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STUDIE REFERIERT
Was lindert menopausale Symptome am besten?
Experten der amerikanischen Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) haben einen systematischen Review zur Effektivität verschiedener Therapeutika bei menopausalen Symptomen erstellt. Östrogene erwiesen sich als wirksamste Option zur Verbesserung vasomotorischer Symptome und der Lebensqualität. Die langfristige Anwendung kann allerdings mit ungünstigen Wirkungen verbunden sein. Bei psychischen und urogenitalen Beschwerden oder bei Schlafstörungen sind Östrogene ebenfalls wirksam, nicht hormonelle Alternativen schneiden hier jedoch ebenfalls günstig ab. Die Evidenz zu den Langzeitwirkungen dieser Substanzen ist begrenzt.
Agency for Healthcare Research and Quality
Die Menopause wird als dauerhafte Beendigung der Menstruation aufgrund der Funktionseinstellung der Ovarien definiert. Sie tritt zwölf Monate nach der letzten Blutung in einem durchschnittlichen Alter von 51 Jahren ein. Bei manchen Frauen wird die Menopause vorzeitig (unter 40 Jahren) oder frühzeitig (unter 45 Jahren) durch medizinische Interventionen wie eine bilaterale Ovariektomie, Chemotherapien oder Bestrahlungen induziert. Der Übergang in die Menopause ist zu Beginn durch unterschiedliche Zyklus-
MERKSÄTZE
O Östrogene weisen bei menopausalen Frauen die beste Wirksamkeit zur Verbesserung vasomotorischer Symptome und der Lebensqualität auf.
O Die Langzeitanwendung von Östrogen/Progesteron senkt das Risiko für osteoporotische Frakturen, erhöht jedoch das Risiko für Brustkrebs, Gallenblasenerkrankungen, venöse Thromboembolien und Schlaganfall.
O Bei Langzeitanwendung von Östrogen als Einzelsubstanz erhöht sich das Risiko für Gallenblasenerkrankungen, venöse Thromboembolien und Schlaganfall.
O Zur Behandlung von Dyspareunie und anderen sexuellen Beschwerden ist vaginales Östrogen am besten geeignet.
längen gekennzeichnet. Später folgen Phasen einer Amenorrhö, die 60 Tage oder länger andauern. Die Perimenopause bezeichnet die gesamte menopausale Übergangsphase und erstreckt sich bis zum Ende der ersten 12 Monate des postmenopausalen Stadiums. Als frühe Postmenopause gilt der etwa fünf bis acht Jahre andauernde Zeitraum von der letzten Menstruation bis zur Stabilisierung niedriger Östrogenspiegel. Etwa 85 Prozent aller Frauen leiden in unterschiedlichem und wechselndem Ausmass unter charakteristischen menopausalen Symptomen. Dazu gehören vasomotorische Symptome, Schlafstörungen, psychische Symptome, urogenitale Beschwerden und Störungen der Sexualfunktion. Aus longitudinalen Studien geht hervor, dass 30 bis 80 Prozent aller Frauen in der frühen Postmenopause unter Hitzewallungen und Schweissausbrüchen leiden. Bei etwa einem Drittel aller menopausalen Frauen kommt es zu depressiven Verstimmungen und bei mehr als 40 Prozent zu Schlafstörungen. Die vasomotorischen Beschwerden beginnen meist etwa zwei Jahre vor der letzten Menstruation, erreichen ihren Häufigkeits- und Intensitätshöhepunkt ein Jahr nach der letzten Monatsblutung und lassen dann allmählich wieder nach. In späteren Stadien der Postmenopause überwiegen dann urogenitale Symptome wie eine Harninkontinenz oder eine vaginale Atrophie. In Studien wurden Unterschiede der vasomotorischen Symptomatik in Abhän-
gigkeit von der Ethnie und dem BodyMass-Index (BMI) beobachtet. In einer grossen Metaanalyse untersuchten Wissenschaftler der amerikanischen Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) die relative Wirksamkeit der verfügbaren Präparate zur Behandlung menopausaler Symptome. Zunächst ermittelten sie anhand randomisierter kontrollierter Studien alle Therapieoptionen, mit denen die Symptome gelindert werden können, und führten bei ausreichender Datenlage eine Netzwerkmetaanalyse zum Vergleich der relativen Wirksamkeit durch. Anschliessend untersuchten sie die langfristigen Wirkungen einer Hormonersatztherapie (HRT) und nicht hormoneller Alternativen im Hinblick auf die Inzidenz koronarer Herzerkrankungen, Schlaganfällen, venöser Thromboembolien, Gallenblasenerkrankungen, osteoporotischer Frakturen oder Krebserkrankungen des Ovariums, der Brust und des Darms. Dazu werteten die Experten systematische Reviews, Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien aus.
