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FORTBILDUNG
Immuntherapie – eine neue Ära in der Onkologie
Entwicklungen der Immuntherapie bei gynäkologischen Karzinomen
In den letzten Jahren hat sich die Prognose bei Genitalkarzinomen, insbesondere für Ovarialkarzinompatientinnen, wenig verbessert, sodass neue Behandlungsansätze dringend erforderlich sind (1). Mit der Immuntherapie, im Speziellen der Behandlung mit sogenannten CheckpointInhibitoren, hat eine neue Ära in der Onkologie begonnen. Was bedeutet diese neue Strategie, und welche Interaktionen und Nebenwirkungen sind zu erwarten?
Marcus Vetter1, Anita Wolfer2 und Alexander Jetter3
Während in der klassischen antineoplastischen Chemotherapie vor allem Substanzen eingesetzt werden, die durch toxische Schädigung das Absterben sich schnell teilender Zellen hervorrufen, rückte die therapeutische Nutzung der Interaktion zwischen dem Tumor und dem Immunsystem in den letzten Jahren in den Vordergrund. So ist schon länger bekannt, dass der Nachweis von T-Lymphozyten in Tumorgewebe, sogenannten TIL, eine prognostische Bedeutung hat. Eine Studie aus dem Jahr 2003 zeigte dies beim Ovarialkarzinom auf. Patientinnen mit erhöhten TIL hatten eine bessere Prognose, ihr medianes progressionsfreies Überleben lag mit 24 Monaten doppelt so hoch wie bei denjenigen ohne
MERKSÄTZE
O Ein Tumor sezerniert Substanzen oder verändert sein Mikromilieu in einer Weise, die es dem Immunsystem erschwert, die Tumorzellen zu erkennen und zu eliminieren.
O Checkpoint-Inhibitoren heben diese Hemmung des Immunsystems wieder auf.
O Klassische Arzneimittelinteraktionen sind mit CheckpointInhibitoren nicht zu erwarten.
O Die teils schweren Nebenwirkungen der Checkpoint-Inhibitoren ähneln klinisch den Autoimmunerkrankungen.
O Wie bei der klassischen Chemotherapie müssen potenzieller Nutzen und potenzielles Risiko individuell gegeneinander abgewogen werden.
TIL (2). Eine spätere Metaanalyse aus dem Jahr 2011 konnte die prognostische Bedeutung der TIL beim Ovarialkarzinom bestätigen (3). Daneben gibt es noch weitere Möglichkeiten, das Tumorwachstum zu stoppen, indem in Signalkaskaden des Tumors mit Kinaseinhibitoren eingegriffen oder die Angioneogenese behindert wird beziehungsweise Prozesse beeinflusst werden, die für Proliferation, Invasivität und Metastasenbildung zuständig sind. Der Tumor produziert Stoffe oder verändert sein Mikromilieu in einer Weise, die es dem Immunsystem erschwert, die Tumorzellen zu erkennen und zu inaktivieren. Daher versucht die Immuntherapie erfolgreich, diese veränderte Interaktion wieder herzustellen und damit den Tumor für das Immunsystem erkennbar zu machen. Hierzu bestehen verschiedene Möglichkeiten: Tumorvakzinierungen, Zytokintherapien, Zelltherapien und Checkpoint-Inhibitoren sind die Ansätze, die bis zur klinischen Anwendung entwickelt worden sind.
