Transkript
FORTBILDUNG
Management bei Kniegelenkarthrose – eine Übersicht
Nicht medikamentöse und medikamentöse Therapieoptionen
Das Knie ist das am häufigsten von Arthrose betroffene Gelenk. Zur Behandlung der Gonarthrose empfiehlt sich ein therapeutisches Gesamtkonzept, das nicht medikamentöse und medikamentöse Massnahmen umfasst.
World Journal of Clinical Cases
Die Behandlung der Kniearthrose gewinnt immer mehr an Bedeutung – insbesondere in Ländern, in denen die demografische Entwicklung und die zunehmende Verbreitung der Adipositas zu einer ansteigenden Prävalenz der Gonarthrose führen. Eine aktuelle Übersichtsarbeit einer amerikanischen Arbeitsgruppe fasst den gegenwärtigen Kenntnisstand der (konservativen) Therapie der Kniearthrose zusammen.
Nicht medikamentöse Behandlung Edukation und Selbstmanagement Verschiedene Leitlinien und Expertenpanels betonen, wie wichtig die Patientenedukation und das Selbstmanagement bei Kniearthrose sind. Selbstmanagementprogramme können langfristig zur Reduktion von Schmerzen und Behinderung beitragen. Eine Studie zeigte, dass eine gezielte Patienten-
MERKSÄTZE
O Patientenedukation und Selbstmanagement sollten immer Bestandteil der Gonarthrosebehandlung sein. Übergewichtige Patienten sollten eine Gewichtsabnahme anstreben.
O Patienten mit Kniearthrose profitieren von Übungsprogrammen. Der Einsatz von Knie- oder Fussorthesen oder Kniebandagen kann hilfreich sein.
O Glucosamin/Chondroitin kann als Initialbehandlung eingesetzt werden.
O Paracetamol und NSAR können kurzfristig verordnet werden.
O Intraartikuläre Kortikosteroide sollten bei Entzündungszeichen kurzfristig verabreicht werden.
O In der langfristigen Behandlung der Kniearthrose ist die intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure gegenüber intraartikulären Kortikosteroiden überlegen.
information zu den Themen Gewichtsnormalisierung und Bedeutung körperlicher Aktivität zu einer besseren Gewichtsreduktion und mehr Bewegung führte.
Gewichtsabnahme und Muskelkräftigung Zwar können genetische und andere endogene Risikofaktoren zur Entstehung und Progression der Kniearthrose beitragen, doch Übergewicht und eine Schwäche der das Knie umgebenden Muskulatur können eine zusätzliche Belastung für das Gelenk darstellen. Deshalb sollte bei übergewichtigen Gonarthrosepatienten immer auch das Thema Gewichtsabnahme angesprochen und in das therapeutische Gesamtkonzept integriert werden. Eine Studie ergab, dass bei Frauen, die rund 5 kg Gewicht abnahmen, das Risiko für eine symptomatische Kniearthrose um 50 Prozent gesenkt werden konnte. Auch körperliche Aktivität und Muskelkräftigung sind für Gonarthrosepatienten von Bedeutung. Ein Kräftigungstraining kann die Arthroseschmerzen lindern und die Funktion bessern. Verschiedene Übersichtsarbeiten belegen einen positiven Effekt von körperlicher Aktivität bei Kniearthrose. Doch ist noch nicht abschliessend geklärt, ob verschiedene Übungen zur Verbesserung von Kraft, Flexibilität und aerober Kapazität kombiniert werden sollten, um optimale Erfolge bei Gonarthrosepatienten zu erzielen, oder ob es besser ist, sich auf ein bestimmtes Ziel (z.B. Kräftigung der Quadrizepsmuskulatur) zu konzentrieren.
