Transkript
EDITORIAL
Asche zu Asche
Die zurückliegenden, wenig winterlichen und doch zwischenmenschlich seltsam kalten Wochen waren auch für viele in den Siebzigerjahren rock- und popmusikalisch sozialisierte Zeitgenossen nicht einfach: Gerade war, kurz nach Weihnachten, die ewig heisere Stimme von MotörheadFrontmann «Lemmy» Kilmister für immer verstummt, als mit David Bowie, dem Meister des Spiels mit den Identitäten, einer der ganz Grossen seiner Zunft sogar noch den eigenen Tod in sein künstlerisches Lebenswerk integrierte. Zwar nicht nur rein optisch Figuren, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, gab es zwischen den beiden Briten doch manche Parallele: Nicht nur dass sie, jeder auf seine Art, mit ihrer Kunst stilprägend und bereits zu Lebzeiten legendär sowie, als «musicians‘ musicians», Initialzündung waren für viele(s) nach ihnen – beide wiesen darüber hinaus auch jeweils eine medizinische Besonderheit auf, die zu ihrem äusserlichen Markenzeichen (aber oft auch fehlgedeutet) wurde: Den nicht backenbärtigen Bereich Klimisters linker Wange zierten zwei imposante Fibrome, fälschlicherweise gern als Warzen bezeichnet, und Bowie hatte keine verschiedenfarbigen Iriden, sondern von einer Prügelei im Alter von 15 Jahren eine traumatische Mydriasis im linken Auge zurückbehalten. Nun waren sie gestorben – nicht unbedingt vorzeitig, wie schon viele ihrer Kollegen, sondern im fortgeschritteneren Alter, in das diese Generation nun einfach kommt, und krebskrank, aber vielleicht gerade deshalb alle und unser aller Vergänglichkeit umso deutlicher ins Bewusstsein rufend. Und die gemischten Gefühle beim alltäglichen Log-in in die Nachrichtensphäre trogen nicht, denn in kurzen Abständen folgten die Meldungen vom Ableben des Eagles-Gitarristen Glenn Frey und des Jefferson-AirplaneGründungsmitglieds Paul Kantner. Natürlich ist das der Lauf der Zeit, und manchen mag in diesem Zusammenhang wohl am ehesten interessieren, wie Kilmister oder Bowie überhaupt so alt werden konnte. Hatten beide, wie viele andere Stars aus einer Epoche des Übergangs vom kollektiv-politischen Aufbegehren zur individuellen und im
wahren Wortsinn substanziell befeuerten Sinnsuche, mit ihrem Lebensstil nicht schliesslich selbst nach Kräften und ohne Rücksicht auf Verluste gegengesteuert? Hier lässt sich wohl tatsächlich auch von Glück reden. Aber das Klischee vom hedonistisch veranlagten Rockstar greift, psychologisch betrachtet, zu kurz. Wenn auch die Verlockungen des Ruhms («Fame»), insbesondere des in jungen Jahren erlebten, den Hang zum Exzessiven befördern, das vorhandene dafür nötige Kleingeld sein Übriges tut und Sex, Drugs & Rock'n'Roll früher oder später ihren Tribut fordern – zur Gänze erklären kann all dies ein Leben, das einer an beiden Enden angezündeten Kerze gleicht, nicht. Studien weisen vielmehr darauf hin, dass dieses Risikoverhalten vieler Stars nicht frei gewählt ist, sondern häufig auf Kindheitstraumata oder sogar psychischen Erkrankungen wie einer Borderline- oder bipolaren Störung basiert (1). Diese Andersartigkeit, so die These des Göttinger Psychologen und Psychiaters Borwin Bandelow, ist gerade mitursächlich für ihre Berühmtheit und nicht deren Folge (2). Während «Lemmy» bis zuletzt seinen Stiefel durchgezogen haben soll, war David Bowie, auch aufgrund eines 2004 auf der Bühne erlittenen Fast-Herzinfarkts, im letzten Jahrzehnt nur noch sporadisch in Erscheinung getreten, hatte Partys und Drogen längst gegen ein solides Familienleben eingetauscht und doch am 8. Januar, seinem 69. Geburtstag, noch ein stellenweise irritierendes Spätwerk veröffentlicht, über dessen Botschaft er Fans und Kritiker jedoch nur zwei weitere Tage rätseln liess. Mit welchem Mut, Lebenswillen und Schaffensdrang dieser Künstler bis zuletzt den Umständen getrotzt haben muss, lässt sich nur erahnen, kann aber womöglich auch für weniger prominente Menschen in ähnlicher Situation Kräfte freisetzen: In einem bemerkenswerten Dankesbrief an den Verstorbenen, veröffentlicht im Blog des Fachjournals «BMJ Supportive & Palliative Care» (3), beschreibt Mark Taubert, Palliativmediziner aus Cardiff, UK, am Beispiel einer todkranken Patientin, wie der Gedankenaustausch über diese letzte Arbeit Bowies und dessen mutmasslich bis ins Detail sorgfältig geplantes häusliches Sterben, das in seiner Konsequenz und Würde sowie mit den dazu notwendigerweise erforderlichen Voraussetzungen seiner, Tauberts, eigenen Maxime und der seines Berufsstands entspricht, den Weg zu einem offenen Gespräch zwischen dieser Frau und ihm, ihrem Arzt, über das Unausweichliche des Lebensendes bereitet hat.
«There's a starman waiting in the sky, he's told us not to blow it, cause he knows it's all worthwhile.» (D. Bowie, «Starman», 1972)
Ralf Behrens
1. Menke N: Die Schattenseite des Ruhms. Spektrum der Wissenschaft, 13.07.2015. 2. Bandelow B: Celebrities: Vom schwierigen Glück, berühmt zu sein. Rowohlt, Reinbek, 2006. 3. Taubert M: A thank you letter to David Bowie from a palliative care doctor. BMJ Supportive &
Palliative Care Blog, 15.01.2016.
ARS MEDICI 3 I 2016
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