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FORTBILDUNG
Was sticht denn da?
Mücken, Bienen, Zecken, Milben ...
Jede Jahreszeit hat in der Praxis ihre zahlenmässigen Schwerpunkte und typischen Besonderheiten. Eine verstärkte Reaktion auf Insektenstiche zählt im Sommer zu den «Praxis-Hits». Besonders häufig werden Kinder mit Stichreaktionen vorgestellt, oft sogar notfallmässig wegen ausgeprägter Lokalreaktionen oder von verunsicherten Eltern. Für die Beratung ist es dann sehr hilfreich zu wissen, welches Insekt wie, wann und wo sticht und was dann geschieht.
Jörg Schriever
Nach einem Stich ist die allergische Reaktion individuell sehr unterschiedlich. Beim ersten Mückenstich beobachtet man meist nur kurz ein Erythem an der verletzten Stelle. Bei Wiederholung reagieren 75 Prozent der Bevölkerung mit einer Quaddel von etwa 1 bis 2 cm Durchmesser, begleitet von Pruritus als Sofortreaktion, und 50 Prozent mit einer Papel als Spätreaktion (1) (Abbildung 1). Blasenbildung (Abbildung 2) ist möglich, anaphylaktische Reaktionen auf Mückenstiche sind sehr selten. In Mückengebieten mit regelmässigen Stichen beobachtet man oft eine zunehmende Toleranz entsprechend einer Hyposensibilisierung.
MERKSÄTZE
O In der Regel klingen Erythem, Quaddel und Juckreiz nach einigen Stunden spontan ab.
O Gels mit Antihistaminika werden für Kinder unter 2 Jahren nicht empfohlen; man kann sich auch auf ein externes Antiseptikum, und feuchte Umschläge in der Akutphase beschränken.
O Verstärkte Stichreaktionen werden mit einem H1-Antihistaminikum, bei Kindern in Tropfen- oder Saftform, sowie mit einem Kortikoid behandelt, bei Säuglingen und Kleinkindern einmalig mit 100 mg Prednisolon.
O Bei jedem nicht abheilenden Insektenstich ist eine Orientbeule differenzialdiagnostisch auszuschliessen.
Eine verstärkte Reaktion auf Mückenstiche mit erheblicher Schwellung grösser 10 cm, Juckreiz und leicht erhöhter Temperatur über mehrere Tage wird im angloamerikanischen Bereich auch Skeeter-Syndrom genannt. Eine solche gesteigerte Reaktion auf Bienen- und Wespenstiche mit leichten Allgemeinbeschwerden sieht man bei 25 Prozent der Bevölkerung (2).
Bremsen (Tabanidae)
Diese Insekten werden je nach Gegend auch Bräme oder blinde Fliege genannt. Sie sind grösser als Fliegen, grau-braun, mit breitem Kopf und grossen Augen. Zur Eiablage werden schlammige, sumpfige Stellen in der Nähe von Vieh- und Wildbeständen bevorzugt. Tagaktiv bis zur Dämmerung nutzen sie jede Gelegenheit zum Stich, fliegen aggressiv auch mehrfach an und stechen direkt nach der Landung. Dann lassen sie sich kaum noch stören, weshalb sie leicht erlegt werden, leider meist zu spät. Der Stich ist schmerzhaft, blutet nach, und die Reaktion mit Erythem, Schwellung und starkem Juckreiz ist heftiger als bei stechenden Mücken. Die Rückbildung dauert eher zwei statt eine Woche und bei häufigem Kratzen noch länger (siehe auch Kasuistik 1).
Wadenstecher (Stomoxys calcitrans)
Er wird auch Stallfliege genannt, mit dem nach vorn gerichteten Stechrüssel, und oft mit der gemeinen Stubenfliege verwechselt, aber diese sticht nach wie vor nicht. Die tagaktive Stallfliege bevorzugt dagegen entsprechend ihrem Namen die untere Extremität und ist bei warmem Wetter besonders stechlustig. Zur Eiablage sucht sie Kuhdung und Pferdemist, und deshalb findet man sie in der Nähe von Viehbeständen, Weiden, Ställen, aber auch in Häusern.
