Transkript
Xundheit in Bärn
POLITFORUM
INTERPELLATION vom 18.3.2015
60 Prozent der neuen Arzneimittel ohne Zusatznutzen, aber zu höheren Preisen?
Bea Heim Nationalrätin SP Kanton Solothurn
«Rund 60 Prozent aller neuen Arzneimittel ohne Zusatznutzen», das meldet das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Januar 2015. Das deutsche Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes verlangt eine Untersuchung neuer Wirkstoffe und Anwendungsgebiete von Arzneimitteln (AM) auf ihren Zusatznutzen. Dies als Grundlage für die Preisverhandlungen mit den Krankenkassen. Auch in der Schweiz stellt sich die Frage der Beurteilung des
therapeutischen Mehrwerts eines AM beim Aufnahmeverfahren für die Spezialitätenliste respektive für die Prüfung, welche Medikamente von der OKP zu welchem Preis zu vergüten sind. Die Kriterien richten sich nach Artikel 32 KVG. Pharmafirmen, schrieb die NZZ am 28. März 2014, legten ihren Gesuchen meist nur Vergleiche mit einem Plazebo bei statt mit einem Referenz-AM. Die Parlamentarische Verwaltungskontrolle S stellte fest, die Prüfung nach den WZW-Kriterien sei unzureichend präzisiert. Inzwischen hat der Bundesrat das Preisfestsetzungssystem im Bereich der AM per Verordnung, die ab 2015 gilt, weiterentwickelt, insbesondere betreffend die Kosten-Nut-
zen-Beurteilung. Wie ist das weitere Vorgehen, was ist in Zukunft zu erwarten? Ich bitte den Bundesrat um die Beantwortung folgender Fragen: 1. Seit wann werden in der
Schweiz AM und Wirkstoffe auf ihren Zusatznutzen geprüft, wie und mit welchen Ergebnissen? 2. Wenn das BAG AM, Wirkstoffe und Anwendungen auf den Zusatznutzen prüft, wie und welche Ergebnisse werden wo und für wen veröffentlicht? Wie setzt sich das Prüfgremium zusammen? 3. Wie lautet die Präzisierung der WZW-Kriterien im Arzneimittelbereich genau? 4. Müssen die Pharmafirmen ihren Gesuchen Vergleiche mit Referenz-AM beilegen?
5. Wie wirkt sich ein Referenzpreissystem auf AM ohne Zusatznutzen aus?
6. Wenn auch die Schweiz feststellt, dass ein Teil der neuen AM keinen Zusatznutzen haben, welches wären die möglichen Konsequenzen, generell und in Bezug auf das einzelne Mittel?
7. Wird das BAG prüfen, ob bei den vom IQWiG untersuchten AM ohne Zusatznutzen solche sind, die in der Schweiz auf der SLListe sind? Wenn ja und falls sich der Befund bestätigt, was sind die Konsequenzen?
8. Wie kann das BAG für die Vollständigkeit der Gesuche sorgen, wenn Pharmafirmen zum Teil Unterlagen mit negativen Ergebnissen nicht erwähnen und Ethikkommissionen nicht prüfen, ob alle Resultate der AM-Studien vorliegen?
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.
Dies die Antwort des Bundesrates vom 27.5.2015 (leicht gekürzt)
1.–3./6. Das BAG prüft vor Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste (SL) deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW). Die Wirtschaftlichkeit wird anhand des therapeutischen Quervergleichs (TQV) mit Arzneimitteln gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise und des Auslandpreisvergleichs beurteilt. Die Bewertung des Mehrnutzens erfolgt seit je unter Berücksichtigung der Kriterien der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit im Rahmen des TQV. Dabei wird ein Innovationszuschlag gewährt, wenn das Arzneimittel in der medizinischen Behandlung einen Fortschritt bedeutet. Die Gesuche werden der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) unterbreitet.
