Transkript
FORTBILDUNG
Therapie rheumatischer Manifestationen des Sjögren-Syndroms
Leitlinien der Sjögren’s Syndrome Foundation
Bis anhin ist beim Sjögren-Syndrom keine Heilung möglich. Als Behandlungsziele werden daher eine Linderung der Beschwerden und eine Verbesserung der Lebensqualität angestrebt. Die Sjögren’s Syndrom Foundation hat jetzt eine Leitlinie zum Management oraler, okulärer und systemischer Manifestationen des primären Sjögren-Syndroms herausgegeben.
Arthritis Care Research
Beim Sjögren-Syndrom handelt es sich um eine chronische rheumatische Autoimmunerkrankung, die vorwiegend die Tränen- und Speicheldrüsen betrifft. Als Leitsymptome gelten Augen- und Mundtrockenheit, die unter der Bezeichnung Sicca-Syndrom (lat. siccus = trocken) zusammengefasst werden. Das Sjögren-Syndrom kann als eigenständige Erkrankung (primäres Sjögren-Syndrom) oder im Rahmen anderer Autoimmunerkrankungen (sekundäres Sjögren-Syndrom) auftreten. Mit der neuen Leitlinie der Sjögren’s Syndrom Foundation (SSF) soll die Versorgung von Patienten mit primärem Sjögren-Syndrom verbessert werden. Die Empfehlungen basieren auf der Evidenz aktueller Studien und – bei unzureichender Datenlage – auf Abstimmungsergebnissen der Leitlinienexperten.
MERKSÄTZE
O TNF-Inhibitoren sind bei Sicca-Symptomen des SjögrenSyndroms nicht wirksam.
O Rituximab kann bei Sicca und systemischen Manifestationen des Sjögren-Syndroms angewendet werden, wenn Standardtherapien nicht ausreichend wirksam sind oder nicht vertragen werden.
O Bei Fatigue ist Sport die wirksamste Behandlungsoption.
O Die Behandlung entzündlicher muskuloskelettaler Schmerzen sollte entsprechend einem abgestuften Algorithmus erfolgen.
O Hydroxychloroquin gilt als Medikament der ersten Wahl zur Linderung entzündlicher muskuloskelettaler Schmerzen bei Sjögren-Patienten.
Sicca und systemische Manifestationen
Tumornekrosefaktorinhibitoren (TNF-I): Aus Studien geht hervor, dass TNF-I die Sicca-Symptome von Patienten mit primärem Sjögren-Syndrom nicht verbessern. Deshalb sollten sie nach Ansicht der Leitlinienexperten bei diesen Beschwerden nicht zum Einsatz kommen. Zur Behandlung einer gleichzeitig vorhandenen rheumatoiden Arthritis oder anderer rheumatischer Erkrankungen, die sich mit dem Sjögren-Syndrom überschneiden, können TNF-I dagegen indikationsgemäss angewendet werden. Im Rahmen der TNF-IBehandlung sollten die Patienten jedoch im Hinblick auf Lymphome und andere Malignitäten, schwere Infektionen (inkl. Tuberkulose), invasive Mykosen, Hepatitis-B-Reaktivierung, Herzinsuffizienz, Zytopenien und demyelinisierende Erkrankungen überwacht werden. Des Weiteren ist zu beachten, dass es bei der Applikation von TNF-I zu Überempfindlichkeitsreaktionen und schweren Infusionsreaktionen kommen kann. Rituximab: Von allen beim primären Sjögren-Syndrom untersuchten Biologika hat nur Rituximab (MabThera®) bei Keratokonjunktivitis sicca und Xerostomie Wirksamkeit gezeigt. Der monoklonale Antikörper wird jedoch nur bei schwerer Symptomatik und unzureichender Wirksamkeit konventioneller Therapien wie Tränenersatzmitteln, künstlichem Speichel, Sekretagoga und antientzündlichen Medikamenten empfohlen. Des Weiteren ist Rituximab eine Option für erwachsene Sjögren-Patienten mit systemischen Manifestationen wie Vaskulitiden, Parotisschwellungen, pulmonalen Erkrankungen oder peripheren Neuropathien. Auch in diesen Fällen sollte Rituximab nur in Betracht gezogen werden, wenn mit den üblichen oralen krankheitsmodifizierenden Medikamenten (diseasemodifying antirheumatic drugs, DMARD) oder mit Glukokortikoiden kein ausreichendes Ansprechen erzielt werden konnte oder wenn diese Substanzen nicht vertragen wurden. Unter Rituximab kann es in seltenen Fällen zu schweren Nebenwirkungen kommen. Dazu gehören Infusionsreaktionen, Tumorlysesyndrome bei Non-Hodgkin-Lymphomen, progressive multifokale Leukoenzephalopathien, HepatitisB-Reaktivierungen mit potenziell fulminanter Hepatitis, schwere mukokutane Reaktionen, Infektionen, Darmverschluss und Darmperforation, kardiale Arrhythmien und Zytopenien sowie schwere bakterielle, virale oder mykotische Infektionen. Bei Schwangeren müssen Nutzen und Risiken der Behandlung sorgfältig abgewogen werden. Unter Rituximab sollten keine Impfungen mit Lebendvakzinen durchgeführt werden.
