Transkript
FORTBILDUNG
Wenn das Herz nicht vor Freude hüpft
Palpitationen: Ursachen erkennen und risikoadaptiert vorgehen
Das Auftreten von Palpitationen versetzt betroffene Patienten nicht selten in Angst, dabei sind diese Symptome für gewöhnlich harmlos und meistens auf atriale oder ventrikuläre Extrasystolen zurückzuführen. Die Frage, ob und wenn ja, wie dringlich eine Weiterweisung zum Kardiologen erforderlich ist, lässt sich in der Hausarztpraxis mittels diverser anamnestischer und diagnostischer Massnahmen klären.
British Medical Journal
Bei Palpitationen handelt es sich um ein Symptom, welches durch die deutliche Eigenwahrnehmung des Herzschlags, meist beschrieben als ein starkes, hüpfendes, flatterndes, jagendes oder pochendes Gefühl in der Brust, gekennzeichnet ist. Manche Patienten berichten in diesem Zusammenhang auch über Hustenreiz oder Luftnot. Mitunter meinen die Betroffenen mit solchen Symptombeschreibungen allerdings auch anderweitige Brustbeschwerden, welche die Untersuchungen dann in eine andere Richtung lenken sollten.
Ursachen Die meisten Palpitationen sind gutartig und gehen auf atriale, nodale oder ventrikuläre Extrasystolen zurück. In wahrscheinlich weniger als der Hälfte der Fälle sind Herzrhythmusstö-
MERKSÄTZE
O Alle Patienten mit Palpitationen sollten zur Risikostratifizierung einer sorgfältigen Anamnese und körperlichen Untersuchung unterzogen werden. Daneben sind Bluttests und ein 12-Kanal-EKG einzusetzen.
O Eine Weiterweisung zum Spezialisten sollte erfolgen, wenn die Palpitationen durch körperliche Anstrengung hervorgerufen werden, mit Benommenheit, Ohnmacht, persistierender Atemnot, Brustschmerz oder rezidivierenden anhaltenden Tachyarrhythmien assoziiert sind oder wenn Hinweise auf strukturelle Herzerkrankungen, Herzinsuffizienz oder Hypertonie bestehen, sowie bei plötzlichem Herztod in der Familienanamnese oder auffälligem 12-Kanal-EKG.
rungen oder Arrhythmien die Ursache. Bis zu etwa ein Drittel der Fälle hat psychischen Hintergrund; Aufregung ist häufig ein auslösender Faktor. Selten können Palpitationen allerdings auch in eine Ohnmacht übergehen oder sogar zum plötzlichen Herztod (PTH) führen. Gleichermassen werden bei einem grossen Teil der Patienten mit Palpitationen (67% in einer Studie) Panik- beziehungsweise Angstattacken oder Stress diagnostiziert, obwohl bei ihnen stattdessen eine Arrhythmie zugrunde liegt. Bei auf Rhythmusstörungen zurückzuführenden Palpitationen handelt es sich gewöhnlich um Tachyarrythmien oder Extrasystolen und nur selten um Bradykardien. Die häufigste Form sind ventrikuläre Extrasystolen, welche von den Betroffenen häufig als Aussetzen des Herzschlags beschrieben werden. Daneben können oft auch Vorhofflimmern/-flattern, paroxysmale supraventrikuläre oder ventrikuläre Tachykardien mit Ursprung im rechtsventrikulären Ausflusstrakt oder Sinustachykardien ursächlich sein.
Extrasystolen Ventrikuläre oder atriale Extrasystolen stehen gewöhnlich nicht mit einer strukturellen Herzerkrankung in Beziehung. Mehr Aufmerksamkeit verlangen dagegen häufige (≥ 30/min) ventrikuläre Extrasystolen bei Personen im Alter über 55 Jahre. Zu beachten ist, dass sehr häufige ventrikuläre Extrasystolen (> 20% aller Herzschläge) eher Ursache als Folge einer linksventrikulären systolischen Dysfunktion sind.
Supraventrikuläre Arrythmien Zum einen stehen paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien in Beziehung zu Leitungsstörungen im atrioventrikulären Knoten oder zum Vorhandensein von Bypass-Trakts. Auf der anderen Seite sind Vorhofflimmern und -flattern mit Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Diabetes, koronarer Herzkrankheit, Fettleibigkeit, Schlafapnoe, Thyrotoxikose, akutem oder chronischem Alkoholmissbrauch sowie valvulären Herzerkrankungen assoziiert, und deren Inzidenz steigt mit dem Alter an. Vorhofflimmern und anhaltende atriale Tachykardie mit Pulsraten von mehr als 120 Schlägen pro Minute können ebenfalls eine linksventrikuläre systolische Dysfunktion auslösen.
