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BERICHT
Häufig ein Paar: Hypogonadismus und Typ-2-Diabetes
Typ-2-Diabetes ist häufig mit Hypogonadismus assoziiert. Nach gründlicher Diagnostik kann eine Testosteronsubstitution empfehlenswert sein.
Claudia Borchard-Tuch
«Typ-2-Diabetes und metabolisches Syndrom sind sehr häufig mit einem Androgenmangel assoziiert», sagte Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden, an einem Symposium im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung «Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos». Nach ihren Angaben findet sich bei 25 bis 50 Prozent der männlichen Typ-2-Diabetiker ein Hypogonadismus. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass niedrige Testosteronspiegel die Insulinresistenz fördern. Zum anderen erhöht jedoch ein Androgenmangel das Risiko,
MERKSÄTZE
O Die Häufigkeit eines mit Typ-2-Diabetes assoziierten Androgenmangels wird in der Praxis oft unterschätzt.
O Charakteristische Symptome eines Testosteronmangels sind Abnahme der Libido, Erektionsstörungen und depressive Stimmungslage.
O Bei Verdacht auf einen Hypogonadismus sollten zunächst Testosteron, LH und FSH bestimmt werden, bei erniedrigtem Gesamttestosteron zusätzlich SHBG.
O Beim adipösen Typ-2-Diabetiker sollte der erste Behandlungsschritt die Gewichtsabnahme sein.
O Bei weiterhin bestehendem Testosteronmangel ist die Substitution eine mögliche Therapieoption.
Diabetes mellitus zu entwickeln, so Professor Dr. med. Günther Karl Stalla, München. Daher könnte der Androgenmangel auch Folge der Dysglykämie sein. In den amerikanischen Leitlinien wird für Männer mit Typ-2-Diabetes beziehungsweise Adipositas das Erwägen einer Testosteronbestimmung bereits empfohlen.
Formen des Hypogonadismus
Männlicher Hypogonadismus ist als endokrine Funktionsstörung der Hoden definiert, die zu einem Testosteronmangel führt. In Abhängigkeit vom Ort der Schädigung unterscheidet man zwischen primärem, sekundärem und tertiärem Hypogonadismus. Bei primärem Hypogonadismus ist die Produktion des Testosterons in den Leydig-Zellen des Hodens gestört. Bei sekundärem Hypogonadismus ist die Sekretion des luteinisierenden Hormons (LH) und in der Regel auch des follikelstimulierenden Hormons (FSH) aus der Hypophyse beeinträchtigt, sodass die Stimulation der Leydig-Zellen ausbleibt. Bei tertiärem Hypogonadismus ist der Hypothalamus geschädigt; somit erfolgt keine Stimulation des Hypophysenvorderlappens durch das Gonadotropin-Releasing-Hormon, wodurch die Gonadotropine FSH und LH im Serum erniedrigt sind und eine Stimulation des Hodens fehlt (1).
Symptome des Hypogonadismus
Bis heute wird die Häufigkeit eines mit einem Typ-2-Diabetes assoziierten Androgenmangels in der Praxis zumeist
unterschätzt (2). Ein Hypogonadismus lässt sich bei Typ-2-Diabetikern 3-mal so häufig nachweisen als bei altersgleichen stoffwechselgesunden Kontrollpersonen. Charakteristische Symptome eines Testosteronmangels sind Abnahme der Libido, Erektionsstörungen, depressive Stimmungslage, Abnahme der allgemeinen Aktivität, Lustlosigkeit, Hitzewallungen und Nachlassen der Muskelkraft. Sekundäre Körperbehaarung und Rasurfrequenz können vermindert sein (1).
