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FORTBILDUNG
Antibiotische Behandlung der Lyme-Borreliose und ihrer Folgeerkrankungen
Die Lyme-Borreliose wird durch den Spirochäten Borrelia burgdorferi verursacht, welcher hierzulande hauptsächlich beim Biss von Zecken der Art Ixodes ricidus, des Gemeinen Holzbocks, in anderen Gegenden der Welt aber auch von anderen Vertretern derselben Gattung (I. scapularis oder I. pacificus), auf den Menschen übertragen wird. Ein im Rahmen der Reihe «The Medical Letter» im «JAMA» wiederveröffentlichter klinischer Review fasst zusammen, wie sich die Borreliose und ihre Folgeerkrankungen prophylaktisch, aber auch kurativ behandeln lassen.
Journal of the American Medical Association
Nach einem Zeckenbiss bildet sich in der umliegenden Hautregion ein bis zwei Wochen, nachdem sich die Zecke von der Haut gelöst hat, ein charakteristischer Ausschlag, der als Wanderröte oder im Fachjargon als Erythema (chronicum) migrans bezeichnet wird und im Laufe von Tagen oder Wochen an Grösse zunimmt. Klassischerweise ist diese Läsion durch eine zentrale bullaugenähnliche hellere Region gekennzeichnet; meistens aber ist der Ausschlag homogen erythematös, selten auch nekrotisch oder blasenförmig. Da Zeckenbisse oft in Körperregionen auftreten, die nicht ohne Weiteres augenfällig sind, wie etwa Rücken, Gesäss, Achseln oder Kniekehlen, oft asymptomatisch verläuft und innerhalb von weni-
MERKSÄTZE
O Der Einsatz von Zeckenrepellenzien und eine frühzeitige Entfernung einer festgebissenen Zecke stellen die ersten Schritte zur Vermeidung einer Lyme-Borreliose dar.
O Nach dem Biss einer Zecke aus einer hochgradig endemischen Region ist bei nicht schwangeren Erwachsenen und bei mindestens acht Jahre alten Kindern eine prophylaktische Gabe einer Einzeldosis Doxycyclin angezeigt.
O Mit den empfohlenen Antibiotikadosen lassen sich nahezu sämtliche Patienten mit Erythema migrans erfolgreich behandeln und potenzielle schwerwiegendere Manifestationen einer Lyme-Borreliose verhindern.
gen Wochen spontan wieder verschwindet, kann ein Erythema migrans vom Patienten leicht auch unbemerkt bleiben. Der Hautausschlag kann von Fieber, Kopf-, Muskel- oder Gelenkschmerzen und Unwohlsein begleitet sein. Wochen bis Monate nach der initialen Infektion entwickeln Patienten mit unbehandelter Lyme-Borreliose bisweilen eine früh ausgebreitete Erkrankung, welche wandernde muskuloskelettale Schmerzen, Karditis, Gesichtsnervlähmung, okulare Manifestationen oder Meningitis umfassen kann. In späten Erkrankungsstadien (Monate bis wenige Jahre nach Erstinfektion) kommt es in einigen Fällen zu Gelenkentzündungen, typischerweise an den Knien.
Prophylaxe
Durch Vermeidung des Kontakts mit Zecken oder den Einsatz von Zeckenrepellenzien lässt sich das Risiko für Zeckenbisse reduzieren. Hat sich dennoch bereits eine Zecke an der Haut festgesogen, sollte diese unverzüglich entfernt werden, denn Voraussetzung für die Übertragung der Krankheitserreger, so die Zecke diese überhaupt in sich trägt, ist, dass sich der Blutsauger für mindestens 36 Stunden an der Haut festbeissen konnte. Sollte letzteres der Fall sein oder es sich um eine Zecke aus hochgradig endemischen Gebieten handeln, ist innerhalb von 72 Stunden nach Zeckenentfernung eine antibiotische Prophylaxe mit einer Einzeldosis Doxycyclin in Erwägung zu ziehen (Tabelle). Gleiches wird aber auch empfohlen, wenn die Verweildauer der Zecke an der Haut unbestimmbar ist.
Erythema migrans
Bei Patienten mit früher Lyme-Borreliose lässt sich durch zehntägige Gabe von oralem Doxycyclin die Dauer der Hautläsionen reduzieren und die Entwicklung von Spätfolgen im Allgemeinen verhindern. Für Kinder unter acht Jahren sowie für schwangere Frauen oder stillende Mütter ist Doxycyclin kontraindiziert; hier sind Amoxicillin und Cefuroximaxetil geeignete und effektive Alternativen.
