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STUDIE REFERIERT
Infektionsrisiko unter Rheumabiologika
Rheumatoide Arthritis: Nutzen und Risiko von Biologicals sorgfältig abwägen
Neue Biologika wie beispielsweise TNF-Blocker sind wirksame Substanzen in der Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Doch ist ihr Einsatz mit bestimmten Risiken verbunden. Eine aktuelle Metaanalyse untersuchte, wie hoch das Risiko für schwere Infektionen unter einer Biologikatherapie ist.
Lancet
Biologika sind eine neue Klasse krankheitsmodifizierender Medikamente gegen rheumatoide Arthritis (RA), die im Vergleich zu herkömmlichen Arzneimitteln erhebliche klinische und radiologische Verbesserungen bringen. Derzeit sind neun Biologika von der Food and Drug Administration (FDA) und von der European Medicines Agency (EMA) für die Behandlung der RA zugelassen. Biologika werden zur Behandlung der mässigen bis schweren RA bei Patienten eingesetzt, die auf traditionelle krankheitsmodifizierende Antirheumatika (disease-modifying antirheumatic drugs, DMARD) wie Methotrexat nicht ausreichend angesprochen haben. Infektionen – insbesondere schwere Infektionen – gehören zu den wichtigsten Bedenken, die Patienten äussern, wenn sie über eine Biologikatherapie nachdenken. Sind Rheumabiologika im Vergleich zu DMARD mit einem erhöhten Risiko für schwere Infektionen assoziiert – und falls ja, wie hoch ist dieses Risiko? Die Datenlage hierzu ist widersprüchlich (1).
Ergebnisse aus 106 randomisierten Studien Eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse untersuchte kürzlich, wie häufig schwere Infektionen bei RA-Patienten auftreten, die mit Biologika beziehungs-
MERKSÄTZE
O Biologika in Standarddosierung erhöhen bei Patienten mit rheumatoider Arthritis das Risiko für schwere Infektionen um etwa 30 Prozent.
O In Zukunft dürfte eine individualisierte Risikoeinschätzung auf der Basis bestimmter Patientenmerkmale wichtig werden.
weise mit traditionellen DMARD behandelt werden. Die Autoren identifizierten 106 Studien mit insgesamt über 42 000 Teilnehmern, in denen RA-Patienten mit Biologika behandelt wurden und in denen über schwere Infektionen berichtet wurde (1). Im Vergleich zu herkömmlichen DMARD waren Biologika in Standarddosierungen (Odds Ratio [OR]: 1,31; 95%-Kredibilitätsintervall [KrI]: 1,09–1,58) und in hoher Dosierung (OR: 1,90; 95%-KrI: 1,50–2,39) mit einem erhöhten Risiko für schwere Infektionen assoziiert. Für niedrig dosierte Biologika traf dies nicht zu (OR: 0,93; 95%-KrI: 0,65–1,33). Das Risiko war für methotrexatnaive Patienten im Vergleich zu Patienten, die mit traditionellen DMARD oder mit Anti-TNF (Tumornekrosefaktor)-Biologika vorbehandelt worden waren, geringer. Die absolute Zunahme der Anzahl schwerer Infektionen, die pro 1000 behandelten Patienten pro Jahr auftraten, reichte von 6 unter Biologika in Standarddosierung bis 55 unter kombinierter Biologikatherapie (im Vergleich zu traditionellen DMARD).
Individuelles Nutzen-Risiko-Profil
berücksichtigen
Biologika in Standarddosierung oder hoher Dosierung (mit oder ohne traditionelle DMARD) gehen gegenüber traditionellen DMARD bei RA-Patienten mit einer Zunahme schwerer Infektionen einher, fassen die Autoren zusammen. Für niedrig dosierte Biologika gilt dies nicht. Vor dem Beginn einer Biologikatherapie sollten Ärzte mit jedem Patienten über das Nutzen-Risiko-Profil dieser Therapie diskutieren (1).
Welche Substanz geht mit welchem
Risiko einher?
