Transkript
STUDIE REFERIERT
«Nur» Reizdarm oder doch eine entzündliche Darmerkrankung?
Eine Metaanalyse untersucht den diagnostischen Nutzen von Biomarkertests bei gastrointestinalen Beschwerden
Patienten mit typischer Reizdarmsymptomatik werden häufig im Ausschlussverfahren einer vielfältigen Diagnostik unterzogen, um keine chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED) zu übersehen. Dabei wird keiner der verfügbaren Biomarkertests auf Vorliegen einer CED derzeit zur routinemässigen Anwendung empfohlen. Daran dürfte sich auch so schnell nichts ändern: Eine US-amerikanische Metaanalyse bescheinigt den Tests eine lediglich geringe bis mässige klinische Aussagekraft.
American Journal of Gastroenterology
Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist eine weit verbreitete symptombasierte Störung, die durch abdominelle Beschwerden und eine veränderte Darmtätigkeit charakterisiert ist. Dieser typischen Symptomatik können unter Umständen jedoch auch eine Reihe organischer Krankheiten zugrunde liegen, darunter die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Obwohl Letztere im Vergleich mit dem RDS relativ selten sind, bestehen sowohl bei Patienten mit Reizdarmsymptomen als auch bei Praktikern oder Gastroenterologen vielfach Bedenken, ob nicht doch eine
MERKSÄTZE
O Keiner der in der Metaanalyse untersuchten Biomarker war in der Lage, verlässlich zwischen dem Vorliegen eines Reizdarmsyndrom und gesunden Kontrollen zu unterscheiden.
O Gemessene Spiegel von C-reaktivem Protein von ≤ 0,5 mg/dl und von fäkalem Calprotectin von ≤ 40 µg /g können das Vorliegen einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung ausschliessen.
O Erythrozytensedimentationsrate und fäkales Laktoferrin erbrachten keinerlei klinischen Nutzen.
CED hinter den Beschwerden stecken könnte. Zudem ergeben sich aus einer Fehldiagnose eines RDS bei einem CED-Patienten womöglich nicht nur erhebliche klinische, sondern für behandelnde Ärzte auch juristische Konsequenzen. Daher verwundert es nicht, dass das RDS von vielen Medizinern als Ausschlussdiagnose angesehen wird, für die zunächst mannigfaltige diagnostische Tests durchgeführt werden, um grösstmögliche Sicherheit zu erhalten. Dies, obwohl die Guidelines bei Patienten mit typischen Symptomen, aber ohne Alarmzeichen (offensichtliche gastrointestinale Blutungen, unerklärbare Eisenmangelanämie, unbeabsichtigter Gewichtsverlust, Symptombeginn nach dem 50. Lebensjahr oder nächtliche Diarrhö bzw. IBD, Kolorektalkarzinom oder Zöliakie in der Familienanamnese) eine ausgiebige Diagnostik, um ein RDS relativ sicher feststellen zu können, eigentlich gar nicht vorsehen: Allein ein routinemässiges serologisches Screening auf Zöliakie bei Patienten mit diarrhöprädominantem oder gemischt ausgeprägtem RDS sowie Darmmukosabiopsien zur Untersuchung auf mikroskopische Kolitis im Zuge einer Koloskopie bei Patienten mit diarrhöprädominantem RDS werden vom American College of Gastroenterolgy empfohlen.
Ersehnt: ein preiswerter Test, der
hilft, zwischen RDS, CED und gesun-
den Kontrollen zu unterscheiden
Aus diesem Blickwinkel heraus erscheint ein einfaches, kostengünstiges Hilfsmittel wünschenswert, mit dem sich eine CED bei Patienten mit Verdacht auf RDS ausschliessen liesse. Als Biomarkerkandidaten für ein Screening auf Vorstufen einer systemischen entzündlichen Reaktion kommen gewebeund stuhlbasierte sowie serologische Tests in Frage; kommerziell erhältlich sind derzeit der CRP (C-reaktives Protein)- und der ESR (Erythrozytensedimentationsrate)-Test (serologisch) sowie der Calprotectin- und der LaktoferrinText (stuhlbasiert). Die Aussagekraft dieser Tests hinsichtlich einer Diskriminierung zwischen gesunden Individuen auf der einen sowie Patienten mit bestätigter CED oder solchen mit RDS auf der anderen Seite ist in der Vergangenheit in einer Reihe von Studien untersucht worden, die in dem hier referierten systematischen Review mit Metaanalyse zusammengefasst wurden. Zu diesem Zweck hat eine US-amerikanische Wissenschaftlergruppe der University of Michigan, Ann Arbor, und der Columbia University, New York, eine umfangreiche Datenbankrecherche in Medline, EMBASE, Cochrane Library, Web of Science und PubMed durchgeführt sowie auch die Bibliografien der grossen internationalen gastroenterologischen Kongresse nach relevanten Studien durchsucht. Gemäss den Einschlusskriterien handelte es sich bei den in die Analyse einbezogenen, durchwegs prospektiven diagnostischen Kohortenstudien mit CRP, ESR sowie fäkalem Calprotectin und Lactoferrin um 1. Untersuchungen an Erwachsenen
mit bestätigter CED-Diagnose oder mit RDS, beziehungsweise an gesunden Kontrollpersonen; 2. Studien, die den ELISA (enzymgekoppelter Immunabsorptions-Assay)Test auf fäkales Calprotectin und nicht den «Point-of-care»-Test verwendeten; 3. Studien, die die Manning- oder RomKriterien für die RDS-Diagnose heranzogen; 4. Untersuchungen, die ausreichend Daten (Mittelwerte und entweder deren Konfidenzintervalle, Interquartilsabstände oder Spannweite) bereitstellen.
