Transkript
FORTBILDUNG
Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes
Wann beginnen, wie kombinieren?
Für Typ-2-Diabetiker, die auf eine längere Krankheits-
dauer und diverse Komorbiditäten blicken, ist eine Insulin-
therapie das Mittel der Wahl – auch wenn es heute viele
neue, spannende Therapieoptionen für Typ-2-Diabetes
gibt. Am besten startet man mit einer Basalinsulinthe-
rapie. Im weiteren Verlauf kann diese durch prandiales
Insulin ergänzt oder mit oralen Antidiabetika beziehungs-
weise GLP-1-Rezeptor-Agonisten erweitert werden. Die
Vorteile solcher Kombinationstherapien liegen auf der
Hand: Der Patient hat ein geringeres Hypoglykämierisiko,
muss seinen Blutzucker weniger oft kontrollieren und
nimmt nicht zu.
Toralf Schwarz
Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes gibt es nur wenige Situationen, die einen raschen und unmittelbaren Beginn einer (intensivierten) Insulintherapie erfordern: Dazu zählt die Behandlung von Schwangeren mit Typ-2-Diabetes sowie von Frauen mit Gestationsdiabetes, die durch eine Ernährungsumstellung allein keine optimale Stoffwechseleinstellung erzielen. Auch können Operationen, Infekte, Begleiterkrankungen und ihre Medikation (z.B. mit Kortikosteroiden) eine vorübergehende Insulintherapie notwendig machen. Die Patienten werden dabei in der Regel in der Schwerpunktpraxis oder in der Klinik behandelt. Meist ist eine Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes erst nach längerer Krankheitsdauer und nach Versagen der primären Pharmakotherapie (überwiegend mit Metformin) angezeigt. Bis heute fehlt leider die Evidenz dafür, ob eine frühzeitige Insulintherapie einer oralen Zwei- oder Dreifachkombination überlegen ist. Für eine frühe Insulintherapie sprechen die
Fallbeispiel
Ein 56 Jahre alter Patient hat seit 5 Jahren Diabetes mellitus Typ 2 und arbeitet als Abteilungsleiter in einem Logistikunternehmen. Die Diabetestherapie erfolgte bisher mit Metformin 2-mal 1000 mg/Tag. Der HbA1c-Wert stieg im zurückliegenden Jahr von 6,5 Prozent (48 mmol/mol) auf 7,8 Prozent (62 mmol/mol) an.
Erheblich über dem Zielbereich liegen die Nüchternwerte mit 7 bis 9 mmol/l (125–160 mg/dl), deshalb wird die Behandlung um eine Basalinsulingabe ergänzt. Nach einem halben Jahr spritzt der Patient täglich 22 IE Insulin. Der Nüchternblutzucker bessert sich und liegt bei 5 bis 6 mmol/l (90–110 mg/dl). Auch der HbA1c-Wert ist auf 6,4 Prozent (46 mmol/mol) gesunken.
Nach weiteren 4 Jahren verschlechtert sich die Stoffwechsellage erneut. Die Insulindosis wird auf 48 IE innerhalb eines Jahres erhöht, gelegentlich treten jetzt leichte Hypoglykämien auf. Die Nüchternwerte sind mit 7 bis 8 mmol/l (125–145 mg/dl) dennoch zu hoch. Auch 2 Stunden postprandial steigt der Blutzucker auf über 11 mmol/l (200 mg/dl) an. Der HbA1c-Wert liegt bei 7,5 Prozent.
Der Patient hat mittlerweile 8 Kilo zugenommen (BodyMass-Index [BMI]: 30,5 kg/m2) und wird jetzt in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis behandelt. Dort erhält er nochmals eine Schulung und eine ergänzende Therapie mit einem GLP-(glucagon-like-peptide-)1Rezeptor-Agonisten. Seine Insulindosis wird schrittweise auf 26 IE reduziert. Nach 6 Monaten liegen Blutzuckerwerte und HbA1c wieder im Zielbereich, Unterzuckerungen kommen seit einem Vierteljahr nicht mehr vor. Und der Diabetespatient hat 2 Kilo an Gewicht verloren.
