Transkript
FORTBILDUNG
Therapie der ankylosierenden Spondylitis (Morbus Bechterew)
Neue Leitlinie des American College of Rheumatology
Das American College of Rheumatology hat neue, evidenzbasierte Empfehlungen für die Behandlung der ankylosierenden Spondylitis (Morbus Bechterew) und der nicht radiologischen axialen Spondyloarthritis veröffentlicht.
Arthritis & Rheumatology
Ziele bei der Behandlung der AS und der nicht radiologischen axialen SpA sind: O Symptomlinderung O Erhalt von spinaler Flexibilität und normaler Haltung O Reduktion funktioneller Einschränkungen O Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit O Reduktion von Krankheitskomplikationen.
Die ankylosierende Spondylitis (AS; Morbus Bechterew) ist eine chronisch entzündliche Arthritis, gekennzeichnet durch Sakroiliitis, Enthesitis und eine ausgeprägte Neigung zur Fusion von Sakroiliakalgelenken und Wirbelsäule. Die AS zählt zur Gruppe der Spondyloarthritiden (SpA), die gemeinsame klinische, genetische und immunologische Merkmale aufweisen. Innerhalb dieser Krankheitsgruppe zeichnet sich die AS durch eine universelle Beteiligung mit Entzündung oder Fusion der Sakroiliakalgelenke und einer häufiger vorliegenden spinalen Ankylose aus. Diese weiter fortgeschrittenen sakroiliakalen Veränderungen bilden den Kern der modifizierten New-York-Klassifikationskriterien der AS. Es kann Jahre dauern, bis radiologische Veränderungen nachweisbar sind, was diese Klassifikationskriterien limitiert, weil Patienten in frühen Krankheitsstadien potenziell ausgeschlossen werden. Kürzlich schlug die Assessment of SpondyloArthritis international Society Klassifikationskriterien vor, die sich auf Patienten sowohl in frühen als auch in späteren Krankheitsstadien anwenden lassen und unter dem Oberbegriff «axiale Spondyloarthritis» (SpA) zusammengefasst werden. In dieser Klassifikation kennzeichnet die Bezeichnung «nicht radiologische axiale SpA» Patienten mit chronischen Rückenschmerzen sowie Merkmalen, die für eine SpA sprechen, aber nicht die Klassifikationskriterien für AS erfüllen.
Die wichtigsten therapeutischen Eckpfeiler sind nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) und Bewegungstherapie, wobei zusätzlich SAARD (slow-acting antirheumatic drugs; langsam wirkende Antirheumatika) bei Patienten mit peripherer Arthritis gegeben wurden. In den letzten 15 Jahren hat sich die Behandlung der AS aufgrund der Verfügbarkeit von Tumor-Nekrose-FaktorInhibitoren (TNF-I) erheblich verändert. In jüngster Zeit wurden weitere Biologika entwickelt. Da nun mehr Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen, sind Empfehlungen erforderlich, um die Betreuung der betroffenen Patienten zu optimieren. Daher hat das American College of Rheumatology in Zusammenarbeit mit der Spondylitis Association of America und mit dem Spondyloarthritis Research and Treatment Network kürzlich eine neue Leitlinie zur Therapie von Patienten mit AS oder nicht radiologischer axialer SpA erarbeitet. Zunächst wurden relevante Fragen zur Therapie formuliert und eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken OVID Medline, PubMed und in der Cochrane Library durchgeführt. Mithilfe der Kriterien von GRADE (Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation) beurteilten die Autoren die Qualität der Evidenz. Eine separate Arbeitsgruppe überprüfte die Evidenz erneut und stimmte über die Empfehlungen zu jeder Frage unter Anwendung der GRADE-Prinzipien ab.
MERKSÄTZE
O In den letzten Jahren hat sich das Therapiespektrum bei ankylosierender Sponylitis und nicht radiologischer axialer Spondyloarthritis erweitert.
O Das American College of Rheumatology hat kürzlich neue Therapieempfehlungen vorgelegt, die unter anderem den Einsatz von NSAR, TNF-Inhibitoren und (lokalen) Glukokortikoiden betreffen.
Empfehlungen für Patienten
mit aktiver ankylosierender Spondylitis
Zu den starken Empfehlungen der Leitlinienautoren zählen folgende Massnahmen: O Gabe von NSAR bei aktiver AS O Einsatz von TNF-I, wenn die Krankheitsaktivität trotz
NSAR-Behandlung persistiert O keine Anwendung systemischer Glukokortikoide bei akti-
ver AS O physikalische Therapie O Hüftarthroplastik bei Patienten mit fortgeschrittenen
Hüftveränderungen.
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FORTBILDUNG
Als abgeschwächte Empfehlungen wurden ausgesprochen: O Bei Patienten mit aktiver AS ist die kontinuierliche Be-
handlung mit NSAR der Gabe nach Bedarf vorzuziehen. O Bei Erwachsenen mit aktiver AS trotz NSAR-Therapie
wird von der Gabe von SAARD abgeraten. O Bei Erwachsenen mit aktiver AS wird kein bestimmter
TNF-I als bevorzugte Option empfohlen. Eine Ausnahme bilden Patienten mit begleitender entzündlicher Darmerkrankung oder Patienten mit rezidivierender Iritis; bei diesen sollten als TNF-I monoklonale Antikörper eingesetzt werden. O Wenn der zuerst verabreichte TNF-I bei Patienten mit aktiver AS nicht greift, sollte als nächster Schritt ein anderer TNF-I eingesetzt werden. O Bei Erwachsenen mit isolierter aktiver Sakroiliitis trotz NSAR-Therapie werden lokal verabreichte Glukokortikoide empfohlen (Gelenkinjektionen). O Bei AS-Patienten mit stabiler axialer Erkrankung und aktiver Enthesitis trotz NSAR-Therapie werden lokal verabreichte Glukokortikoide empfohlen. Peritendinöse Injektionen an den Achilles-, Patellar- und Quadrizepssehnen sollten vermieden werden. O Bei erwachsenen AS-Patienten mit stabiler axialer Erkrankung und aktiver peripherer Arthritis trotz NSAR-Therapie wird die lokale Glukokortikoidgabe empfohlen. O Bezüglich physikalischer Therapie sind aktive Massnahmen (überwachte Übungen) gegenüber passiven Interventionen wie Massage, Ultraschall oder Wärmeanwendungen zu bevorzugen. O Physiotherapie im Trockenen ist gegenüber Physiotherapie im Wasser zu bevorzugen.