Gnitzen (Bartmücken) und Kriebelmücken
Diese Mücken lieben ebenfalls grosse Viehbestände, und beide sind als Schwarmbilder sehr lästig (Abbildung 3). Bei Angriff kann man dann nur flüchten. Kriebelmücken benötigen fliessende Gewässer für die Entwicklung der Larven und Puppen, Gnitzen im Unterschied Feuchtgebiete mit stehendem Wasser. Gnitzen stechen von April bis Oktober an heissen Tagen bis Sonnenuntergang. Der Stich ist schmerzhaft, brennt und zeigt deutliche Quaddelbildung mit Juckreiz. Fleckförmige Blutungen und Blasenbildung sind möglich. Kriebelmücken sind tagaktiv, lieben aber die frühen Morgenund Abendstunden. Der Stich ist noch schmerzlos, immer erkennbar an einem Blutpunkt, aber nicht das bis handtellergrosse ödematöse Erythem mit zentralem Bläschen. Eine
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Kasuistik 1: Angst vor Blutvergiftung
Am späten Sonntagnachmittag kommt ein Vater mit seiner siebenjährigen Tochter in die Sprechstunde und berichtet: «Während unserer gestrigen Radtour wurde Clara von einer blinden Fliege auf dem Handrücken gestochen. Das war anfangs ziemlich schmerzhaft. Zu Hause haben wir die gerötete Stichstelle mit einem Insektengel bestrichen, aber eigentlich hat es kurze Zeit später wieder gejuckt. Heute waren Hand und Unterarm kräftig geschwollen und fühlten sich heiss an. Vorhin habe ich von der Stichstelle ausgehend dann einen roten Strich entdeckt. Das spricht ja für eine Blutvergiftung, und wenn der Strich das Herz erreicht, ist es zu spät. Deshalb bin ich sofort gekommen.»
Befund: Auf dem Handrücken des deutlich geschwollenen linken Unterarmes Stichstelle mit kleiner Kruste. Von hier ausgehend etwa 8 cm lange strichförmige Rötung von peripher nach zentral, sonst bei gutem Allgemeinbefinden, normaler Puls, kein Fieber, kein Exanthem, keine petechialen Blutungen.
Diagnose: Lymphangitis bei verstärkter Insektenstichreaktion.
Behandlung: Eltern erwarten in diesem Fall immer die Verordnung eines Antibiotikums. Zuerst muss man sie aufklärend überzeugen, dass es sich nicht um die gefährliche, bakterielle Blutvergiftung (Sepsis) handelt, bei der man übrigens keinen roten Strich sieht, sondern ursächlich um eine allergische Reaktion auf Speichelproteine des stechenden Insekts mit abakterieller Beteiligung der geröteten Lymphgefässe. Folgerichtig empfehlen sich dann die Rezeptur eines H1-Antihistaminikums oral, zum Beispiel Cetirizin, und die einmalige Gabe eines Kortikoids. Säuglinge und Kleinkinder erhalten 100 mg Prednisolon (Supp.) und im Übrigen wegen der besseren Resorption so bald als möglich 2 bis 5 mg/kg Prednisolonäquivalent per os. Wegen der Gefahr einer Sekundärinfektion ist der Hinweis wichtig, dass bei fehlender Besserung, Verschlechterung des Allgemeinbefindens, Fieber, Blässe und anderen neu auftretenden Symptomen eine Wiedervorstellung beim Arzt unbedingt erforderlich ist.
Abbildung 1: Insektenstich; Frühreaktion – Stichstelle mit Erythem
Abbildung 4: Leishmaniose (Orientbeule)
Abbildung 2: Blasenbildung als Spätreaktion auf einen Mückenstich
Abbildung 5: akute Flohstiche
verstärkte Allgemeinreaktion mit leichtem Fieber und Lymphangitis ist möglich.
Stechmücken (Culicidae) Sie sind die häufigsten und als Krankheitsüberträger bekanntesten Ektoparasiten. Von den über hundert Arten in Europa sind Culex, wie unsere nördliche Hausmücke, Aedes und Anopheles die wichtigsten Gattungen. Ihr Stich ist nicht oder nur wenig schmerzhaft. Culex und Anopheles sind nachtaktiv von der Abend- bis zur Morgendämmerung in und ausserhalb von Gebäuden, bei Gewitterlage auch mal tagsüber. Aedes-Mücken sind tagaktiv. Es wird vermutet, dass Culex auch Borrelien übertragen können, Aedes unter anderem Dengue-Fieber, Filariosen, die zurzeit oft genannten ZikaViren und in den ausgewiesenen Gebieten Gelbfieber.
