Transkript
FORTBILDUNG
Durchbruchschmerzen bei Krebs: Was tun und was lassen?
Rescue-Medikamente adäquat dosieren und den am besten geeigneten Applikationsweg wählen
Das klinische Management von Durchbruchschmerzen bei
Krebserkrankungen ist nach wie vor unbefriedigend, ob-
wohl effektive Medikamente zur Verfügung stehen. Ein Ex-
pertengremium hat kürzlich zusammengefasst, was bei
der Diagnostik und Therapie von Durchbruchschmerzen
getan und was besser unterlassen werden sollte.
Drugs
Trotz der umfangreichen Literatur über Durchbruchschmerzen im Rahmen von Tumorerkrankungen (breakthrough cancer pain, BTCP) sind viele Fragen zur Definition, Terminologie, Epidemiologie und zum Schmerz-Assessment noch offen. Hinzu kommt, dass manche Ärzte den Schweregrad und die Auswirkungen dieser Schmerzspitzen auf die Lebensqualität des Patienten unterschätzen. Weit verbreitete Vorurteile zum Einsatz von Opioiden führen oft zur Verordnung ineffektiver Medikamente oder nicht adäquater Dosierungen. Wie erwähnt, gibt es noch keine allgemein akzeptierte Definition von Durchbruchschmerzen. Davis et al. definierten 2009 Durchbruchschmerzen als «vorübergehende Exazerbation von Schmerzen, die entweder spontan oder im Zusammenhang mit einem vorhersagbaren oder nicht vorhersagbaren Trigger auftreten, trotz relativ stabiler und angemessen behandelter Dauerschmerzen». Inzidente Schmerzen sind definiert als Schmerzen, die als direkte und unmittelbare Folge einer Bewegung oder einer Aktivität (z.B. beim Verbandwechsel) auftreten und die Schmerzen vorhersagbar verschlimmern. Ein Team aus Schmerz-, Tumor- und palliativmedizinischen Experten hat kürzlich einen Überblick über die diagnostischen und therapeutischen Schritte verfasst, die bei tumorassoziierten Durchbruchschmerzen zu unternehmen sind. So-
MERKSÄTZE
O Viele Krebspatienten leiden an Durchbruchschmerzen, deren Intensität nicht unterschätzt werden sollte.
O Eine frühzeitige, sorgfältige Diagnose dieser Schmerzspitzen und eine effektive Therapie in der geeigneten Dosierung und auf dem am besten geeigneten Applikationsweg sind entscheidend.
wohl zur Diagnostik als auch zur Therapie haben die Spezialisten jeweils «fünf Dinge, die zu tun sind» und «fünf Dinge, die zu lassen sind» formuliert.
Diagnostik von Durchbruchschmerzen bei Krebs
(BTCP): 5 Dinge, die Sie tun sollten
Suchen Sie in allen Krankheitsstadien nach «idiopathischen» oder «inzidenten» BTCP Die Angaben zur BTCP-Prävalenz in der Literatur variieren stark, die Zahlen liegen zwischen 40 und 80 Prozent. Bisher konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen BTCP und der Intensität der Dauerschmerzen oder dem Ausmass der Erkrankung nachgewiesen werden. Gemäss der American Pain Foundation treten BTCP bei bis zu 89 Prozent der Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung auf, aber auch bei 35 Prozent der ambulanten onkologischen Patienten. Daher ist es entscheidend, dass die verschiedenen Manifestationen von BTCP (spontan und inzident) Teil des diagnostischen Assessments und des Monitorings aller Krebspatienten sind, insbesondere bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung.
