Transkript
BERICHT
Arthrosebehandlung in der Praxis: Was tun, was lassen?
Individuelles Vorgehen mit Orientierung am Risikoprofil
Patienten mit Arthrose sind in der Regel langfristig auf eine medikamentöse Therapie angewiesen. Der Verträglichkeit gilt daher besonderes Augenmerk. In seinem Vortrag erinnerte Prof. Dr. Beat A. Michel, Rheuma Clinic Bethanien, Zürich, an nicht medikamentöse Massnahmen und gab einen Überblick über Wirksamkeit und Nebenwirkungsprofil der gängigen medikamentösen Ansätze.
Christine Mücke
Fehlstellungen, Tapes oder Bandagen können die betroffenen Gelenke entlasten. Weiter ist es wichtig, die Gelenke zu bewegen und richtig zu trainieren. Liegt bei einer aktivierten Arthrose jedoch ein Erguss vor, muss dieser erst einmal punktiert werden, um die Bewegung des Gelenks erst zu ermöglichen. Oberflächlichen Gelenken kann auch eine topische schmerzstillende Behandlung guttun.
Patienten, die wegen einer Arthrose zum Arzt gehen, weisen in der Regel bereits bei der Erstkonsultation eine fortgeschrittene Erkrankung auf, denn im frühen Stadium sind die Knorpelläsionen noch nicht schmerzhaft und die fokalen Läsionen im Röntgenbild nicht sichtbar.
Keine Therapie ohne genaue Diagnose Vor jedweder Therapie muss die Schmerzursache geklärt werden: Sind die Schmerzen intraartikulär, periartikulär, mechanisch oder entzündlich bedingt? «Das Wichtigste in diesem
Zusammenhang ist immer noch die Klinik», mahnte der Experte. Der Patient muss zeigen, wo die Schmerzen lokalisiert sind; die Palpation des betroffenen Gelenks gibt wichtige Hinweise. Am häufigsten sind bei über 65-Jährigen Knie und Hüfte betroffen, schmerzen andere Gelenke, muss eine sorgfältige Abklärung andere Ursachen ausschliessen.
Abnehmen, bewegen, entlasten
Nicht medikamentöse Massnahmen (siehe auch Kasten) leisten einen wertvollen Beitrag zur Behandlung, eine allfällige Gewichtsabnahme, Einlagen bei
Kasten:
Arthrose: Behandlungsoptionen für die Praxis
Nicht medikamentös
O Physiotherapie O Training, beispielsweise Aerobic oder
Bewegung im Wasser O Gewichtsreduktion O Stöcke O Wärme/Kälte O Patella-Taping O Bandage O Einlagen O Akupunktur
Medikamentös
O Paracetamol O Chondroitin- und Glucosaminsulfat O NSAR inkl. COX-2-Hemmer O topische Therapie O intraartikuläre Therapien (Hyaluron-
säure/Steroide) O Opioide
Auf Paracetamol verzichten
Unter den Medikamenten, die bei einer Kniearthrose verschrieben werden, waren in einer Metaanalyse von Bannuru et al. alle bis auf Paracetamol besser wirksam bezüglich Schmerzlinderung als Plazebo. Paracetamol brachte in Dosierungen unter 3000 mg/Tag keine signifikante Wirkung, geht aber in höheren Dosierungen mit einem ähnlichen Risiko wie der Einsatz von NSAR einher (1, 2). Der Experte empfiehlt daher, dass Rheumatologen bei der Behandlung der Arthrose auf den Einsatz von Paracetamol verzichten sollten.
Auf Herz und Magen achten
Wie ist es um das gastrointestinale Risiko von NSAR bestellt? Zur Beantwortung dieser Frage zog Michel eine Metaanalyse heran, die sich mit dem vaskulären sowie dem gastrointestinalen Risiko der Substanzen beschäftigt hat (3). Letzteres ist im Vergleich zu Plazebo bei den Coxiben (relatives Risiko [RR]: 1,81) und bei Diclofenac (RR: 1,89) am geringsten ausgeprägt, Ibuprofen und Naproxen weisen ein relatives Risiko schwerer oberer gastrointestinaler Nebenwirkungen (mehrheitlich Blutungen) von 3,97 respektive 4,22 auf. Hinsichtlich schwerer vaskulärer und koronarer Nebenwirkungen schneidet Naproxen im Vergleich zu Plazebo aufgrund seiner ASS-ähnlichen
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Tabelle:
Wirksamkeit und Risiken der medikamentösen Therapie bei Arthrose
Therapie
Wirksamkeit Gastrointestinales Risiko Kardiovaskuläres Risiko Andere Risiken
Paracetamol Chondroitinsulfat Glucosaminsulfat COX-2-Hemmer Traditionelle NSAR Hyaluronsäure i.a. Steroide i.a. Opioide
(+) + + +(+) +(+) ++ ++ (+)
+ 0 0 + ++ 0 0 0
(+) (+) 00 00 ++ ++ 0 (+) 0 (+) 0 ++
Quelle: nach Michel
Wirkung am besten ab (RR: 0,93 bzw. 0,84); alle anderen (Coxibe, Diclofenac und Ibuprofen) erhöhen das kardiovaskuläre Risiko (3). Eine ähnlich gute Schmerzlinderung wie unter NSAR ist mit Glucosaminen möglich, mit einem Nebenwirkungsrisiko ähnlich Plazebo (4). Der Plazeboeffekt dürfe bei der Therapie von Arthroseschmerzen nicht unterschätzt werden, merkte der Experte an, alle Medikamente, die besser als Plazebo wirkten, seien daher prinzipiell gut.
