Transkript
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Senkt Nalmefen die Sterblichkeit bei Alkoholabhängigkeit?
Eine Analyse von Studiendaten zur Behandlung alkoholabhängiger Patienten mit Nalmefen konnte zeigen, dass die Substanz im Vergleich zu Plazebo die Trinkmenge reduziert. Dies spricht dafür, dass sich mit dem Medikament auch die Mortalitätsrate bei Alkoholkranken senken lässt.
Journal of Psychopharmacology
Der Opioidrezeptorligand Nalmefen (Selincro®) erhielt im Jahr 2013 die europäische Zulassung zur Reduktion des Alkoholkonsums bei erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit. Die Substanz wirkt an verschiedenen Opioidrezeptoren antagonistisch beziehungsweise partiell agonistisch und beeinflusst dadurch das Belohnungssystem im Gehirn, das bei alkoholabhängigen Patienten verändert ist. Auf diese Weise reduziert Nalmefen das Verlangen nach Alkohol. Es ist zugelassen zur Behandlung von Patienten, deren Alkoholkonsum sich auf einem hohen Niveau befindet, das heisst bei einem Konsum von mehr als 60 g (Männer) beziehungsweise mehr als 40 g (Frauen) Alkohol täglich. Die Patienten sollen an jedem Tag, an dem sie sich dem Risiko ausgesetzt sehen, Alkohol zu trinken, eine Tablette à
Merksätze
O Der Opioidrezeptorligand Nalmefen (Selincro®) wird zur Reduktion des Alkoholkonsums bei erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit eingesetzt.
O Anhand der verminderten Trinkmenge wurde die Reduktion der Gesamtmortalität bei Therapie mit Nalmefen berechnet.
O Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die 9-Jahres-Mortalität durch Nalmefen um durchschnittlich 8 Prozent gesenkt wird, wenn bei der Berechnung des Mortalitätsrisikos Abstinenz und schweres Trinken berücksichtigt werden.
O Werden Abstinenz und schweres Trinken ausgeschlossen, verringert sich die 9-Jahres-Mortalität durch Nalmefen um durchschnittlich 4 Prozent.
18 mg Nalmefen möglichst zwei Stunden vor dem erwarteten Zeitpunkt des Alkoholkonsums einnehmen. Von hohem Interesse ist, ob Nalmefen das Mortalitätsrisiko senkt.
Studiendesign und -ziel
Ziel der Studie war, die Reduktion der Gesamtmortalität bei Therapie mit Nalmefen zu bestimmen. Die Analyse schloss kurz dauernde (6 und 12 Monate), doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Studien ein, in denen untersucht worden war, wie stark Nalmefen im Vergleich zu Plazebo die Trinkmenge reduziert. Als Nächstes wurden Daten aus umfassenden Metaanalysen genutzt, die den Zusammenhang zwischen Trinkmenge und Mortalität bestimmt hatten. Es wurde die Reduktion der Gesamtmortalität in Beziehung zu der in den randomisierten, kontrollierten Studien beobachteten Verringerung der Trinkmenge gesetzt. An den beiden 6-monatigen Studien nahmen 641 Patienten teil, an der 12-monatigen Studie 183 Patienten. Ihre Sucht ging einher mit einem hohen beziehungsweise sehr hohen Risiko, Alkohol zu trinken (drinking risk level, DRL; Verlangen nach > 40–60 g Alkohol täglich bzw. > 60 g täglich bei Frauen und > 60–100 g/Tag bzw. > 100 g/Tag bei Männern). Die Teilnehmer waren mindestens 18 Jahre alt. Bei ihnen war eine Alkoholabhängigkeit mithilfe des Fragebogens MINI (Mini International Neuropsychiatric Interview) diagnostiziert worden. Primäre Endpunkte waren die Veränderung des Alkoholkonsums und die Anzahl der Tage, an denen stark getrunken wurde. Die Metaanalysen umfassten 16 Primärstudien. Von den 4951 Hochrisikopatienten verstarben 755. Der Zeitraum von Abstinenz bis zu einem Wiederbeginn des Trinkens reichte von 1 bis zu 15 Jahren, der Zeitraum bis zum Tod von 3 bis 16 Jahren, im Mittel betrug er 8,8 Jahre.
Studienergebnisse
In Szenario 1 wurde das Mortalitätsrisiko bei reduziertem Trinken berechnet, wobei Abstinenz und schweres Trinken in die Berechnung mit eingingen. Bei Szenario 2 wurde das Mortalitäsrisiko bei verringertem Trinken berechnet, wobei Abstinenz und schweres Trinken ausgeschlossen wurden. Szenario 1 ergab eine Odds Ratio (OR) von 0,41 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,34–0,5), Szenario 2 eine OR von 0,61 (95%-KI: 0,39–0,94). Unter Annahme einer OR von 0,41 (95%KI: 0,34–0,5) wird die 9-Jahres-Mortalität durch Nalmefen um durchschnittlich 8 Prozent gesenkt (95%-KI: 2–13%). Wird eine OR von 0,61 (95%-KI: 2–13%) zugrunde gelegt, wird die 9-Jahres-Mortalität durch Nalmefen um durchschnittlich 4 Prozent gesenkt (95%-KI: 0–8%).
Diskussion
In den 16 Studien der Metaanalysen war die
Definition einer Reduktion des Alkohol-
konsums nicht einheitlich. Es wurde zudem
davon ausgegangen, dass jede Verringerung
der Trinkmenge, welche in den rando-
misierten, kontrollierten Studien gemessen
wurde, nach Studienschluss beibehalten
wurde. Auch wurde vorausgesetzt, dass die
Studien der Metaanalysen und die randomi-
sierten, kontrollierten Studien vergleichbare
Populationen hatten.
Die Verringerung der Trinkmenge durch
Nalmefen bei Patienten mit hohem bezie-
hungsweise sehr hohem Risiko, Alkohol zu
trinken, ist gross genug, um von einer ver-
ringerten Mortalität auszugehen, so das
Fazit der Autoren.
O
Claudia Borchard-Tuch
Roerecke M et al.: Clinical relevance of nalmefene versus placebo in alcohol treatment: reduction in mortality risk. J Psychopharmacol 2015; 29(11): 1152–1158.
Interessenkonflikte: Einer der Autoren der referierten Studie unterhält Beziehungen zur Firma Lundbeck, Hersteller von Selincro®, und hat im Zusammenhang mit dieser Publikation finanzielle Unterstützung von diesem Unternehmen erhalten. Drei andere Autoren sind Mitarbeiter von Lundbeck.
ARS MEDICI 3 I 2016
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