Untersuchen Sie sorgfältig die verschiedenen BTCP-Charakteristika (Trigger, Intensität, Dauer und Frequenz der Episoden) sowie damit verbundene psychologische und soziale Faktoren Durchbruchschmerzen bei Krebs manifestieren sich als Episode intensiver Schmerzen, die typischerweise innerhalb weniger Minuten beginnen und im Schnitt etwa 30 Minuten dauern; die Attacken treten häufig ein- bis viermal täglich auf. Insgesamt kann die klinische Präsentation von Patient zu Patient jedoch erheblich variieren. Daher umfasst die sorgfältige Diagnostik eine Erhebung der spezifischen Schmerzcharakteristika des Patienten einschliesslich Zeitpunkt des Auftretens und zeitliche Entwicklung, Schmerzintensität und -dauer, Zusammenhang mit den Basisschmerzen, Lokalisation, Schmerzcharakter, Trigger sowie Auswirkungen der BTCP auf den Alltag und die Lebensqualität. Der Zusammenhang zwischen Basisschmerzen und BTCP ist besonders wichtig. Basisschmerzen können fluktuieren und, wenn sie ein Maximum erreichen, mit BTCP verwechselt werden. Diese beiden Schmerzzustände müssen sorgfältig differenziert werden, da dies Auswirkungen auf das Schmerzmanagement hat. Da keine spezifischen Instrumente zur BTCP-Diagnostik zur Verfügung stehen, ist ein sorgfältiges klinisches Assessment entscheidend, das auf einer gründlichen Anamnese und objektiven Tests basiert.
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Tabelle:
Merkmale von Opioiden, die bei BTP eingesetzt werden
Beginn der Analgesie (min)
Verfügbarkeit (min)
Orales Morphin Orales Oxycodon OTFC FBT SLF FBSF* INFS* FPNS*
30–45 30–45 15–30 10 10–15 15 5–10 5–10
30 40–50 50 65 70 65 80–90 70
BTP = Durchbruchschmerz OTFC = oral-transmukosales Fentanylcitrat FBT = Fentanyl-Buccaltablette SLF = Fentanyl-Sublingualtablette FBSF = Fentanyl-Buccal-Soluble-Film-Tablette INFS = intranasales Fentanylspray FPNS = Fentanyl-Pektin-Nasenspray
*In der Schweiz nicht zugelassen
Fentanyl-Sublingualtabletten (SLF) sind dagegen in der Schweiz zugelassen (Astral, Recivit).
Zudem sollten psychosoziale Faktoren erfasst werden, beispielsweise frühere Schmerzerfahrungen, sozialer Status, kognitive Faktoren und psychologische Stressoren. Zwischen psychischem Stress und der Intensität krebsassoziierter Schmerzen besteht ein enger Zusammenhang, deshalb sollte dieser Faktor beim Schmerz-Assessment berücksichtigt werden. Die vom Patienten erlebte Schmerzintensität sollte niemals unterschätzt werden.
Denken Sie differenzialdiagnostisch an «End-of-dose»Schmerzen Wenn die analgetische Wirkung der Basisschmerzmedikation nachlässt, kommt es bei Krebspatienten nicht selten zu Schmerzepisoden («End-of-dose»-Schmerzen). Sie können beispielsweise auftreten, wenn zweimal täglich Opioide verabreicht werden, oder bei bestimmten transdermalen Systemen, die nicht immer zuverlässig über 72 Stunden wirken. «End-of-dose»-Schmerzen und BTCP können anhand der klinischen Merkmale unterschieden werden. «End-of-dose»Schmerzen treten am Ende des Dosierungsintervalls der Basismedikation auf und beginnen langsamer und progredient. Auch die Frequenz der «End-of-dose»-Schmerzen gibt einen Hinweis, da die Schmerzepisoden mit der Frequenz der Analgetikagaben zusammenhängen.
Verwenden Sie Instrumente zur Schmerzbewertung, um die Diagnose «BTCP» zu stützen Es gibt verschiedene Tools zur Bewertung von BTCP, die jedoch noch nicht alle formal validiert sind. Das Breakthrough Pain Assessment Tool beispielsweise umfasst 14 Fragen zu zeitlichen, qualitativen und therapeutischen Merkmalen des
BTCP. Dieses Instrument soll Diagnostik, Management und periodisches Monitoring von BTCP-Patienten in verschiedenen klinischen Settings erleichtern. Zudem sollten BTCP-Patienten dazu angehalten werden, ein Schmerztagebuch zu führen, um die Fluktuationen und Charakteristika ihrer Schmerzen täglich festzuhalten. Diese Aufzeichnungen sind zuverlässiger als das Erinnerungsvermögen des Patienten.