Checkpoint-Inhibitoren revolutionierten die Onkologie
Die Interaktion zwischen Krebs und Immunsystem kann als Krebsimmunitätszyklus beschrieben werden (4). Aus dem Tumor kommt es dabei zu einer Freisetzung von Tumorantigenen bei Tumorzelltod. Diese Tumorantigene werden dann in den antigenpräsentierenden Zellen, wie zum Beispiel den dendritischen Zellen, «aufbereitet» und zum Lymphgewebe transportiert. Dort findet das sogenannte «priming» und die Aktivierung von T-Lymphozyten statt. In einem nächsten Schritt werden diese T-Lymphozyten über die Blutbahn zu vitalem Tumorgewebe transportiert, und sie infiltrieren ins Tumorgewebe. Dort kommt es zur Erkennung und letztendlich zur Zerstörung der Tumorzelle. Mit dem Begriff Checkpoint sind in diesem Zusammenhang zentrale Kontrollmechanismen des Immunsystems gemeint, insbesondere kostimulatorische Rezeptoren auf der Oberfläche von Immunzellen. Checkpoint-Inhibitoren modulieren die Funktion dieser «Kontrollstellen». Das vom Tumor inhibierte körpereigene Immunsystem kann diesen nun wieder attackieren. Bei den Checkpoint-Inhibitoren handelt es sich um monoklonale Antikörper gegen verschiedene koinhibitorische Checkpoint-Moleküle auf T-Lymphozyten. Durch Bindung
1Gynäkologisches Tumorzentrum, Universitätsspital Basel 2Gynäkologisches Tumorzentrum, CHUV Lausanne 3Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsspital Zürich
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Immuntherapiestudien am Gynäkologischen Tumorzentrum Basel
Für die Behandlung von Patientinnen mit Ovarialkarzinom ist geplant, in Kürze zwei Phase-III-Studien (JAVELIN 100, JAVELIN 200) mit dem Antikörper Avelumab zu eröffnen. Avelumab ist ein humaner PD-L1-IgG1-Antikörper. Er blockiert PD-L1 auf der Tumorzelle und eine zytotoxische T-LymphozytenAntwort wird wieder hergestellt. Mit Avelumab als Monotherapie zeigte sich in einer Phase-I-Studie mit 33 Patientinnen eine Gesamtansprechrate von 11 Prozent (4). Die Rate für «stable disease» lag bei 44 Prozent, das mediane progressionsfreie Überleben bei 11,4 Wochen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Infusionsreaktionen (18,7%), Fatigue (18,1%), Nausea (10,8%), Diarrhö (10,3%), Schüttelfrost (6,7%) und Appetitlosigkeit (5,2%). Die Gesamtrate immunbedingter Nebenwirkungen (irAE) lag bei 9,9 Prozent (≥ G3 2,4%).
Design der geplanten Phase-III-Studien
Studie
Population
JAVELIN 100
additive Therapie nach Operation
JAVELIN 200
Rezidiv platinresistent/refraktär
Studien-Arme A: Chemotherapie + «best supportive care» B: Chemotherapie + Avelumab C: Avelumab
A: liposomales Doxorubicin B: liposomales Doxorubicin + Avelumab C: Avelumab
Bei Fragen nach Patienteneinschluss und weiteren Informationen zu den Studien können Sie sich gerne an folgende Adresse wenden: Birgitta Kautz, Studienkoordinatorin Gynäkologisches Tumorzentrum Universitätsspital Basel, E-Mail: studien.gynaekologie@usb.ch
Für weiterführende Fragen steht das Tumorzentrum unter gyn.tumorzentrum@usb.ch, Tel. 061 265 39 03 oder Fax 061 265 39 26 zur Verfügung.
des Checkpoint-Inhibitors an diese Moleküle werden hemmende Signalwege blockiert und der T-Lymphozyt aktiviert. Wichtige Beispiele für immunologische Checkpoint-Moleküle sind zum Beispiel CTLA4 (cytotoxic T-lymphocyte-associated protein 4), PD-1 (programmed cell death-1-receptor), LAG-3 (lymphycyte-activation gene 3) oder TIM-3 (T-cell immunoglobulin and mucin-domain containing-3). Das Besondere an diesen Therapien sind Langzeitremissionen und seltener auch dauerhafte Tumorremissionen. Die ersten Daten beim Melanom zeigten nach 24 Monaten eine Verdopplung des Gesamtüberlebens von 10 auf 20 Prozent. Die Kaplan-Meier-Kurve blieb danach auf einem Plateau (5). Die Wirksamkeit der Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren ist in den verschiedenen Tumorentitäten unterschiedlich. Dies hängt mit der Immunogenität und der Anzahl der somatischen Mutationen in den entsprechenden Tumorentitäten zusammen. Typische Beispiele für Tumore mit hoher Prävalenz somatischer Mutationen sind unter anderem malignes Melanom sowie Bronchus-, Blasen-, Ösophagus-, Kolon- und Zervixkarzinom (6). Bei den Genitalkarzinomen der Frau stammen die bisher verfügbaren Daten überwiegend aus Phase-I-Studien. In den folgenden Abschnitten werden die experimentellen Daten für Ovarial- und Endometriumkarzinom zusammengestellt.
