Transkript
INTERVIEW
TNF-alpha-Inhibitoren und «Anti-Drug-Antikörper»
Wann sollte man Medikamentenspiegel und neutralisierende Antikörper bestimmen?
Heute befinden sich viele Patienten mit rheumatoiden
Erkrankungen dank der neuen Biologika in stabiler Remis-
sion. Bei manchen Betroffenen ist jedoch ein schleichender
Wirkungsverlust zu beobachten. Eine mögliche Erklärung
können körpereigene Antikörper sein, die gegen die thera-
peutischen TNF-Antikörper gebildet werden («Anti-Anti-
körper») und diese neutralisieren. Viele der zugrunde
liegenden Mechanismen und therapeutischen Konsequen-
zen dieses Phänomens sind noch unbekannt. Wir sprachen
mit den Rheumatologen Prof. Dr. med. Diego Kyburz, Basel,
PD Dr. med. Pascal Zufferey, Lausanne, Prof. Dr. med. Burk-
hard Möller, Bern, sowie dem Gastroenterologen Prof.
Dr. med. Gerhard Rogler, Zürich, über die Bedeutung der
neutralisierenden Antikörper und in welchen Fällen sie
bestimmt werden sollten.
ARS MEDICI: Welche Ursachen gibt es, die zu einem Verlust der therapeutischen Wirksamkeit bei der Behandlung rheumatoider Arthritis oder chronisch entzündlicher Darmerkrankung mit TNF-alpha-Blockern führen können? Zufferey: Einer der Hauptgründe für den sekundären Verlust der Wirksamkeit solcher Medikamente ist nachgewiesenermassen die Entwicklung von Anti-Antikörpern. Auf der anderen Seite haben wir bei manchen Patienten einen Effektivitätsverlust, ohne dass Anti-Antikörper gefunden werden, was wir nicht so ganz verstehen. Vielleicht sind die Nachweismethoden nicht sensitiv genug, vielleicht findet die Krankheit auch ganz andere Wege, um voranzuschreiten. Kyburz: Ich denke, wenn zuerst eine Wirkung besteht, die dann langsam verloren geht, sind Anti-Antikörper schon ganz wichtige Faktoren. Bisweilen sehen wir aber auch spontane Änderungen der Krankheitsaktivität. In Fällen, wo vielleicht zuvor schon eine nicht optimale Einstellung bestanden hat und die Krankheit einfach aktiver geworden ist, kann dies wie ein Wirkungsverlust der Behandlung erscheinen.
ARS MEDICI: Was heisst langsamer Wirkungsverlust? Kyburz: Es gibt Daten, die zeigen, dass diese Anti-AntikörperLevel mit dem Wirkverlust korrelieren. Aber die zeitliche Kinetik ist meines Wissens nicht gut untersucht. Wir wissen nicht, wie rasch der Aufbau dieser Anti-Antikörper vonstattengeht und ob es eine Schwelle gibt, ab der sich dann klinische Unterschiede manifestieren.
Rogler: Bei entzündlichen Darmerkrankungen wird die Remission bisweilen einfach von einem Schub durchbrochen. Zwar hat man dann auch einen Wirkverlust, aber der muss nicht komplett sein. Eine Reinduktion kann da manchmal helfen. Es werden aber offensichtlich nicht nur die neutralisierenden Anti-Antikörper gebildet, sondern auch Anti-Antikörper, die nicht neutralisierend wirken. Das macht das Ganze ein bisschen kompliziert. Deshalb ist es nötig, immer gleichzeitig die Anti-Antikörper und den Talspiegel des Medikaments zu bestimmen.
