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STUDIE REFERIERT
Kardiovaskuläre Sicherheit von Celecoxib, Naproxen und Ibuprofen im Vergleich
Das kardiovaskuläre Risiko des COX-2-Hemmers Celecoxib ist bei moderater Dosierung nicht höher als das der nicht selektiven COX-Hemmer Naproxen und Ibuprofen. Dies geht aus einer von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) geforderten Sicherheitsstudie hervor.
New England Journal of Medicine
Seit den Sechzigerjahren sind nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) die am häufigsten verschriebenen Medikamente der Welt. NSAR inhibieren durch die Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase (COX) die Synthese von Prostaglandinen. Über diesen Mechanismus wird eine schmerzlindernde und antientzündliche Wirkung erzielt. COX ist aber auch in der Magenschleimhaut vorhanden und stimuliert dort gastroprotektive Prostaglandine. Die Cyclooxygenase liegt in den beiden Isoformen COX-1 und COX-2 vor. Die antientzündlichen und analgetischen Effekte werden über COX-2 vermittelt, während COX-1 mit gastrointestinalen toxischen Wirkungen verbunden ist. Die Identifizierung der beiden Isoenzyme führte zur Entwicklung selektiver COX-2-Hemmer, die bei weniger gastrointestinalen Nebenwirkungen eine vergleichbare entzündungshemmende und analgetische Wirksamkeit aufweisen wie nicht selektive NSAR. Das kardiovaskuläre Risiko von COX2-Hemmern wird kontrovers diskutiert. Der selektive COX-2-Hemmer Rofe-
MERKSÄTZE
O Celecoxib ist bei moderater Dosierung mit einem ähnlichen kardiovaskulären Risiko verbunden wie Naproxen und Ibuprofen.
O Das Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen ist unter Celecoxib signifikant geringer als unter Naproxen und Ibuprofen.
O Das renale Risiko von Celecoxib ist signifikant geringer als das von Ibuprofen, jedoch nicht signifikant geringer als das von Naproxen.
coxib (VIOXX®) musste im Jahr 2004 aufgrund unerwünschter kardiovaskulärer Wirkungen wieder vom Markt genommen werden. Eine Studie weist nun darauf hin, dass der COX-2-Hemmer Celecoxib (Celebrex® und Generika) in höheren Dosierungen als der zugelassenen Dosis ebenfalls mit kardiovaskulären Schädigungen verbunden sein könnte. Die Food and Drug Administration (FDA) gestattete deshalb die Weitervermarktung von Celecoxib, forderte jedoch eine Studie zur kardiovaskulären Sicherheit.
Sicherheitsstudie PRECISION
Steven E. Nissen von der Cleveland Clinic, Ohio (USA), und seine Arbeitsgruppe untersuchten in der randomisierten, multizentrischen, doppelblinden Nichtunterlegenheitsstudie PRECISION (Prospective Randomized Evaluation of Celecoxib Intergrated Safety versus Ibuprofen oder Naproxen) das kardiovaskuläre, gastrointestinale und renale Risiko von Celecoxib im Vergleich zu den Risiken der beiden nicht selektiven NSAR Naproxen (z.B. Apranax®, Proxen® und Generika) und Ibuprofen (Brufen® und Generika). In die Studie wurden Patienten mit Arthrose oder rheumatoider Arthritis (RA) eingeschlossen, die zudem ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufwiesen. Ziel von PRECISION war die Evaluierung der Nichtunterlegenheit von Celecoxib gegenüber den Vergleichssubstanzen bezüglich des primären kombinierten Endpunkts aus kardiovaskulärer Mortalität (inkl. hämorrhagischer Tod), nicht tödlichem Herzinfarkt und nicht tödlichem Schlaganfall.