Experimentelle Immuntherapie beim Ovarialkarzinom
Aufgrund der schlechten Prognose sind beim Ovarialkarzinom dringend neue Behandlungsoptionen erforderlich. Neuere Therapien, wie zum Beispiel Antiangiogenese und PARP-Inhibition, brachten bisher einige Fortschritte. Langzeitremissionen sind aber eher die Ausnahme. Viel Hoffnung
wird daher auf die Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren beziehungsweise auch auf Kombinationen gelegt. Die bisherigen frühen Behandlungsergebnisse mit Checkpoint-Inhibitoren sind in Tabelle 1 vorgestellt. Ein experimenteller Ansatz im Rahmen der Immuntherapie ist die Blockade von PGE2 (Prostaglandin E2) und VEGF-A (vascular endothelial growth factor A) sowie PD-1. Dabei kann die sogenannte endotheliale Barriere unterbrochen werden, die eine Infiltration von T-Lymphozyten verhindert (7, 8). Um das Behandlungskonzept zu überprüfen, ist für das platinresistente Ovarialkarzinom eine Phase-II-Studie mit folgenden Armen geplant: Bevacizumab, Atezolizumab, Atezolizumab/ ASS, Bevacizumab/Atezolizumab, Bevacizumab/Atezolizumab/ ASS (9). Im Falle einer Progression unter einer Monotherapie (Bevacizumab, Atezolizumab, Atezolizumab/ASS) gibt es ein obligatorisches Crossover zur Kombination mit Bevacizumab und Atezolizumab, sodass alle Patientinnen von der Kombination profitieren werden. Zum Einschluss in die Studie sind Biopsien obligatorisch. Eine weitere experimentelle Behandlungsmöglichkeit im Netzwerk der Immuntherapie ist die Aktivation von Tolllike-Rezeptoren (TLR). Diese Rezeptoren gehören zum angeborenen Immunsystem. Es gibt zehn verschiedene TLR. TLR7, TLR8 und TLR9 sind wichtige Zielstrukturen für eine antitumoröse Immuntherapie. VTX-2337 (Motolimod) ist ein TLR8-Agonist, der zurzeit in der GOG-3003-Studie untersucht wird. In dieser randomisierten Phase-II-Studie wird bei Patientinnen mit rezidiviertem Ovarialkarzinom die Kombination von pegyliertem Doxorubicin ± VTX-2337 (10) untersucht; die Resultate werden noch im Laufe dieses Jahres erwartet. Die Kombination von VTX-2337 mit pegyliertem
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Tabelle 1:
Checkpoint-Inhibitoren für das Ovarialkarzinom
Medikament
Zielstruktur Patienten
N PD-L1 ORR DCR CR PR SD Lit.
Status
% (N) (N) (N)
Nivolumab
PD-1
Rezidiv
18 alle
17% 44% 2
1
5
(13)
platinresistent
Pembrolizumab PD-1
fortgeschrittenes 26
PD-L1+ 11,5% 34,6% 1
2
6
(14)
EOC
Avelumab
PD-L1
platin-/chemo- 75 alle 10,7% 54,7% 0 8 33 (15) resistentes EOC
BMS-936559
PD-L1
fortgeschrittenes 17
alle
1% 23,5% 0
1
3
(16)
EOC
ORR = Gesamtansprechrate, DCR = Krankheitskontrollrate, PR = partielle Remission, CR = komplette Remission, SD = stabile Situation, EOC = Ovarialkarzinom
(adaptiert nach [12])
Doxorubicin wird in einer Phase-I/II-Studie auch mit dem PD-1-Antikörper (MEDI4736) in Lausanne und verschiedenen US-Zentren getestet.
Experimentelle Immuntherapie beim Endometriumkarzinom
Das metastasierte Endometriumkarzinom hat eine schlechte Prognose und ist nur in weniger Fällen kurativ behandelbar. Bisherige systemische Therapieoptionen, wie Chemotherapie oder endokrine Therapie, führen in den allermeisten Fällen nicht zu Langzeitremissionen. Auch hier bietet die Therapie mit Checkpoint-Inhibition eine Chance für eine längere Remission. Die Autoren einer 2015 publizierten Arbeit untersuchten die Effekte einer Therapie mit Pembrolizumab bei verschiedenen Tumortypen mit «Mismatch-Repair-Defekt» (eine Störung bestimmter DNA-Reparaturmechanismen); von 41 Patientinnen hatten 2 ein Endometriumkarzinom (11). Die Idee dahinter ist, dass Tumortypen mit einem solchen Defekt eine hohe Rate somatischer Mutationen aufweisen Die Ansprechrate bei diesen Tumoren lag bei 78 Prozent.