Die Anpassung des Preisfestsetzungssystems zielt unter anderem auf eine Verbesserung der Kosten-Nutzen-Beurteilung hin. Auch entsprechend den Empfehlungen der GPK-S hat das BAG ein entsprechendes Modell erarbeitet, das mit der Umsetzung des angepassten Preisfestsetzungssystems eingeführt wird. Die Beurteilung des Mehrnutzens drückt sich wie bis anhin in der Aufnahme in die SL sowie im Preis des Arzneimittels aus. Mit der Anpassung des Preisfestsetzungssystems wird auch eine Erhöhung der Transparenz angestrebt; das BAG wird zukünftig den wesentlichen Teil seiner Entscheidungsgrundlagen für die Versicherten und interessierte Kreise publizieren.
4. Im Rahmen des TQV muss wie bis anhin die therapeutische Äquivalenz zwischen angemeldetem Arzneimittel und dem Vergleichsarzneimittel von der Zulassungsinhaberin anhand von beigelegten klinischen Studien aufgezeigt werden.
5. Da für die Einführung eines Referenzpreissystems eine Revision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung erforderlich ist, werden die entsprechenden Arbeiten in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 in Angriff genommen. Es ist noch offen, wie das Referenzpreissystem ausgestaltet werden soll. Ganz grundsätzlich kann jedoch bereits jetzt Folgendes festgehalten werden: Der Bundesrat beabsichtigt, nur nicht patent-
geschützte Arzneimittel einem Referenzpreissystem zu unterstellen. Die Aufnahme von Arzneimitteln ohne Zusatznutzen in ein Referenzpreissystem kann sich aufgrund von deren Einteilung in Referenzpreisgruppen mit bereits älteren, patentabgelaufenen und somit kostengünstigeren Arzneimitteln vergleichbarer Indikation kostensenkend auswirken. Zu niedrige Preise für neue, patentgeschützte Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen können jedoch auch dazu führen, dass diese Arzneimittel nicht auf den Markt gebracht werden. Die Versorgung mit mehreren Wirkstoffen mit vergleichbarem Nutzen kann vereinzelt bei Unverträglichkeiten gegen einen Wirkstoff wichtig sein.
7. Es ist bereits gängige Praxis des BAG, Gutachten ausländischer Institutionen wie des Instituts für
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Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Deutschland, der Haute Autorité de la Santé (HAS) in Frankreich oder des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) in Grossbritannien, sofern bereits vorliegend, bei der Beurteilung miteinzubeziehen. Diese Praxis bleibt auch in Zukunft bestehen. Hingegen ist nicht geplant, die SL aufgrund der Beurteilungen des IQWiG systematisch zu prüfen. Es ist jedoch vorgesehen, neben anderen von der OKP vergüteten Leistungen mit Überprüfungsbe-
darf auch in der SL aufgeführte Arzneimittel oder Arzneimittelgruppen im Rahmen der verstärkten Nutzung von Health Technology Assessments einer Begutachtung zu unterziehen. Ferner sind teilweise fehlende direkte Vergleichsstudien bezüglich der gewählten Vergleichstherapie der Grund dafür, dass das IQWiG den Zusatznutzen eines Arzneimittels nicht beurteilen kann und dieses dann mit «kein Zusatznutzen» einstuft. Bestehen Hinweise, dass bei einem Arzneimittel oder einer Arzneimittelgruppe die WZW-Kri-
terien nicht mehr erfüllt sind, kann das BAG dies jederzeit überprüfen.
8. Das BAG stützt sich für die Beurteilung der Wirksamkeit und der Zweckmässigkeit grundsätzlich auf die Unterlagen ab, die für die Zulassung durch Swissmedic massgebend waren. Die Zulassung durch Swissmedic ist zudem Voraussetzung für die Aufnahme eines Arzneimittels in die SL. Falls die für die Beurteilung erforderlichen Unterlagen noch unvollständig sind, Resultate noch nicht vor-
liegen oder noch offene Fragen bestehen, können die WZW-Kriterien nicht definitiv beurteilt werden. In diesen Fällen kann das BAG das Gesuch auf einen späteren Termin zurückstellen oder bei vielversprechenden Arzneimitteln mit grosser medizinischer Bedeutung eine zeitlich befristete Aufnahme in die SL verfügen. Vor Ablauf der Befristung werden die WZW-Kriterien anhand nachgereichter definitiver Daten erneut überprüft.