Sandmücken (Phlebotominae) Sie sind sandfarbene, nach Blutmahlzeit auch rötlich braune, kleine Mücken und nachtaktiv. Eine Flughöhe von 2 bis 3 m wird kaum überschritten, weshalb man sie nicht oberhalb des
Abbildung 3: multiple Insek- Abbildung 6: Bienenstich an
tenstiche (Schwarm)
der Oberlippe
zweiten Stocks findet (Ferienwohnung?). Bei Wind fliegen sie nicht. Das gelb-orange Lichtspektrum normaler Glühlampen ist anziehend, Neon- und LED-Licht dagegen nicht. Für die Eientwicklung ist eine Nachttemperatur von mehr als 22 °C über drei Tage erforderlich. Sie kommen im gesamten Mittelmeerraum vor, mit Tendenz gegen Norden. Übertragen werden neben der Bartonellose und dem Pappataci-Fieber die Leishmaniosen, selten als Kala-Azar, häufig die kutane Form (Orientbeule). Die anfängliche typische
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Kasuistik 2: Orientbeule und Urintherapie
Familienurlaub Anfang Juli bei herrlichstem Sommerwetter in einem Bungalow in der Nähe von Malaga/Spanien. Vorstellung Ende September wegen eines nicht abheilenden Insektenstiches auf der Wange, der zeitweilig nässt (Abbildung 4). Nach Anamnese folgt die Blickdiagnose kutane Leishmaniose (Orientbeule).
Empfehlung: Keine Therapie, spontane Rückbildung innerhalb eines Jahres abwarten. Da keine schnellere Befundbesserung eintrat, Anfang Januar Vorstellung an der Universitätshautklinik auf Wunsch der Eltern. Diagnose klinisch bestätigt, bioptisch gesichert. Therapieempfehlung: Bei gutem Allgemeinzustand Spontanheilung abwarten. Im Mai Kontakt mit einem Heilpraktiker. Empfehlung: Den Fleck auf der Wange täglich nüchtern mit Morgenurin betupfen.
Verlauf: Rückbildung nach vier Wochen (spontan nach fast einem Jahr). Kommentar Eltern: Der Urin hat gut gewirkt. Naturheilkunde und Schulmedizin müssen eben zusammenarbeiten. Im Übrigen blieb das Vertrauensverhältnis weiterhin ungestört.
rung von bis zu 50 cm, Hornissen starten dagegen Angriffe über mehrere Meter sofort. Beide reagieren empfindlich auf dorsale und seitliche Reize. Hornissen sind auch nachtaktiv und fliegen Lichtquellen an. Wespen stechen schräg intradermal, der Stachel kann zurückgezogen werden. So können sie mehrfach, aber mit abnehmender Giftmenge stechen. Der Schmerz beginnt sofort nach dem Stich und hält einige Stunden an mit individueller Lokalreaktion, wie bei den Bienen. Mehrere Stiche können zu hypotonen Kreislaufreaktionen, leichtem Fieber, Übelkeit und Erbrechen führen, selten zu Hämolyse und neurologischen Symptomen. Dass 9 Stiche von Hornissen ein Pferd töten und 3 einen Menschen, ist gottlob eine Mär. Stiche im Mund und Rachenbereich (Abbildung 6) durch Bienen und Wespen zum Beispiel in Getränken können bei Kindern durch starke Schwellung zur Verlegung der Atemwege führen und tödlich enden. Anaphylaktische Reaktionen durch Bienen- und Wespenstiche treten etwa nach 10 bis 30 Minuten in vier unterschiedlichen Schweregraden auf (3). In Deutschland rechnet man mit 20 Todesfällen pro Jahr durch allergische Sofortreaktionen.
Papel nach Stich wandelt sich Wochen bis Monate später in ein zeitweise nässendes Ulkus um (Abbildung 4) (siehe auch Kasuistik 2).
Flöhe (Siphonaptera) Sie kommen hauptsächlich bei Säugetieren vor, aber auch bei Vögeln. Der Menschenfloh Pulex irritans ist selten geworden, Katzenflöhe und andere sind häufiger. Für diese ist der Mensch primär Fremdwirt. Bevor sich die lichtscheuen nachtaktiven Flöhe zu einer sättigenden Mahlzeit entschliessen, probieren sie mal hier, mal dort. Da alle Stiche gleich reagieren, entsteht ein typisches Gruppenbild mit juckenden Quaddeln (Abbildung 5). Falls diese zufällig eher reihenartig auftreten, sollte man auch an Bettwanzen denken, die in Deutschland als Importware wieder häufiger auftreten.
