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STUDIE REFERIERT
Eisensupplemente in der Schwangerschaft
In entwickelten Ländern kann eine routinemässige Eisensupplementierung in der Schwangerschaft hämatologische Parameter der werdenden Mutter verbessern und die Inzidenz von Eisenmangel oder Eisenmangelanämie reduzieren. Die Evidenz zum klinischen Nutzen für Mutter und Kind ist jedoch inkonsistent.
Annals of Internal Medicine
Eisenmangel ist die häufigste Ursache einer Anämie in der Schwangerschaft. Das höhere Anämierisiko ist Folge des vermehrten Eisenbedarfs der Mutter sowie des Bedarfs des wachsenden Fötus und der Plazenta. Bei vielen gesunden Frauen kommt es während der Schwangerschaft aufgrund der Volumenzunahme des Blutes zu einer physiologischen Verdünnungsanämie, die mit einer geringfügigen Abnahme des Hämoglobinspiegels verbunden ist. Eine Eisenmangelanämie entwickelt sich aufgrund des Verbrauchs der Körpervorräte. In den USA beträgt die Prävalenz des Eisenmangels bei Schwangeren etwa 18 Prozent, die der Anämie etwa 5 Prozent. Die Eisenmangelraten nehmen von 6,9 Prozent im ersten Trimester auf 14,3 Prozent im zweiten und 28,4 Prozent im dritten Trimester zu.
MERKSÄTZE
O In entwickelten Ländern kann eine Eisensupplementation in der Schwangerschaft die Inzidenz von Eisenmangel und Eisenmangelanämie verringern.
O Im Hinblick auf die Gestationsdauer, den Apgar-Score und die Raten der Frühgeburten oder der Kindersterblichkeit zeigte sich bei routinemässiger Eisensupplementierung kein klarer Nutzen.
O Der Eisenstatus eines sechs Monate alten Kindes wird durch eine pränatale Supplementierung nicht beeinflusst.
Zu den Risikofaktoren für die Entwicklung einer Eisenmangelanämie gehören eine unzureichende Aufnahme des Spurenelements über die Nahrung, gastrointestinale Absorptionsstörungen oder ein kurzer Zeitabstand zwischen zwei Schwangerschaften. Frauen mit klinisch signifikantem Eisenmangel oder Eisenmangelanämie können unter Fatigue, Schwäche, Tachykardie und Kurzatmigkeit leiden. Da jedoch auch viele asymptomatische Schwangere unzureichende Eisenvorräte aufweisen, ist möglicherweise eine routinemässige Supplementation im Rahmen der Versorgung werdender Mütter sinnvoll. In älteren Beobachtungsstudien – darunter unkontrollierte Untersuchungen und Querschnittsstudien – zeigte sich eine Verbindung zwischen dem Eisenstatus werdender Mütter und ungünstigen perinatalen Auswirkungen wie einem niedrigen Geburtsgewicht, einer zu frühen Geburt und perinatalem Tod. Die Evidenz aus rigoroseren Studien zu diesem Zusammenhang ist jedoch inkonsistent. Ein Screening aller Schwangeren ermöglicht eine frühzeitige Identifizierung von Eisenmangel oder Eisenmangelanämie, sodass ungünstige Auswirkungen für Mutter und Kind durch eine rechtzeitige Behandlung vermieden werden könnten. Im Rahmen der Aktualisierung eines systematischen Reviews der U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF) untersuchten amerikanische Wissenschaftler die Effekte eines Anämie-Screenings bei asymptomatischen Schwangeren sowie die Auswirkungen einer routinemässigen Eisensupplementierung bezüglich der klinischen Ergebnisse von Mutter und Kind.
Studiencharakteristika
Zunächst identifizierten die Wissenschaftler englischsprachige randomisierte und nicht randomisierte kontrollierte Studien sowie kontrollierte Beobachtungsstudien zu diesen Fragestellungen, die im Zeitraum von 1996 bis August 2014 in entwickelten Ländern durchgeführt worden waren. Von den Beobachtungsstudien entsprach jedoch keine den Einschlusskriterien. Für die Erstellung des Review-Updates werteten die Wissenschaftler dann insgesamt 12 Studien guter oder durchschnittlicher Qualität aus. In keiner dieser Studien wurden die positiven oder schädigenden Effekte eines AnämieScreenings untersucht. In allen Studien wurde eine routinemässige Eisensupplementation im Vergleich zu keiner Supplementation untersucht. Die meisten Studienteilnehmerinnen waren zwischen 20 und 30 Jahre alt. In den meisten Studien lag bei den Schwangeren ein durchschnittliches Anämierisiko vor. Der Beginn der Supplementierung variierte vom ersten Arztbesuch in der Schwangerschaft bis zu 20 Wochen nach Eintritt der Gravidität. Bei allen Teilnehmerinnen wurde die Supplementierung bis zur Geburt des Kindes fortgesetzt. Die applizierte Eisendosis reichte von 20 mg bis 200 mg/ Tag. Die Therapietreue der schwangeren Frauen variierte zwischen 54 und 98 Prozent.