POSTULAT vom 20.3.2015
Förderung der Blutstammzellenspende in der Schweizer Armee
Christophe Darbellay Nationalrat CVP Kanton Wallis
Ich bitte den Bundesrat zu prüfen, wieweit die Armee zu einer Verbesserung der Blutstammzellenspende beitragen könnte.
Begründung In der Schweiz erkranken jedes Jahr durchschnittlich 1000 Personen an einer Leukämie oder einer andern lebensbedrohenden Blutkrankheit. Für viele dieser kranken Personen ist eine Stammzellentransplantation die einzige Chance, um zu überleben. Die Stammzellen der Spenderin oder des Spenders müssen mit denjenigen der Empfängerin oder des Empfängers übereinstimmen. Deshalb wurde ein weltweites Register geschaffen. Das Register wird in der Schweiz von Swiss Blood Stem Cells (SBSC) geführt und enthält 50 000 potenzielle Spenderinnen und Spender. Diese müssen zunächst ein Formular ausfüllen und sich dann selber eine
Mundschleimhautprobe entnehmen, die anschliessend analysiert wird. Ergibt die Analyse eine Übereinstimmung mit den Gewebemerkmalen einer kranken Person, wird die Spenderin oder der Spender für eine Entnahme der Stammzellen kontaktiert. Die Blutstammzellenspende wird ambulant durchgeführt, entweder durch eine venöse Blutentnahme oder mittels Biopsie. Je umfassender das Register von SBSC ist, desto grösser ist die Chance für die Kranken, eine Spenderin oder einen Spender zu finden, deren Stammzellen für eine Transplantation geeignet sind. Die Schweiz verfügt glücklicherweise über eine Armee von jungen gesunden Milizsoldaten. Wieso also soll man diesen perfekt geeigneten Kandidaten nicht vorschlagen, bei der Erweiterung des Registers mitzumachen? Der Bataillonsarzt könnte ihnen in der Rekrutenschule die wissenschaftlichen Informationen über die Spende liefern. Ebenso könnte in dieser Zeit das Wattestäbchenset zur Entnahme der Mundschleimhaut abgegeben werden. Die Sets würde dann eingesammelt und vom Arzt an SBSC geschickt.
Stellungnahme des Bundesrates vom 20.5.2015
Eine wesentliche Verbesserung der Stammzellenspende durch die Armee kann nur mit einem Obligatorium erreicht werden. Für ein solches Obligatorium fehlt jedoch eine entsprechende gesetzliche Grundlage. Das Handeln des Staates beziehungsweise der Schweizer Armee muss jedoch auch für Armeeangehörige den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Bundesverfassung genügen. Die mit einem Obligatorium einhergehenden medizinischen Massnahmen tangieren das Grundrecht der persönlichen Freiheit und den Anspruch auf Datenschutz. Einschränkungen sind nur zulässig, wenn sie zur Ausführung des militärischen Auftrags erforderlich sind. Die geforderten Massnahmen gehen aber weit darüber hinaus und beeinträchtigen diese Grundrechte. Bezüglich der im Postulat vorgeschlagenen Tests fehlt es an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für einen derartigen Grundrechtseingriff. Nimmt man eine Beurteilung allein aus medizinischer Sicht vor, geht die Forderung des Postulats in die richtige Richtung. Die Stellungspflichtigen und Rekruten
stellen ein gesundes Reservoir für die Erfassung von Pools für die Stammzellen und andere medizinische Bedürfnisse dar. Es gehört aber nicht zum Auftrag der Armee, eine Kampagne zur Stammzellgewinnung gegenüber den Armeeangehörigen zu vertreten und umzusetzen. Die Armee orientiert sich bezüglich Public-Health-Kampagnen an den Aktivitäten des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), die aktiv unterstützt werden (z.B. Masernkampagne in den Rekrutierungszentren und Rekrutenschulen). Daher wird die Armee mit dem BAG prüfen, welche Kampagnen zur Stammzellgewinnung an der Rekrutierung beziehungsweise in der RS übernommen werden können. Die geltenden rechtlichen Grundlagen erlauben immerhin eine gute Information und Motivation zur Stammzellengewinnung, damit sich möglichst viele potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten ausser Dienst freiwillig den geforderten Stammzellentests stellen werden.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.
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