MERKSATZ
O Die Behandlung mit einem lang wirksamen Basalinsulinanalogon und mit Metformin ist einfach anwendbar.
mögliche Erholung der Betazellfunktion und das Fehlen absoluter Kontraindikationen. Das Hypoglykämierisiko, die häufige Gewichtszunahme und Einschränkungen in der Lebensführung gelten als Gegenargumente. Bei der Therapiewahl müssen deshalb immer das Stadium der Erkrankung (Abbildung 1) und die individuelle Situation des Patienten berücksichtigt werden (Tabelle 1).
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FORTBILDUNG
Insulinresistenz Gewicht
Blutglukose
Insulinproduktion
abnehmende Betazellfunktion abnehmende Glukosetoleranz
Prädiabetes
Früher Typ-2-Diabetes Typ-2-Diabetes
Gestörte Glukosetoleranz
Hyperinsulinämie bei Insulinresistenz
Insulinmangel bei Insulinresistenz
Diät* + Bewegung
Diät* + Bewegung +
Diät* + Bewegung +
Nicht insulinotrope Substanzen
*Diät = angepasste, kalorienbewusste Ernährung.
+ Insulin
Abbildung 1: Stadiengerechte Diabetestherapie
Schulung muss sein!
Grundlage jeder Diabetestherapie ist eine adäquate Schulung. Obwohl es heute eine Vielzahl von Schulungsprogrammen gibt, sind sie nicht alle innerhalb der DMP-(DiseaseManagement-Programme-)Verträge abrechenbar. Auch muss die schulende Praxis in der Diabetesschulung routiniert sein, um dem Patienten die notwendige Sicherheit im Umgang mit seiner Erkrankung zu vermitteln. Eine weitere Voraussetzung für eine begründete Therapieentscheidung mit Insulin ist, dass der Patient seinen Blutzucker selbst kontrollieren kann. An drei bis vier aufeinanderfolgenden Tagen sollten Tagesprofile gemessen werden (morgens nüchtern und präprandial vor den Hauptmahlzeiten, 2 h postprandial und vor der Nachtruhe). Soll der Patient dann mit einer Insulintherapie starten, muss die geeignete Therapieform für ihn gefunden werden. Die Optionen möglicher Therapieregime sind vielfältig (Tabelle 2), das gilt auch für die heutigen Insuline (Abbildung 2, Tabelle 3).
Kombinations- Insulinregime therapie
Tabelle 1:
Insulintherapie versus Kombination von OAD
Insulin frühzeitig
Kontraindikationen gegen OAD
rascher Krankheitsbeginn (Glukose ↑↑↑, HbA1c moderat ↑)
Mehrfachkombination von OAD Hypoglykämievermeidung (Tauglichkeit!) lange Krankheitsgeschichte
Ziel: Gewichtsreduktion Patientenwunsch
kurz wirksame Insuline
Basalinsuline
kurz wirksames Analogon Normalinsulin NPH Glargin U100 Detemir Glargin U300
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Stunden
Abbildung 2: Wirkprofile verschiedener Insuline
Tabelle 2:
Insuline und Therapiestrategien
CT konventionell (Mischinsulin, 2-mal tgl.) SIT supplenmentär (kurz wirksam, zu Mahlzeiten) ICT intensiviert (Basis-Bolus-Therapie mit Dosis-
anpassung) CSII kontinuierliche subkutane Insulininfusion
BOT MOT BIT
basalunterstützte orale Therapie mischinsulinunterstützte orale Therapie basalinsulinunterstützte Inkretintherapie
Hypoglykämierisiko beachten
Eine konventionelle Therapie (CT) mit Mischinsulin sollte – auch wenn die Leitlinien dies noch teilweise empfehlen – nur noch in Ausnahmefällen der Einstieg in die Insulinbehandlung sein. Das Risiko für Hypoglykämien liegt bei Mischinsulinen einfach höher. Für Patienten, die erhebliche postprandiale Blutzuckeranstiege und dabei nur gering erhöhte Nüchternwerte aufweisen, ist eine supplementäre Insulintherapie (SIT) eine mögliche Option. Alternativ kommen auch GLP-1-Rezeptor-Agonisten infrage. Bei den meisten Typ-2Diabetikern stellen jedoch zu hohe Nüchternwerte das wesentliche Problem dar. Für diese Patientengruppe empfiehlt sich die Behandlung mit einem lang wirksamen Basalinsulinanalogon (Insulin detemir, Insulin degludec oder Insulin glargin), unter