Den Knorpel im Visier
Zur Wirkung von Chondroitinsulfat (CS) bei Arthrose zitierte Michel Daten der Cochrane-Datenbank. Auch bei ausschliesslicher Berücksichtigung der Studien mit sehr guter Qualität ergab sich eine signifikante Schmerzreduktion im Vergleich zu Plazebo bei einem geringeren Risiko schwerer Nebenwirkungen unter dem Verum (5). In der aktuellen CONCEPT-Studie habe CS (800 mg/Tag) bei rund 600 Patienten mit Kniearthrose Schmerz und funktionelle Einschränkungen besser reduziert als Plazebo und habe sich in Wirksamkeit und Sicherheit Celecoxib (200 mg/ Tag) als ebenbürtig erweisen, wie Michel berichtete (6). Auch auf die Fingergelenkarthrose konnte eine symptomatische Wirkung von CS gezeigt werden (7). Die Patienten sollten jedoch im
Vorfeld wissen, dass dessen Wirkung nicht unmittelbar einsetzt, dies um Enttäuschungen vorzubeugen. Auch die Injektion von Hyaluronsäure stelle eine gute Option dar, wie Michel darlegte. Zu Beginn einer aktivierten Arthrose spritze er Steroide, bei einem Wiederauftreten des Schmerzes setze er dann versuchsweise Hyaluronsäure ein. Eine Metaanalyse habe gezeigt, dass diese insbesondere im chronischen Stadium ab der 8. Woche die Schmerzen besser lindere als Steroide (8).
Therapie individuell abstimmen Auf die Gabe von Opioiden sollte man bei Arthrose hingegen besser verzichten, und das nicht nur wegen ihrer schlechteren Wirkung auf Gelenkschmerzen. Darüber hinaus erhöhen diese nämlich bei älteren Patienten mit Arthrose das Risiko von Stürzen und damit einhergehenden Frakturen (9). Abschliessend erinnerte Michel noch einmal daran, dass keine Therapie ohne genaue Diagnose erfolgen sollte, eine Therapie immer individuell an dem Patienten und seinem Risikoprofil orientiert sein sollte und je nach Verlauf anzupassen ist, falls erforderlich. O
Christine Mücke
Quelle: Update Refresher Allgemeine Innere Medizin, Satellitensymposium der Firma IBSA: «Arthrosebehandlung – evidenzbasiert und doch pragmatisch», 12. Mai 2017, Zürich.
Referenzen: 1. Bannuru RR et al.: Comparative effectiveness of phar-
macologic interventions for knee osteoarthritis: a systematic review and network meta-analysis. Ann Intern Med 2015; 162(1): 46–54. 2. Moore N et al.: Does paracetamol still have a future in osteoarthritis? Lancet 2016; 387(10033): 2065–2066. 3. Coxib and traditional NSAID Trialists’ (CNT) Collaboration; Bhala N et al.: Vascular and upper gastrointestinal effects of non-steroidal anti-inflammatory drugs: meta-analyses of individual participant data from randomised trials. Lancet 2013; 382(9894): 769–779. 4. Kongtharvonskul J et al.: Efficacy and safety of glucosamine, diacerein, and NSAIDs in osteoarthritis knee: a systematic review and network meta-analysis. Eur J Med Res 2015; 20(1): 24. 5. Singh JA et al.: Chondroitin for osteoarthritis. Cochrane Database Syst Rev 2015; 1: CD005614. 6. Reginster JY et al.: Pharmaceutical-grade chondroitin sulfate is as effective as celecoxib and superior to placebo in symptomatic knee osteoarthritis: the ChONdroitin versus CElecoxib versus Placebo Trial (CONCEPT). Ann Rheum Dis 2017; annrheumdis-2016210860. 7. Gabay C et al.: Symptomatic effects of chondroitin 4 and chondroitin 6 sulfate on hand osteoarthritis: a randomized, double-blind, placebo-controlled clinical trial at a single center. Arthritis Rheum 2011; 63(11): 3383–3391. 8. Bannuru RR et al.: Therapeutic trajectory of hyaluronic acid versus corticosteroids in the treatment of knee osteoarthritis: a systematic review and metaanalysis. Arthritis Rheum 2009; 61(12):1704–1711. 9. Rolita L et al.: Increasing narcotic analgesic prescriptions for osteoarthritis is associated with increased falls and fractures in the elderly. J Am Geriatr Soc 2013; 61(3): 335–340.
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