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STUDIE REFERIERT
Weniger Herzinfarkte unter TNF-Hemmern als unter sDMARD bei rheumatoider Arthritis
Keine Unterschiede hinsichtlich Herzinfarktschweregrad und Postinfarktmortalität
Entzündlich rheumatische Erkrankungen wie die rheumatoide Arthritis (RA) greifen auch die Gefässe an. RA-Patienten haben ein deutlich höheres Herzinfarktrisiko als die Allgemeinbevölkerung. Wie wirkt sich die Therapie mit TNF-α-Hemmern oder sDMARD auf das Infarktrisiko aus?
Annals of the Rheumatic Diseases
Laut Metaanalysen haben Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein um 60 Prozent erhöhtes Myokardinfarktrisiko und ein um 70 Prozent erhöhtes Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben. Da die Entwicklung der Atherosklerose in der Allgemeinbevölkerung als inflammatorischer Prozess gesehen wird, scheint es möglich, dass die mit der RA assoziierte chronische Inflammation dies beschleunigen kann. Traditionelle kardiovaskuläre Risikofaktoren können das mit der RA assoziierte erhöhte Herzinfarktrisiko nicht vollständig erklären. Für Medikamente, die den Tumornekrosefaktor ␣ inhibieren (TNF-I), wurde gezeigt, dass sie die Gelenkinflammation und die assoziierten Entzündungsmarker reduzieren; somit könnten sie auch das zukünftige Herzinfarktrisiko beeinflussen.
Bisherige Studien liefen nur über 1 bis 2 Jahre Der Zusammenhang zwischen TNF-IExposition und Infarktrisiko wurde bei RA-Patienten bereits untersucht. Einige
MERKSÄTZE
O RA-Patienten, die TNF-I erhielten, hatten ein geringeres Herzinfarktrisiko als RA-Patienten, die mit sDMARD behandelt worden waren.
O Dies kann auf eine direkte Wirkung von TNF-I auf den Atheroskleroseprozess oder auf eine insgesamt bessere Krankheitskontrolle zurückgeführt werden.
Studien fanden ein reduziertes Risiko, andere jedoch ein ähnliches Risiko wie unter einer Behandlung mit synthetischen krankheitsmodifizierenden antirheumatischen Medikamenten (sDMARD). In den meisten Studien wurden die Patienten jedoch nur über 1 bis 2 Jahre nachbeobachtet. TNF-I kann die Herzinfarktinzidenz kurzfristig beeinflussen, indem er eine Plaque-Stabilisierung bewirkt. Jedoch nimmt ein Effekt auf die PlaqueBildung wahrscheinlich viel mehr Zeit in Anspruch. Deshalb dauert es vermutlich viele Jahre, bis der volle Einfluss von TNF-I auf das zukünftige Infarktrisiko offensichtlich wird. Hinzu kommt, dass der Infarkt ein relativ seltenes Ereignis ist; daher sind grosse Stichproben erforderlich, um dieses Risiko zu beurteilen.
Outcome
nach kardiovaskulärem Ereignis
(TNF ␣ beeinflusst aber nicht nur das Auftreten von Myokardinfarkten, sondern möglicherweise auch das Outcome nach einem kardiovaskulären Ereignis. TNF ␣ scheint die Infarktgrösse zu limitieren, indem er die Apoptose kardialer Myozyten verhindert oder verzögert. Darüber hinaus kann TNF ␣ eine homöostatische Rolle spielen, indem er den Umfang und die Dauer der Schädigung nach einem ischämischen Insult limitiert. Umgekehrt wurde in Mausmodellen gezeigt, dass die Neutralisierung von TNF ␣ mit Antikörpern die Infarktgrösse reduziert. Das Outcome nach einem Myokardinfarkt bei RA-Patienten unter TNF-I-Therapie wurde bis anhin noch nicht untersucht.
Studie mit über 14 000 Patienten
Kürzlich verglich eine britische Arbeitsgruppe die mittelfristige Infarktinzidenz, den Herzinfarktschweregrad und die Postinfarktmortalität bei RA-Patienten, die mit TNF-I beziehungsweise mit sDMARD behandelt worden waren. Die Analyse wurde mit RA-Patienten durchgeführt, die zwischen 2001 und 2009 in das British Society for Rheumatology Biologics Register for Rheumatoid Arthritis (BSRBR) aufgenommen worden waren und eine Therapie mit TNF-I (Etanercept, Infliximab, Adalimumab) begonnen hatten. Als Vergleichsgruppe dienten Patienten, die mit sDMARD behandelt wurden und bislang noch keine Biologika erhalten hatten. Beide Kohorten wurden mithilfe von Arzt- und Patientenfragebögen regelmässig nachbeobachtet. Trat ein Myokardinfarkt auf, wurden zusätzliche klinische Daten angefordert (Entlassungsberichte, EKG, Herzenzyme, Pathologieberichte). Todesfälle wurden dokumentiert und die Todesursache dem Totenschein entnommen. Zusätzlich wurden alle Patienten mit dem Myocardial Ischaemia National Audit Project verlinkt, einem nationalen Register, das Hospitalisationen wegen Herzinfarkt erfasst. Die Patienten wurden bei Eintritt folgender Ereignisse ausgewertet (je nachdem, was zuerst eintrat): O erster bestätigter Myokardinfarkt O Tod O 90 Tage nach Absetzen einer TNF-I-
Therapie O Datum des letzten ärztlichen Follow-
ups O 20. April 2010.
Zielkriterien waren das Risiko eines ersten Infarkts, Art und Schweregrad des Myokardinfarkts sowie die Mortalität 6 Monate nach dem Infarkt.
Deutlich weniger Infarkte unter
Therapie mit TNF-Hemmern
Insgesamt konnten 252 erste Myokardinfarkte verifiziert werden: 58 bei den 3058 Patienten aus der sDMARDGruppe und 194 bei den 11 200 Patienten aus der TNF-I-Gruppe. Die mediane Nachbeobachtungszeit pro Patient lag bei 3,5 beziehungsweise bei 5,3 Jahren. Die adjustierte Hazard Ratio für einen Myokardinfarkt bei den TNF-I-Patien-
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ten, verglichen mit den sDMARD-Patienten, betrug 0,61 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,41–0,89). Bezüglich des Herzinfarktschweregrads oder der Mortalität beobachteten die Autoren keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Behandlung von RA-Patienten mit TNF-I war im Vergleich zu einer Therapie mit sDMARD mittelfristig mit einem reduzierten Herzinfarktrisiko
assoziiert. Dies könne entweder auf eine direkte Wirkung der TNF-I auf den Atheroskleroseprozess oder auf eine allgemein bessere Krankheitskontrolle oder auf beides zurückgeführt werden, schreiben die Kollegen. Der Herzinfarktschweregrad und die Mortalität nach Herzinfarkt waren im vorliegenden Datensatz nicht mit der TNF-I-Therapie assoziiert, doch sollte dies nach Ansicht der Autoren in ge-
meinsamen Analysen verschiedener Register genauer untersucht werden. O
Andrea Wülker
Quelle: Low ASL et al.: Relationship between exposure to tumor necrosis factor inhibitor therapy and incidence and severity of myocardial infarction in patients with rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis 2017; online first, doi:10.1136/annrheumdis-2016-209784.
Interessenlage: Einer der Autoren hat Honorare von Pharmaunternehmen erhalten. Die vorliegende Arbeit wurde von der British Society for Rheumatology unterstützt.
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