Fortführung der bisherigen oralen Medikation (in der Regel Metformin). Der grosse Vorteil dieser Therapiestrategie: Sie ist einfach anwendbar, das Risiko für Unterzuckerungen ist gering. Diese Therapieform ist daher auch gut für die Einstellung in der hausärztlichen Praxis geeignet. Begonnen wird mit der Gabe von 10 IE täglich, der geeignete Zeitpunkt ist vor der Nachtruhe. Für Patienten, die bei der Insulingabe auf Hilfe angewiesen sind, ist Insulin glargin vorteilhaft, weil die Applikation auch zu einem anderen Tageszeitpunkt erfolgen kann. Anhand des Nüchternblutzuckers wird die Insulindosis schrittweise angepasst. Diese Dosistitration kann vom Patienten nach Anleitung meist problemlos selbst vorgenommen werden. Dafür sollte man ihm ein leicht verständliches Schema aushändigen (Tabelle 4). In der Titrationsphase kann der Aufwand für Patient und Praxis deutlich reduziert werden, wenn Praxisbesuche (im Abstand von 4 bis 6 Wochen) durch telefonische Konsultationen ergänzt werden.
Intensivierung der Insulintherapie
und Kombination mit OAD
Wird mit einer basalunterstützten oralen Therapie (BOT) keine gute Stoffwechselkontrolle erreicht, muss die Therapie ausgeweitet werden. Dies kann durch zusätzliche prandiale Insulingaben geschehen – mit dem Ziel einer intensivierten Insulintherapie. In den meisten Fällen ist diese aufwendige Einstellung, die eine erneute Schulung erforderlich macht,
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Tabelle 3:
Übersicht der in der Schweiz erhältlichen Insulinpräparate
Insulinart
Präparate (alphabetisch)
Wirkbeginn (h)
Normalinsulin («Altinsulin»)
O Actrapid® O Insuman® Rapid
0,5–1,0
Kurz wirksame Insulinanaloga
O Insulin aspart (NovoRapid®) O Insulin glulisin (Apidra®) O Insulin lispro (Humalog®)
< 0,25 Intermediär O Huminsulin® Basal wirksames Insulin O Insuman® Basal (NPH-Insulin) O Insulatard® 1–2 Lang wirksame Insulinanaloga O Insulin detemir (Levemir®) 1–2 O Insulin degludec (Tresiba®) 3–4 O Insulin glargin (Abasaglar®, OLantus®) O Insulin glargin U300 O (Toujeo®) 3–4 3–4 Mischinsuline O NPH + Normalinsulin O (Insuman Comb®) O Insulinanaloga O (Humalog® Mix, NovoMix®) O (Ryzodeg®) 0,5–1 < 0,25 >1
*bei gleichem Mischungsverhältnis
Wirkmaximum (h)
2–3
0,5–1,5
4–6
3–12 «steady state» nach 2–3 Tagen minimal minimal
dual
dual dual
Wirkdauer (h) 4–6 3–4
7–14
7–18 > 42 18–24 20–30 10–16
10–16 > 42
Austauschbarkeit untereinander ja
ja
ja
nein bedingt ja bedingt
bedingt*
bedingt* nein
Tabelle 4:
Leitfaden zum Beginn einer Insulintherapie mit Basalinsulin
Schulung (Lebensstil, Ernährung, Insulinwirkung, Dosisanpassung, Soziales)
Beenden: Sulfonylharnstoffe und Glinide Belassen: Metformin (DPP-4-Hemmer, SGLT-2-Inhibitoren, GLP-1-RA)
Basalinsulin (lang wirksames Analogon): Beginn mit 10 IE (Detemir zur Nacht, Degludec und Glargin morgens oder abends) Titration alle 3 oder 7 Tage, bis Zielwert nüchtern erreicht ist
Zielwert nüchtern 5,6 mmol/l (100 mg/dl) 4,0–7,2 mmol/l (70–130 mg/dl)
Titration von Basalinsulin O Beginn mit 10 IE O Titration alle 3 Tage nach Nüchternwert: – Zielwert 5,6 mmol/l (100 mg/dl)
4–7 mmol/l (70–130 mg/dl)
O Dosissteigerung: – +2 IE, wenn 3-(7-)Tages-Mittel
über Zielwert Dosisreduktion: −2 IE – bei 1-maligem Messwert < 4,0 mmol/l
(70 mg/dl)
Richtschnur für Patienten
Summe NBZ (mmol/l)
3 Tage < 15 15–20
7 Tage < 35 35–45
> 15 > 15
Dosisänderung Einheiten −2 0 +2
Aufgabe der Schwerpunktpraxis. Dort kann auch abgeklärt werden, ob andere Kombinationstherapien infrage kommen. Als potenzielle Kombinationspartner sind – neben Metformin – SGLT-(«sodium-glucose cotransporter»-)2-Inhibitoren, Acarbose und Pioglitazon sowie GLP-1-Rezeptor-Agonisten verfügbar.