Ergebnisse
An der Studie nahmen 24 081 Patienten in einem durchschnittlichen Alter von
63 Jahren teil. Etwa 90 Prozent von ihnen litten unter Arthrose, die verbleibenden 10 Prozent waren an RA erkrankt. Im Rahmen der Untersuchung wurden die Patienten randomisiert im Verhältnis 1:1:1 einer Behandlung mit Celecoxib (2 × 100 mg/Tag), Ibuprofen (3 × 600mg/Tag) oder Naproxen (3×375mg/ Tag) zugeordnet. Bei Patienten mit RA konnte die Dosis von Celecoxib auf 2-mal 200 mg/Tag, die Dosis von Ibuprofen auf 3-mal 800 mg/Tag und die Dosis von Naproxen auf 2-mal 500 mg/ Tag erhöht werden. Für Arthrosepatienten war nur eine Erhöhung der Tagesdosen von Naproxen und Ibuprofen erlaubt. Die Tagesdosis von Celecoxib (200 mg) durfte nicht erhöht werden. Die durchschnittlichen Tagesdosen betrugen bei Celecoxib 209 mg, bei Ibuprofen 2045 mg und bei Naproxen 852 mg. Alle Patienten erhielten zum Schutz des Magens zusätzlich Esomeprazol (Nexium® und Generika). Etwa 46 Prozent der Teilnehmer erhielten auch niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (≤ 325 mg/Tag). Die Behandlung mit Celecoxib, Naproxen oder Ibuprofen erfolgte über durchschnittlich 20,3 Monate. Daran schloss sich ein Beobachtungszeitraum von durchschnittlich 34,1 Monaten an. Im Verlauf des Studienzeitraums beendeten 68,8 Prozent der Teilnehmer die Medikamenteneinnahme, und 27,4 Prozent der Patienten brachen die Studie ab. In der «Intention-to-treat»-Analyse kam es unter Celecoxib bei 188 Patienten (2,3%), unter Naproxen bei 201 Patienten (2,5%) und unter Ibuprofen bei 218 Patienten (2,7%) zu Ereignissen des primären Endpunkts. Die Hazard Ratio (HR) für Celecoxib versus Naproxen betrug 0,93 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,76–1,13). Die HR für Celecoxib versus Ibuprofen lag bei 0,85 (95%-KI: 0,70–1,04; p < 0,001 für die Nichtunterlegenheit in beiden Vergleichen). In der «On-treatment»-Analyse wurden unter Celecoxib bei 134 Patienten (1,7%), unter Naproxen bei 144 Patienten (1,8%) und unter Ibuprofen bei 155 Patienten (1,9%) Ereignisse des primären Endpunkts beobachtet. Die HR für Celecoxib versus Naproxen betrug 0,90 (95%-KI: 0,71–1,15), und 230 ARS MEDICI 5 I 2017 STUDIE REFERIERT die HR für Celecoxib versus Ibuprofen lag bei 0,81 (95%-KI: 0,65–1,02; p < 0,001 für die Nichtunterlegenheit in beiden Vergleichen). Celecoxib war mit einem signifikant geringeren Risiko für gastrointestinale Ereignisse verbunden als Naproxen (p = 0,01) und Ibuprofen (p = 0,002). Das Risiko für renale Ereignisse war unter Celecoxib signifikant geringer als unter Ibuprofen (p = 0,004), jedoch nicht signifikant geringer als unter Naproxen (p = 0,19) Diskussion Insgesamt kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass Celecoxib bei moderater Dosierung nicht mit einem höheren kardiovaskulären Risiko verbunden ist als unselektive NSAR. Ergänzend weisen sie darauf hin, dass ihre Ergebnisse die weitverbreitete Annahme nicht bestätigen, wonach Naproxen im Vergleich zu anderen NSAR mit besseren kardiovaskulären Ergebnissen verbunden ist. Als Limitation ihrer Studie erachten Steven Nissen und seine Kollegen die hohen Raten der Therapie- und Studienabbrüche. Die unzureichende Compliance verdeutlicht ihrer Ansicht nach die Problematik einer langfristigen Schmerzbehandlung. Die Patienten wechseln häufig wegen unzureichender Symptomlinderung das Medikament oder verlassen die Studien. Geringe Adhärenzraten wurden daher auch in anderen Schmerzstudien beobachtet. Die einander ähnelnden Ergebnisse der «Intention-to-treat»-Analyse und der «On-treatment»-Analyse in PRECISION weisen nach Einschätzung der Forscher darauf hin, dass die geringe Therapietreue die prinzipiellen Resultate nicht beeinflusst hat. Dennoch erschweren die hohen Abbruchraten die Interpretation der Ergebnisse. Die Celecoxibdosis wurde durch die Zulassungsbestimmungen für die meisten Teilnehmer (ca. 90% Arthrosepatienten) auf 200 mg/Tag beschränkt. In einer älteren Studie wurde jedoch bei einer Do- sierung von 800 mg/Tag ein signifikant erhöhtes kardiovaskuläres Risiko be- obachtet. Die Ergebnisse von PRECI- SION bestätigen somit zwar die kar- diovaskuläre Sicherheit von Celecoxib bei moderater Dosierung, aber nicht die Sicherheit bei höherer Dosierung. Abschliessend weisen die Wissen- schaftler darauf hin, dass die Ergeb- nisse aus PRECISION nur die relative Sicherheit der drei untersuchten Sub- stanzen reflektieren und keine Rück- schlüsse auf die individuellen Effekte der mehr als zwei Dutzend weiteren NSAR zulassen. O Petra Stölting Quelle: Nissen SE et al.: Cardiovascular safety of celecoxib, naproxen, or ibuprofen for arthritis. N Engl J Med 2016; 375: 2519–2529. Interessenlage: Die referierte Originalstudie wurde vom Pharmaunternehmen Pfizer finanziert. Der Sponsor war an Studiendesign und -durchführung beteiligt und konnte das fertige Manuskript einsehen und kommentieren. 4 der 18 Autoren sind bei Pfizer angestellt, und 6 haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. 232 ARS MEDICI 5 I 2017