Neurologische Erkrankung
Eine möglicherweise beidseitig auftretende Gesichtsnervlähmung kann ein kennzeichnendes Symptom einer früh ausgebreiteten Lyme-Borreliose darstellen. Betroffenen Patienten kann mit oralem Doxycyclin geholfen werden. Kommen andere neurologische Symptome wie Meningitis, Lähmung eines weiteren Schädelnervs, Nervenwurzelerkrankung oder kognitive Ausfälle hinzu, ist gewöhnlich eine Therapie mit intravenösem Ceftriaxon angezeigt.
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FORTBILDUNG
Tabelle:
Medikamentöse Therapie der Lyme-Borreliose
Wirkstoff
Zeckenbiss
Doxycyclind,e und/oder Beobachtung
Erythema migrans
Doxycycline oder Amoxicillin oder Cefuroximaxetil oder Azithromycinf
Neurologische Erkrankung – Gesichtsnervlähmung
– andereh
Doxycycline,g oder Amoxicillin Doxycyclin oder Ceftriaxon
Kardiale Erkrankung – leicht (AV-Block 1. Grades, – PR < 300 ms)
Doxycycline
oder Amoxicillin
– schweri
oder Cefuroximaxetil Ceftriaxon
Arthritis j – ohne neurologische – Erkrankungk
– persistierend oder – rezidivierendl
Doxycycline
oder Amoxicillin oder Cefuroximaxetil Ceftriaxon
Gewöhnliche Dosierung für Erwachsene (Spanne)b 200 mg p.o. (Einzeldosis) 100 mg p.o. 2-mal täglich (10 Tage) 500 mg p.o. 3-mal täglich (14 Tage) 500 mg p.o. 3-mal täglich (14 Tage) 500 mg p.o. 1-mal täglich (7–10 Tage)
100 mg p.o. 2-mal täglich (14 Tage) 500 mg p.o. 2-mal täglich (14 Tage) 100 mg p.o. 2-mal täglich (14 Tage) 2 g i.v. alle 24 h (14 Tage) 100 mg p.o. 2-mal täglich (14 [–21] Tage)
500 mg p.o. 3-mal täglich (14 [–21] Tage)
500 mg p.o. 2-mal täglich (14 [–21] Tage) 2 g i.v. alle 24 h (14 [–21] Tage) 100 mg p.o. 2-mal täglich (28 Tage)
500 mg p.o. 3-mal täglich (28 Tage) 500 mg p.o. 2-mal täglich (28 Tage) 2 g i.v. alle 24 h (14–28 Tage)
Gewöhnliche Dosierung für Kinderc ≥ 8 J.: 4 mg/kg p.o. (Einzeldosis) ≥ 8 J.: 2 mg/kg p.o. 2-mal täglich 50 mg/kg/Tag p.o., verteilt auf 3 Dosen/Tag 30 mg/kg/Tag p.o., verteilt auf 2 Dosen/Tag 10 mg/kg/Tag p.o.
≥ 8 J.: 2 mg/kg p.o. 2-mal täglich 50 mg/kg/Tag p.o., verteilt auf 3 Dosen/Tag ≥ 8 J.: 2 mg/kg p.o. 2-mal täglich 50–75 mg/kg/Tag i.v. ≥ 8 J.: 2 mg/kg p.o. 2-mal täglich
50 mg/kg/Tag p.o., verteilt auf 3 Dosen/Tag
30 mg/kg/Tag p.o., verteilt auf 2 Dosen/Tag 50–75 mg/kg/Tag i.v. ≥ 8 J.: 2 mg/kg p.o. 2-mal täglich
50 mg/kg/Tag p.o., verteilt auf 3 Dosen/Tag 30 mg/kg/Tag p.o., verteilt auf 2 Dosen/Tag 50–75 mg/kg/Tag i.v.
a Unabhängig von der klinischen Manifestation der Lyme-Borreliose kann die vollständige Therapieantwort bis nach Behandlungsende verzögert sein; Rezidive sind mit sämtlichen dieser Therapieschemata möglich; Patienten mit Rezidiv benötigen evtl. einen zweiten Therapiedurchgang; exzessiv prolongierte Behandlung oder mehrere wiederholte Therapiedurchgänge werden nicht empfohlen.
b Basierend auf Erkrankungsschwere oder Therapieantwort.
c Erwachsenendosis sollte nicht überschritten werden; Behandlungsdauer wie bei erwachsenen Patienten.