Endokrinologische Basisdiagnostik
Etwa die Hälfte der älteren Typ-2-Diabetiker haben deutlich erniedrigte Gesamttestosteronwerte. Bei Verdacht auf einen Hypogonadismus sollten zunächst Testosteron (Grenzbereich: 10–12 nmol/l, Normbereich: 12–35 nmol/l), LH (Normbereich: 1–8 mIU/ml) und FSH (Normbereich: 1–10 mIU/ml) bestimmt werden. Da die Testosteronkonzentrationen im Serum zirkadiane Schwankungen aufweisen, sollten Bestimmungen dieses Hormons bevorzugt am Morgen zu ähnlichen Zeiten erfolgen. Im Verlauf des weiteren Tages nimmt die Testosteronkonzentration im Serum ab. Am Abend können die Werte um 20 bis 40 Prozent unter denen am Morgen liegen (1). Mehr als 95 Prozent des im Körper zirkulierenden Testosterons werden im Hoden produziert (täglich 5–7 mg). Im Plasma wird Testosteron zu zirka 60 Prozent an das sexualhormonbindende Globulin (SHBG) und zu rund 38 Prozent an Albumin gebunden. Nur etwa 2 Prozent des Testosterons sind ungebunden (1). SHBG ist bei vielen älteren Typ-2-Diabetikern erniedrigt. Daher kann die alleinige Bestimmung des Gesamttestosterons einen Androgenmangel vortäu-
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schen, obwohl das freie und biologisch wirksame Testosteron noch im Normbereich liegt. Bei erniedrigtem Gesamttestosteron sollte daher das SHBG bestimmt werden, um den Testosteron/ SHBG-Quotienten ermitteln zu können (Normbereich 7,0–44). Alternativ kann auch das freie Testosteron bestimmt werden.
Therapeutische Optionen
Beim adipösen Typ-2-Diabetiker sollte der erste Schritt die Gewichtsabnahme sein, so Jaursch-Hancke. Die Adipozyten des Bauchfettgewebes sind reich an dem Enzym Aromatase, welches Testosteron in Östradiol umwandelt. Infolgedessen kommt es zu einem Abfall der Testosteronwerte. Daher ist die Gewichtsabnahme eine wirksame Methode, den Testosteronwert zu erhöhen. Bei gesicherter Diagnose ist eine Testosterontherapie bei primärem und sekun-
därem Hypogonadismus etabliert, bei den alters- und diabetesassoziierten Formen kann sie erwogen werden. Sie fördert Mobilität, Fettschmelze und Muskelkraft, wobei die Risiken noch nicht ausreichend untersucht sind. Jaursch-Hancke empfahl, vor Therapiebeginn die Laboruntersuchungen Blutbild, Hämatokrit und prostataspezifisches Antigen (PSA) sowie einen digitalen Prostatacheck durchzuführen. Diese Untersuchungen sollten nach drei bis sechs Monaten wiederholt werden. Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit sei nach neuen Daten Vorsicht geboten, noch sei aber nicht definitiv klar, ob die Hormonbehandlung das kardiovaskuläre Risiko tatsächlich erhöht. Für die Testosteronsubstitution stehen drei verschiedene Applikationswege zur Verfügung: oral, intramuskulär und transdermal. Die in den Anfangsjahren nach Einführung der Testoste-
ronsubstitutionstherapie verwendeten
Präparate waren durch eine zusätzliche
Methylgruppe am Molekül modifi-
ziert, um eine Metabolisierung in der
Leber zu reduzieren. Diese Präparate
wiesen jedoch eine deutliche Hepatoto-
xizität auf. Das ist bei den heute ver-
wendeten Testosteronpräparaten nicht
mehr der Fall (1).
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Claudia Borchard-Tuch
Quelle: Dr. med. Ralf Thiel, Wiesbaden, Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden, Professor Dr. med. Günther Karl Stalla, München: «Diabetes und Hypogonadismus: Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie», Symposium im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung «Innere Medizin fachübergreifend – Diabetes grenzenlos», München, 27. Februar 2015.
Literatur: 1. Köhn FM: Diagnostik und Therapie des Hypogonadis-
mus bei erwachsenen Männern. Urologe 2004; 43: 1563–1583. 2. Mallidis C et al.: Einfluss des Diabetes mellitus auf die Fertilität des Mannes. Ein wenig untersuchter Faktor der männlichen Infertilität. Urologe 2011; 50: 33–37.
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