Bienen (Apidae) Sie haben zur Verteidigung einen Giftstachel am Hinterleib mit zehn Widerhaken, der nach dem Stich als tödliche Verletzung zusammen mit der Giftblase abreisst. Es stechen nur die Weibchen. Hummeln fehlen die Widerhaken, und sie können deshalb mehrfach stechen. Bienen stechen nur bei Bedrohung wie heftigen Abwehrbewegungen, Berührung, Verfangen in den Haaren, und sie tolerieren lediglich eine Annäherung an den Stock von zwei bis drei Metern. Bei Futtermangel und Gewitterschwüle sind sie aggressiver. Nach dem Stich entsteht normalerweise eine handtellergrosse, schmerzhafte Rötung und Schwellung, die innerhalb von zwei Tagen abklingt. Auch nach zahlreichen Stichen kommt es nur selten zu Hämolyse, Rhabdomyolyse, Vaskulitis oder Kreislaufkollaps. Kleinkinder sollte man aber engmaschig überwachen.
Faltenwespen (Vespidae) Dazu gehören die bei uns häufige gemeine Wespe (Vespa vulgaris) und die Hornissen (Vespa crabro). Sie sind besonders im Nestbereich aggressiv. Wespen tolerieren eine Annähe-
Schildzecken
Der Holzbock (Ixodes ricinus) ist in Deutschland als Krankheitsüberträger die wichtigste Zeckenart. Es saugen nur die Weibchen Blut, Hungerphasen bis zu zwei Jahren sind möglich. Zecken sind tag- und nachtaktiv, besonders bei Temperaturen von mehr als 16 °C und einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent, also gern nach Regen. Eine aktuelle Aktivitätskarte für Deutschland findet man inzwischen unter www. zeckenwetter.de (Informationen zu Zecken in der Schweiz findet man beispielsweise unter www.ch.ch/de/zeckenschutz). Bevorzugt werden feuchte Wiesen, langes Gras und niedriges Gebüsch an Waldrändern und auf Lichtungen, dabei lauern Larven am Boden, Nymphen klettern etwa 0,5 m hoch und Adulte bis zu 1,5 m. Sie lassen sich nicht fallen, sondern werden vom Wirt abgestreift und haken sich dann mit den Hinterbeinen fest. Der Holzbock sucht dann bis zu einer Stunde, manchmal länger, nach einer gut durchbluteten Stelle wie Kopf, Ohren, Nacken, Ellenbeuge, Brust, Achsel, Bauchnabel, Leisten, Genitalbereich, Pofalte und Kniekehle. Zecken saugen langsam, und es braucht eine gewisse Zeit, bis die Borrelien im Darm ihre Oberflächenantigenstruktur ändern können, um in die Speicheldrüsen der Zecken zu gelangen (4). In den ersten 12 Stunden nach dem Stich kommt es nur selten zu einer Infektion, nach 24 Stunden bei 50 Prozent und nach 72 Stunden mit hoher Wahrscheinlichkeit (5). Das bedeutet: Zecken immer so schnell wie möglich entfernen. Bleiben Teile des Kopfes trotzdem drin, ist das kein Problem, sie sind nicht weiter infektiös. Normalerweise werden sie wie andere Fremdkörper bald abgestossen. Eltern kommen deswegen aber oft sogar notfallmässig. Das Aushebeln mit einer Kanüle ist meist möglich, bei einem ängstlichen, unruhigen Kind und sensiblen Eltern ist dieses Prozedere aber oft traumatischer als das Abwarten. Die 0,5 mm grosse Larve hat sechs Beine, Nymphe und Adulte haben acht Beine. In Deutschland sind durchschnittlich adulte Zecken zu 20 Prozent, Nymphen zu 10 Prozent und Larven nur zu 1 Prozent von Borrelien befallen (6). Nach einem Zeckenstich erkranken 1,5 bis 6 Prozent der Betroffenen
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Alle Abbildungen: © J. Schriever
Kasuistik 3: Falscher Windpockenverdacht
Während der Sommerferien in einem Club auf Sizilien treten bei drei Geschwistern im Grundschulalter, die viel auf den Wiesen und Spielplätzen toben, stark juckende Quaddeln auf, meistens nachfolgend mit einem kleinen «spitzen» Bläschen. Nach Aufkratzen bildeten sich rasch Krusten in unterschiedlichen Stadien. Der dort tätige Clubarzt diagnostizierte Windpocken (eine Varizellenimpfung gab es damals noch nicht).