Empfehlungen für Patienten
mit stabiler ankylosierender Spondylitis
Auch für Patienten mit stabiler AS sprechen die Autoren eine starke Empfehlung für physikalische Therapie aus. Im Übrigen gibt es für diese Patientengruppe nur abgeschwächte Empfehlungen: O Eine NSAR-Gabe bei Bedarf ist gegenüber einer kontinu-
ierlichen NSAR-Therapie zu bevorzugen. O Bei Patienten, die sowohl NSAR als auch einen TNF-I
erhalten haben, sollte bei stabiler AS eine weitere Monotherapie mit dem TNF-I erfolgen (und nicht eine kombinierte Behandlung mit NSAR plus TNF-I). O Wurden TNF-I und SAARD kombiniert gegeben, sollte bei stabiler AS eine Monotherapie mit dem TNF-I fortgesetzt werden.
Empfehlungen für Patienten mit aktiver oder stabiler
ankylosierender Spondylitis
Von spinalen Manipulationen bei Patienten mit aktiver oder stabiler AS und spinaler Fusion oder fortgeschrittener spinaler Osteoporose raten die Autoren ab (starke Empfehlung). Als abgeschwächte Empfehlungen wurden formuliert: O Die Krankheitsaktivität sollte mit einem validierten AS-
Instrument in regelmässigen Abständen überprüft werden. O Ebenso sollte regelmässig der CRP-Wert oder die Blut-
senkungsgeschwindigkeit kontrolliert werden. O Patienten mit aktiver oder stabiler AS sollten eigenverant-
wortlich Übungen für den Rücken durchführen.
Empfehlungen für AS-Patienten mit spezifischen
Beeinträchtigungen oder Komorbiditäten
Starke Empfehlungen: O Bei AS-Patienten mit fortgeschrittener Hüftbeteiligung
wird eine totale Hüftarthroplastik empfohlen. O Bei Erwachsenen mit AS und akuter Iritis sollte eine Behand-
lung durch den Augenarzt erfolgen, um Schweregrad, Dauer oder Komplikationen von Iritisepisoden zu reduzieren. O Bei Erwachsenen mit AS und entzündlicher Darmerkrankung empfehlen die Autoren, als TNF-I den Einsatz von monoklonalen Antikörpern gegenüber einer Behandlung mit Etanercept vorzuziehen.
Abgeschwächte Empfehlungen: O Bei Erwachsenen mit AS und schwerer Kyphose sprechen
sich die Leitlinienautoren gegen eine elektive spinale Osteotomie aus. (Das Gremium war der Ansicht, dass die Risiken des Eingriffs bei den meisten Patienten den potenziellen Nutzen überwiegen. Im Einzelfall kann jedoch ein solcher Eingriff erwogen werden.) O Bei Erwachsenen mit AS und rezidivierender Iritis wird die Verschreibung von topischen Glukokortikoiden zur umgehenden häuslichen Anwendung bei Augensymptomen empfohlen, um den Schweregrad oder die Dauer von Iritisepisoden zu reduzieren. O Bei Erwachsenen mit AS und rezidivierender Iritis empfehlen die Autoren, Infliximab oder Adalimumab einer Behandlung mit Etanercept vorzuziehen, um Iritisrezidive zu vermindern. O Bei Erwachsenen mit AS und entzündlicher Darmerkrankung empfehlen die Autoren kein spezielles NSAR als bevorzugte Option, um das Risiko einer Verschlechterung der entzündlichen Darmerkrankung zu reduzieren.
Empfehlungen für Patienten mit nicht radiologischer
axialer Spondyloarthritis
Da die nicht radiologische axiale SpA erst kürzlich definiert wurde, gibt es hierzu noch nicht viel Literatur. Die Autoren formulierten folgende abgeschwächte Empfehlung: O Bei Erwachsenen mit aktiver nicht radiologischer axialer SpA
trotz NSAR-Therapie wird die Gabe eines TNF-I empfohlen.
Individuelle Therapieentscheidung
Abschliessend weisen die Autoren darauf hin, dass diese
Empfehlungen zwar häufig auftretende klinische Situationen
aufgreifen können, dass Therapieentscheidungen jedoch
unter Berücksichtigung des jeweiligen klinischen Bildes, der
Vorgeschichte und der Präferenzen des Patienten individuell
getroffen werden müssen. Daher setzt die Anwendung dieser
Empfehlungen eine sorgfältige Untersuchung des Patienten
und eine solide klinische Beurteilung voraus.
O
Andrea Wülker
Quelle: Ward MM et al.: American College of Rheumatology/Spondylitis Association of America/Spondyloarthritis Research and Treatment Network 2015 recommendations for the treatment of ankylosing spondylitis and nonradiographic axial spondyloarthritis. Arthritis Rheumatol 2015, Sep 24; DOI: 10.1002/ART.39298.
Interessenlage: Die Autoren geben an, Berater- und Referentenhonorare von verschiedenen (Pharma-)Unternehmen erhalten zu haben.
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