Klinische Ergebnisse
In einer Studie wurde unter der Eisensupplementierung im Hinblick auf die Lebensqualität der Schwangeren kein Unterschied im Vergleich zu Plazebo beobachtet. Bezüglich der Gestationsdauer (6 Studien), des Apgar-Scores nach 1 und 5 Minuten (5 Studien), einer frühzeitigen Geburt (4 Studien) oder der Kindersterblichkeit (4 Studien) zeigte sich kein eindeutiger Effekt einer Eisensupplementierung im Vergleich zu keiner Supplementierung. Fünf Studien befassten sich mit der Kaiserschnittrate. In einer Untersuchung wurden unter der Eisensupplementierung signifikant weniger Kaiserschnitte als ohne Supplementierung beobachtet. In den anderen vier Studien waren die Ergebnisse bei Eisendosierungen von 20, 50 oder 60 mg/Tag jedoch inkonsistent. Die Ergebnisse bezüglich des Endpunkts «klein für das Gestationsalter» waren in vier Studien inkonsistent.
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ARS MEDICI 13 I 2015
STUDIE REFERIERT
Eine US-amerikanische Studie wurde mit Frauen durchgeführt, die ein erhöhtes Anämierisiko aufwiesen. Hier wurden unter der Eisensupplementierung signifikant niedrigere Raten von Kindern mit geringem Geburtsgewicht (< 2500 g) im Vergleich zu keiner Supplementierung beobachtet (4,3 vs. 16,7%). In weiteren fünf Studien – darunter eine weitere US-Studie bei Frauen mit erhöhtem Risiko – wurde jedoch kein Effekt im Hinblick auf die Rate an Kindern mit geringem Geburtsgewicht beobachtet. In zwölf Studien zeigte sich bei unterschiedlichen Eisendosierungen eine Verbesserung hämatologischer Parameter der Mutter im Vergleich zu Plazebo. Die Ergebnisse bezüglich eines Zusammenhangs zwischen der Eisensupplementierung und der Inzidenz von Eisenmangel oder Eisenmangelanämie waren jedoch inkonsistent. In einer gepoolten Analyse von vier vergleichbaren Studien (Eisendosierungen von 20 bis 66 mg/Tag) zeigte sich ein statistisch signifikanter Unterschied der Inzidenz einer Eisenmangelanämie zugunsten der Supplementierung (Risk Ratio [RR]: 0,29; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,17–0,49). Die klinische Bedeutung dieser Ergebnisse für Mutter und Kind ist allerdings unklar. Die Auswirkungen der pränatalen Supplementierung auf die hämatologischen Parameter des Säuglings wurden nur in einer Studie untersucht. In einer australischen Studie guter Qualität hatten schwangere Frauen ab Woche 20 bis zur Entbindung 20 mg Eisen/Tag oder keine Supplementation erhalten. In einer Anschlussuntersuchung zeigte sich bei 336 Kindern im Alter von sechs Monaten kein Unterschied im Hinblick auf den Eisenstatus. Diskussion Die Ergebnisse der aktualisierten Übersichtsarbeit stimmen mit den Ergebnissen der älteren Fassung von 2006 überein. Die routinemässige Eisensupplementierung asymptomatischer Schwangerer ist häufig zur Verbesserung hämatologischer Indizes der werdenden Mutter wirksam und kann die Inzidenz von Eisenmangel und Eisenmangelanämie reduzieren. Es liegt jedoch keine ausrei- chende Evidenz dafür vor, dass die prä- natale Eisensupplementierung auch mit einem gesundheitlichen Nutzen für Mutter und Kind verbunden ist. Nach Ansicht der Autoren müssten die kurz- und langfristigen Effekte einer routinemässigen Eisensupplementie- rung bei Schwangeren noch in rigoro- seren Studien untersucht werden. Aus- serdem weisen die Wissenschaftler da- rauf hin, dass es in ihrem Review zu sprachbedingten Verzerrungen gekom- men sein könnte, da für die Erstellung nur Studien in englischer Sprache be- rücksichtigt wurden. O Petra Stölting Cantor AG et al.: Routine iron supplementation and screening for iron deficiency anemia in pregnancy: a systematic review for the U.S. Preventive Services Task Force. Ann Intern Med, doi:10.7326/M14-2932. Interessenkonflikte: Die Studie wurde von der Agency for Healthcare Research and Quality (USA) finanziert. ARS MEDICI 13 I 2015 697