Vasomotorische Symptome
Zur Behandlung vasomotorischer
Symptome identifizierten die Autoren
zahlreiche Substanzvergleiche mit Pla-
zebo. In den meisten Studien wurde die
Wirksamkeit von Östrogenen, Isofla-
vonen, selektiven Serotonin-Wieder-
aufnahmehemmern (selective serotonin
reuptake inhibitors, SSRI), selektiven
Serotonin-Noradrenalin-Wiederauf-
nahme-Hemmern (selective seroto-
nine-norepinephrine reuptake inhibi-
tors, SNRI), Gabapentin (Neurontin®
und Generika), Traubensilberkerze
und Ginseng untersucht.
Zur Linderung vasomotorischer Be-
schwerden erwiesen sich Östrogene
ungeachtet der Dosierung oder des Ap-
plikationswegs als wirksamer im Ver-
gleich zu den anderen Komparatoren.
In der Netzwerkmetaanalyse zeigten
sich nur geringe Unterschiede der Ef-
fektstärken von SSRI/SNRI, Isoflavo-
nen, Gabapentin, Traubensilberkerze
und Ginseng. In einem Ranking von 1
(Effektstärke am ausgeprägtesten) bis 9
erreichten die untersuchten Substanzen
folgende Werte:
hoch dosiertes Östrogen
1,9
Östrogen in Standarddosierung 1,3
niedrig dosiertes Östrogen
2,9
SSRI/SNRI
4,9
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ARS MEDICI 18 I 2015
STUDIE REFERIERT
Gabapentin Isoflavone Traubensilberkerze Ginseng Plazebo
5,6 5,9 6,7 7,0 8,9
Die Evidenz zur Wirksamkeit zahlreicher weiterer nicht verschreibungspflichtiger Optionen wie Johanniskraut, Rhapontik-Rhabarber, chinesischen Kräutern oder Mikronährstoffen im Vergleich zu Plazebo beschränkt sich auf Einzelstudien. Zudem war aufgrund der Studienheterogenität keine gepoolte Auswertung möglich.
Lebensqualität
Die therapeutischen Optionen zur Verbesserung der Lebensqualität umfassten Östrogene, Isoflavone, SSRI/SNRI, Ginseng, Traubensilberkerze und Dehydroepiandrosteron (DHEA; nicht im AK der Schweiz). In einer Netzwerkanalyse erwiesen sich Östrogene unabhängig vom Applikationsweg auch im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensqualität als die wirksamste Option. In den beiden grossen Studien WISDOM (Women’s International Study of Long Duration Oestrogen after the Menopause) und WHI (Women’s Health Inititiave) wurden allerdings keine Auswirkungen von Östrogenen auf die Lebensqualität beobachtet. Dies ist nach Ansicht der Autoren möglicherweise auf das höhere Alter der Teilnehmerinnen und weniger schwere Symptome oder auf unzureichende Instrumente zur Evaluierung der Lebensqualität zurückzuführen.
Psychische Beschwerden
In mehr als einem Drittel der Studien wurden die Behandlungsmöglichkeiten für psychische Symptome wie Depressionen, Ängste oder die gesamte psychische Verfassung evaluiert. Die Effektstärken der untersuchten Substanzen waren im Vergleich zu Plazebo nicht sehr ausgeprägt. Aus den Studien geht jedoch hervor, dass alle psychischen Symptome mit SSRI, SNRI und Östrogenen gelindert werden können.
Sexualfunktion
In ebenfalls etwa einem Drittel der Studien wurden menopausal bedingte Beeinträchtigungen des Sexuallebens und
die therapeutischen Möglichkeiten zur Linderung der Beschwerden untersucht. Vaginale Östrogene linderten Schmerzen beim Geschlechtsverkehr am besten. Mit oralen Östrogenen wurde jedoch ebenfalls eine Schmerzlinderung erzielt. Unter allen Östrogenen wurde eine Verbesserung des gesamten Sexuallebens beobachtet. Auch das sexuelle Interesse wurde durch Östrogene am ausgeprägtesten angeregt, mit SSRI/SNRI wurde dagegen nur eine geringfügige Zunahme erreicht. Unter Testosteron kam es im Vergleich zu Plazebo häufiger zu einem befriedigenden Sexualverkehr.
