Transkript
BERICHT
Sicher unterwegs mit Diabetes
Tipps zum Diabetesmanagement auf Reisen, speziell mit dem Flugzeug
«Wenn jemand eine Reise tut» ... und nach den Ferien oder dem geschäftlichen Trip nicht von unliebsamen Überraschungen erzählen möchte, muss er noch vor dem Aufbruch eine Reihe von Dingen bedenken und gegebenenfalls in die Wege leiten. Für Menschen mit Diabetes wird die abzuarbeitende Liste noch etwas länger, denn auch unterwegs muss bei ihnen die Versorgung mit Insulin sichergestellt sein. Insbesondere vor geplanten Flugreisen gilt es für sie, besondere Vorkehrungen zu treffen, auf die sie der behandelnde Arzt aber womöglich erst aufmerksam machen muss.
Ralf Behrens
Für Personen mit Diabeteserkrankung ist es zunächst wichtig, ihre Reisevorhaben, insbesondere solche mit dem Flugzeug, gut zu planen und vorzubereiten. Neben einer Reiseapotheke, bestückt mit den je nach individueller Situation, je nach Reiseziel und Verfüg-
MERKSÄTZE
O Neben einer allgemeinen Reiseapotheke und ausreichendem Impf- sowie Krankenversicherungsschutz ist es für Diabetiker besonders wichtig, auf Reisen zusätzlich sämtliche zur Insulinversorgung benötigten Utensilien im Gepäck zu haben.
O Bei längeren Flugreisen über mehrere Zeitzonen muss die Dosierung blutzuckersenkender Medikamente an die Zeitverschiebung angepasst werden.
O Der Hausarzt beziehungsweise der behandelnde Diabetologe sollte seine Patienten auf mögliche diabetesbedingte Risiken auf (Flug-)Reisen aufmerksam machen und ihnen die nötigen Informationen zur richtigen Reisevorbereitung an die Hand geben.
barkeit medizinischer Versorgung vor Ort nötigsten Materialien und Medikamenten, wie etwa Verbandszeug, Desinfektionsmittel, Mittel gegen Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Fieber und andere, sollte rechtzeitig (ca. 2 bis 3 Monate vor Reisebeginn) und wiederum in Abhängigkeit vom angesteuerten Reiseziel an einen ausreichenden Impfschutz gedacht werden. Dabei sollte auch kontrolliert werden, ob der Basisimpfschutz wie beispielsweise gegen Tetanus aufgefrischt werden muss. Informationsstellen bieten hierzu nötige Informationen an, aber auch der Hausarzt sollte in dieser Hinsicht ein kompetenter Ansprechpartner für seine Patienten sein. Zu prüfen ist auch, ob ein ausreichender Versicherungsschutz im Ausland besteht oder ob allenfalls eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen werden muss. Ist man im Reiseland angekommen, ist zu beachten, dass Blutzuckerteststreifen bei Temperaturen von mehr als 35 oder weniger als 5 bis 10 Grad Celcius nicht unbedingt mehr zuverlässige Ergebnisse liefern. Messgeräte sollten nicht direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt werden. Auch angebrochene Insulinflaschen sind vor hohen Temperaturen, aber auch vor Minusgraden zu
schützen, können jedoch durchaus für einige Wochen bei Zimmertemperatur gelagert werden. Patienten mit einer Neuropathie oder Durchblutungsstörungen in den Beinen oder Füssen sollten auch im Reiseland nie barfuss gehen.
