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STUDIE REFERIERT
Neue orale Antikoagulanzien bei Diabetikern mit Vorhofflimmern
In einer Metaanalyse wurden neue orale Antikoagulanzien (NOAK) und Warfarin im Rahmen einer Thromboseprophylaxe bei diabetischen und nicht diabetischen Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern verglichen. Hier konnte gezeigt werden, dass NOAK eine vom Diabetesstatus unabhängige Wirksamkeit und Sicherheit aufweisen.
Diabetes/Metabolism Research and Reviews
Vorhofflimmern (VHF) ist die häufigste Arrhythmieform und gilt als Hauptrisikofaktor für kardioembolische Schlaganfälle. Bei Diabetespatienten kommt es häufiger zu VHF als bei Nichtdiabetikern, und die Erkrankung ist zudem mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, kardiovaskulären Tod und Blutungskomplikationen verbunden. In Studien wurde bei Diabetespatienten im Vergleich zu Nichtdiabetikern eine relative Zunahme VHF-bedingter thromboembolischer Ereignisse um 70 Prozent beobachtet. In aktuellen Richtlinien raten Experten bei VHF und Diabetes daher zu einer Behandlung mit oralen Antikoagulanzien, auch wenn keine weiteren Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse vorliegen. Direkte, nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAK) stellen eine wichtige neuere Option zur Prävention thromboembolischer Komplikationen bei Patienten mit nicht valvulärem VHF dar. Diese Medikamente sind durch raschen Wirkungseintritt, rasches Abklingen der Wirkung und vorhersagbares Dosisansprechen gekennzeichnet. Zudem ist bei NOAK kein Monitoring erforderlich, und es
MERKSÄTZE
O Bei Diabetespatienten mit Vorhofflimmern besteht ein höheres thromboembolisches und hämorrhagisches Risiko als bei Nichtdiabetikern mit Vorhofflimmern.
O Wirksamkeit und Sicherheit der oralen Thromboseprophylaxe mit NOAK sind vom Diabetesstatus unabhängig.
kommt nur zu geringen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. In randomisierten Phase-III-Studien waren NOAK im Vergleich zu Warfarin (in der Schweiz: Phenprocoumon [Marcumar®]) mit einer um 19 Prozent geringeren Rate des kombinierten Endpunkts Schlaganfall/systemische Embolie verbunden. Die Rate schwerer Blutungen war unter NOAK um 14 Prozent niedriger als unter Warfarin.
Metaanalyse
In einer Metaanalyse auf Studienebene gingen Giuseppe Patti von der Universität Rom (Italien) und seine Arbeitsgruppe der Frage nach, ob eine ähnliche Wirksamkeit der NOAK auch bei Diabetespatienten – trotz ihres erhöhten Risikos für thromboembolische und hämorrhagische Ereignisse – erwartet werden kann. Dazu werteten die Forscher vier randomisierte Phase-IIIStudien aus, in denen die Wirksamkeit und die Sicherheit von NOAK und Warfarin bei Patienten mit nicht valvulärem VHF und unterschiedlichem Diabetesstatus verglichen wurden. Die Studienkohorte setzte sich aus 18 134 Diabetikern und 40 454 Nichtdiabetikern zusammen. Bei den ausgewerteten Studien handelte es sich um ROCKET-AF (Rivaroxaban [Xarelto®]), ARISTOTLE (Apixaban [Eliquis®]), RE-LY (Dabigatran [Pradaxa®]) und ENGAGE AF (Edoxaban [Lixiana®]). Als Endpunkte ihrer Metaanalyse definierten die Forscher Schlaganfälle/systemische Embolien, ischämische Schlaganfälle, schwere Blutungen, intrakranielle Blutungen, vaskulären Tod und Gesamtsterblichkeit. Die Wirksamkeitsanalyse erfolgte anhand der «Intention-to-treat»-Population, die Sicherheitsanalyse anhand der «On-treatment»-Population.
Wirksamkeit der NOAK
unabhängig vom Diabetesstatus
Die Inzidenz des kombinierten Endpunkts Schlaganfall/systemische Embolie betrug bei den Diabetikern 3,55 Prozent und bei den Nichtdiabetikern 3,40 Prozent. Bei den Diabetikern war das Risiko für diese Ereignisse unter NOAK signifikant geringer als unter Warfarin (3,15 vs. 3,95%; relatives Risiko [RR]: 0,80; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,68–0,93; p = 0,004). Auch bei den Nichtdiabetikern kam es unter NOAK zu signifikant weniger Schlaganfällen/systemischen Embolien als unter Warfarin (3,08 vs. 3,73%; RR: 0,83; 95%-KI: 0,73–0,93; p=0,001). Zwischen der Wirksamkeit der NOAK und dem Diabetesstatus wurden keine Wechselwirkungen beobachtet. Die absolute Reduzierung des Risikos für Schlaganfall/systemische Embolie war unter NOAK bei Patienten mit und ohne Diabetes vergleichbar (0,80 vs. 0,65%). Die Raten ischämischer Schlaganfälle wurden in den Studien RE-LY und Rocket AF untersucht. Hier betrugen die RR für einen ischämischen Schlaganfall unter NOAK im Vergleich zu Warfarin bei den Diabetikern 0,88 (95%-KI: 0,68–1,13) und bei den Nichtdiabetikern 0,90 (95%-KI: 0,67– 1,20).