ARS MEDICI: Aber ist es nicht automatisch so, dass hohe AntiAntikörper-Level mit einem hohen Wirkverlust einhergehen? Rogler: Das muss nicht sein. Es gibt Fälle mit hohen AntiAntikörper-Spiegeln, aber normalen Serumspiegeln. In diesem Fall werden die TNF-alpha-Antikörper nicht abgefangen oder neutralisiert. Insgesamt ist das aber selten. Möller: Ich möchte noch an einen anderen Aspekt erinnern. Meiner Meinung nach ist die Non-Compliance das Hauptproblem für eventuelle Wirkverluste. Manche Patienten haben ein ungutes Gefühl und beginnen, selbst mit der Therapie zu experimentieren. «Brauch ich das eigentlich noch? Wie wäre es, wenn ich nur noch halb so viel nähme?» Und wegen dieser persönlichen Dosierungsspielereien kommt es gar nicht so selten dazu, dass die Krankheitsaktivität wieder zunimmt. Durch geschicktes Fragen versuche ich, solchen «hausgemachten» Ursachen auf die Spur zu kommen.
ARS MEDICI: Und wenn der Patient alles richtig gemacht hat und trotzdem die Wirkung «weg» ist? Möller: Dann schaut man sich den Medikamentenspiegel an. Ist er okay und sind keine Anti-Antikörper nachweisbar, dann funktioniert, wenn wir von der rheumatoiden Arthritis sprechen, mit grösster Wahrscheinlichkeit bei diesem Patienten das Therapieprinzip TNF-Blockade nicht. Ist hingegen kein Talspiegel vorhanden, wurden die TNF-alpha-Antikörper wahrscheinlich durch die Anti-Antikörper abgebaut, die dann auch nachweisbar sein sollten. Bei hohem Medikamentenspiegel und gleichzeitigem Nachweis von Anti-Antikörpern ist davon auszugehen, dass Letztere wahrscheinlich nicht so aktiv sind. Für mich zählt das Verhältnis von Talspiegel des Medikaments zu Anti-Antikörpern und weniger deren absolute Quantität.
ARS MEDICI: In welchen Fällen verwenden Sie einen solchen Immunoassay? Zufferey: In der Rheumatologie existieren noch keine definierten Regeln für seine Anwendung, und es liegt in der Entscheidung des Arztes, ob er eingesetzt wird. Wir haben unseren
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INTERVIEW
Prof. Dr. med. Diego Kyburz, Chefarzt Rheumatologie, Universitätsspital Basel
PD Dr. med. Pascal Zufferey, Médecin Chef Service de rhumatologie, CHUV Lausanne
Prof. Dr. med. Burkhard Möller, Stv. Leiter Poliklinik, Universitätsklinik für Rheumatologie, Immunologie und Allergologie, Inselspital Bern
Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler, Leitender Arzt Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich
Assay an mehr als 300 Patienten getestet und nutzen ihn beispielsweise, wenn wir einen sekundären Wirksamkeitsverlust feststellen. Dann hilft das für die weiteren Therapieentscheidungen. Der im Übrigen recht preiswerte Test kann aber auch ein weiteres Argument für das Ausschleichen einer Therapie bei stabiler Remission sein. Auch wenn wir Zweifel an der Compliance eines Patienten haben, können Serumspiegel und Immunoassay mehr Klarheit bringen. Kyburz: Wir verwenden diese Tests noch nicht routinemässig. Bei sekundärem Wirkverlust würde es aber einen Sinn ergeben, die Medikamentenspiegel und die Anti-Antikörper zu bestimmen, um zu sehen, ob es wirklich die Anti-Antikörper sind, die für den Wirkverlust verantwortlich sind. Bei primärem Nichtansprechen ist es eigentlich egal. Da hat der Test keine Konsequenzen, denn man wird so oder so die Medikation wechseln müssen. Möller: Auch bei uns wird der Assay bis jetzt in einem eher überschaubaren Rahmen verwendet. Es ist bei nicht zufriedenstellender Wirkung eine Möglichkeit zu sehen, inwieweit eigentlich das Wirkprinzip des Medikaments noch funktionieren sollte oder eben nicht. Wenn ich sehe, dass es ein AntiAntikörper-Problem ist und der Patient vorher unter einem TNF-Blocker richtig gut eingestellt war, dann wähle ich einen anderen, und zwar einen, der dem ersten möglichst unähnlich ist. Es kann aber auch sein, dass die Krankheit ihren Charakter verändert hat und das ursprüngliche Problem, nämlich zum Beispiel ein bestimmtes Zytokin überexprimiert zu haben, gar nicht mehr relevant ist. Dann wechselt man zu einem anderen Wirkprinzip. Aber an eine routinemässige Bestimmung der Parameter wird derzeit nicht gedacht.