Nebenwirkungen und Interaktionen
Allen eingangs genannten immunologischen Ansätzen in der Onkologie ist gemeinsam, dass sie durch die Beeinflussung des Immunsystems neben dem gewünschten Effekt auf den Tumor auch unerwünschte Effekte an normalen Geweben auslösen. Diese spezifischen, immunvermittelten Nebenwirkungen werden durch T-Zellen vermittelt und können durch die molekularen Wirkungen der einzelnen Therapien pathophysiologisch erklärt werden. In der Schweiz sind bislang drei Checkpoint-Inhibitoren zugelassen: Das gegen CTLA-4 gerichtete Ipilimumab (Yervoy®) und das gegen den PD-1 gerichtete Pembrolizumab (Keytruda®) zur Therapie beim malignen Melanom sowie das ebenfalls gegen PD-1 gerichtete Nivolumab (Opdivo®) beim nicht kleinzelligen Lungenkarzinom.
Alle drei Substanzen sowie die in klinischen Studien bei Patientinnen mit genitalen Karzinomen eingesetzten Checkpoint-Inhibitoren Atezolizumab und Avelumab sind monoklonale Antikörper, die nach intravenöser Verabreichung wie körpereigene Antikörper zu kleinen Peptiden und Aminosäuren abgebaut werden, die entweder vom Körper weiterverwendet oder in den dafür vorgesehenen Stoffwechselwegen abgebaut werden. Daher sind pharmakokinetische Interaktionen mit Arzneimitteln, die über fremdstoffmetabolisierende Enzyme (z.B. Cytochrom-P450-Enzyme) verstoffwechselt oder durch Transportproteine über Membranen transportiert werden, nicht zu erwarten und werden in der Regel vor der Zulassung auch nicht spezifisch untersucht. Es sind hingegen je nach Art des Eingriffs ins Immunsystem pharmakodynamische Interaktionen mit anderen Immunsuppressiva zu erwarten. Insbesondere eine Therapie mit Kortikosteroiden vor Beginn mit einem Checkpoint-Inhibitor sollte vermieden werden, da hierdurch zumindest theoretisch dessen Wirkung abgeschwächt werden könnte.
Unerwünschte Wirkungen
ähneln Autoimmunreaktionen
Die immunvermittelten unerwünschten Wirkungen manifestieren sich klinisch ähnlich wie Autoimmunerkrankungen und stellen einen Klasseneffekt der Checkpoint-Inhibitoren dar. Sie sind daher auch bei den noch nicht zugelassenen Vertretern der Substanzklasse zu erwarten. Immunvermittelte Nebenwirkungen können jedes Organsystem betreffen und von leicht und vorübergehend bis lebensbedrohlich alle Schweregrade einnehmen (siehe Tabelle 2). Die Einteilung erfolgt üblicherweise gemäss den «Common Terminology Criteria for Adverse Events» des US National Cancer Instituts (17). Entsprechend sind die Organfunktionen vor und während der Therapie engmaschig zu überwachen. Bei den zugelassenen Checkpoint-Inhibitoren werden immunvermittelte Nebenwirkungen häufig (1–10% der Behandelten) bis sehr häufig (> 10%) beobachtet. Die Haut ist das
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KOMMENTAR
Prof. Dr. med. Viola Heinzelmann-Schwarz, Leiterin des Gynäkologischen Tumorzentrums, Universitätsspital Basel
Was dürfen wir von der Immuntherapie erwarten?
