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STUDIE REFERIERT
Einheitliche Referenzbereiche für Testosteronspiegel bei Männern definiert
Standardisierung soll klinische Sicherheit schaffen
Durch den zentralen Abgleich von zuvor im Rahmen von verschiedenen Kohortenstudien an Männern in den USA und in Europa ermittelten Serumspiegel freien Testosterons und die einheitliche Kalibrierung der für die Messung verwendeten Assays konnten Wissenschaftler jetzt harmonisierte Referenzbereiche für Testosteronkonzentrationen in unterschiedlichen Altersgruppen bestimmen. Diese sollen es Klinikern fortan erleichtern, einen Hypogonadismus korrekt zu diagnostizieren und zu behandeln.
Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism
Hypogonadismus bei Männern ist charakterisiert durch eine Reihe von Symptomen und Zeichen einer Androgendefizienz, welche in Verbindung mit durchgängig geringen Spiegeln frei zirkulierenden Testosterons, des wichtigsten männlichen Sexualhormons, auftreten. Ein solcher Testosteronmangel kann zu sexueller Dysfunktion und mangelnder Zeugungsfähigkeit, zu verminderter Knochenstärke und Muskelkraft sowie zu reduzierter allgemeiner Leistungsfähigkeit führen. Um bei einem Patienten einen Hypogonadismus korrekt diagnostizieren und behandeln zu können, ist es erforderlich, dass Referenzbereiche verfügbar
MERKSÄTZE
O Unterschiede in den verwendeten Analyseverfahren haben einen grossen Anteil an den bei Männern aus Kohorten verschiedener geografischer Herkunft beobachteten Schwankungen der durchschnittlichen Testosteronkonzentrationen.
O Der durch Harmonisierung von Messdaten und einheitliche Kalibrierung der Analysetechnik für gesunde, nicht adipöse Männer im Alter von 19 bis 39 Jahren berechnete Referenzbereich freien Serumtestosterons liegt zwischen 264 und 916 ng/dl.
O Zur Bestimmung von Hormonspiegeln eingesetzte Assays sollten weltweit standardisiert werden.
sind, mit denen die jeweiligen individuell exakt zu bestimmenden Testosteronwerte abgeglichen werden können. Bis anhin waren jedoch weder solche festgelegten Referenzwerte noch standardisierte Hormonassays verfügbar. Eine ungeklärte Frage ist, ob an einer bestimmten Population ermittelte Referenzbereiche auch auf Männer aus anderen geografischen Regionen oder anderen Populationen übertragbar sind, denn sowohl biologische oder umweltbedingte Faktoren als auch Unterschiede zwischen Laboratorien oder den jeweils verwendeten Assays könnten bei Männern aus unterschiedlichen Regionen zu Variationen in der Streuung der gemessenen Testosteronkonzentrationen führen.
Neue Auswertung von Messdaten
aus vier Kohortenstudien
Eine neue US-amerikanisch-belgischenglische Studie hatte daher zum Ziel, harmonisierte Referenzbereiche des Gesamtserumtestosterons bei Männern zu ermitteln, die laboratorienübergreifend auf entsprechend gleichartig kalibrierte Assays angewendet werden können und es mithin ermöglichen sollen, eine korrekte Diagnose eines Hypogonadismus zu stellen. Zu diesem Zweck haben die Wissenschaftler anhand von Daten verschiedener epidemiologischer Studien, welche Männer aus unterschiedlichen Regionen der USA und Europas eingeschlossen hatten, die Verteilung der Konzentrationen freien Testosterons miteinander verglichen. Ihre Hypothese war, dass trotz der beobachteten substan-
ziellen interindividuellen Differenzen der Testosteronwerte in unterschiedlichen Kohorten signifikante und korrigierbare Schwankungen der durchschnittlichen Messwerte existieren, welche speziell auf Unterschiede in der eingesetzten Analysetechnik zurückzuführen sind. Daher wurde versucht, über eine der Berechnung von Referenzbereichen vorgeschaltete Harmonisierung aller Messdaten auf einer höheren Ebene den Einfluss dieses systematischen Fehlers zu minimieren. Bei den ausgewerteten Studien handelte es sich um die Framingham Heart Study (FHS), die European Male Aging Study (EMAS), die Osteoporosis Fractures in Men Study (MrOS) und die Sibling Study of Osteoporosis (SIBLOS). Insgesamt gingen die Daten von 9054 Männern in die Analyse ein. Da in diesen Studien jeweils verschiedene Assays zur Messung der Testosteronspiegel zum Einsatz kamen und sie mit unterschiedlichen Kalibratoren arbeiteten, wurden die Assays zentral kreuzkalibriert, indem die Testosteronkonzentrationen in den jeweils morgendlich abgenommenen Nüchternserumproben einer zufällig zusammengestellten Subgruppe (n = 100) von Männern aus jeder Kohorte im Centers for Disease Control and Prevention (CDC) Clinical Reference Laboratory mittels eines mit Referenzmaterial höherer Ordnung kalibrierten LC-MS/MS-(Flüssigchromatografie-Tandem-Massenspektrometrie-)Assays und unter Verwendung serumbasierten Referenzmaterials als zusätzliche Genauigkeitskontrolle bestimmt wurden. Über den Abgleich dieser neuen CDC-basierten Werte mit den entsprechenden Originaldaten aus der jeweiligen Kohorte stellten die Wissenschaftler Normalisierungsgleichungen auf, mit denen sich die originalen kohortenspezifischen Messwerte in den CDC-Standard übertragen liessen und welche dann auf die Werte der gesamten Stichprobe jeder Kohorte angewendet wurden.
