Transkript
FORTBILDUNG
Bisphosphonate in der Langzeittherapie der Osteoporose
Sollen Bisphosphonate dauerhaft verabreicht werden, oder sind Therapiepausen möglich?
Zur Therapie der Osteoporose werden am häufigsten
Bisphosphonate eingesetzt. Aber wie lange soll man diese
Behandlung fortsetzen, und wie ist das Nutzen-Risiko-
Verhältnis dieser Substanzen?
Journal of Bone and Mineral Research
Durch Osteoporose bedingte Wirbel- und Hüftfrakturen gehen mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität einher und verursachen enorme Kosten. Etwa jede dritte Frau und jeder fünfte Mann im Alter über 50 Jahre erleiden eine Fragilitätsfraktur. Es gibt gute Evidenz aus randomisierten, plazebokontrollierten Studien mit drei- bis vierjähriger Studiendauer, welche die Wirksamkeit von Aminobisphosphonaten (BP) stützt: Das Risiko für Wirbelfrakturen konnte um 40 bis 70 Prozent gesenkt werden, dasjenige für Hüftfrakturen um 20 bis 50 Prozent und für nicht vertebrale Frakturen um 15 bis 39 Prozent, je nach Substanz, Skelettlokalisation und individuellem Risikoprofil. Daher dominierten Bisphosphonate das Feld der Osteoporosetherapie während der letzten 20 Jahre. Sie sind von der Food and Drug Administration (FDA) und von der European Medicines Agency (EMA) für die Behandlung der postmenopausalen und der glukokortikoidinduzierten Osteoporose sowie für die Therapie der Osteoporose bei Männern zugelassen. Extensionsstudien wiesen darauf hin, dass eine Langzeittherapie mit Bisphosphonaten die Knochendichte aufrechterhalten
MERKSÄTZE
O Bei Patientinnen mit hohem Risiko sollte eine Fortsetzung der Bisphosphonattherapie auf bis zu zehn Jahre (orale Therapie) oder sechs Jahre (intravenöse Therapie) mit regelmässiger Reevaluation erwogen werden.
O Ein hohes Risiko ist definiert als: fortgeschrittenes Alter (70–75 Jahre), niedriger Hüft-T-Score, hoher Frakturrisiko-Score, erfolgte schwere osteoporotische Fraktur oder Fraktur unter der Therapie.
O Das Risiko atypischer Femurfrakturen steigt mit der Dauer der Bisphosphonattherapie an, nicht jedoch das Risiko für Kieferosteonekrosen.
kann, aber die Evidenz hinsichtlich der Senkung des Frakturrisikos ist weniger überzeugend. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren wiederholt Berichte über ernste Komplikationen veröffentlicht wurden, die potenziell im Zusammenhang mit der kumulativen Einnahme von Bisphosphonaten standen. Dazu zählen Kieferosteonekrosen und atypische Femurfrakturen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie lange Patientinnen und Patienten nach einer entsprechenden Nutzen-Risiko-Abwägung mit Bisphosphonaten behandelt werden sollten. Eine Arbeitsgruppe der American Society for Bone and Mineral Research (ASBMR) hat hierzu Empfehlungen erarbeitet und kürzlich publiziert.
Evidenz aus zwei Langzeitstudien
Basis für die Empfehlungen der ASBMR sind zwei Langzeitstudien. In der FLEX (Fracture Intervention Trial Long-term Extension)-Studie erlitten postmenopausale Frauen, die zehn Jahre lang mit Alendronat oral behandelt worden waren, weniger klinisch manifeste Wirbelfrakturen als diejenigen, die nach fünf Jahren auf Plazebo umgestellt worden waren (relatives Risiko [RR]: 0,45; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,24–0,85). In der HORIZON-Extensionsstudie wiesen Frauen aus der Gruppe, die sechs jährliche Zolendronatinfusionen erhalten hatten, weniger morphometrische Wirbelfrakturen auf als diejenigen, die nach drei Jahren mit Plazeboinfusionen behandelt worden waren (RR: 0,51; 95%-KI: 0,26–0,95).
Hochrisikopatientinnen profitieren
von fortgesetzter Therapie
Bei postmenopausalen Frauen war eine geringere Hüftknochendichte (T-Score zwischen –2 und –2,5 in der FLEX-Studie und unter -2,5 in der HORIZON-Studie) ein Prädiktor für eine positive Bilanz der fortgesetzten Bisphosphonattherapie. Daher empfehlen die ASBMR-Experten, nach einer fünfjährigen oralen beziehungsweise nach einer dreijährigen intravenösen Bisphosphonattherapie eine erneute Risikoabschätzung durchzuführen (Abbildung). Bei Frauen mit hohem Risiko sollte eine Fortsetzung der Behandlung auf bis zu zehn Jahre (orale Therapie) oder sechs Jahre (intravenöse Therapie) mit regelmässiger Reevaluation in Betracht gezogen werden. Ein hohes Risiko haben beispielsweise ältere Frauen, Patientinnen mit niedrigem Hüft-T-Score oder hohem Frakturrisiko-Score, Frauen mit einer früheren schweren osteoporotischen Fraktur und Patientinnen mit einem Knochenbruch unter laufender Bisphosphonattherapie.
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ARS MEDICI 6 I 2016
FORTBILDUNG
postmenopausale Frauen mit oraler (≥ 5 Jahre) oder intravenöser (≥ 3 Jahre) Bisphosphonat (BP)-Therapie
Hüft-, Wirbel- oder multiple andere osteoporotische Frakturen vor oder während der Therapie Ja Nein
erneute Bewertung von Nutzen/Risiken Fortsetzung der BP-Therapie1 erwägen oder
Wechsel auf eine alternative Therapie2 erneute Evaluation alle 2–3 Jahre
Hüftknochendichte-T-Score ≤ -2,53 ODER
hohes Frakturrisiko4
Ja
erneute Bewertung von Nutzen/Risiken Fortsetzung der BP-Therapie für bis zu 10 Jahre erwägen1 oder Wechsel auf eine
alternative Therapie2 erneute Evaluation alle 2–3 Jahre
Nein
Therapiepause erwägen erneute Evaluation alle 2–3 Jahre5
1 Nach den Ergebnissen der Zulassungsstudien sind die Vorteile einer fünfjährigen Therapie eindeutig grösser als die Risiken. Für eine bis zu zehnjährige Behandlung mit oralen Bisphosphonaten (FLEX-Extensionsstudie) und eine bis zu sechsjährige Therapie mit intravenösen Bisphosphonaten (HORIZON-Verlängerungsstudie) beruhen die Schätzungen von Nutzen und Risiken auf einer viel schwächeren Datenlage. Wenn Patienten unter der Therapie Frakturen erleiden, sind die Adhärenz zu überprüfen und sekundäre Osteoporoseursachen auszuschliessen.
2 Die Vorteile eines Wechsels auf eine alternative frakturprophylaktische Therapie nach einer langfristigen Bisphosphonattherapie wurden bisher nicht adäquat untersucht.
3 Angaben basieren auf der FLEX- und der HORIZON-Studie (weisse Frauen) und lassen sich möglicherweise nicht auf andere Populationen übertragen.
4 Hohes Frakturrisiko: Definiert durch fortgeschrittenes Alter (70–75 Jahre), andere starke Risikofaktoren für Knochenbrüche oder FRAX-Frakturrisiko-Score, der über den länderspezifischen Schwellenwerten liegt.
5 Bei der erneuten Evaluation sind durchzuführen: klinische Beurteilung, Risikoeinschätzung inklusive Risikofaktoren sowie möglicherweise eine DXA-Knochendichtemessung. Die Intervalle zwischen den DXA-Untersuchungen sollten sich nach Veränderungen richten, die nachweisbar und klinisch signifikant sind. Eine Reevaluation kann bei manchen Patienten in kürzeren Intervallen (< 2 Jahre) notwendig sein, beispielsweise bei einer neu aufgetretenen Fraktur oder bei einem zu erwartenden beschleunigten Knochenabbau (d.h. bei Einleitung einer Therapie mit Aromataseinhibitoren oder Glukokortikoiden).
Abbildung: Vorschlag für das Management von postmenopausalen Frauen unter Langzeitbisphosphonattherapie
Das Risiko für atypische Femurfrakturen – nicht jedoch das Risiko für Kieferosteonekrosen – steigt mit der Dauer der Bisphosphonattherapie eindeutig an, doch steht diesen seltenen Ereignissen die Reduktion des Wirbelfrakturrisikos bei Hochrisikopatientinnen gegenüber. Bei Frauen, die nach einer drei- bis fünfjährigen Bisphosphonattherapie kein hohes Frakturrisiko aufweisen, kann eine zwei- bis dreijährige Therapiepause erwogen werden. Die Autoren weisen darauf hin, dass ihre Vorschläge zur Bisphosphonatlangzeittherapie auf limitierter Evidenz beruhen und eine klinische Beurteilung in jedem Fall unverzicht-
bar ist. Mit gewissen Adaptationen seien ihre Empfehlungen
auch auf Männer sowie auf Patienten mit glukokortikoid-
induzierter Osteoporose übertragbar.
O
Andrea Wülker
Quelle: Adler RA et al.: Managing osteoporosis in patients on long-term bisphosphonate treatment: report of a task force of the American Society for Bone and Mineral Research. J Bone Miner Res 2016; 31(1): 16–35.
Interessenlage: Einige der beteiligten Studienautoren haben Honorare und/oder Forschungsgelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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