Transkript
Gicht, Infektion oder Rheuma: Was lässt Gelenke schwellen?
FORTBILDUNG
Woran muss man bei schmerzenden, geschwollenen Ge-
lenken vorrangig denken? Ausser einer rheumatischen
Ursache, die möglichst früh erkannt werden sollte,
kommen auch Infektionen oder eine Hyperurikämie als
Auslöser infrage. Welche Symptome der Hausarzt konkret
erfragen und welche Untersuchungen er veranlassen
sollte und wie sich die Therapien der unterschiedlichen
Krankheiten voneinander unterscheiden, soll im nachfol-
genden Beitrag dargestellt werden.
Stefan Rehart, Martina Henniger und Verena Töppner
Die Häufigkeit von Erkrankungen des Bewegungsapparates in der allgemeinärztlichen Praxis wird – je nach Quelle – mit 10 bis 15 Prozent angegeben. Differenzialdiagnostisch ist es wichtig, Dauer und Qualität der Schmerzen sowie die Lokalisation und Anzahl der betroffenen Gelenke genau zu erfassen. Typisch für entzündlich-systemische Gelenkerkrankungen ist – neben den klassischen Entzündungszeichen – die Morgensteifigkeit, die bei den betroffenen Patienten deutlich länger als 60 Minuten andauern kann. Bei Spondyloarthritiden (M. Bechterew) tritt der frühmorgendliche tiefsitzende, sogenannte «entzündliche» Rückenschmerz auf, der sich bei Bewegung bessert. Hier kann orientierend der HLA-(human leukocyte antigen-)B27-Wert abgenommen werden. An den Händen kann anhand des Befallsmusters schon eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. Während bei der Fingerpolyarthrose vor allem die Fingermittel-, Fingerend- und die Daumensattelgelenke betroffen sind, liegt bei der rheumatoiden Arthritis (RA) häufig eine Beteiligung der Handgelenke, der Fingergrund- und Fingermittelgelenke vor. Bei der Psoriasisarthritis findet man oftmals den sogenannten «Strahlbefall», also eine Beteiligung des Fingergrund-, Fingermittel-
MERKSATZ
und Fingerendgelenks, zudem eine Weichteilauftreibung des gesamten Fingers oder Zehs («Wurstzeh/-finger») und nicht selten eine Nagelbeteiligung. Bei der aktivierten Arthrose sind die Entzündungsparameter nicht erhöht. Radiologisch zeigen sich bei degenerativen Gelenkveränderungen – neben der Verschmälerung des Gelenkspalts – in der Regel osteophytäre Anbauten, während man bei entzündlichen Gelenkaffektionen Erosionen (oft jedoch nicht im Frühstadium) und bei der Psoriasisarthritis ein Nebeneinander von osteoproliferativen und -erosiven Veränderungen findet. Bei Verdacht auf eine Spondyloarthritis ist zur frühen Erfassung einer Sakroiliitis eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Beckens in der TIRM-Sequenz (alternativ mit Kontrastmittel) zu veranlassen.
Gichtarthritis
Mit einer Prävalenz von 1 bis 2 Prozent der Erwachsenen in Industrieländern ist die Gichtarthropathie die häufigste Differenzialdiagnose einer entzündlichen Gelenkerkrankung (1). Männer sind im Verhältnis von 4:1 bis 9:1 deutlich häufiger betroffen als Frauen. Vor allem bei der Erstmanifestation handelt es sich häufig um eine Podagra (Anfall am Grosszehengrundgelenk). Im weiteren Verlauf können aber nahezu alle Gelenke betroffen sein, wobei besonders am Knie an die «Gicht» als Ursache einer fulminanten Arthritis zu denken ist. Die Patienten berichten über massive, akut auftretende Schmerzen, vor allem nachts und am Morgen. Laborchemisch zeigt sich eine Erhöhung der Entzündungswerte. Eine Hyperurikämie ist im Anfall nur in 60 Prozent der Fälle nachweisbar. Diagnostisch entscheidend ist der mikroskopische Nachweis von intrazellulären Uratkristallen in der Gelenkflüssigkeit. Der akute Gichtanfall wird mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR), eventuell auch mit Prednisolon (nur in Ausnahmefällen heute noch mit Colchicin) behandelt (2). Im Verlauf – nicht im Anfall – empfiehlt sich eine Normalisierung des Harnsäurespiegels durch Absetzen von Noxen wie eventuell auslösende Medikamente. Zudem sollte der Lebensstil inklusive der Ernährung («purinkörperarm») angepasst werden und eine Rezeptierung von Uratsenkern erfolgen, um weitere Anfälle und eine dauerhafte Gelenkschädigung zu verhindern.