Die Autoren der Metaanalyse geben ein relatives Gesamtrisiko für (schwere) Infek-
tionen von 1,31 (95%-KrI: 1,09–1,58) für Biologika in Standarddosierung an; das bedeutet, dass Biologika das Infektionsrisiko um etwa 30 Prozent erhöhen, heisst es in einem begleitenden Kommentar (2). Aber was bedeutet dieses Risiko – und für wen? In der Metaanalyse wurde das Risiko für alle zugelassenen Biologika berechnet, also für eine Mischung verschiedener Medikamente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen. Die Metaanalyse verglich den Einsatz von Biologika mit einer traditionellen DMARD-Monotherapie, aber dieser Vergleich erfolgte manchmal mit dem Beginn einer neu angesetzten DMARD-Therapie und manchmal mit der Fortsetzung einer bereits laufenden DMARD-Behandlung. Darüber hinaus berücksichtigt die Metaanalyse 106 Studien, die mit Patienten in unterschiedlichen Krankheitsstadien durchgeführt wurden. Manche Patienten hatten noch kein DMARD erhalten, bei anderen hatte ein Biologikum bereits versagt. Trotz dieser Metaanalyse bleiben viele Fragen unbeantwortet, schreibt der Kommentator (2). Am wichtigsten sei die Frage, welches Biologikum mit welchen potenziellen Risiken einhergeht. Praktizierende Ärzte dürfte es wenig interessieren, dass Biologika allgemein zu einem erhöhten Infektionsrisiko führen. Sie müssen wissen, welches Medikament mit welcher Infektionsrate assoziiert ist, um die für die jeweilige Situation am besten geeignete Substanz auswählen zu können. In Zukunft wird eine personalisierte Risikoeinschätzung wichtig werden, und es gibt bereits erste Forschungsarbeiten, die eine Vorhersage des Infektionsrisikos für eine biologische Therapie auf der Basis individueller Patientenmerkmale erlauben (2).
Andrea Wülker
Quellen: 1. Singh JA et al.: Risk of serious infection in biological treat-
ment of patients with rheumatoid arthritis: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2015; http://dx.doi.org/ 10.1016/S0140-6736(14)61704-9. 2. Dixon WG: Rheumatoid arthritis: biological drugs and risk of infection. Lancet 2015; http://dx.doi.org/10.1016/S01406736(14)61907-3.
Interessenlage: Die Autoren der Metaanalyse geben an, Forschungsstipendien und Beraterhonorare von verschiedenen Pharmaunternehmen beziehungsweise Stipendien von Institutionen bekommen zu haben.
Bitte lesen Sie zu diesem Thema auch das Kurzinterview mit Dr. Adrian Forster auf der nächsten Seite.
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ARS MEDICI 14/15 I 2015
STUDIE REFERIERT
NACHGEFRAGT
Dr. Adrian Forster, Chefarzt Rheumatologie und muskuloskelettale Rehabilitation, Kantonsspital Winterthur
«Das Risiko ist hauptsächlich während der ersten Monate der Biologikatherapie erhöht»
ARS MEDICI: Wann setzen Sie in Ihrer klinischen Praxis bei Patienten mit rheumatoider Arthritis Biologika ein? Dr. Adrian Forster: Biologika kommen dann zum Zug, wenn herkömmliche Basismedikamente (disease-modifying antirheumatic drugs, DMARD) wie z.B. Methotrexat oder Leflunomid unzureichend wirksam sind oder nicht vertragen werden. Einen besonders frühen Einsatz evaluiere ich bei aggressiven Formen mit Zeichen rascher Gelenkdestruktion, bei schlechter Toleranz von Glukokortikoiden (überbrückend bis zum Wirkungseintritt herkömmlicher DMARD eingesetzt) und wenn die Erwerbstätigkeit rasch wiedererlangt werden soll.
AM: Die Datenlage zum Infektionsrisiko von Rheumapatienten unter Biologika im Vergleich mit herkömmlichen DMARD ist widersprüchlich. Wie hoch schätzen Sie persönlich das Infektionsrisiko ein? Forster: Das Risiko für bakterielle Infektionen wird durch Biologika fast verdoppelt, dies gilt sowohl für schwere Infektionen (Bedarf für parenterale Antibiotika und/ oder Hospitalisation) als auch für leichte Infektionen, zum Beispiel der Luftwege. Das Risiko für Infektionen mit intrazellulären bzw. opportunistischen Erregern wie Mykobakterien, Pneumocystis, Histoplasma, Aspergillen und anderen Pilzen ist unter Anti-TNF (Tumornekrosefaktor)Antikörpern sogar um ein Mehrfaches erhöht. Bei der Diskussion der Risikoerhöhung muss berücksichtigt werden, dass unter
herkömmlichen DMARD ein ähnliches oder sogar noch höheres Infektionsrisiko besteht, wenn zusätzlich Glukokortikoide in mittleren und höheren Dosierungen gebraucht werden.