Eine Kombination von Insulin mit Sulfonylharnstoffen sollte wegen des Hypoglykämierisikos und der erhöhten kardiovaskulären Mortalität unterbleiben. Pioglitazon kann laut «Arzneimittel-Kompendium» in der Regel nur fur̈ maximal 2 Jahre verordnet werden. Acarbose wird wegen häufiger gastrointestinaler Nebenwirkungen und der recht moderaten Blut-
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zuckersenkung bei hohen Tagestherapiekosten ebenfalls nur wenig eingesetzt. SGLT-2-Inhibitoren eignen sich als Kombinationspartner von Insulin für ausgewählte Patienten. Eine signifikante Senkung der kardiovaskulären Mortalität durch Empagliflozin konnte die EMPA-REG-OUTCOMEStudie im vorletzten Jahr nachweisen. Insbesondere bei Hochrisikopatienten mit längerer Diabetesdauer und bereits bestehender kardiovaskulärer Erkrankung sollte deshalb die Behandlung mit Empagliflozin zusätzlich zur bestehenden Therapie erwogen werden.
Insulin und GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Die Kombination einer Basalinsulintherapie mit GLP-1-
Rezeptor-Agonisten ist eine pathophysiologisch sinnvolle
Option, um die Stoffwechsellage bei Patienten mit Typ-2-
Diabetes zu verbessern. Ohne das Risiko einer Hypoglyk-
ämie zu steigern, kann das HbA1c gesenkt und häufig auch
eine Gewichtsreduktion erreicht werden. Das kurz wirksame
Exenatid wird dabei zu den beiden kohlenhydratreichsten
Mahlzeiten verabreicht und ist besonders effektiv bei sehr
hohen postprandialen Blutzuckerspitzen. Von den lang wirk-
samen Präparaten ist nur Liraglutid (1-mal tägliche Gabe)
zur Kombination mit einem Basalinsulin zugelassen. Auch
fur̈ Liraglutid konnte 2016 in der LEADER-Studie eine
Reduktion der Ereignisrate fur̈ Patienten mit einem hohen
kardiovaskulären Risiko nachgewiesen werden.
Die Indikationsstellung zu der ebenfalls möglichen Kom-
bination einer intensivierten Insulintherapie mit einem
GLP-1-Rezeptor-Agonisten sollte der Schwerpunktpraxis
vorbehalten sein.
O
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Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt», 15/2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Anpassungen an Schweizer Verhältnisse erfolgten durch die Redaktion von ARS MEDICI und durch den Autor.
Toralf Schwarz Praxis für Innere Medizin Diabetologische Schwerpunktpraxis Weinhold-Arkade 4 D-04442 Zwenkau E-Mail: info@praxisschwarz.de
Interessenlage: Der Autor hat in den letzten 3 Jahren Vortraghonorare und Reisekostenunterstützungen von Eli Lilly, Novo Nordisk, Sanofi und Astra Zeneca erhalten.
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