Biomechanische Interventionen Eine gezielte biomechanische Untersuchung und die Verwendung von korrigierenden Devices können bei Gonarthrosepatienten eine effektive Intervention darstellen. Eine systematische Analyse der Effektivität von Knie- und Fussorthesen in der konservativen Gonarthrosetherapie wies darauf hin, dass diese eine effektive Massnahme zur Reduktion von Schmerz, Gelenksteifigkeit und Analgetikakonsum darstellen und nur minimale unerwünschte Wirkungen zeigen. Allerdings ist die Aussagekraft dieser Analyse aufgrund der Heterogenität der Interventionen und der geringen Qualität der berücksichtigten Studien limitiert. Schuheinlagen mit lateraler Erhöhung haben in Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Einige kamen zu dem Schluss, dass diese Einlagen hilfreich sind, andere bestreiten den Nutzen der Einlagen als Alternative zu einer Valgusschiene bei medialer Kniearthrose. In einer retrospektiven Studie mit 51 älteren Patienten mit leichter bis mässiger medialer Gonarthrose konnte ein Nutzen von individuell angefertigten Schuheinlagen mit seitlicher Erhöhung und
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Unterstützung des Fussgewölbes nachgewiesen werden: Die Schmerzen wurden signifikant reduziert, Funktion und Lebensqualität der Patienten besserten sich. Der Einsatz von biomechanischen Interventionen wie Kniebandagen, Knie- und Fussorthesen oder von biomechanischen Trainingsprogrammen ist im Rahmen des Gonarthrosemanagements gerechtfertigt, so fassen die Autoren zusammen. Doch sind weitere Studien erforderlich, um herauszufinden, welche Patienten von den verschiedenen biomechanischen Interventionen am meisten profitieren.
Medikamentöse Behandlung
Supplemente Es gibt verschiedene Nahrungsergänzungsmittel, die für sich beanspruchen, gegen Arthrose zu wirken. Doch gibt es hierzu nicht viele Wirksamkeitsstudien.
Glucosamin/Chondroitin Es gibt eine Reihe von Studien zu Glucosamin- und/oder Chondroitinpräparaten, die zu widersprüchlichen Ergebnissen kamen. Eine aktuelle randomisierte, plazebokontrollierte Doppelblindstudie zeigte, dass die Kombination aus Glucosamin und Chondroitin nach zweijähriger Anwendung zu einer statistisch signifikanten Reduktion der Gelenkspaltverschmälerung führte. Auch wurde eine Reduktion der Knieschmerzen erreicht, die jedoch im Vergleich zu Plazebo nicht signifikant war. In einer Übersichtsarbeit ergaben viele Studien eine Linderung von Arthroseschmerzen unter Glucosamin und Chondroitinsulfat. In Anbetracht des exzellenten Sicherheitsprofils, das in den meisten Studien demjenigen von Plazebo entsprach, kann diese Therapie als Initialbehandlung eingesetzt werden, nachdem mit dem Patienten über den potenziellen Nutzen diskutiert worden ist.
Paracetamol Paracetamol wurde häufig zur Behandlung der Kniearthrose eingesetzt. Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2006 ergab, dass Paracetamol in 5 der 7 randomisierten Studien gegenüber Plazebo überlegen war. Beim Vergleich mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) stellte sich jedoch heraus, dass NSAR in der Behandlung der Gonarthrose besser waren als Paracetamol. Hinzu kommt, dass neuere Übersichtsarbeiten Zweifel am Sicherheitsprofil von Paracetamol aufkommen liessen und die Autoren dazu rieten, Paracetamol hinsichtlich Dosierung und Behandlungsdauer zurückhaltender einzusetzen.
NSAR Viele Studien belegen, dass NSAR bei Kniearthrose zu einer Symptomlinderung führen. Die Leitlinie der American Academy of Orthopaedic Surgeons (AAOS) empfiehlt NSAR für Patienten mit symptomatischer Gonarthrose. NSAR eignen sich gut zur kurzfristigen Behandlung, doch bei längerfristigem Einsatz kann es im Vergleich zu Plazebo unter NSAR zu schweren gastrointestinalen, kardiovaskulären und renalen Nebenwirkungen kommen, wie eine vergleichende Übersichtsarbeit zur Effektivität der NSAR belegt. In diesem Review wurde auch gezeigt, dass Celecoxib im Vergleich zu nicht selektiven NSAR mit einem geringeren Risiko für Ulzera, aber mit einem höheren Risiko für kardiovaskuläre
Komplikationen einhergeht. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, die NSAR-Dosis zur Schmerzlinderung möglichst niedrig zu wählen und eine längerfristige Anwendung zu vermeiden. Bei Patienten mit mässigem Risiko für gastrointestinale Komplikationen sollte die zusätzliche Gabe eines Protonenpumpeninhibitors (PPI) erwogen werden, wenn nicht selektive NSAR verordnet werden. Besteht ein hohes Risiko, sollten NSAR vermieden werden. Topische NSAR können ebenfalls als eine sicherere und besser tolerierte Therapie in Betracht gezogen werden, sie gehen jedoch mit einem höheren Risiko für dermatologische Nebenwirkungen einher.