AM: Wie unterscheiden sich die einzelnen Biologika hinsichtlich des Infektionsrisikos? Forster: Wie im Editorial der diese Arbeit enthaltenden Lancet-Ausgabe diskutiert, wissen wir leider erst wenig über die Unterschiede. Gut bekannt ist, dass Tuberkulosereaktivierungen unter den Anti-TNF-Antikörpern im Vergleich zum Fusionsprotein Etanercept (ebenfalls TNF-Hemmer) und anderen Biologika viel häufiger sind. Hinsichtlich Infektionen mit üblichen bakteriellen Erregern scheint Abatacept ein recht günstiges Risikoprofil zu haben. Bei Tocilizumab muss klinisch immer berücksichtigt werden, dass wegen dessen starker Suppression der CRP-(C-reaktives Protein-) Antwort die labormässige Beurteilung einer Infektion – vor allem bei deren Beginn – erschwert werden kann.
AM: Welche Rolle spielen die Dosis des jeweils verabreichten Biologikums, die individuelle Krankheitssituation, eine vor- oder gleichzeitige Behandlung mit DMARD oder eine zuvor bereits erfolglose Therapie mit einem anderen Biologikum für das Infektionsrisiko? Forster: Bei den meisten Biologika ist von einer Dosisabhängigkeit auszugehen, eine solche wurde insbesondere für die Anti-TNF-Antikörper gezeigt. Risikofak-
toren für Infektionen unter Biologika sind ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium (viele Gelenkschäden bzw. starke Funktionseinschränkungen), hohe Krankheitsaktivität, lange Krankheitsdauer, höheres Alter, begleitende Glukokortikoide und in geringerem Masse herkömmliche DMARD. Weitere Faktoren sind frühere Infektionen, erfolglose Therapien mit herkömmlichen DMARD und Biologika, Komorbiditäten, Allgemeinund Ernährungszustand, soziales Umfeld, Rauchen und Impfstatus. Das Risiko ist hauptsächlich während der ersten Monate der Biologikatherapie erhöht; kommt es in dieser Zeit nicht zu Infektionen, bleibt die Wahrscheinlichkeit für solche im weiteren Verlauf gering.
AM: Welche Massnahmen sind zur Ver-
meidung von Infektionen unter Biolo-
gika wichtig?
Forster: Vor dem Beginn einer Biologika-
therapie ist immer ein gründliches
Assessment nötig. Wir müssen latente
Infektionen suchen, insbesondere eine
Tuberkulose (Anamnese, Thoraxauf-
nahme, Blut- und evtl. Hauttest), eine
HBV (Hepatitis-B-Virus)- und eine HIV
(humanues Immundefizienzvirus)-Infek-
tion (Serologien). Nach Massgabe des
Impfstatus sind Neu- bzw. Auffrischimp-
fungen durchzuführen, insbesondere
gegen Pneumokokken und Grippe. Bei
längerfristiger Begleittherapie mit Ste-
roiden in höherer Dosierung wird eine
Pneumocystisprophylaxe erwogen. Mög-
liche Eintrittspforten wie Hautläsionen
(z.B. Druckulzera) und Zahnschäden
(Periodontitis) sind zu sanieren. Vor
grösseren chirurgischen Eingriffen wer-
den Biologika pausiert. Wir instruieren
die Patienten gut, sich bei infektionsver-
dächtigen Symptomen prompt zu mel-
den. Kann bei Infektionsverdacht und
insbesondere Fieber die Ursache bezie-
hungsweise der Fokus nicht rasch identi-
fiziert werden, ist eine Hospitalisation
angezeigt für gründliche Abklärungen,
wie sie sich für eine Immunsuppression
gehören.
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Das Interview führte Ralf Behrens.
ARS MEDICI 14/15 I 2015
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