Untersuchungsmethoden
Die individuelle Anamnese (Kasten 1) ist essenziell zur Bestimmung der Ursachen für die Palpitationen sowie für die Entscheidung, ob und wenn ja, wie dringlich der Patient eine fachärztlich-kardiologische Betreuung benötigt.
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FORTBILDUNG
Kasten 1:
Fragen an den Patienten
... zu Palpitationen:
O Was meint der Patient mit dem Begriff «Palpitationen»? Es ist sicherzustellen, dass stattdessen keine andere Symptomatik wie etwa Brustschmerz beschrieben wird.
O Bitten Sie den Patienten, seine Empfindungen während der Palpitationen (schnell: Tachyarrhythmie?/unregelmässig: Vorhofflimmern?/Aussetzer: Extrasystolen?) auf dem Tisch zu klopfen.
O Wie lange dauern die Palpitationen an, und wie oft treten sie auf?
O Schätzen sie die Schwere ein: Was tut der Patient während der Palpitationen; ignoriert er sie oder muss er sich hinsetzen/-legen, kommt es gar zum Kollaps oder zu Bewusstlosigkeit (erfordert notfallmässige Behandlung durch Spezialisten)?
O Wann treten die Palpitationen auf? Eine notfallmässige Behandlung durch Spezialisten ist bei Palpitationen während oder kurz nach körperlicher Anstrengung indiziert.
O Setzen die Palpitationen plötzlich ein, können sie willkürlich hervorgerufen werden?
O Sind die Palpitationen mit Kurzatmigkeit oder Brustschmerz vergesellschaftet? Ein kurzer Hustenreiz oder kurzzeitige Atemlosigkeit ist ein Hinweis auf Extrasystolen, persistierende Atemlosigkeit kann ein Anzeichen von Herzinsuffizienz oder Myokardischämie sein; Brustschmerz während Palpitationen deutet möglicherweise auf koronare Herzkrankheit oder Tachyarrhythmie hin.
O Wie enden die Palpitationen? Kann der Patient die Attacken durch Husten, Anspannung (Valsalva-Manöver) oder Atempausen, insbesondere mit dem Gesicht unter Wasser (Tauchreflex), beenden? Ein plötzliches Ende lässt an eine paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie denken.
... zur Medikamenten-/Familienanamnese:
O Welche Medikamente nimmt der Patient ein? Mit Tachykardie assoziiert sind Betaagonisten (Salbutamol), Antimuskarinika (Amitriptylin), Theophyllin (Phylocontin), Kalziumkanalblocker vom Dihydropyridintyp (Nifedipin), Klasse-1-Antiarrhythmika (Flecainid, Disopyramid), QT-Intervall-verlängernde Substanzen (Erythromycin, Moxifloxacin), illegale Drogen (Kokain, Amphetamine).
O Üben ungünstige Lebenstilfaktoren zusätzlichen Einfluss aus? Alkohol, Koffein und illegale Drogen provozieren Extrasystolen und Vorhofflimmern.
O Spielen andere (soziale oder medizinische), evtl. die Schwelle für manche Arrhythmien herabsetzende Faktoren eine Rolle? Berufliche oder private Probleme, Schlafmangel und Fieber sind mit ventrikulären Extrasystolen und Vorhofflimmern assoziiert.
O Liegen medizinische Umstände vor, die evtl. mit Vorhofflimmern und -flattern (z. B. Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, koronare/valvuläre Herzerkrankung, Diabetes, Fettleibigkeit, Schlafapnoe, Thyrotoxikose, akuter oder chronischer Alkoholmissbrauch) oder mit Tachyarrhythmien (z.B: Anämie, Thyrotoxikose) einhergehen?
O Gibt es Fälle plötzlichen Herztodes (PHT) in der Familiengeschichte? PHT im Alter < 40 J. ist hinweisend auf eine Arrhythmie und möglicherweise eine erbliche Herzerkrankung.