Tramadol und Opioide Tramadol und Opioide wurden als Medikamente evaluiert, die bei symptomatischer Arthrose zu einer Schmerzlinderung führen könnten. Zwar wurde in einem Cochrane-Review aus dem Jahr 2009 festgestellt, dass Opioide im Vergleich zu Plazebo einen kleinen bis moderaten Nutzen bieten, doch stand diesem Nutzen eine starke Zunahme des Nebenwirkungsrisikos gegenüber. Daher wurde empfohlen, Opioide auch bei starken Arthroseschmerzen nicht routinemässig einzusetzen. Tramadol wurde in der Arthrosebehandlung zunehmend verordnet, da es im Gegensatz zu NSAR nicht zu gastrointestinalen Blutungen oder Nierenschäden führt. Jedoch scheint auch der Nutzen von Tramadol hinsichtlich Schmerzreduktion nur gering zu sein. Zum anderen führt Tramadol zu verschiedenen unerwünschten Wirkungen, sodass manche Patienten die Einnahme beenden. Zwar stehen verschiedene Medikamente zur Schmerzreduktion bei Kniearthrose zur Verfügung, doch sollte man vor Beginn der Therapie immer das Sicherheitsprofil der jeweiligen Substanz bedenken. Zudem eignen sie sich nicht gut als Langzeitmedikamente.
Krankheitsmodifizierende Medikamente gegen Arthrose Unter krankheitsmodifizierenden Arthrosemedikamenten (disease modifying osteoarthritis drugs, DMOAD) versteht man Substanzen, welche die Progredienz der strukturellen Gelenkdegeneration – insbesondere die Knorpeldestruktion – aufhalten oder signifikant verlangsamen. Verschiedene Medikamente wurden und werden als potenzielle DMOAD untersucht. Doxycyclin brachte nicht den erhofften Erfolg. Das Bisphosphonat Risedronat konnte zwar den Spiegel eines Markers des Knorpelabbaus senken, führte aber zu keiner Linderung der Arthrosebeschwerden und konnte das Fortschreiten der Arthrose auch nicht aufhalten. Derzeit wird untersucht, ob Strontiumranelat und weitere Substanzen als DMOAD geeignet sind. In der SEKOIA-Studie konnte bereits nachgewiesen werden, dass Strontiumranelat die Progredienz der Gonarthrose verlangsamen kann.
Intraartikuläre Kortikosteroidinjektionen Intraartikuläre (i.a.) Kortikosteroidinjektionen scheinen die Schmerzen bei Gonarthorse effektiv zu lindern und sollten eingesetzt werden, wenn der Patient Entzündungszeichen entwickelt. Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2006 kam zu dem Schluss, dass i.a. Kortikosteroidinjektionen zu guten Kurzzeiterfolgen führen, während es weniger Evidenz für langfristige Erfolge gibt.
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Eine andere Übersichtsarbeit verglich die Wirksamkeit von i.a. verabreichter Hyaluronsäure mit Kortikosteroiden bei Kniearthrose. In den ersten vier Wochen konnten die i.a. Kortikosteroide die Schmerzen effektiver lindern als i.a. Hyaluronsäure, aber nach vier Wochen erwiesen sich die i.a. Hyaluronsäureinjektionen gegenüber den i.a. Kortikosteroiden als überlegen. Dies spricht dafür, dass i.a. Kortikosteroide kurzfristig zur Reduktion von akuten entzündlichen Veränderungen und Schmerzen gegeben werden sollten. Für die langfristige Behandlung der Gonarthrose sind sie dagegen keine gute Behandlungsoption.