Überprüfen Sie die Therapieadhärenz des Patienten hinsichtlich der Basisschmerzmedikation Da Durchbruchschmerzen bei Krebs definitionsgemäss vor dem Hintergrund angemessen behandelter Dauerschmerzen auftreten, ist die Optimierung der analgetischen Basisbehandlung essenziell. Die Patienten-Compliance bezüglich der verschriebenen Analgetika muss mit verschiedenen Mitteln überwacht werden (Selbsteinschätzung des Patienten, Tablettenzählen, Labortests). Mangelnde Compliance ist ein häufiges Problem, doch bei BTCP kommt der Compliance eine besondere Bedeutung zu, da BTCP nur bei guter Compliance zuverlässig diagnostiziert werden können. Auch bei der Überwachung der Analgetikaadhärenz kann ein Schmerztagebuch gute Dienste leisten.
Diagnostik von Durchbruchschmerzen bei Krebs (BTCP): 5 Dinge, die Sie lassen sollten
O Unterschätzen Sie die Komplexität der BTCP-Diagnostik und des BTCP-Managements nicht!
O Versäumen Sie es nicht, sich ausreichend Zeit für die Anamnese und die Ausführung objektiver Tests zu nehmen!
O Missachten Sie die Ausführungen des Patienten hinsichtlich seiner BTCP nicht!
O Unterschätzen Sie die negativen Auswirkungen von BTCP auf das Management von Krebspatienten nicht!
O Verwenden Sie bei der Kommunikation mit Patienten und Angehörigen keine obskuren oder unklaren Begriffe und Formulierungen!
Therapie von Durchbruchschmerzen bei Krebs (BTCP): 5 Dinge, die Sie tun sollten
Verschreiben Sie ein Rescue-Medikament, wenn BTCP nicht adäquat kontrolliert sind Da die meisten BTCP-Episoden innerhalb weniger Minuten ihr Maximum erreichen und etwa 30 bis 60 Minuten dauern, ist ein rascher Wirkeintritt entscheidend für ein effektives Schmerzmanagement. Orale Opioidpräparate wie Morphin oder Oxycodon sind jedoch möglicherweise nicht zur Behandlung häufiger BTCP-Episoden geeignet, und aktuelle Daten zeigen, dass «Rapid-onset»-Opioide (ROO) in den ersten 30 Minuten nach Applikation zu einer überlegenen Schmerzlinderung führen (siehe Tabelle).
Wählen Sie eine angemessene Medikation (rasch wirksame Opioide, ROO) gegen inzidente oder idiopathische BTCP Da BTCP-Episoden rasch beginnen und nur transitorisch auftreten, ist es wichtig, Analgetika mit raschem Wirkeintritt, relativ kurzer Wirkdauer, hoher Wirksamkeit, geringer Toxizität und leichter Anwendbarkeit zu verwenden. BTCP wurden ursprünglich mit rasch freisetzendem oralem Mor-
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phin behandelt, doch da die analgetische Wirkung erst nach etwa 30 bis 40 Minuten eintritt (siehe Tabelle), werden heute überwiegend ROO eingesetzt. Diese stark wirksamen Opioide einschliesslich Fentanyl gelten aufgrund ihres raschen Wirkeintritts, der kurzen Wirkdauer und der bequemen Anwendung über die Schleimhaut (oral oder nasal) aktuell als Behandlung der Wahl. Der transmukosale Weg wird von den Patienten geschätzt und erlaubt eine Analgesie, die innerhalb von sechs Minuten beginnt. Fentanyl ist ein besonders potentes Opioid (etwa 80- bis 100-mal stärker als Morphin). Die Wirksamkeit von oral oder nasal appliziertem transmukosalem Fentanyl wurde in mehreren randomisierten Studien bestätigt. Dabei stellte sich auch heraus, dass nasal verabreichtes Fentanyl noch rascher schmerzlindernd wirkt als oral transmukosal appliziertes.
Titrieren Sie die Dosis für jeden Patienten individuell und wählen Sie die geringste wirksame Dosis Für alle ROO auf dem Markt gilt, dass die Dosis der Bedarfsmedikation so titriert werden sollte, dass eine geeignete Analgesie resultiert und gleichzeitig das Risiko für unerwünschte Wirkungen minimiert wird. Die vorgeschlagenen Titrationstechniken variieren von Präparat zu Präparat etwas. Es ist wichtig, die zugelassenen Dosierungen genau einzuhalten. Rasch wirksames Fentanyl darf nur alle vier Stunden und nicht häufiger als sechsmal pro Tag angewandt werden. Bei Patienten, die eine häufigere Applikation benötigen, kann es zu toxischen Erscheinungen kommen.