1076 ARS MEDICI 22 I 2015
STUDIE REFERIERT
Von den ursprünglich insgesamt 1252 identifizierten Publikationen blieben nach detaillierter Analyse 67 Manuskripte und Abstracts übrig, von denen wiederum 12 Arbeiten (n = 2145; CED: 1059, RDS: 595, gesunde Kontrollen: 491) die Einschlusskriterien erfüllten. Zur statistischen Auswertung der Daten wurde der naive Bayes-Klassifikator eingesetzt, um auf Basis der BiomarkerMesswerte die jeweiligen Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, dass es sich bei den betreffenden Individuen um gesunde Kontrollen oder um Patienten mit CED oder RDS handelte.
Ermutigend: CRP und Calprotectin
bedingt nützlich
Die Metaanalyse der Daten ergab, dass keiner der untersuchten serologischen oder stuhlbasierten Biomarker einschliesslich CRP, ESR sowie fäkalem Calprotectin und Lactoferrin in der Lage war, zwischen Patienten mit RDS, mit CED oder gesunden Kontrollpersonen zu unterscheiden. Sowohl der CRP- wie auch der fäkale CalprotectinTest erwiesen sich allerdings als klinisch nützlich zum Ausschluss von CED. Bei den untersuchten serologischen Biomarkern deuteten niedrige CRPWerte sehr klar auf eine Abwesenheit von CED hin: Werte von 0,5 mg/dl oder darunter sagten eine Wahrscheinlichkeit von höchstens 1 Prozent für das
Vorliegen eines entzündlichen Geschehens voraus. Erhöhte CRP-Werte (> 1 mg/dl) wurden häufiger bei Patienten mit Morbus Crohn als bei solchen mit Colitis ulcerosa festgestellt, wobei zu beachten ist, dass bei CED-Patienten durchaus auch normale CRP-Werte möglich sind. Beim fäkalen Calprotectin ergab sich mit steigenden Messwerten eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von CED. Für Patienten mit Werten von weniger als 40 µg/g bestand dagegen eine maximal einprozentige Wahrscheinlichkeit für CED. Weder hohe noch niedrige Calprotectinwerte sind jedoch in der Lage, ein RDS auszuschliessen.
Ernüchternd: Erythrozytensedi-
mentationsrate und Lactoferrin
unbrauchbar
Für den häufig eingesetzten serologischen ESR-Test dagegen liess sich keinerlei Nutzen zur Unterscheidung zwischen CED- und RDS-Patienten feststellen. Der andere stuhlbasierte Biomarker, das fäkale Lactoferrin, war zwar geeigneter zur Vorhersage eines RDS als von CED, jedoch gab es zwischen beiden Erkrankungen signifikante Überlappungen, was diesen Test letztlich zum Ausschluss von CED bei Patienten mit RDS-Symptomen ebenfalls klinisch unbrauchbar macht.
Allerdings konnten nur zwei Studien
zum Lactoferrin-Test in die Metaana-
lyse einbezogen werden; aus dieser ein-
geschränkten Datenmenge liessen sich
letztlich auch nur begrenzt Schlüsse da-
hingehend ziehen, inwieweit die Lacto-
ferrinwerte geeignet sind, ein Vorliegen
von CED bei Patienten mit RDS-Symp-
tomen unwahrscheinlich erscheinen zu
lassen.
Zusammenfassend sehen die Autoren
der Metaanalyse, als deren Stärke sie
den Einbezug ausschliesslich prospekti-
ver Studien erachten, den CRP- und
den fäkalen Calprotectin-Test als geeig-
nete Hilfsmittel an, um bei Patienten
mit RDS-Symptomatik nach CED
zu fahnden. Zukünftige prospektive
Untersuchungen zum klinischen Nut-
zen und zur Kosteneffektivität dieser
Biomarkertests bei der Abklärung von
Personen mit Verdacht auf RDS halten
sie für wünschenswert.
O
Ralf Behrens
Menees S et al.: A meta-analysis of the utility of C-reactive protein, erythrocyte sedimentation rate, fecal calprotectin, and fecal lactoferrin to exclude inflammatory bowel disease in adults with IBS. Am J Gastroenterol 2015; 110(3): 444–454.
Interessenlage: Einer der Autoren der Metaanalyse arbeitet als Consultant für die Firma Salix Pharmaceuticals.
ARS MEDICI 22 I 2015
1077