Das epitheliale Ovarialkarzinom ist die fünfthäufigste Karzinomerkrankung der Frau und die zweithäufigste gynäkologische Krebserkrankung weltweit. Die Mehrzahl der Patientinnen werden im fortgeschrittenen FIGO-Stadium detektiert, was hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass es nur limitierte bis keine Screeningmethoden gibt und die Symptome sehr unspezifischer Natur sind (Bauchschmerzen, Blähungen, Veränderungen im Stuhlverhalten und Bauchumfangzunahme). Das Fünfjahresüberleben von Frauen mit früher Erkrankung ist über 70 Prozent, sinkt aber auf weniger als 30 Prozent bei Frauen mit einer fortgeschrittenen metastatischen Erkrankung.
Ovarialkarzinompatientinnen benötigen eine maximale zytoreduktive Therapie, gefolgt von Chemotherapie mit den Substanzen Carboplatin und Paclitaxel. Diese Basistherapie ist äusserst wichtig und setzt eine grosse Expertise voraus, bringt doch jede 10-prozentige Zytoreduktion einen dreimonatigen Überlebensvorteil. Trotz dieser Therapien erleiden etwa 70 Prozent der Patientinnen mit fortgeschrittener Erkrankung ultimativ während ihres Krankheitsgeschehens ein Rezidiv.
Die Immuntherapie repräsentiert eine neue Alternative im Kampf gegen den Krebs. Die hauptsächliche Funktion des Immunsystems besteht darin, kontinuierlich Krebszellen zu detektieren und zu eliminieren, was auch als Prozess der sogenannten Immunüberwachung beschrieben wird. Anti-Tumor-
Immunantworten können durch verschiedene immunologische Stressoren bewirkt werden. Verschiedene aktive und passive Formen der Immuntherapie haben sich mittlerweile als zentrale Komponenten von Tumortherapien gezeigt: Rituximab (ein Antikörper gegen CD20) erwies sich als hoch effektiv gegen B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphome, Trastuzumab (Antikörper gegen Her2/neu-Rezeptor) ist mittlerweile etabliert bei Brustkrebs, Bacillus Calmette-Guérin (BCG) hat einen Nutzen bei oberflächlichem Blasenkrebs und Ipiluminab (Anti-CTLA-4) wurde erst neulich von der FDA als Behandlung für das fortgeschrittene kutane Melanom zugelassen. Gerade die Immuntherapie beim hochaggressiven kutanen Melanom hat den Patientinnen neue Hoffnung gebracht. Patientinnen unter dieser Therapie sprachen hervorragend darauf an und hatten eine kontinuierliche rezidivfreie Zeit, die man in Einzelfällen sogar als Heilung von der Erkrankung bezeichnen kann.
Nicht übersehen darf man neben allen Fortschritten aber auch die Nebenwirkungen solch einer Therapie. Diese sind anders als diejenigen, welche uns seit Jahrzehnten von Chemotherapeutika her bekannt sind. Unklar sind bislang auch die Langzeitfolgen dieser Therapien. Insbesondere gilt es auch, Patientinnen und ihrer Hoffnung auf Heilung zu begegnen, was eine grosse Herausforderung in der klinischen Tätigkeit darstellt; auf diesen Aspekt geht Dr. Corinne Urech in ihrem Artikel auf Seite 936 f. dieser Ausgabe von ARS MEDICI ein.
am häufigsten und meist als erstes betroffene Organ, gefolgt vom Magen-Darm-Trakt, den Schleimhäuten, endokrinen Organen wie der Schilddrüse und der Hypophyse sowie der Leber und der Lunge (18). Da gerade die Lebertoxizität und die Endokrinopathien (insbesondere Thyreoiditis) häufig erst nach vier oder mehr Dosen und teilweise verzögert auftreten, müssen die Überwachungen auch nach der letzten Gabe für mehrere Wochen fortgeführt werden (19). Es gibt auch Häufigkeitsunterschiede: So führen CTLA-4 Antikörper häufiger zu Diarrhö und Kolitis als PD-1 oder PD-L1-Antikörper. Ob der Nachweis von Autoantikörpern prognostisch sinnvoll ist, wird derzeit diskutiert (18). Bei leichteren immunvermittelten Organtoxizitäten (bis maximal CTCAE Grad 2) wird meist empfohlen, die nächste Gabe um eine bis mehrere Wochen zu verschieben, bei schwereren Reaktionen muss die Therapie dauerhaft abgebrochen werden. Zudem werden hochdosierte Kortikosteroide und je nach Schweregrad, insbesondere bei fehlendem Ansprechen auf die Kortikosteroidgabe, auch weitere Immunsuppressiva wie Mycophenolatmofetil eingesetzt. Trotzdem sind in einigen Fällen bleibende Schädigungen zurückgeblieben, sodass es notwendig ist, diese spezifischen Toxizitäten im Frühstadium zu erkennen.