Urogenitale Atrophie
In etwa einem Viertel der Studien wurden Präparate zur Linderung der urogenitalen Atrophie untersucht. In den USA wurde der Östrogenagonist/-antagonist Ospemifen (nicht im AK der Schweiz) von der Food and Drug Administration (FDA) im Februar 2013 zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Dispareunie bei postmenopausalen Frauen zugelassen. In drei Studien linderte Ospemifen die Symptome der vulvovaginalen Atrophie. Vaginal applizierte Östrogene linderten diese Symptome jedoch ebenfalls wirksam, während Isoflavone eine geringere Wirksamkeit aufwiesen.
Schlafstörungen
Beruhigungs- und Schlafmittel werden zur Behandlung menopausal bedingter Schlafstörungen üblicherweise nicht angewendet. Diese Wirkstoffe wurden in den meisten Studien deshalb auch nicht untersucht. Die Wirksamkeit des von der FDA zugelassenen Eszopiclon (nicht im AK der Schweiz) wurde nur in einer Studie geprüft. Im Vergleich zu Plazebo war die Substanz etwa dreimal wirksamer als Östrogen, SSRI, Gabapentin, Isoflavone oder Ginseng.
Hormonersatztherapie –
Langzeiteffekte
Viele menopausale Frauen erhalten zur Linderung ihrer Beschwerden längerfristig eine Monotherapie mit Östrogen oder eine Kombinationsbehandlung mit verschiedenen Hormonen. Unter der Kombination Östrogen/Progesteron wurde die Inzidenz von osteoporosebedingten Frakturen reduziert, das Risiko für Brustkrebs, Gallenblasen-
erkrankungen, venöse Thromboembolien, Schlaganfall und koronare Herzerkrankungen nahm jedoch zu. Unter Östrogen allein wurde das Risiko für osteoporotische Frakturen bei unverändertem Brustkrebsrisiko ebenfalls gesenkt. Allerdings wurde unter der Östrogenmonotherapie ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Gallenblasenerkrankungen, venöse Thromboembolien und Schlaganfall beobachtet.
Langzeitwirkungen nicht hormo-
neller Alternativen
Die Evidenz zu den Langzeitrisiken
nicht hormoneller Behandlungsalterna-
tiven wie Vitamin E, SSRI und Isoflavo-
nen ist begrenzt. Für ihren Review wer-
teten die Experten grosse Studien zur
Wirksamkeit von Vitamin E, kleine
Studien zu Isoflavonen und Beobach-
tungsstudien zu Antidepressiva aus. In
einigen Studien mit Antidepressiva
wurde nicht zwischen verschiedenen
Substanzklassen unterschieden. Diese
Untersuchungen entsprachen deshalb
nicht den Einschlusskriterien für den
Review.
Nach Ansicht der Experten geht aus
den ausgewerteten Studien hervor, dass
von Vitamin E, Antidepressiva und Iso-
flavonen zwar keine bedeutsame Wirk-
samkeit, aber auch keine schädigenden
Langzeitwirkungen zu erwarten sind.
Bei der Anwendung einzelner Substan-
zen ist möglicherweise dennoch Vor-
sicht geboten. So fanden die Experten
Hinweise auf eine erhöhte Mortalität
unter Vitamin E sowie Fallberichte zu
einer potenziellen Lebertoxizität von
Traubensilberkerze-Präparaten. Für das
weitere breite Spektrum an Kräutern
und Pflanzeninhaltsstoffen, das zur
Behandlung menopausaler Beschwer-
den angeboten wird, sind nach Ansicht
der Autoren noch Sicherheitsdaten
erforderlich.
O
Petra Stölting
Grant MD et al.: Menopausal Symptoms: Comparative Effectiveness of Therapies. Comparative Effectiveness Review No. 147. (Prepared by Blue Cross and Blue Shield Association Technology Evaluation Center Evidence-based Practice Center under Contract No. 290-2007-10058-I.) AHRQ Publication No. 15-EHC005-EF. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality; March 2015. www.effectivehealthcare.ahrq.gov/reports/final.cfm.
Interessenlage: Die Studienautoren haben keine Interessenkonflikte deklariert.
ARS MEDICI 18 I 2015
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