Referenzwerte für verschiedene
Alters- und BMI-Gruppen
Es wurden drei verschiedene Analysen der harmonisierten Daten vorgenommen. Aufgrund der Tatsache, dass die Testosteronwerte mit zunehmendem Alter abnehmen, und wegen des Einflusses von Adipositas auf die Testosteronspiegel
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STUDIE REFERIERT
und deren altersbedingte Veränderung wurden zunächst Referenzbereiche für gesunde, nicht adipöse Männer (BodyMass-Index < 30 kg/m2) im Alter zwischen 19 und 39 Jahren ermittelt. Anschliessend wurden dann, eingeteilt nach Altersdekaden (19–39, 40–49, 50–59, 60–69, 70–79 und 80–99 Jahre), die Referenzbereiche für Männer mit BMI < 30 kg/m2 und schliesslich über modellbasierte Schätzungen auch für sämtliche Männer, ungeachtet des BMI, bestimmt. Durch die Harmonisierungsprozedur konnten die zwischen den einzelnen Kohorten bestehenden Schwankungen in den Werten der Testosteronmessungen bei Männern gleichen Alters reduziert werden. Bei gesunden, nicht adipösen Männern im Alter zwischen 19 und 39 Jahren betrugen die harmonisierten Testosteronwerte der 2,5ten, 5., 50., 95. und 97,5ten Perzentile 264, 303, 531, 852 beziehungsweise 916 ng/dl. Die altersspezifischen harmonisierten Testosteronkonzentrationen bei nicht adipösen Männern waren über alle Kohorten ähnlich und höher als bei sämtlichen Männern. Die Studienautoren kommen anhand der neu ermittelten Daten zum Schluss, dass der harmonisierte Normalbereich (2,5te bis 97,5te Perzentile) in der nicht adipösen Population europäischer und amerikanischer Männer im Alter von 19 bis 39 Jahren Testosteronwerte zwischen 264 und 916 ng/dl umfasst und dass trotz bestehender intraindividueller Unterschiede in den Hormonlevels ein Grossteil der Messwertschwankungen zwischen einzelnen Kohorten auf Unterschiede in den verwendeten Assays zurückzuführen ist. Nach Ansicht der Autoren sind ihre Daten ein Beleg dafür, dass es möglich ist, harmonisierte Testosteronreferenzbereiche zu bestimmen, welche sich weltweit auf zuvor auf eine gemeinsame Referenzmethode und einen gemeinsamen Kalibrator geeichte Assays anwenden lassen. Solche Kalibratoren sind für Testosteron und einige andere Analyte über das National Institute of Standards and Technologies (NIST) erhältlich. Ein wichtiger nächster Schritt wird in der weiteren Validierung der ermittelten Referenzbereiche unter Einbezug der Ergebnisse aus longitudinalen und ran- domisierten Studien bestehen. Dabei sollten vor allem auch Daten von ande- ren ethnischen Gruppen zugehörigen oder in anderen Regionen der Welt an- sässigen Probanden erhoben werden, um die Übertragbarkeit der Referenz- werte auf grössere Populationen in un- terschiedlichen Erdteilen bestätigen zu können. O Ralf Behrens Quelle: Travison TG et al.: Harmonized reference ranges for circulating testosterone levels in men of four cohort studies in the USA and Europe. J Clin Endocrin Metab 2017; DOI: 10.1210/jc.2016–2935. Interessenlage: Ein Teil der Autoren der referierten Originalstudie hat Forschungsunterstützung von diversen Pharmaunternehmen erhalten oder war in beratender Funktion für Firmen der Pharmabranche tätig. Einer der Studienautoren ist an einem Unternehmen im Bereich der reproduktiven Medizin finanziell beteiligt. ARS MEDICI 7 I 2017 337