O Der Rheumafaktor entwickelt sich bei etwa 80 Prozent der RA-Patienten im Verlauf, ist zur Frühdiagnose allein aber nicht geeignet.
Rheumatoide Arthritis
Pro Jahr erkranken in Deutschland 30 000 bis 45 000 Menschen neu an RA. Frauen sind etwa dreimal häufiger betroffen als Männer. Die RA ist eine meist symmetrisch auftretende Polyarthritis. Betroffen sind anfangs häufig die kleinen
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Abbildung 1: Daktylitis mit entzündetem dritten Zeh
Die Erkrankung verläuft chronisch-progredient und führt unbehandelt zur Gelenkdestruktion und zu Deformitäten. Es besteht eine hohe kardiovaskuläre Komorbidität (30%) und ein erhöhtes Infektrisiko (1,5- bis 15-fach). Die Mortalität kann durch eine suffiziente medikamentöse Einstellung weitgehend normalisiert werden. Extraartikuläre Manifestationen bestehen zum Beispiel in Rheumaknoten, im SiccaSyndrom der Augen oder in Glomerulonephritiden. In der Labordiagnostik sind häufig erhöhte CRP-(C-reaktives-Protein-)Werte und eine Beschleunigung der Blutsenkung auffällig. Der Rheumafaktor entwickelt sich bei etwa 80 Prozent der RA-Patienten im Verlauf, ist jedoch zur Frühdiagnose allein nicht geeignet. ACPA (Antikörper gegen zitrullinierte zyklische Proteine) sind zu 95 Prozent spezifisch für die RA und treten bei anderen Autoimmunerkrankungen nur selten auf. Bei hohen ACPA-Titern ist das Risiko für einen schweren, destruierenden Verlauf der Erkrankung erhöht (4). Radiologisch zeigt sich das typische Bild einer entzündlichen Gelenkveränderung mit Gelenkspaltverschmälerung, periartikulärer Weichteilschwellung und im fortgeschrittenen Stadium mit Erosionen der Gelenkflächen bis zur völligen Destruktion. Seit 2010 gibt es neue Klassifikationskriterien für die RA gemäss ACR (American College of Rheumatology)/EULAR (European League Against Rheumatism) (5). Da bereits aufgetretene strukturelle Gelenkveränderungen irreversibel sind, ist eine frühe und konsequente Therapieeinleitung mit antientzündlichen Medikamenten extrem bedeutsam. Die Medikation der ersten Wahl ist Methotrexat (MTX) aus der Gruppe der klassischen DMARD (disease modifying antirheumatic drugs). Alternativen beziehungsweise Kombinationspartner bei ungenügender Wirksamkeit sind Leflunomid, Sulfasalazin und Hydroxychloroquin. Zur Überbrückung bis zum Wirkeintritt des DMARD (mehrere Wochen) werden zusätzlich Glukokortikoide und NSAR verabreicht. Bei Therapieresistenz oder schnell destruierendem Verlauf kommt es zum Einsatz der sogenannten Biologika. Hierzu zählen TNF-(Tumornekrosefaktor-)␣-Inhibitoren, IL-(Interleukin-)1- oder IL-6-Rezeptor-Antagonisten (6).