Ausserdem muss mit Infusionsreaktionen gerechnet werden. Je nach Präparat wird empfohlen, vor den Infusionen Antipyretika wie Paracetamol und Antihistaminika zu verabreichen. In jedem Fall muss der Patient während und für einige Stunden nach der Infusion sorgfältig überwacht werden. Weitere häufige unerwünschte Wirkungen einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren sind Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, (teils schwere) Infektionen sowie vermehrte Müdigkeit bis hin zum Fatigue-Syndrom. Da auch die klassische Tumortherapie mit vielen teils schwerwiegenden Nebenwirkungen verbunden ist, wird in den Therapiestudien besonders auf Verträglichkeitsunterschiede geachtet. Letztlich ist die Lebensqualität und deren Erhalt gerade bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen ein wichtiger Parameter, der in den Therapiestudien mit untersucht werden sollte. Zusammenfassend ergeben sich aus den Wirkmechanismen der neuen Immuntherapien neben dem potenziellen Nutzen in der Tumortherapie auch neue Arten von immunsystemvermittelten unerwünschten Wirkungen, deren Risiko gegen den potenziellen Nutzen der Therapie abgewogen werden muss. «Klassische» Arzneimittelinteraktionen sind dagegen bei den Checkpoint-Inhibitoren nicht zu erwarten.
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Tabelle 2:
Immunvermittelte Organtoxizitäten der Checkpoint-Inhibitoren
Organ
Leichte oder mässige Toxizität
Schwere Toxizität
Haut
mässiger oder starker Ausschlag mit und ohne Pruritus
Stevens-Johnson-Syndrom, toxische epidermale Nekrolyse, sehr starker Pruritus
Gastrointestinalsystem
mässige bis schwere Diarrhö und/oder Kolitis über mehrere Tage mit medizinischem Interventionsbedarf
starke Diarrhö, Blut im Stuhl, gastrointestinale Hämorrhagie, Kolitis, GI-Perforation
Leber
5- bis 8-fache Erhöhung der ALT oder der AST über der oberen Normwertgrenze (über ULN) und/oder 3- bis 5-fache Erhöhung des GesamtBilirubins über ULN (upper limits of normal)
> 8-fache Erhöhung der Transaminasen über ULN, > 5-fache Erhöhung des Bilirubins über ULN, Zeichen einer schwereren, akuten Lebersynthesestörung/
Leberzellschädigung
Lunge
nur radiologisch feststellbare diffuse Pneumonitis Sauerstoffgabe notwendig, schwere Symptome, ggf. bis mässige Einschränkung der Leistungsfähigkeit Intubation und mechanische Beatmung notwendig
Nervensystem
mässige, nicht anders erklärte sensorische und/ oder motorische Neuropathie
schwere sensorische und/oder motorische Neuropathie
Weitere mögliche Organmanifestationen: Nephritis, Pankreatitis, Typ-1-Diabetes, Herzmuskelentzündung, Thyreoiditis, Hypophysitis, Uveitis, Eosinophilie usw.
Um Nutzen und Risiken der neuen Medikamente adäquat abschätzen zu können, ist es notwendig, die Patientinnen und Patienten im Rahmen von sorgfältigen klinischen Studien zu behandeln. Auch nach der Marktzulassung sollten alle schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen an die dafür zuständigen regionalen Pharmakovigilanzzentren an den Abteilungen für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Schweizerischen Universitätsspitäler gemeldet werden. O
Dr. med. Marcus Vetter Gynäkologisches Tumorzentrum Universitätsspital Basel Hebelstrasse 32 4031 Basel E-Mail: marcus.vetter@usb.ch
Dr. med. Anita Wolfer CHUV Département d'Oncologie BH-06, Rue Bugnon 46 1011 Lausanne E-Mail: anita.wolfer@chuv.ch
PD Dr. med. Alexander Jetter Klinik für Klinische Pharmakologie und Toxikologie Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich E-Mail: alexander.jetter@usz.ch
Interessenkonflikte: keine
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