Konsequenz: Wegen der vielen Kinder, die es dort gab, wurden die Eltern gebeten, die Ferien umgehend abzubrechen, entsprechend den unterschriebenen Clubbedingungen. Bedauerlicherweise verweigerte die Fluglinie den Rücktransport wegen der generellen Ansteckungsgefahr über die Klimaanlage. Die Kosten für die zweitägige Rückfahrt per Bahn im Einzelabteil wurden übernommen. Unmittelbar nach der Ankunft zu Hause stellten die Eltern die Kinder vor. Ergebnis: kein generalisiertes Exanthem, ausser Juckreiz keine weiteren Allgemeinsymptome, insbesondere keine Schleimhautbeteiligung, also keine Varizellen. Ursache: Reaktion auf Milbenstiche – da kam Freude auf.
Abbildung 7: Erythema migrans a
b
Abbildung 8a und 8b: buntes Bild verschiedener Stadien nach Befall mit Kugelbauchmilben
Abbildung 9: Stiche der Herbstmilbe
teilweise inapparent, 0,3 bis 1,4 Prozent manifest. In der Schweiz wird der Anteil der mit Borreliose infizierten Zecken mit bis zu 40 Prozent angegeben, möglicherweise ist er sogar noch grösser (7). Das Erythema migrans tritt frühestens drei Tage nach dem Stich mit einem Durchmesser von 5 cm und mehr auf (Abbildung 7). Zu dem Zeitpunkt kann das anfängliche Erythem, besonders bei häufigem Jucken, noch persistieren und die sonst typische zentrale Abblassung überlagern. Zur Diagnosesicherung sollte man den Rand anzeichnen, denn die Wanderröte wandert etwa 3 bis 5 mm pro Tag. Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) hat in Deutschland die grösste Bedeutung der durch Zecken übertragenen Viruserkrankungen. Mit dem Klimawandel breitet sie sich nach Norden aus und hat zurzeit den Landkreis Marburg-Biedenkopf erreicht. In der Schweiz sind in den FSMEEndemiegebieten 0,5 bis 3 Prozent aller Zecken mit dem Virus infiziert; ab einer Höhe von 1000 Meter hat man bisher keine Zecken mit FSME-Viren gefunden (7).
Milben (Acari)
Dem Thema und der klinischen Relevanz entsprechend sollen hier nur die nicht grabenden Kugelbauchmilben (Pyemotidae) und die Herbstmilben (Trombiculidae) erwähnt werden, für die der Mensch eigentlich ein Fehlwirt ist. Die Kugelbauchmilben sind gelblich und etwa 0,3 mm gross. Sie kommen in ganz Mitteleuropa vor, aber vermehrt in den Mittelmeerländern. Der Mensch wird bei Kontakt mit infestiertem Gras, Heu, Stroh, Getreide, Holz oder infestierten Blumen befallen. Die Mundwerkzeuge durchtrennen nur das Stratum corneum, was nicht schmerzhaft ist. Nach einigen Stunden, die Milben sind längst abgefallen, führt die Reaktion auf lösende Speichelproteine zu heftigem Juckreiz, der zum Beispiel durch Bettwärme noch verstärkt wird. Nachfolgend entwickeln sich
Quaddeln, meist mit einem kleinen spitzen Bläschen (siehe auch Kasuistik 3). Kratzeffekte mit Krustenbildung führen bei mehrfachem Milbenkontakt zu einem bunten Bild verschiedener Stadien, das lokal Windpocken täuschend ähnlich sein kann (Abbildung 8a und 8b). Druckbarrieren um Gürtel und Gummizüge der Unterwäsche bleiben hier allerdings frei, und es besteht im Gegensatz zu Varizellen keine Schleimhautbeteiligung! Herbstmilben werden etwa ab 10 °C aktiv, weniger am Morgen, stärker nachmittags, besonders zwischen 25 und 30 °C. Beobachtet werden sie nicht nur, wie der Name vermuten lässt, im Herbst, sondern die ersten Larven bereits an warmen Frühjahrstagen. Sie sind 0,3 bis 2 mm gross und rötlich. Bevorzugt werden feucht-warme, aber keine nassen Böden von bepflanzten Beeten und Wiesen, besonders gerne mit gemähtem, aber nicht abgefegtem Gras in grossen Parks oder in der Nähe von Komposthaufen. Starker Juckreiz setzt erst Stunden nach Befall ein, danach folgen unmittelbar rund 1 cm grosse rote Papeln mit urtikariellem Randsaum, oft in Gruppen. Das bunte Bild unterschiedlicher Stadien sieht man bei häufigem Kontakt (8). Blasenbildung ist eher selten, verstärkte, teilweise konfluierende Hautreaktionen können morbilliform imponieren. Mit einem Maximum am zweiten bis dritten Tag klingen die Beschwerden in der Regel innerhalb einer Woche ab (Abbildung 9).
