Transkript
FORTBILDUNG
Risikopersonen frühzeitiger auf Leberzirrhose testen!
Neu entwickelte Elastografieverfahren ermöglichen komplikationsarme und sichere Diagnostik
Hepatische Erkrankungen und insbesondere die Leberzir-
rhose als deren Folge stellen mit zunehmender Tendenz
eine der häufigsten Ursachen für vorzeitigen Tod dar. Bis
anhin galt die Leberbiopsie als diagnostische Standard-
methode, die allerdings nicht ungefährlich und dazu auch
noch kostspielig ist. Neu entwickelte Verfahren wie die
transiente oder die ARFI-Elastografie, welche eine Sensi-
tivität von mehr als 90 Prozent aufweisen, ebnen den Weg,
um künftig bei weitaus mehr Personen als zuvor einen
Zirrhosetest durchführen zu können.
British Medical Journal
Insbesondere bei Patienten mit kompensierter Leberzirrhose, welche häufig asymptomatisch bleiben, lässt die klinische Diagnostik noch zu wünschen übrig. In Grossbritannien hat das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) kürzlich eine neue Leitlinie zur Diagnose und zum Management von zirrhotischen Erkrankungen herausgegeben. In England und Wales bestehen in der Praxis sehr grosse Unterschiede dahingehend, welche Patienten auf das Vorliegen einer Zirrhose getestet werden und welche Art von Test dabei eingesetzt wird. Die für die Entwicklung der hier zusammengefassten Leitlinienempfehlungen verantwortliche Guideline Development Group (GDG) geht davon aus, dass ein frühzeitigeres Erkennen der Leberschäden dazu beitragen kann, das Spektrum
der therapeutischen Möglichkeiten zu erweitern, die Krankheitsprogression zu begrenzen und die Entwicklung von Komplikationen zu vermeiden. Nach Ansicht der GDG werden sich diese Empfehlungen – vornehmlich betreffend die frühere Diagnose, die effektive Beobachtung und die rechtzeitige Zuweisung von Patienten zum Spezialisten – im Laufe der nächsten 10 bis 20 Jahre in einer auf lange Sicht reduzierten Anzahl von mit Lebererkrankungen assoziierten Spitaleinweisungen und Todesfällen niederschlagen.
Neue Verfahren erleichtern die Diagnostik
Routineblut- («Leberwerte») oder Ultraschalluntersuchungen sind nicht ausreichend empfindlich, um eine Zirrhose entdecken zu können. Bis anhin wurde daher als diagnostisches Standardverfahren meist die Leberbiopsie durchgeführt, welche allerdings mit unangenehmen Begleiterscheinungen wie Blutungen oder Schmerzen verbunden ist und deshalb von den Patienten häufig abgelehnt wird. Zudem ist dieses Verfahren mit vergleichsweise hohen Kosten verbunden. Neu entwickelte diagnostische Methoden wie die transiente Elastografie oder die ARFI-(«acoustic radiation force impulse»-)Elastografie sind dagegen einfach und unkompliziert anwendbar. Bis anhin sind diese Verfahren zwar noch die Domäne des Spezialisten, sie können aber nach entsprechender Unterweisung auch vom Grundversorger gleichermassen effektiv eingesetzt werden. Beide Techniken verwenden eine bestimmte Form des Ultraschalls, um mittels eines durch das Lebergewebe geschickten Wellenimpulses dessen Steifigkeit zu messen, welche wiederum als Surrogat der Fibrose anzusehen ist.
MERKSÄTZE
O Ein Test auf Leberzirrhose sollte allen Personen mit diesbezüglich erhöhtem Risiko, inkl. Patienten mit Hepatitic C, alkoholbedingter hepatischer Erkrankung, nicht alkoholischer Fettleber und fortgeschrittener Leberfibrose, sowie solchen mit einem Alkoholkonsum von > 50 (Männer) beziehungsweise > 35 Einheiten/Woche (Frauen) angeboten werden.
O Untersuchungsverfahren der ersten Wahl sind die nicht invasive transiente oder die ARFI-Elastografie.
O Alle Patienten mit diagnostizierter Zirrhose sollten an einen Spezialisten weitergewiesen werden.
Die NICE-Empfehlungen für die Diagnostik einer Zirrhose lauten im Einzelnen: O Routine-Leberblutuntersuchungen sollten zum Ausschluss
einer Zirrhose nicht durchgeführt werden. O Die transiente Elastografie sollte zur Zirrhosediagnostik
eingesetzt werden bei mit Hepatitis-C-Virus (HCV) infizierten Personen, bei einem seit mehreren Monaten bestehenden Alkoholkonsum von mehr als 50 (Männer) beziehungsweise mehr als 35 Einheiten* pro Woche (Frauen) sowie bei Patienten mit diagnostizierter alkoholbedingter Lebererkrankung.
* In Grossbritannien ist 1 Alkoholeinheit definiert als 10 Milliliter (8 g) reinen Alkohols. Typische Portionen alkoholischer Getränke (z.B. 1 Glas Bier oder Wein) enthalten demnach etwa 1 bis 3 Alkoholeinheiten; eine Flasche (0,75 l) Wein entspricht 9 Alkoholeinheiten.
