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STUDIE REFERIERT
Venöse Thrombembolien bei hormonbehandelten Frauen
Literaturstudie vergleicht VTE-Risiko von verschiedenen Kontrazeptiva und HET-Präparaten
Bei Frauen ist bei Einnahme von kombinierten oralen Kontrazeptiva, bestehend aus Östrogen und Gestagen, sowie unter einer Hormonersatztherapie (HET) das Risiko erhöht, dass es zu einer venösen Thrombembolie (VTE) kommt. Eine aktuelle Literaturstudie hat die verschiedenen zur Kontrazeption und zur HET verfügbaren Präparate im Hinblick auf eine mögliche Assoziation mit dem erstmaligen oder wiederholten Auftreten von VTE miteinander verglichen und versucht, daraus entsprechende Therapieempfehlungen abzuleiten.
British Medical Journal
Mit einer jährlichen Gesamtinzidenz von 1/1000 und einer geschätzten Mortalität von 370 000 Todesfällen pro Jahr in sechs europäischen Ländern ist die venöse Thrombembolie (VTE) ein häufiges Krankheitsbild. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines wiederkehrenden thrombotischen Ereignisses beträgt etwa 20 bis 30 Prozent in zehn Jahren und ist in den auf eine Un-
terbrechung einer Antikoagulationstherapie folgenden Monaten am höchsten. Eine niederländische Arbeitsgruppe hat im Rahmen einer Literaturrecherche untersucht, in welcher Weise sich einzelne Kontrazeptiva beziehungsweise therapeutische Hormone oder deren jeweilige Kombinationen hinsichtlich des VTE-Risikos voneinander unterscheiden.
MERKSÄTZE
O Zur Kontrazeption bei Frauen, die eine VTE durchgemacht haben, sollten entweder nicht hormonelle Methoden oder aber intrauterine Levonorgestrelpräparate, die Gestagenminipille oder ein subkutanes Gestagenimplantat zum Einsatz kommen; kombinierte orale Kontrazeptiva und injizierbare Gestagene sind zu meiden.
O Postmenopausale Frauen mit starken vasomotorischen Symptomen können mit transdermalen Östrogenen, mit oralem Dihydrogesteron, mikronisiertem Progesteron oder, bei intaktem Uterus, mit Medroxyprogesteron behandelt werden.
O Bei Menorrhagie kann ein levonorgestrelhaltiges Intrauterinpräparat oder die Gestagenminipille zum Einsatz kommen.
Risiko für wiederkehrende VTE
Eine prospektive Kohortenstudie hat gezeigt, dass die wichtigsten Vertreter kombinierter Kontrazeptiva, und hier insbesondere eine levonorgestrelhaltige dreiphasische Antibabypille (absolutes Risiko: 13,9%/Jahr), mit einem erhöhten Rekurrenzrisiko für VTE assoziiert sind. Frauen mit einer VTE-Vorgeschichte sollten daher kombinierte orale Kontrazeptiva meiden. Eine retrospektive Kohortenstudie kam zum Ergebnis, dass orales Gestagen allein (3,3%/Jahr vs. 2,5%) das Risiko eines Wiederauftretens von VTE nicht erhöht. Und eine weitere prospektive Kohortenstudie berichtete über lediglich bei Verwendung injizierbarer Präparate auftretende rekurrierende VTE unter alleiniger Gestagengabe. Obwohl die Datenlage insgesamt eher schwach ist, bestehen Hinweise darauf, dass Frauen, die eine VTE durchgemacht hatten, Gestagen zwar als Minipille einnehmen können, es in injizierter Form jedoch nicht verwenden sollten.
Risiko für erstmals auftretende VTE
Das Risiko für eine neu auftretende VTE wird für Frauen ohne jegliche hormonelle Kontrazeption mit 0,02% pro Jahr angegeben. Verwenden Frauen eine Pille mit einem ZweitgenerationsGestagen wie Levonorgestrel, beträgt ihr Risiko, erstmals eine VTE zu erleiden, etwa 0,06 Prozent pro Jahr und ist damit geringer als wenn Dritt- oder Viertgenerationssubstanzen wie Gestoden, Desogestrel oder Drospirenon (0,07–0,10%/Jahr) zum Einsatz kommen. Das geringste Risiko für ein erstmaliges VTE-Ereignis (0,029%/Jahr) ergab sich unter Verwendung eines 30 bis 40 µg Ethinylestradiol und Norethisteron enthaltenden Präparats. Das Risiko scheint mit der Ethinylestradioldosis zuzunehmen. Obwohl also kombinierte orale Kontrazeptiva das VTERisiko erhöhen, ist das absolute Risiko eines erstmals auftretenden entsprechenden Ereignisses dennoch als gering einzuschätzen. Orales Gestagen allein oder auch Levonorgestrel-Intrauterinpräparationen scheinen das Risiko für neu auftretende VTE dagegen nicht zu erhöhen. Gemäss den Medical Eligibility Criteria der World Health Organization (WHO) von 2015 überwiegt der Nutzen injizierbarer Gestagenpräparationen (Medroxyprogesteron) deren Risiken sowohl bei Frauen mit als auch bei solchen ohne VTE-Vorgeschichte. Es gibt allerdings Daten aus kleineren Fallkontrollstudien, denen zufolge das Risiko für erstmals auftretende VTE unter injizierbaren Gestagenen doch erhöht ist. Auch bei Verwendung transdermaler ethynilestradiol- beziehungsweise norelgestrominhaltiger Patches bestehen Hinweise aus kleineren Untersuchungen für ein assoziiertes erhöhtes VTERisiko (0,097%/Jahr resp. 0,053%/Jahr). Der eine Kombination aus Ethynilestradiol und Etonogestrel enthaltende Vaginalring scheint das Risiko ebenfalls zu erhöhen (0,0078%/Jahr).