Abbildung 2: Schwellung des Kniegelenks
Gelenke wie Fingergrund- (MCP 2/3), Fingermittel- und Zehengrundgelenke (MTP 4/5), jedoch kann im Verlauf der Erkrankung jedes Gelenk (inkl. der kleinen Wirbel- und Kiefergelenke etc.) befallen sein. Die Symptome persistieren in der Regel über mehrere Wochen. Typisch ist auch hier das Auftreten einer Morgensteifigkeit der Gelenke von mehr als 60 Minuten. Teilweise treten Allgemeinsymptome wie rasche Ermüdbarkeit, Leistungsschwäche, Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust, Fieberschübe, Hyperhidrosis an den Händen oder intermittierende Parästhesien in Händen und Füssen auf (3).
Spondyloarthritiden
Die Spondyloarthritiden haben in Deutschland eine Prävalenz von 0,5 Prozent. Hierzu gehören unter anderem die Spondylitis ankylosans (M. Bechterew), die Psoriasisarthritis und Arthritiden bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Noch heute liegen zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der Diagnosestellung oftmals bis zu zehn Jahre. Gemeinsam haben diese Erkrankungen den Befall des Achsenskeletts unter anderem mit Sakroiliitis und/oder Spondylarthritis zur Folge. Man unterscheidet zwei Gruppen (7): O axiale Spondylarthritis mit vorwiegend axialen Symptomen
wie entzündlichen Rückenschmerzen, Morgensteifigkeit O periphere Spondylarthritis mit vorwiegend peripheren
Symptomen wie Arthritis, Enthesitis oder Daktylitis. Charakteristisch für den entzündlichen Rückenschmerz ist der Beginn vor dem 40. Lebensjahr, eine Dauer der Symptome über mehr als 3 Monate, Schmerzen vor allem in der zweiten Nachthälfte, das Auftreten von Morgensteifigkeit und Fatigue sowie ein gutes Ansprechen auf NSAR. Wegweisend ist eine mittels Bildgebung (Röntgen, MRT) nachgewiesene
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Abbildung 3: Psoriasisarthritis am Kniegelenk: Varusdestruktion des Knies im Larsen-Stadium 5 mit erheblicher Chondrokalzinose des Aussenmeniskus
Abbildung 4: Morbus Bechterew: zunehmende Kalzifizierung der längsverlaufenden Bandstrukturen, hier insbesondere ventral, mit Einsteifung der Wirbelsäule
Sakroiliitis. Die Entzündungsparameter im Labor sind meist erhöht, ein positives HLA-B 27 unterstützt die Wahrscheinlichkeit der Diagnose. Die initiale medikamentöse Behandlung erfolgt bei vorwiegend axialer Spondyloarthritis mit NSAR und kann bei hoher Entzündungsaktivität durch TNF-Blocker intensiviert werden. Bei vorwiegend peripherer Arthritis kann eine Basistherapie mit Sulfasalazin, bei Psoriasisarthritis auch mit MTX versucht werden. Bei ungenügendem Ansprechen kommen auch hier Biologika zum Einsatz. Begleitend sollte immer eine physiotherapeutische Übungsbehandlung durchgeführt werden, um Funktionseinschränkungen so lange wie möglich hinauszuzögern (8).
Reaktive Arthritis
Reaktive Arthritiden treten 1 bis 6 Wochen nach urologischen, gastrointestinalen oder bronchopulmonalen Infekten auf. Die Inzidenz liegt bei 30 bis 40/100 000 pro Jahr. Das Manifestationsalter liegt zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, Männer und Frauen sind in der Regel gleich häufig betroffen. 70 bis 80 Prozent zeigen eine Assoziation mit HLA-B 27. Die Arthritis tritt vor allem asymmetrisch an Gelenken der unteren Extremität auf, insbesondere an Knieund Sprunggelenken. Selten sind kleine Wirbelgelenke oder die Iliosakralgelenke betroffen. Meist sind nur wenige oder ein einziges Gelenk befallen. Gelegentlich kommt es zur Daktylitis. Extraartikuläre Manifestationen treten an Haut, Augen, Urogenitalsystem, Schleimhäuten und manchmal an inneren Organen auf. Entscheidend für die Diagnostik ist das typische klinische Bild. Im Labor erfolgen die Bestimmung von Entzündungsparametern, der Erregernachweis (Antikörper) und der HLA-B-27-Nachweis. Reaktive Arthritiden werden konservativ mit NSAR, systemischer oder intraartikulärer Glukokortikoidgabe, Physiotherapie und lokalen physikalischen Massnahmen therapiert. Bei seltenen chronischen Verläufen kommen auch MTX und Sulfasalazin zum Einsatz. Eine Antibiotikatherapie dient zur Sanierung der Eintrittspforte, hat auf die reaktive Arthritis selbst aber keinen Einfluss (3).