Hyaluronsäureinjektionen Ausser der oben erwähnten Übersichtsarbeit untersuchte auch ein systematischer Review im Jahr 2011 die Wirksamkeit von i.a. Hyaluronsäure bei Gonarthrose. Diese Arbeit konnte eine geringe, aber signifikante Wirksamkeit der Hyaluronsäure in der 4. Woche nach Injektion in Bezug auf die Arthroseschmerzen nachweisen. In Woche 8 konnte eine moderate klinische Signifikanz gezeigt werden, und ein gewisser Benefit war auch noch in Woche 24 vorhanden. Obwohl Hyaluronsäure in der aktuellen AAOS-Guideline nicht empfohlen wird, kommen die Autoren des vorliegenden Reviewartikels zu dem Schluss, dass die Datenlage insgesamt den Einsatz von intraartikulären Hyaluronsäureinjektionen bei Kniearthrose stützt und zeigt, dass Hyaluronsäure in der Langzeitbehandlung der Gonarthrose besser ist als i.a. Kortikosteroide. Zudem hat Hyaluronsäure ein exzellentes Sicherheitsprofil – auch aus diesem Grund eignet sich diese Substanz besser für einen längerfristigen Einsatz.
Plättchenreiches Plasma Seit ein paar Jahren wird plättchenreiches Plasma (PRP) nicht nur bei Sehnen- und Bandverletzungen eingesetzt, sondern auch zur Behandlung von Knorpelschäden wie bei der Gonarthrose. PRP wird durch Zentrifugieren von autologem Vollblut gewonnen; es ist reich an verschiedenen Wachstumsfaktoren, welche die Regeneration des Knorpels fördern sollen. PRP wird ebenfalls ins Kniegelenk injiziert, was bei älteren Patienten mit fortgeschrittener Arthrose zu ähnlichen
Ergebnissen führte wie Hyaluronsäureinjektionen. Möglicherweise wirkt PRP bei jüngeren Patienten mit Knorpelläsionen oder Arthrose im Frühstadium besser. PRP sollte erwogen werden, wenn Patienten auf andere Injektionen nicht angesprochen haben. Um die Wirksamkeit von PRP abschliessend beurteilen zu können, sind jedoch weitere Studien erforderlich.
Mögliche zukünftige Optionen Der Einsatz von Stammzellen rückt zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses, denn verschiedene Tiermodelle weisen darauf hin, dass diese multipotenten Zellen möglicherweise zu einer Geweberegeneration führen. Doch sind weitere Studien erforderlich, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Stammzellen genauer zu untersuchen und um herauszufinden, aus welcher Quelle diese Zellen entnommen und wie sie am besten aufbereitet werden sollten, damit sie bei Gonarthrose erfolgreich eingesetzt werden können. Derzeit werden weitere injizierbare Mittel untersucht, beispielsweise i.a. Botulinumtoxin Typ A, BMP-(bone morphogenic protein)-7 und andere. Doch befinden sich diese Substanzen noch in frühen klinischen Phasen, oder es liegen noch nicht genügend Studiendaten vor.
Operative Behandlung Mit den beschriebenen nicht operativen Verfahren soll die Notwendigkeit einer Knietotalendoprothese (Knie-TEP) möglichst hinausgezögert werden. Es gibt auch einige chirurgische Interventionen, die manchmal als Alternative eingesetzt werden, in der Hoffnung, damit eine Knie-TEP zu vermeiden. Wichtig zu wissen ist, dass die Arthroskopie heute für die grosse Mehrheit der Patienten nicht mehr als angemessene Methode zur Behandlung der Kniearthrose oder der Menikusdegeneration im Rahmen einer Gonarthrose angesehen wird.
O
Andrea Wülker
Fibel KH et al.: State-of-the-Art management of knee osteoarthritis. World J Clin Cases 2015; 3(2): 89–101.
Interessenlage: nicht deklariert.
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