse), ausser etwas häufigeren Lokalreaktionen an der Injektionsstelle bei Evolocumab. Eine Metaanalyse lässt vermuten, dass unter hoch dosierten Statinen vermehrt hämorrhagische Insulte auftraten (2). «Ausser dieser möglichen Zunahme gibt es bis jetzt keine Hinweise, dass LDL-Cholesterin-Werte unter 1,8 mmol/l schädlich sind. Extrahepatische Gewebe scheinen auch bei tiefen LDL-Cholesterin-Konzentrationen genügend Cholesterin zur Verfügung zu haben», resümierte Krähenbühl. Weniger Herz-Kreislauf-Ereignisse, aber keine Senkung der Sterblichkeit Neben der FOURIER-Studie haben andere Untersuchungen die potenten Wirkungen von Evolocumab dokumentiert. So konnte in der offenen OSLER-1Studie und ihrer Fortsetzung eine Senkung des LDL-Cholesterins von ausgangs 3,367 mmol/l auf 1,554 mmol/l über vier Jahre Beobachtungszeit nachgewiesen werden (3), erklärte Prof. Dr. med. Franz Eberli, Klinik für Kardiolo- gie, Stadtspital Triemli, Zürich. Auch in dieser Studie erhielten alle Patienten eine Standardtherapie mit einem hoch dosierten Statin und/oder Ezetimib. Neben der Senkung von LDL-Cholesterin sah diese Studie auch günstige Auswirkungen von Evolocumab auf andere Lipidparameter wie Nicht-LDLCholesterin, Apolipoprotein B (ApoB) und Lipoprotein(a). In der GLAGOV-Studie erhielten die Patienten neben einer Hintergrundbehandlung mit einem Statin entweder Plazebo oder Evolocumab (420 mg s.c., 1-mal pro Monat) (4). Nach 78 Wochen wurde eine nominelle Reduktion des Atheromvolumens (–0,95%, p < 0,001) beobachtet. Bei einigen Patienten liess sich eine Rückbildung atheromatöser Veränderungen nachweisen, bei anderen schritt die Erkrankung hingegen voran. Um eine messbare Plaqueregression zu erreichen, ist gemäss einer exploratorischen Analyse eine sehr massive LDL-Cholesterin-Senkung unter 1,0 mmol/l nötig. Zu den Ergebnissen der FOURIERStudie, die auch in der Schweiz Patienten rekrutierte, kommentierte Eberli speziell die Auswirkungen auf die kardiovaskuläre Mortalität. Aus den Statinstudien ist bekannt, dass die kardiovaskuläre Mortalität nicht gesenkt wird. «Wenn Sie mit Evolocumab das LDL-Cholesterin noch weiter senken, reduzieren Sie kardiovaskuläre Ereignisse, aber wahrscheinlich nicht die kardiovaskuläre Mortalität», so Eberli. Mit Blick auf mögliche Nebenwirkungen hielt Eberli fest, dass unter der PCSK9-Hemmung mit Evolocumab keine Bildung von neutralisierenden Antikörpern beobachtet wurde, ebenso wenig wie allergische Reaktionen. Die bis heute gesammelten Daten lassen auch keine erhöhte Rate an Muskelbeschwerden und Diabetes mellitus er- kennen. In der FOURIER-Studie war die Gesamtmortalität in der Evolocu- mab-Gruppe zwar leicht erhöht, dieses Ergebnis war jedoch nicht signifikant (HR: 1,04, 95%-KI: 0,91–1,19). «Im Moment kann man aus diesen Zahlen nichts machen», meinte Eberli. Um mögliche Auswirkungen auf die Neurokognition zu erfassen, wurden bei einem Teil der Patienten der FOURIER- Studie in der EBBINGHAUS-Studie entsprechende Tests durchgeführt (2442 Patienten gescreent, 1974 auf- genommen). Über deren Ergebnisse wurde kürzlich an der 66. Jahres- versammlung des American College of Cardiology berichtet. Demnach erga- ben sich keine Hinweise auf einen si- gnifikanten Unterschied von neuro- kognitiven Nebenwirkungen zwischen Evolocumab- und Plazebogruppe. Eberli zog daher das Fazit, dass eine PCSK9- Hemmung mit Evolocumab bei Pa- tienten mit bekannter Herz-Kreislauf- Erkrankung und zusätzlichen Risiko- faktoren die Chance bietet, mit gutem Sicherheitsprofil kardiovaskuläre Er- eignisse zu verringern. O Halid Bas Literatur: 1. Sabatine MS et al.; FOURIER Steering Committee and Investigators: Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 376: 1713–1722. 2. Pandit AK et al.: High-dose statin therapy and risk of intracerebral hemorrhage: a meta-analysis. Acta Neurol Scand 2016; 134(1): 22–28. 3. Koren MJ et al.: Long-term low-density lipoprotein cholesterol-lowering efficacy, persistence, and safety of evolocumab in treatment of hypercholesterolemia: results up to 4 years from the open-label OSLER-1 extension study. JAMA Cardiol, published online March 14, 2017; DOI:10.1001/jamacardio.2017.0747. 4. Nicholls SJ et al.: Effect of evolocumab on progression of coronary disease in statin-treated patients: the GLAGOV randomized clinical trial. JAMA 2016; 316(22): 2373–2384. Quelle: 15. Zürcher Review Kurs in Klinischer Kardiologie, 6. April 2017 in Zürich. ARS MEDICI 14+15 I 2017 637