Flugreisen:
Insulin an Bord erlaubt
Grundsätzlich ist es Diabetikern gestattet, krankheitsbedingt benötigte Utensilien und Medikamente auch an Bord mitzuführen – dies ist jedoch an das Vorliegen eines entsprechenden ärztlichen Attests gebunden und sollte vorab mit der jeweiligen Fluggesellschaft abgeklärt werden. Die Schweizerische Diabetes-Gesellschaft (SDG/ASD) hält dazu in ihrer Broschüre «Diabetes & Flugreisen» (1) einen Vordruck einer ärztlichen Bescheinigung (siehe Abbildung) bereit, mit der sich der Patient die Diabeteserkrankung sowie die von ihm auch unterwegs benötigten Arzneiund Hilfsmittel im Einzelnen bestätigen lassen kann. Darüber hinaus sollte das Reisegepäck von Diabetikern neben Impf- und Diabetikerausweis auch ein Blutzuckerkontrollheft sowie ein Ersatzblutzuckermessgerät und Ersatzmaterial zur Insulininjektion enthalten. Um Venenthrombosen auf langen Flugreisen vorzubeugen, sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet und versucht werden, sich während des Fluges so viel wie möglich zu bewegen. Auch hier sollte der behandelnde Arzt das individuelle Risiko mit dem Patienten vor Reiseantritt erörtern und entweder – bei Neigung zu geschwollenen Füssen/Beinen – das Tragen von Kompressionsstrümpfen während der Reise empfehlen oder – bei hohem Thromboserisiko – noch am Tag der Reise eine Heparinspritze verabreichen.
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Abbildung: Vordruck einer ärztlichen Bescheinigung für Diabetiker über auf Reisen mitzuführende Medikamente/Utensilien (Schweizerische Diabetes-Gesellschaft, aus [1])
Insulindosis
an Zeitverschiebung anpassen
Bei interkontinentalen Flugreisen, die mit Zeitverschiebungen von mehr als 3 bis 4 Stunden einhergehen, muss die Dosierung blutzuckersenkender Medikamente angepasst werden. Bei Reisen in östlicher Richtung, also beispielsweise nach Japan, Thailand oder Australien, wird der Tag durch die Zeitumstellung am Zielort kürzer, insofern sollte entsprechend auch eine geringe Dosis an Basalinsulin eingesetzt werden (zur Berechnung siehe Kasten). Umgekehrt sollte bei Reisen in westli-
cher Richtung (Nord- oder Südamerika) die Insulindosis erhöht werden. Das Thema Diabetesmanagement während Flugreisen über mehrere Zeitzonen war auch Gegenstand eines Vortrags (2) am diesjährigen Kongress der American Association of Clinical Endocrinologists (AACE) in Orlando (Florida, USA). Darin erklärte Dr. Rahul Suresh, Arzt für Innere Medizin, Luft- und Raumfahrtmedizin an der University of Texas in Galveston (Texas, USA), dass jedes Jahr von den vielen Millionen diabeteserkrankten Flugreisenden etwa 10 Prozent wäh-
rend des Fluges diabetesbedingte Komplikationen erleiden, wie zum Beispiel Hypoglykämien oder Dehydrierungseffekte. Bei Diabetikern, die unterwegs nicht sorgfältig auf ihre Insulinzufuhr achten, bestehe grundsätzlich die Gefahr einer Über- oder einer Unterdosierung von Insulin. Eine Überdosierung, verursacht durch entweder zu frühe Insulinzufuhr oder durch reguläre Insulinzufuhr bei jedoch gleichzeitig zu geringer Nahrungsaufnahme, stelle allerdings die wahrscheinlich ernstere Komplikation dar, daher «tolerieren wir eine Hyperglykämie, um eine Hypoglykämie zu vermeiden», sagte der Mediziner im Rahmen einer Pressekonferenz am AACE-Kongress (3). Zusammen mit seiner Arbeitsgruppe hatte er sich das Ziel gesetzt, im Rahmen einer Literaturstudie eine Reihe von präzisen und aktualisierten Empfehlungen zum sicheren Diabetesmanagement auf langen Flugreisen zu entwickeln. Behandelnden Ärzten kommt hier nach Sureshs Ansicht eine Schlüsselrolle zu, denn sie sollten Diabetespatienten, die eine längere Flugreise planen, vorab über die Verfügbarkeit und mögliche Konzentrationsabweichungen von Insulin sowie andere Besonderheiten im Zielland informieren. Auch die SDG weist darauf hin, dass anstelle des hierzulande in Insulinspritzen oder -pens ausschliesslich verwendeten U-100-Insulins in einigen Ländern noch Insulin U-40 oder U-80 im Handel ist. Hier muss unbedingt auf die richtige Konzentration sowie auch darauf geachtet werden, dass gegebenenfalls für Insulin U-40 oder U-80 auch die passenden Spritzutensilien verwendet werden. Die Empfehlungen Sureshs im Einzelnen: O Anlegen eines Extravorrats zur Insu-
linversorgung im Bordgepäck am Vortag der Reise. O Kenntnis über Flugrichtung (westwärts, östwärts), Anzahl durchquerter Zeitzonen und Flugdauer; bei Reisen in östlicher Richtung sollte auf Sulfonylharnstoffe, Nateglinid, und Repaglinid verzichtet und die Dosis von intermediär und lang wirksamen Insulinen entsprechend der Anzahl der durch die Zeitverschiebung während des Fluges verlorenen Stunden reduziert werden, bei Reisen nach Westen sollte die Anzahl der Insulindosen an den längeren Anreisetag angeglichen werden.