Septische Arthritis
Die septische Arthritis ist ein seltenes Krankheitsbild. Neben
den rheumatischen Erkrankungen stellt sie bei unklarer
Gelenkschwellung jedoch eine der wichtigsten Differenzial-
diagnosen dar. Unterschieden werden die primären/exogenen
Infekte, verursacht durch Trauma, Punktion oder Operation,
von den sekundären endogenen Infekten, die durch hämato-
gene Streuung gelenkferner Infektionsherde (Zahninfekt,
Zystitis, Endokarditis, intravasale Katheter) verursacht werden.
Typisch für einen Gelenkinfekt sind massive Schmerzen,
Schwellung, Rötung, starke Überwärmung und Bewegungs-
einschränkung des Gelenks. Des Weiteren kann es zum Auf-
treten von Fieber bis zur Sepsis kommen. In über 95 Prozent
der Fälle sind grosse Gelenke und in der Regel nur ein Gelenk
betroffen. Diagnostisch steht zunächst die Bestimmung der
Entzündungsparameter, der Harnsäure und des Differenzial-
blutbilds an. Typisch sind ein deutlicher CRP-Anstieg sowie
eine Leukozytose. Zur weiteren Klärung ist eine Gelenk-
punktion unverzichtbar. Eine Zellzahl > 50 000 im Punktat
gilt hierbei als quasi beweisend für einen Gelenkinfekt. Bei
nachgewiesenem Infekt ist eine operative Therapie mit
Spülung und einer adäquaten Antibiotikatherapie zwingend
notwendig (9).
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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Stefan Rehart Agaplesion Markus Krankenhaus Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie D-60431 Frankfurt/Main
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Mikuls TR et al.: Gout epidemiology: results from the UK General Practice Research
Database, 1990–1999. Ann Rheum Dis 2005; 64: 267–272. 2. Engel B, Prautzsch H: DEGAM S1-Handlungsempfehlung: Häufige Gichtanfälle und
Chronische Gicht in der hausärztlichen Versorgung. AWMF-Registernr. 053/032a, Klasse S1. 3. Rehart S et al.: Rheumatische Gelenk- und Weichteilerkrankungen. In: Wirth C et al. (Hrsg.) Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie. Thieme, Stuttgart, 3. Aufl., 2014. 4. Rehart S, Henniger M: Rheumatische Erkrankungen, Orthopädie + Unfallchirurgie up 2 date 2012; 7: 147–162. 5. Aletaha D et al.: 2010 Rheumatoid Arthritis classification criteria: An American College of Rheumatology/European League Against Rheumatism collaborative initiative. Arthritis Rheum 2010; 62: 2569–2581. 6. Schneider M et al.: Interdisziplinäre Leitlinie – Management der frühen rheumatoiden Arthritis. Springer, Heidelberg, 3. Aufl., 2011. 7. Poddubnyy D, Sieper J: Diagnostik und Klassifikation der Spondyloarthritiden 2012. Akt Rheumatol 2013; 38(02): 86–91. 8. Braun J, Sieper J: Spondylitis ankylosans. Uni-med, Bremen, 2. Aufl., 2008. 9. Henniger M et al.: Septische Arthritiden – Wandel des Erregerspektrums und Rolle des orthopädischen Rheumatologen. Akt Rheumatol 2015; 40(03): 202–208.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 14/2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
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