Wählen Sie die geeignete Applikationsform für jeden Patienten individuell aus und informieren Sie ihn ausführlich über die Vor- und Nachteile der verfügbaren Präparate Patient und Betreuer müssen über die Vor- und Nachteile der verfügbaren Behandlungsoptionen umfassend informiert werden (mögliche Nebenwirkungen etc.), damit sie an der Therapieentscheidung aktiv mitarbeiten können. Dies ist nicht einfach, da es auch bei den ROO (der empfohlenen Behandlung bei BTCP) viele verschiedene Formulierungen und Applikationssysteme gibt. Bei der Wahl der am besten geeigneten Formulierung müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden wie etwa die Bioverfügbarkeit, der Wirkeintritt (Nasensprays werden schneller absorbiert) sowie die Anwenderfreundlichkeit und eventuell vorliegende begleitende Gesundheitsprobleme (Rhinopharyngitis oder orale Mukositis). Es ist von grosser Bedeutung, Patient und Betreuer an der Entscheidung zu beteiligen, denn nur so lässt sich eine optimale Adhärenz und damit Wirksamkeit erreichen. Patient und Betreuer sollten auch über mögliche Nebenwirkungen Bescheid wissen, beispielsweise können ROO Übelkeit, Erbrechen, Benommenheit und Schwindel hervorrufen. Sie sollten aber auch darüber informiert werden, dass diese unerwünschten Wirkungen im Therapieverlauf abnehmen.
Behandlung geändert wurde. Nur so kann eine ineffektive oder unangemessene Strategie angepasst oder abgebrochen werden. Bei den Kontrollterminen sollten nicht nur die Wirksamkeit der aktuellen Therapie überprüft (Reduktion der Schmerzintensität, Dauer der Analgesie), sondern auch Aspekte berücksichtigt werden, die gleich wichtig sind: Wie kommt der Patient im Alltag zurecht, wie ist seine Lebensqualität? Ist er in seinen täglichen Aktivitäten durch Schmerzen eingeschränkt, wie schätzt er sein Befinden selbst ein? Sind Nebenwirkungen aufgetreten? Die Instrumente zum BTCP-Assessment sowie die üblichen Schmerzskalen können hier hilfreich sein, noch mehr Informationen liefern allerdings Schmerztagebücher. Kontrolltermine sollten auch dazu genutzt werden, die Compliance des Patienten zu bewerten und möglichst zu fördern. Es gibt viele Gründe für eine schlechte Adhärenz, etwa Zweifel an der Wirksamkeit der Therapie, Bedenken gegen Opioide, Auftreten von oder Furcht vor Nebenwirkungen, doch die meisten können mithilfe einer guten Arzt-PatientenKommunikation bis zu einem gewissen Grad ausgeräumt werden.
Therapie von Durchbruchschmerzen bei Krebs
(BTCP): 5 Dinge, die Sie lassen sollten
O Zögern Sie den Behandlungsbeginn nicht hinaus!
O Verordnen Sie eine analgetische Behandlung nach fixem
Dosierungsschema nicht ohne eine Bedarfsmedikation
zum BTCP-Management!
O Setzen Sie Medikamente in Bezug auf den Medikamen-
tentyp (NSAR, Paracetamol), auf die Dosierung oder
auf den Applikationsweg nicht unangemessen ein!
O Intensivieren Sie die Therapie der Dauerschmerzen
nicht, wenn BTCP vorliegen! BTCP bedürfen einer spe-
zifischen, angemessenen Behandlung.
O Verwenden Sie keine suboptimalen Opioiddosen, weil
Sie Bedenken hinsichtlich der Sicherheit dieser Medi-
kamente haben!
O
Andrea Wülker
Vellucci R et al.: What to do and what not to do, when diagnosing and treating breakthrough cancer pain (BTcP): Expert opinion. Drugs 2016; 76: 315–330.
Interessenlage: Der Erstautor der referierten Originalpublikation hat an wissenschaftlichen Gremien von verschiedenen Pharmaunternehmen teilgenommen und ist als Referent bei Meetings aufgetreten.
Bewerten Sie die laufende Therapie in regelmässigen Abständen und gehen Sie gegebenenfalls den Gründen für eine mangelnde Adhärenz nach Entscheidend ist, dass der Patient regelmässig untersucht und seine Therapie überprüft wird, insbesondere dann, wenn die
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