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Kasten:
Berechnung des Tagesbedarfs an Basalinsulin
Wie viel Basisinsulin brauche ich pro Stunde? Der Tagesbedarf an Basisinsulin wird geteilt durch 24 (Anzahl Stunden pro Tag). Bei einem angenommenen Bedarf von 16 E pro Tag entspricht dies 16/24, also 2/3 E bzw. 0,6 bis 0,7 E pro Stunde, bei einem Bedarf von 24 E pro Tag entspricht dies 24/24, also 1 E pro Stunde.
Wie gross ist die Zeitverschiebung meines Fluges? Zum Beispiel nach New York 6 Stunden, nach Tokio 8 Stunden.
Wie viel ändert sich entsprechend mein Bedarf an Basisinsulin? O Tagesbedarf 16 E > 0,6 E pro Stunde > New York 6 × 2/3 E = 4 E
> Tokio 8 × 2/3 E ≈ 5 E O Tagesbedarf 24 E > 1,0 E pro Stunde > New York 6 × 1,0 E = 6 E
> Tokio 8 × 1,0 E = 8 E. Brauche ich mehr oder weniger Basisinsulin? Bei Flugen nach Osten muss die Insulindosis reduziert werden (weil der Tag kürzer wird). Bei Flügen nach Westen muss die Insulindosis erhöht werden (weil der Tag länger wird).
Beispiel 1: Bei einem Tagesbedarf von 24 E muss ich beim Flug nach New York 6 E mehr Basisinsulin spritzen, also total 30 E; beim Rückflug von New York brauche ich 6 E weniger, also total 18 E.
Beispiel 2: Bei einem Tagesbedarf von 24 E muss ich beim Hinflug nach Tokio 8 E weniger Basisinsulin spritzen, also total 16 E; beim Rückflug von Tokio brauche ich 8 E mehr, also total 32 E.
(Schweizerische Diabetes-Gesellschaft, aus [1])
O Für kurz wirksames oder für rasch
wirksames Insulin sind keine Dosis-
anpassungen erforderlich.
O Vorgemischte Insuline sind nicht emp-
fehlenswert, da sie schwer zu titrie-
ren sind.
O Insulinpumpengebrauch: Ein Druck-
abfall in der Kabine kann zu einer
unbeabsichtigten Dosisänderung füh-
ren und mithin das Hypoglykämie-
risiko erhöhen. Daher sollten die Ge-
räte vor Start und Landung ausge-
schaltet werden.
O
Ralf Behrens
Quellen: 1. Schweizerische Diabetes-Gesellschaft (SDG/ASD):
Broschüre «Diabetes & Flugreisen: Damit Sie beruhigt abheben können!», überarbeitete Auflage Oktober 2015, http://www.sdgshop.ch/media/pdf/205-de.pdf. 2. Suresh R et al.: Addressing diabetes management during air travel crossing multiple time zones. Abstract #281. American Association of Clinical Endocrinologists (AACE) Annual Scientific & Clinical Congress, Orlando, FL, May 25–29, 2016. 3. Susman E: Travelers need to correct insulin timing – Diabetics who travel overseas may have too little or too much insulin on board. Medpage Today, 26.05.2016, www.medpagetoday.com/meetingcoverage/aace/5816.
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