596
ARS MEDICI 13 I 2017
FORTBILDUNG
Fatigue
Bei Patienten mit Sjögren-Syndrom ist Sport zur Linderung von Fatigue am wirksamsten. Dehydroepiandrosteron (DHEA, nicht im AK der Schweiz) wird beim Sjögren-Syndrom nicht zur Behandlung von Fatigue empfohlen. Hydroxychloroquin (Plaquenil® und Generika) kann für ausgewählte Patienten in Betracht gezogen werden. Diese Substanz hat sich in Studien bei Sjögren-Patienten mit systemischem Lupus und bei Sjögren-Patienten mit erhöhter Erythrozytensedimentationsrate und anderen extraglandulären Manifestationen wie Arthralgien oder Lymphadenopathien bei Fatigue als wirksam erwiesen. Die TNF-I Etanercept (Enbrel®) und Infliximab (Remicade® und Biosimilars: Remsima®, Inflectra®) werden beim Sjögren-Syndrom nicht zur Behandlung von Fatigue empfohlen. Zu den neueren Biologika Anakinra (in der Schweiz derzeit nicht zugelassen), Abatacept (Orencia®), Belimumab (Benlysta®) und Epratuzumab (nicht im AK der Schweiz) reicht die Datenlage bis anhin nicht aus, um Empfehlungen zur Behandlung von Fatigue beim Sjögren-Syndrom geben zu können.
Entzündliche muskuloskelettale Schmerzen
Das Spektrum entzündlicher muskuloskelettaler Schmerzen reicht bei Sjögren-Patienten von leichten Arthralgien und Myalgien bis zur Synovitis mit starken chronischen Schmerzen. Zur individuellen Behandlung dieser Schmerzen empfehlen die Leitlinienexperten eine abgestufte Vorgehensweise. Hydroxychloroquin gilt beim primären Sjögren-Syndrom als Medikament der ersten Wahl zur Linderung entzündlicher muskuloskelettaler Schmerzen. Ist Hydroxychloroquin nicht ausreichend wirksam, empfehlen die Experten eine Mono-
therapie mit Methotrexat (MTX, z.B. Methotrexat® Pfizer).
Sind beide Substanzen als Einzelmedikamente nicht effektiv
genug, kann ein Versuch mit der Kombination beider Medi-
kamente unternommen werden.
Bei unzureichender Wirksamkeit der Kombination können
kurzfristig (≤ 1 Monat) Kortikosteroide in einer Dosierung
≤ 15 mg/Tag gegeben werden. Auch eine längerfristige
Applikation in höherer Dosierung kann von Nutzen sein,
es sollte aber so schnell wie möglich ein kortikoidsparender
Ersatz gefunden werden.
Wenn weder die Kombination aus Hydroxychloroquin und
MTX noch kurzfristige Kortikosteroide ausreichend wirk-
sam sind, kann Leflunomid (Arava® und Generika) in Be-
tracht gezogen werden. Bei Versagen aller vorherigen Optio-
nen steht Sulfasalazin (Salazopyrin®) zur Verfügung. Ist auch
dieses Medikament nicht ausreichend wirksam, kann Aza-
thioprin versucht werden. Bei ausgeprägter Organbeteili-
gung kann Azathioprin (Imurek® und Generika) zur Behand-
lung aller extraglandulären Manifestationen eine bessere
Wahl sein als Leflunomid oder Sulfasalazin. Als letzte Option
– wenn alles andere nicht wirkt – steht noch Ciclosporin
(Sandimmun® und Generika) zur Linderung entzündlicher
muskuloskelettaler Schmerzen zur Verfügung.
O
Petra Stölting
Quelle: Carsons SE et al.: Treatment guidelines for rheumatologic manifestations of Sjögren’s syndrome: use of biologic agents, management of fatigue, and inflammatory musculoskeletal pain. Arthritis Care Res (Hoboken) 2017; 69(4): 517–527.
Interessenkonflikte: Die referierte Studie wurde von der Sjögren’s Syndrome Foundation finanziert. 7 der 14 Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
ARS MEDICI 13 I 2017
597