d Stärkste Indikationen für prophylaktische Behandlung mit Doxycyclin sind: 1) festgebissene Zecke ist sicher identifizierbar als I. ricidus/scapularis/pacificus und war vermutlich für ≥ 36 h angeheftet (basierend auf dem Füllungsgrad bzw. der Dauer der Exposition), 2) Prophylaxe kann innerhalb von 72 h nach Zeckenentfernung begonnen werden, 3) die regionale Infektionsrate von Zecken mit B. burgdorferi beträgt > 20%.
e Sollte generell bei Kindern < 8 Jahren sowie bei schwangeren oder stillenden Frauen nicht eingesetzt werden.
f Für Patienten, die Betalaktame oder Tetrazykline nicht einnehmen dürfen.
g Bei Patienten, die keine Tetrazykline einnehmen dürfen, können 2-mal täglich 500 mg Ceforoximaxetil substituiert werden.
h Verfügbare Daten zur europäischen Neuroborreliose deuten darauf hin, dass 200 mg Doxycyclin alle 24 h und Ceftriaxon bei Lyme-Meningitis gleichermassen wirksam sind; Daten zur Effektivität von Doxycyclin bei Lyme-Enzephalitis oder -Enzephalopatie fehlen; ohne Gehirn- bzw. Wibelsäulenbeteiligung kann Doxycyclin als akzeptable Therapieoption gelten, sofern es sich nicht um eine schwere Erkrankungsform handelt.
i Umfasst hospitalisierte Patienten mit entweder AV-Block 1. Grades und Symptomen bzw. PR-Intervall ≥ 300 ms oder aber AV-Block 2./3. Grades; ein temporärer Schrittmacher kann notwendig sein; nach Auflösung eines kardialen Blocks kann bei stabilen Patienten eine intravenöse Therapie durch eine orale Therapie mit Doxycyclin, Amoxicillin oder Cefuroximaxetil ersetzt werden.
j In späten Erkrankungsstadien kann die Therapieantwort um mehrere Wochen/Monate verzögert sein.
k Patienten mit Lyme-Arthritis und neurologischen Symptomen sollten für 28 Tage mit 2 g i.v. Ceftriaxon alle 24 h behandelt werden.
l Patienten mit leichter persistierender oder rezidivierender Arthritis können mit einem zweiten Therapiedurchgang mit oralen Antibiotika behandelt werden.
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Kardiale Erkrankung Mit Lyme-Borreliose einhergehende kardiale Leitungsstörungen sind im Allgemeinen selbstlimitierend. Patienten mit geringgradiger Mitbeteiligung des Herzens (atrioventrikulärer [AV-] Block 1. Grades mit PR-Intervall <300 ms) können mit oralem Doxycyclin, Amoxicillin oder Cefuroximaxetil behandelt werden, solche mit schwereren kardialen Auswirkungen (z.B. symptomatischer AV-Block 1. Grades mit Symptomen bzw. PR-Intervall ≥300 ms oder aber AV-Block 2. oder 3. Grades) sollten stationär aufgenommen und i.v. Ceftriaxon erhalten.
Arthritis Im Allgemeinen ist bei borreliosebedingten Gelenkentzündungen eine orale Gabe von Doxycyclin, Amoxicillin oder Cefuroximaxetil über 28 Tage effektiv. Eine auf diese orale Therapie nur teilweise ansprechende Arthritis lässt sich vielfach durch eine für einen weiteren Monat fortgesetzte Behandlung in den Griff bekommen. Sollte dies dennoch nicht gelingen, kann i.v. Ceftriaxon zum Einsatz kommen.
Symptome nach Behandlung Einige Patienten, bei denen sich die Manifestationen der Lyme-Borreliose durch antibiotische Therapie beseitigen liessen, berichten über fortbestehende subjektive Symptome wie Fatigue, muskuloskelettale Schmerzen oder kognitive Funktionseinbussen. Diese lang andauernden Beschwerden stehen nicht im Zusammenhang mit der aktiven Infektion und haben keine Reaktion auf Antibiotika gezeigt. Wiederkehrende Symptome bei bereits zuvor behandelten Patienten können auch auf einen neuerlichen Zeckenbiss und eine Reinfektion zurückgehen.
Ralf Behrens
Quelle: From The Medical Letter on Drugs and Therapeutics: Treatment of Lyme disease. JAMA 315; 22: 2461–2461.
Interessenlage: Die Autoren der referierten Originalpublikation haben keinerlei Angaben zu potenziellen Interessenkonflikten gemacht.