Welche Kontrazeption für Frauen
mit VTE-Vorgeschichte?
Da sie das Risiko für ein Wiederauftreten von VTE erhöhen, sollten kombinierte orale Kontrazeptiva bei Frauen, die eine VTE durchgemacht haben, gemieden werden. Erste Wahl sind in diesen Fällen wirksame, nicht hormonelle Präparate wie kupferhaltige Intraute-
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rinpessare oder Spiralen. Sind diese individuell nicht geeignet, wird für Frauen, welche nach einer VTE die Kontrazeption fortsetzen möchten, ein levonorgestrelhaltiges Intrauterinpräparat empfohlen. Eine andere Option wäre die Gestagenminipille, mit der sich in Studien weder für neu auftretende noch für wiederkehrende VTE ein erhöhtes Risiko nachweisen liess. Die Wirksamkeit und die Compliance können mit oralen Gestagenen allerdings geringer sein als mit einem intrauterinen Levonorgestrelpräparat.
Therapeutische
Hormonersatztherapien
Für postmenopausale Frauen mit starken vasomotorischen Symptomen (Hitzewallungen, nächtliches Schwitzen) ist eine systemische Östrogentherapie am effektivsten. Eine vorzeitig abgebrochene, randomisierte, kontrollierte Studie zum Risiko vom wiederkehrenden VTE bei Frauen nach der Menopause gab Hinweise darauf, dass Patientin-
nen, die orales Östradiol (2 mg) in Kombination mit Norethisteronacetat (1 mg) eingenommen hatten, ein höheres VTE-Rekurrenzrisiko (8,5%/Jahr, 95-Konfidenzintervall [KI]: 2,6–14,4%) hatten als Frauen unter Plazebo. Jedoch war es in einer Kohortenstudie unter einer Therapie mit transdermalem Östrogen mit oder ohne Gestagen nicht zu einem vermehrten Wiederauftreten von VTE gekommen (absolutes Risiko: 1,3%/Jahr mit transdermalem Östrogen vs. 1,1% ohne; Hazard Ratio [HR]: 0,9; 95%-KI: 0,4–2,1), unter oralem Östrogen in allerdings lediglich einzelnen Fällen dagegen schon. Auch das Risiko erstmals auftretender VTE zeigte sich in einer Fallkontrollstudie unabhängig von einer transdermalen Östrogentherapie. Daher wird diese trotz der derzeit diesbezüglich noch kaum stringenten Datenlage für Frauen mit starken menopausalen Symptomen empfohlen. Frauen mit intaktem Uterus sollten zusätzlich Gestagene zum Schutz der Gebärmutter-
schleimhaut erhalten. Orales Dydro-
gesteron (10 mg für 14 Tage pro
Monat), orales Medroxyprogesteron
(5–10 mg für 14 Tage pro Monat) und
mikronisiertes Progesteron (200 mg für
12–14 Tage pro Monat) scheinen das
VTE-Rekurrenz-risiko nicht zu erhöhen.
Für Frauen, die unter seltenen, mit
einem Mangel an weiblichen Sexual-
hormonen einhergehenden Störungen
wie idiopathischer hypogonadotroper
Hypogonadismus, Hypophysenadeno-
me, Kallmann-, Sheehan- oder Turner-
Syndrom leiden, wird eine Therapie mit
transdermalem Östrogen in Kombina-
tion mit oralem Gestagen oder mit
einem intrauterinen Levonorgestrel-
präparat empfohlen.
O
Ralf Behrens
Quelle: Stam-Slob MC et al.: Contraceptive and hormonal treatment options for women with history of venous thromboembolism. BMJ 2015; 351: h4847.
Interessenkonflikte: Einer der Autoren der Studie hat als Berater und Dozent für Hersteller reproduktionsmedizinischer Präparate gearbeitet.
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