Sicherheit der NOAK
unabhängig vom Diabetesstatus
Zu schweren Blutungen kam es bei 6,35 Prozent der Diabetiker und bei 5,40 Prozent der Nichtdiabetiker (p < 0,0001). Bei den Diabetikern betrug das RR für schwere Blutungen unter NOAK im Vergleich zu Warfarin 0,94 (95%-KI: 0,81–1,11), bei den Nichtdiabetikern lag das RR bei 0,83 (95%KI: 0,67–1,03). Im Hinblick auf schwere Blutungen wurden zwischen NOAK und dem Diabetesstatus keine signifikanten Interaktionen beobachtet. Die absolute Reduktion des Risikos für schwere Blutungen betrug unter NOAK bei Diabetikern 0,43 Prozent und bei Nichtdiabetikern 1,08 Prozent. Die Inzidenz intrakranieller Blutungen war in den Studien RE-LY, ROCKET AF und ARISTOTLE unter NOAK signifikant niedriger als unter Warfarin. Dies wurde sowohl bei den Diabetikern (0,73 vs. 1,29%; RR: 0,57; 95%-KI: 0,40–0,81; p = 0,002) als auch bei den
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Nichtdiabetikern (0,62 vs. 1,35%; RR: 0,47; 95%-KI: 0,32–0,68; p < 0,0001) beobachtet. In den Studien RE-LY, ROCKET AF und ARISTOTLE kam es bei Diabetikern häufiger zu einem vaskulären Tod als bei Nichtdiabetikern (5,48 vs. 4,14%; p < 0,0001). Bei den Diabetikern wurden unter NOAK signifikant weniger vaskuläre Todesfälle als unter Warfarin beobachtet (4,97 vs. 5,99%, RR: 0,83; 95%-KI: 0,72–0,96; p = 0,01). Bei Patienten ohne Diabetes betrugen die Raten der vaskulären Todesfälle unter NOAK 4,00 Prozent und unter Warfarin 4,27 Prozent (RR: 0,94; 95%-KI: 0,81–1,08; p = 0,38). Die Interaktion zwischen den Effekten der NOAK und dem Diabetesstatus war nicht signifikant. Die absolute Reduktion vaskulärer Todesfälle war bei den Diabetikern unter NOAK angesichts ihres erhöhten Ausgangsrisikos ausgeprägter als bei den Nichtdiabetikern (1,02 vs. 0,27%).
Die Rate der Gesamtsterblichkeit (RE-LY, ARISTOTLE) war bei Diabetikern höher als bei Personen ohne Diabetes (8,85 vs. 6,74%; p < 0,0001). Die RR betrugen für NOAK im Vergleich zu Warfarin bei den Diabetikern 0,88 (95%-KI: 0,76–1,02) und bei den Nichtdiabetikern 0,90 (95%-KI: 0,82–0,99). Die absolute Reduktion des Risikos für die Gesamtsterblichkeit war unter NOAK bei Diabetikern ausgeprägter (1,14%) als bei Nichtdiabetikern (0,70%).
Diskussion
Die Ergebnisse der Metaanalyse zeigen, dass die Prävention thromboembolischer Ereignisse bei Patienten mit nicht valvulärem VHF mit NOAK unabhängig vom Diabetesstatus vorgenommen werden kann. Aus der Metaanalyse geht zudem hervor, dass eine antikoagulative Therapie mit NOAK oder Warfarin die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen bei Diabetikern auf Werte nicht diabetischer Personen
reduzieren kann. Eine langfristige orale Antikoagulation ist daher nach Ansicht der Autoren bei diesen Patienten von besonderer Bedeutung. Als Limitation ihrer Studie erachten die Wissenschaftler, dass keine individuellen Patientendaten verfügbar waren. Daher konnten keine Untergruppen identifiziert werden, die von NOAK besonders profitieren. Des Weiteren war es nicht möglich, potenzielle Interaktionen zwischen den Effekten der NOAK und der Diabetesdauer, der glykämischen Kontrolle und dem Ausmass der Insulinabhängigkeit zu evaluieren. O
Petra Stölting
Quelle: Patti G et al.: Safety and efficacy of nonvitamin K antagonist oral anticoagulants versus warfarin in diabetic patients with atrial fibrillation: a study-level metaanalysis of phase III randomized trials. Diabetes Metab Res Rev 2017; e2876.
Interessenlage: Einer der vier Autoren der referierten Studie hat Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. Die anderen drei erklären, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.
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