Transkript
POLITFORUM
Xundheit in Bärn
INTERPELLATION vom 9.12.2014
Kriterien für die fürsorgerische Unterbringung
Yvette Estermann Ständerat SVP Kanton Luzern
Aus dem früheren FFE (fürsorgerischer Freiheitsentzug) wurde die FU (fürsorgerische Unterbringung). Im revidierten Gesetz (seit 2013) sind für eine FU der Schwächezustand und die Schutzbedürftigkeit massgebend. Als Schwächezustand wird psychische Störung, geistige Behinderung und schwere Verwahrlosung definiert.
«Psychische Störungen» sind die «anerkannten Krankheitsbilder» der Psychiatrie (Daniel Rosch, Das neue Erwachsenenschutzrecht). Als Zweck der FU wird «die Wiedererlangung der Selbstständigkeit und der Selbstverantwortung der betroffenen Person» angegeben (BSK ZGB I-Geiser). Obwohl im neuen Begriff FU der «Freiheitsentzug», wie im früheren Titel FFE enthalten, nicht mehr existiert, ist die Massnahme FU dennoch ein schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit einer Person und tangiert eines der grundlegenden Menschenrechte.
Fragen an den Bundesrat: 1. Nach welchem Massstab wer-
den die «anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie» definiert? 2. Falls es sich um die umstrittenen Handbücher der Psychiatrie, das IEC11 oder DSM-V, handelt: Wie kann er erklären, warum bei jeder weiteren Ausgabe Dutzende neue «psychische Störungen» auftauchen? 3. Können «Krankheitsbilder», die per Abstimmung durch ein Gremium definiert werden, wie dies im Artikel «Bazar der Psychiatrie» beschrieben wird, als wissenschaftlich fundierte «Krankheiten» gelten («Sonntags-Zeitung» Sept. 2014: «Der Bazar der Psychiatrie»)? 4. Wie sieht er die Wahrung der Menschenrechte gewährleistet, wenn mittels der FU ein massi-
ver Eingriff in die persönliche Freiheit einer Person möglich wird, basierend auf solchen «Krankheitsbildern»? 5. Gibt es aussagekräftige Resultate, die aufzeigen, dass durch diesen Freiheitsentzug (nun FU genannt) das Ziel «Selbstständigkeit und Selbstverantwortung» erreicht wurde? 6. Zwangsmedikation ist auch im Rahmen der FU möglich. Gibt es hier aussagekräftige Resultate, die aufzeigen, dass eine Zwangsbehandlung mit schweren Psychopharmaka der Person wirklich geholfen hat, das Ziel der FU zu erreichen, insbesondere im Hinblick darauf, dass Studien über Psychopharmaka aufgezeigt haben, dass diese kaum wirksamer sind als Plazebos, aber massive Nebenwirkungen aufweisen?
Antwort des Bundesrates vom 18.2.2015 (leicht gekürzt)
Zu den Fragen 1 bis 3: Wie bei körperlichen Krankheiten wird auch bei psychischen Krankheiten nach den beobachtbaren funktionalen Störungen diagnostiziert. Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen beziehen sich in der Schweiz dabei in erster Linie auf das Internationale Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (ICD). Psychiatrische Diagnosen mit Behandlungsbedarf sind darin ebenfalls enthalten. Die geltende Fassung des Klassifikationssystems wird zurzeit überarbeitet und voraussichtlich im Jahr 2017 eingeführt. Zu Frage 4: Weil es sich bei der fürsorgerischen Unterbringung (FU) um einen Eingriff in die per-
sönliche Freiheit der betroffenen Person handelt, müssen die für einen solchen Grundrechtseingriff erforderlichen Voraussetzungen (gesetzliche Grundlage, öffentliches Interesse, Verhältnismässigkeit) in jedem Einzelfall erfüllt sein. Artikel 426 Absatz 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB; SR 210) verlangt für die Anordnung einer FU eine psychische Störung, eine geistige Behinderung oder eine schwere Verwahrlosung. Vom Begriff der psychischen Störung werden grundsätzlich die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie, das heisst Psychosen und Psychopathien, seien sie körperlich begründbar oder nicht,
sowie Demenz, erfasst. Zudem muss der festgestellte Schwächezustand eine gewisse Schwere aufweisen. Der Schwächezustand allein vermag eine FU allerdings nie zu rechtfertigen, sondern immer nur zusammen mit der Notwendigkeit einer Behandlung oder Betreuung. Zudem ergibt sich aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dass eine FU nur als Ultima Ratio angeordnet werden darf, so insbesondere, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann. Es reicht damit für die Anordnung einer FU nicht aus, wenn bei einer Person ein psychiatrisch anerkanntes Krankheitsbild diagnostiziert wird. Zu Frage 5: Das Ziel der FU, die Förderung von «Selbstständigkeit und Selbstverantwortung», soll
durch die Leistung einer Behandlung oder Betreuung an eine hilfsbedürftige Person erreicht werden. Eine FU darf nur angeordnet werden, wenn zum Zeitpunkt der Einweisung davon auszugehen ist, dass dieses Ziel nicht anders als durch eine FU erreicht werden kann. In wie vielen Fällen dies schliesslich gelingt, entzieht sich der Kenntnis des Bundesrats.
Zu Frage 6: Dem Bundesrat liegen im Übrigen keine Zahlen über die Erfolgsquoten bestimmter Therapien vor. Die Entscheidungen über die im Einzelfall vorgesehene Behandlung fällen die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte gestützt auf den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaften.
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POLITFORUM
FRAGE vom 9.3.2015
BAG – explosionsartiges Personalwachstum
Sebastian Frehner Nationalrat SVP Kanton Basel-Stadt
Wie erklärt sich der Bundesrat im Detail das explosionsartige Personalwachstum des BAG zwischen 2007 und 2013 um 70 Stellen?
Dies die Antwort des Bundesrates vom 16.3.2015
Das BAG hat in der Zeit zwischen 2007 und 2013 eine grosse Anzahl von neuen, zusätzlichen Aufgaben und Aufträgen erhalten, welche nicht mit den bestehenden Ressourcen bewältigt werden konnten. Diese neuen Aufgaben führten zu einem Personalwachstum von 416 auf 490 Vollzeitstellen. Dies entspricht einer Zunahme von 18 Prozent des Personalbestandes. Darin inbegriffen sind auch befristete Anstellungen. Die Personalkosten sind demnach, wie ein Vergleich der Staatsrechnungen 2007 und 2013 zeigt, um 38 Prozent gestiegen. 12 Prozent des Wachstums sind auf allgemeine Personalkosten zurückzuführen. Dies beinhaltet
unter anderem die Teuerungsausgleiche, Reallohnerhöhungen oder höhere Arbeitgeberbeiträge. Bei den zusätzlichen Aufgaben handelte es sich um Gesetzesrevisionen und nationale Programme, welche für das schweizerische Gesundheitssystem von grosser Bedeutung sind und jeweils in einer engen zeitlich begrenzten Frist umgesetzt werden müssen. Jede neue Aufgabe war mit einem konkreten Auftrag des Parlamentes oder des Bundesrates an das EDI und das BAG verbunden. