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STUDIE REFERIERT
Früher und gezielter eingreifen gegen Hepatitis C!
Zeitige und effektivere antivirale Therapien senken Mortalität und Behandlungskosten
viralen Medikamente gegen Hepatitis C (z. B. Telaprevir und Boceprevir), sind sehr teuer, und die Kostenträger übernehmen die Behandlung erst dann, wenn die Patienten bereits eine fortgeschrittene Lebervernarbung aufweisen.
Eine aktuelle Schweizer Studie hat anhand von Modellberechnungen die Auswirkungen unterschiedlicher Behandlungsstrategien auf die Sterblichkeit und auf die Folgekosten von Hepatitis C untersucht. Dabei zeigte sich, dass sich mit einem früheren Eingreifen und der Durchführung von Screenings die Mortalität um 90 Prozent senken und die langfristige Entwicklung der Gesundheitskosten positiv beeinflussen liesse.
PLoS One
Eine chronische Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) ist eine der Hauptursachen einer Lebererkrankung und daher auch mit einer hohen Kostenlast für das Gesundheitssystem verbunden. In der Schweiz sind schätzungsweise 80 000 Personen mit HCV infiziert. Besonders problematisch ist der Umstand, dass die HCV-Infektion als sogenannte stille Erkrankung selbst in fortgeschrittenen Stadien einer Lebererkrankung klinisch symptomlos verlaufen kann (nur 20–25% der akuten Infektionen werden symptomatisch), auf der anderen Seite aber etwa 80 Prozent der akuten Infektionen chronifizieren.
MERKSÄTZE
O Chronische Hepatitis-C-Infektionen führen häufig zu schweren Lebererkrankungen und gehen mit einer hohen Kostenlast für das Gesundheitssystem einher.
O Mit ihrem lange symptomlosen Verlauf wird die Erkrankung häufig zu spät entdeckt und – auch aus Kostengründen – nicht adäquat behandelt.
O Modellberechnungen zeigen, dass effektivere Medikamente und eine auf frühere Stadien der Lebererkrankung erweiterte Therapie die Mortalität und die Folgekosten deutlich senken können.
Gemäss Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) sind im Zeitraum von 2002 bis 2011 in der Schweiz insgesamt 711 Fälle akuter Infektionen neu gemeldet worden, was umgerechnet pro Jahr etwa 71 Neuinfektionen entspricht. Berücksichtigt man jedoch die Tatsache, dass überwiegend nur symptomatische Infektionen überhaupt erfasst werden und zudem im selben Zeitraum umgerechnet jährlich etwa 700 Fälle chronischer Infektionen durch Migration ins Land gelangten, dann lässt sich von bis zu knapp 1000 virämischen Neuinfektionen jährlich ausgehen. Die Zahl der jährlichen Neuinfektionen in der Schweiz hat dennoch in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen, weil Bluttransfusionen, Tätowierungen und Akupunkturnadeln hierzulande heute grundsätzlich sicher sind. Zudem sinkt die Zahl der Rauschgiftkonsumenten, die sich Drogen intravenös verabreichen, und sie verwenden vermehrt Einwegspritzen. Da die Spätfolgen der HCV-Infektion aber erst 20 bis 30 Jahre nach der Ansteckung zum Tragen kommen und die Zahl der Neuinfektionen erst 2003 ihren Höhepunkt erreichte, werden Mortalität und Kosten durch schwere Hepatitis-C-Fälle bis 2030 noch zunehmen. Derzeit sind lediglich konservative Strategien im Kampf gegen die Folgen der Hepatitis C verfügbar. Proteaseinhibitoren, die neueren hoch wirksamen und besser verträglichen anti-
Schweizer Modellstudie
Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Beat Müllhaupt vom Schweizer Zentrum für Erkrankungen der Leber, der Bauchspeicheldrüse und der Gallenwege (Swiss HPB Center) am Universitätsspital Zürich hat in einer aktuellen Studie auf der Basis von Modellberechnungen die Auswirkungen unterschiedlicher Behandlungsstrategien auf die Mortalität und auf die Folgekosten von Hepatitis C untersucht. Die Forscher sammelten zu Beginn entsprechende aus der Literatur sowie aus Experteninterviews verfügbare zeitgeschichtliche Annahmen und versuchten anschliessend, im Modell den Einfluss verschiedener Interventionslevel (verbesserte Diagnostik, Therapie und Heilungsraten) auf eine potenzielle zukünftige Entwicklung bis 2030 abzubilden. Dazu wurden vier verschiedene Modellszenarien entwickelt: 1. Unterbrechung der Therapie im Jahr
2014, um den Einfluss der derzeitigen Behandlungsstandards zu untersuchen. 2. Gesteigerte Therapieaufnahme und -effektivität durch Behandlung von Patienten mit Fibrose im Stadium 2 (F2) oder höher unter Verwendung von antiviralen Wirkstoffen mit 95prozentiger Effektivität mit dem Ziel einer 50- bis 90-prozentigen Reduktion der leberassoziierten Spätfolgen und der Mortalität bis 2030. 3. Einfluss von Zeit und Patientensegment: (Untersuchung des Zeitfaktors durch Verzögerung des 90-ProzentReduktions-Szenarios bei Patienten ≥ F2 um 2 oder 5 Jahre, Untersuchung des Patientensegmentfaktors durch Beschränkung der Therapie auf Patienten ≥ F3 oder F4 4. Hybridszenario mit 90-Prozent-Reduktion: Modifikation des 90-Prozent-Szenarios bei Patienten ≥ F2 durch eine initial (2014) auf F4-Patienten beschränkte und später auf Patienten ≥ F3 (2016) und Patienten ≥ F2 (2018) ausgedehnte Behandlung.
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ARS MEDICI 4 I 2016
STUDIE REFERIERT
Reduktion von Sterblichkeit und
Therapiekosten ist möglich ...
Unter Zugrundelegung der etablierten Standardversorgung ergab sich bis zum Jahr 2030 trotz abnehmender Prävalenz (von durchschnittlich 82 700 Fällen im Jahr 2013 auf 63 200 im Jahr 2030) eine stetige Zunahme der Fallzahlen fortgeschrittener Stadien einer Lebererkrankung. So nahm unter Annahme von sonst gleichbleibenden Bedingungen die Anzahl von Individuen mit kompensierter Zirrhose (2013: 12 700), mit dekompensierter Zirrhose (1790) und mit hepatozellulärem Karzinom (745) im Modell um 50, 57 respektive 84 Prozent zu. Darüber hinaus wurde bis 2030 ein Anstieg der mit Lebererkrankungen assoziierten Mortalität um 72 Prozent (von 380 auf 650 Todesfälle) prognostiziert. Hinsichtlich der Entwicklung der jährlich anfallenden Gesundheitskosten virämischer HCV-Infektionen ergab sich ein erwarteter Anstieg von einer geschätzten Durchschnittssumme von 74 Millionen Euro im Jahr 2013 auf einen Spitzenwert von 97 Millionen Euro im Jahr 2030.
Um eine Reduktion der lebererkrankungsassoziierten Sterblichkeit um 90 Prozent bis zum Jahr 2030 zu erreichen, war es gemäss den Modellberechnungen erforderlich, bis 2018 jährlich 4190 Patienten ≥ F2 oder 3200 Patienten ≥ F3 einer antiviralen Therapie mit Wirkstoffen mit einer Effektivitätsrate von 95 Prozent zu unterziehen. Eine Verzögerung dieser Massnahmen um 2 beziehungsweise 5 Jahre führte mit dann erzielbaren Werten von lediglich 75 respektive 57 Prozent zu einem deutlich weniger günstigen Einfluss auf die Sterblichkeit.
... durch rechtzeitige Behandlung
mit wirksameren Medikamenten
Die Modellberechnungen zeigen insgesamt, dass sich unter Anwendung von effektiveren Medikamenten einerseits und einer auf frühere Stadien der Lebererkrankung erweiterten Therapie andererseits eine Reduktion der Sterblichkeit um 90 Prozent erzielen und die langfristige Entwicklung der Krankheitskosten positiv beeinflussen liesse, denn frühere Behandlungen ermöglichen es, die schweren Hepatitisfolge-
schäden und die daraus resultierenden Kosten für das Gesundheitssystem einzudämmen. Die Studienautoren plädieren aufgrund ihrer Resultate für ein früheres medikamentöses Eingreifen bei Hepatitis C und die Durchführung von Screenings statt der heute in der Schweiz praktizierten konservativen Behandlungs- und Teststrategien. Zudem ist es aus ihrer Sicht bedauernswert, dass die Preisdiskussion um die neuste Generation der Hepatitis-CMedikamente diese gewünschte Behandlung derzeit noch blockiert. O
Ralf Behrens
Quellen: Müllhaupt B et al.: Modeling the health and economic burden of hepatitis C virus in Switzerland. PLoS One 2015; 10(6): e0125214. «Forscher fordern frühes Eingreifen gegen Hepatitis C». Medienmitteilung Universitätsspital Zürich, 25. Juni 2015.
Interessenkonflikte: Ein Teil der Autoren der Studie hat Beratertätigkeiten für diverse Unternehmen der Arzneimittelindustrie ausgeübt sowie Forschungsgelder und/ oder Vortragshonorare von Pharmafirmen erhalten.