Lokale Behandlung von Stichreaktionen
In der Regel klingen Erythem, Quaddel und Juckreiz nach einigen Stunden spontan ab. Zahlreiche Hausmittel werden für die Akutphase empfohlen, die neben Eiswürfeln und Kühlelementen wohl überwiegend aufgrund von Verdunstungskälte als lindernd empfunden werden. Dazu gehören Spucke, Zwiebelschale, Zitronenscheibe, zerriebener Spitzwegerich, Quark, Franzbranntwein, Schüssler-Salze und so
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weiter, laut Stiftung Warentest auch die Insektenstichgels mit
einem Antihistaminikum.
Da bei der Säuglingshaut die Durchlässigkeit generell höher
ist, werden Gels mit Antihistaminika, wie zum Beispiel
Fenistil®, für Kinder unter 2 Jahren nicht empfohlen. Natür-
lich kann man sich auch auf ein externes Antiseptikum und
feuchte Umschläge in der Akutphase beschränken. Kratzen
im Bereich der Papeln kann die Abklingphase erheblich ver-
zögern.
Verstärkte Stichreaktionen werden, wie in Kasuistik 1 be-
schrieben, bei Kindern mit einem H1-Antihistaminikum in
Tropfen- oder Saftform, zum Beispiel Cetirizin in alters- und
gewichtsentsprechender Dosierung, und einem Kortikoid be-
handelt, bei Säuglingen und Kleinkindern einmalig mit 100 mg
Prednisolon (Supp.) beziehungsweise per os mit 2 bis 5 mg/kg
Prednisolonäquivalent so bald wie möglich wegen der siche-
reren Resorption.
O
Literatur: 1. Mumcuoglu Y, Rufli Th: Dermatologische Entomologie: Humanmedizinisch bedeut-
same Milben und Insekten in Mitteleuropa. perimed Fachbuch, Fürth, 1982. 2. Przybilla B, Rueff F: Insect stings: clinical features and management. Dtsch Aerztebl
Int 2012; 109(13): 238–248. 3. S2 Leitlinie Diagnose und Therapie der Bienen- und Wespengiftallergie. AWMF-Leit-
linien-Register-Nr. 061–020. Allergo J 2011; 20: 318–339. 4. Sonnleitner AE et al.: Borreliose im Kindes- und Jugendalter. Monatsschr Kinderheilk
2015; (5)163: 418–426. 5. Rahlenbeck S, Fingerle V: Wie man sich vor Zecken schützt. Dtsch Aerztebl 2014;
111(25): C 928–929. 6. Lyme-Borreliose-Ratgeber für Ärzte; Epid. Bulletin 22/1999 des Robert Koch-Instituts;
Aktualisierung 4/2007. 7. Bonifer R: FSME und Borreliose in der Schweiz. ARS MEDICI 2015; 105(17): 796–797. 8. Kampen H: Trombiculiden und Trombidiose. Z Allg Med 2000; 76: 392–396.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 13/2015. Die Übernahme des leicht bearbeiteten Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor; für die Schweiz relevante Angaben wurden von der Redaktion ARS MEDICI ergänzt.
Dr. med. Jörg Schriever Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Silberweg 10, D-53894 Mechernich E-Mail: dr.j.schriever@gmx.de
Interessenkonflikte: keine
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