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FORTBILDUNG
O Je nach Verfügbarkeit sollte die transiente Elastografie oder die ARFI-Elastografie zum Einsatz kommen bei Personen mit nicht alkoholischer Fettleber und fortgeschrittener Leberfibrose (ELF-[«enhanced liver fibrosis»-]Test-Score ≥ 10,51).
O Bei Patienten, für die eine transiente Elastografie nicht geeignet ist, sollte eine Leberbiopsie zur Diagnose einer Zirrhose in Erwägung gezogen werden.
O Bei adipösen Personen (Body-Mass-Index ≥ 30) oder Typ-2Diabetikern sollten keinerlei Zirrhosetests durchgeführt werden, es sei denn, es liegen bereits eine nicht alkoholische Fettleber und eine fortgeschrittene Leberfibrose vor (ELF-Test-Score ≥ 10,51).
Monitoring ist Sache des Spezialisten
Für die Nachbeobachtung und das Monitoring von Zirrhosepatienten empfiehlt die NICE-Guideline das folgende Prozedere: O Alle Patienten mit diagnostizierter Zirrhose sollten einem
hepatologischen Spezialisten zugeführt werden. O Einer zweijährlichen Nachtestung (unter Verwendung
desselben Verfahrens wie oben für die jeweilige Ätiologie empfohlen) sollten Personen mit diagnostizierter alkoholbedingter Lebererkrankung, HCV-Infizierte mit ausbleibender anhaltender virologischer Reaktion auf antivirale Behandlung sowie Patienten mit nicht alkoholischer Fettleber und fortgeschrittener Leberfibrose (ELF-Test-Score ≥ 10,51) unterzogen werden. O Im Anschluss an eine spezialärztliche Begutachtung der Patienten sollte das Zirrhosemonitoring (unter Einsatz von Bluttestmarkern wie Serumbilirubin, Natrium, Kreatinin, INR [International Normalised Ratio] oder ␣-Fetoprotein sowie von Sonografie und oberer gastrointestinaler Endoskopie) im Rahmen eines – je nach regional gegebener Behandlungsinfrastruktur – zwischen Primär- und Grundversorgung abgestimmten Behandlungsplans erfolgen.
Was tun bei Komplikationen?
Bezüglich des Komplikationsrisikos bei Leberzirrhose sowie für Patienten, bei denen sich bereits ein Leberzellkarzinom, Ösophagusvarizen oder ein Aszites entwickelt haben, gibt die GDG die folgenden Empfehlungen: O Bei Personen mit kompensierter Zirrhose sollte alle 6 Mo-
nate der Score MELD (Model for End-Stage Liver Disease) bestimmt werden; ein MELD-Score von ≥ 12 kann als Hinweis auf ein hohes Risiko für das Auftreten von Zirrhosekomplikationen angesehen werden.
O Patienten mit hohem Risiko für oder bereits bestehenden Komplikationen sollten an ein spezialisiertes hepatologisches Zentrum weitergewiesen werden.
O Bei nicht Hepatitis-B-Virus-infizierten Zirrhosepatienten ist zur Überwachung eines Leberzellkarzinoms eine halbjährliche Ultraschalluntersuchung durchzuführen (dies gilt nicht für bereits palliativ versorgte Patienten).
O Nach einer diagnostizierten Zirrhose sollte zur Entdeckung von Ösophagusvarizen eine endoskopische Untersuchung des oberen Gastrointestinaltrakts erfolgen. Patienten mit negativem Befund können im weiteren Verlauf alle drei Jahre Wiederholungen dieser Untersuchung angeboten werden.
O Zur Primärprävention von Blutungen kann Zirrhosepatienten mit mittelgrossen bis grossen Ösophagusvarizen die endoskopische Varizenligatur angeboten werden.
O Bei Zirrhosepatienten mit Ösophagus- oder Magenblutungen ist eine prophylaktische intravenöse Antibiotikabehandlung angezeigt.
O Für Zirrhosepatienten mit therapierefraktärem Aszites kommt die Anlage eines transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shunts (TIPS) in Betracht.
O Bei bestehendem Aszites und einer Proteinkonzentration im Bauchwasser von ≤ 15 g/l sollte bis zum Verschwinden des Aszites eine prophylaktische Gabe von oralem Ciprofloxacin oder Norfloxacin erfolgen.
Zusätzliche Ressourcen erforderlich
Die GDG räumt ein, dass die Umsetzung einiger der Leitlinien-
empfehlungen an die Bereitstellung zusätzlicher Mittel
geknüpft ist, was deren Implementierung im Weg stehen
könnte. So wird etwa derzeit nur ein geringer Prozentsatz von
Personen mit geringfügigem Alkoholkonsum oder mit nicht
alkoholischer Fettleber und fortgeschrittener Lebererkran-
kung auf das Vorliegen einer Zirrhose getestet. Des Weiteren
werden zwar schon heute Leberzellkrebskontrolluntersu-
chungen routinemässig angeboten, für deren empfohlene
halbjährliche Durchführung wären allerdings noch umfas-
sendere Vorkehrungen zu treffen. Ebenso wird die Varizen-
ligatur als prophylaktische Massnahme bis anhin bei Patien-
ten mit mittelgrossen bis grossen Ösophagusvarizen noch
nicht routinemässig angeboten.
O
Ralf Behrens
Harrison P et al.: Assessment and management of cirrhosis in people older than 16 years: summary of NICE guidance. BMJ 2016; 354: i2850.
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