Die notwendige klinische Untersuchung auf mit Palpitationen assoziierte Erkrankungen beinhaltet die Suche nach Anzeichen für Herzinsuffizienz, valvuläre Herzerkrankung, Thyrotoxikose oder Anämie. Auch kann bisweilen Bluthochdruck vorliegen. Des Weiteren sollten ein Bluttest und ein 12-Kanal-EKG (Kasten 2) durchgeführt werden. Mittels Anamnese, klinischer Untersuchung, Bluttest und 12-Kanal-EKG lassen sich bereits bei bis zu 40 Prozent der Patienten die Ursachen der Palpitationen identifizieren. Die weitergehende Untersuchung umfasst möglicherweise ein ambulantes Rhythmus-Monitoring mittels Holter-Monitor, vom Patienten aktiviertem Ereignisrekorder (spezielle Geräte oder modifizierte Smartphones), tragbaren Patch-Monitoren oder implantierbaren Loop-Rekordern. Auf ein ambulantes Rhythmus-Monitoring kann verzichtet werden, wenn Anamnese, klinische Untersuchung und 12-Kanal-EKG für das Vorliegen lediglich sporadischer Palpitationen sprechen. Bei Palpitationen, die ursächlich vermutlich nicht auf Extrasystolen zurückgehen, beziehungsweise bei Patienten mit häufigen Extrasystolen kann ein ambulantes RhythmusMonitoring zur Diagnosestellung dagegen durchaus hilfreich sein. Bei Verdacht auf eine zugrunde liegende Herzerkrankung beziehungsweise bei deren Nachweis sollte der Patient zur
weiteren Abklärung inklusive einer Echokardiografie sowie bisweilen eines Belastungstoleranztests einer kardiologischen Klinik zugewiesen werden.
Wann zum Spezialisten? Den Eckpfeiler der Beurteilung von Palpitationen stellt die Risikostratifizierung dar, um den Bedarf einer fachärztlichen Einschätzung und deren Dringlichkeit zu ermitteln. Ein geringes Risiko, bei dem eine Weiterweisung nicht zwingend notwendig ist, besteht bei: O vereinzelten Palpitationen, die nicht durch körperliche An-
strengung ausgelöst werden und nicht mit Symptomen wie Benommenheit, Ohnmacht, persistierender Atemlosigkeit oder Brustschmerz einhergehen O keinerlei anamnestischen oder aktuellen Hinweisen auf strukturelle Herzerkrankungen, Herzinsuffizienz oder Bluthochdruck sowie Abwesenheit von PTH-Fällen in der Familienanamnese O normalem 12-Kanal-EKG.
Eine routinemässige Überweisung zum Kardiologen sollte erfolgen bei: O mit Benommenheit oder Brustschmerz assoziierten Palpi-
tationen
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Kasten 2:
Wann zum Spezialisten?
O abnormalem 12-Kanal-EKG (mit Ausnahme von AVBlock 2. oder 3. Grades, welche eine notfallmässige Weiterweisung erfordern).
Bei folgenden Befunden im 12-Kanal-EKG von Patienten mit Palpitationen ist eine fachärztliche Abklärung in Betracht zu ziehen:
O Vorhofflimmern/-flattern O AV-Block 2. oder 3. Grades O Myokardinfarkt O linksventrikuläre Hypertrophie (mit oder ohne Anspannungs-
muster) O Linksschenkelblock O abnormale T-Wellen und ST-Segmente O vorzeitige Erregung (Wolff-Parkinson-White-Muster: träger
Anstieg im initialen Anteil des QRS-Komplexes [Deltawelle]) O abnormales QT/QTc-Intervall
O rezidivierender anhaltender Tachyarrythmie, Vorhofflimmern oder -flattern
O anamnestischem Nachweis von struktureller Herzerkrankung, Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz (oder entsprechenden aktuellen Hinweisen)
O eindeutigem Nachweis von Palpitationen in der Anamnese, vereinbar mit einer paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie (plötzliches Einsetzen und Verschwinden eines schnellen regelmässigen Herzschlags), mit wiederholten nicht aussagekräftigen ambulanten Rhythmusmonitoraufzeichnungen
Eine Veranlassung für eine notfallmässige Überweisung besteht bei: O Palpitationen während körperlicher Belastung O mit (Prä-)Synkope assoziierten Palpitationen O PHT oder vererblichen kardialen Erkrankungen in der
Familiengeschichte O AV-Block 2. oder 3. Grades im 12-Kanal-EKG.
Fahrtauglichkeit
Zu beachten ist, dass es in der Verantwortung des behan-
delnden Arztes liegt, den Patienten über eine aufgrund der
Symptome beziehungsweise diesen zugrunde liegenden Herz-
erkrankungen möglicherweise nicht mehr gegebene Fahr-
tauglichkeit aufzuklären. Europäische wie auch US-amerika-
nische Regularien zur Eignung zum Führen von Kraftfahr-
zeugen geben vor, dass im Falle von Symptomen (mit Tachy-
oder Bradyarrhythmien) die Fahrerlaubnis für Pkws und
Motorräder nicht mehr besteht und erst wieder zurücker-
langt werden kann, wenn die Symptome für die Dauer eines
Monats nicht wieder aufgetreten sind. Für Lkw- und Busfüh-
rerscheininhaber gelten strengere Restriktionen.
O
Ralf Behrens
Quelle: Gale CP, Camm AJ: Assessment of palpitations. BMJ 2016; 352: h5649.
Interessenlage: Die Autoren der referierten Originalpublikation geben an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
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