ARS MEDICI: Aber wissenschaftlich wäre es doch interessant ... Zufferey: Die Tests eröffnen neue Perspektiven, vor allem im Hinblick auf die möglichen Komedikationen. Wir hatten Patienten mit einem Biologikum in Monotherapie und einem plötzlichen Wirkverlust. Wir stellten hohe Anti-AntikörperLevel fest. Nach der zusätzlichen Gabe von Methotrexat verschwanden die Anti-Antikörper, und der Medikamentenspiegel
ging wieder hoch. Der ganz genaue Mechanismus dieses Phänomens ist nicht bekannt, der Effekt ist jedoch erstaunlich. Kyburz: Ja, wissenschaftlich ist es durchaus interessant. Wenn man bei sekundärer Wirkverminderung sieht, dass Antikörper vorhanden sind und sich der Talspiegel im mittleren bis tieferen Bereich befindet, könnte man eine Dosiserhöhung versuchen. Das könnte eine sinnvolle Situation sein. Auch bei der Reduktion der Therapie könnte es interessant sein. Wenn ein Patient gut angesprochen hat, denken wir darüber nach, die Dosis zu reduzieren oder abzusetzen. Mit einem Test würden wir sehen, ob es Antikörper gibt oder nicht. Wenn es keine gibt und der Talspiegel gut ist, könnten wir ohne Weiteres reduzieren. Da würde nichts dagegen sprechen. Wenn der Talspiegel sogar tief ist, dann könnte man das Medikament eventuell absetzen, bei geringem Risiko eines Krankheitsschubs.
ARS MEDICI: Wie sieht es in der Gastroenterologie aus? Rogler: In der Schweiz bestimmen wir die Anti-Antikörper und den Talspiegel, wenn ein Wirkverlust eingetreten ist oder wir einen Wirkverlust vermuten, das heisst, wenn Symptome trotz Therapie wieder auftauchen, persistieren oder nicht eindeutig der Erkrankung zugeordnet werden können. Also immer dann, wenn durch die Symptomatik Veranlassung besteht, an der Wirkung zu zweifeln.
ARS MEDICI: Welche Relevanz haben Anti-Antikörper und Talspiegel in Ihrem klinischen Alltag? Rogler: Das hat durchaus Relevanz, denn es stellt sich heraus, dass Patienten trotz gutem Talspiegel und trotz dem Fehlen neutralisierender Anti-Antikörper Symptome zeigen. Die Symptome müssen gar nichts mit der chronisch entzündlichen Darmerkrankung zu tun haben. Oder es gibt eben trotz suffizienter Therapie zwischendurch einen Schub, den man durch Reinduktion oder durch einen kurzen Steroidstoss abfangen kann. Das bedeutet: Aufgrund dieser AntiAntikörper-Bestimmung können wir entscheiden, ob ein Therapiewechsel sinnvoll ist.
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ARS MEDICI: Und wie sollte ein solcher Wechsel vollzogen werden? Rogler: Wenn Anti-Antikörper da sind und der Talspiegel niedrig ist, dann ist es bei jemandem, der vorher ein gutes Ansprechen hatte, vernünftig, auf eine andere Substanz innerhalb der Wirkklasse zu wechseln. Wenn jemand auf einen TNF-Antikörper sehr gut angesprochen hat, dann aber dagegen Antikörper entwickelt und der Talspiegel «weg» ist, dann wird man auf einen anderen TNF-Antikörper wechseln. Wenn hingegen jemand primär immer Symptome zeigt und nicht gut anspricht beziehungsweise wenn sich zeigt, dass trotz gutem Talspiegel immer noch Symptome vorhanden sind, würde man einen Klassenwechsel vornehmen, also zum Beispiel zu Anti-Integrinen wechseln. Für uns in der Gastroenterologie hat die Bestimmung von Anti-Antikörpern und Talspiegel einen hohen praktischen Stellenwert. Das ist für die Therapiestrategie mitentscheidend.
ARS MEDICI: Warum kommt es bei der Einschätzung dieser Tests zwischen Rheumatologie und Gastroenterologie zu solch einer Diskrepanz? Kyburz: In der Rheumatologie haben wir mehr Wechseloptionen. Wenn ein Wirkverlust eintritt, sind wir gezwungen, etwas zu tun. Man kann entweder die Dosis erhöhen oder auf ein anderes Medikament wechseln. Die Dosiserhöhungsoption wird in der Rheumatologie im Gegensatz zur Gastroenterologie nicht so häufig gewählt. Wenn nur ein oder zwei Medikamente zur Verfügung stehen, wird man den Medikamentenwechsel natürlich eher hinauszögern. Wenn Sie sechs oder sieben haben, ist es leicht zu wechseln, ohne dass man noch vorher die Anti-Antikörper bestimmen muss. Zufferey: Es stimmt schon, durch die vielen Therapieoptionen sind wir etwas verwöhnt. Auf der anderen Seite kann das Management einer entzündlichen Darmerkrankung komplizierter sein als das einer rheumatoiden Arthritis. Die Gastroenterologen sind also gezwungen, sich sehr intensiv mit allen verfügbaren Informationen auseinanderzusetzen. Allerdings existieren durchaus auch bei den Rheumatologen unterschiedliche Ansichten. Wir in Lausanne nutzen den Assay beispielsweise relativ häufig.
Rogler: Trotzdem ist mir nicht so ganz klar, warum man in der Rheumatologie oft «blind» behandelt. Ich will doch wissen, ob es einen ausreichenden Serumspiegel gibt. Wir haben immer Patienten, die zeigen ein gewisses, aber nicht ausreichendes Therapieansprechen. Da will ich doch erfahren, ob ich mit der Dosierung zu tief liege.
ARS MEDICI: Der Zwang, sich intensiver mit den Immunreak-
tionen der Patienten auseinanderzusetzen, bedeutet doch
auch, mehr Erfahrung zu sammeln ...
Kyburz: Natürlich werden wir von den Gastroenterologen ler-
nen. Ich bin mit Herrn Rogler einer Meinung, dass es sinnvoll
ist, in gewissen Situationen den Test zu machen. Wir verste-
hen dann mehr über die Wirkung oder Nichtwirkung eines
Medikaments, da möchte ich überhaupt nicht widerspre-
chen. Dass sich das dann wirklich in der Routinediagnostik
im Sinne eines Standards für jeden Patienten durchsetzt,
davon bin ich nicht überzeugt. Wenn die Patienten nämlich
gut ansprechen, was zum Glück häufig der Fall ist, gibt es kei-
nen Grund, den Test zu machen.
Möller: Für bestimmte Fragestellungen sind die Tests sicher
sinnvoll. Aber ich würde nicht im Traum darauf kommen,
jetzt jedes Vierteljahr von meinen Patienten die Antikörper
bestimmen zu lassen.
Zufferey: Natürlich kann ein Rheumatologe auch ohne Anti-
Antikörper- und Talspiegelmessungen einen guten Job
machen. Aber gerade in schwierigen Fällen kann dieses zu-
sätzliche Werkzeug schon sehr hilfreich sein. Wir bekommen
einen präziseren Blick. Allerdings werden auch diese Assays
nie alle Fragen beantworten können.
O
ARS MEDICI: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch wurde von Klaus Duffner geführt.
Organisation und Durchführung des Expertengesprächs wurden von AbbVie Schweiz finanziert; die Firma hatte keinen Einfluss auf den Inhalt des Beitrags.
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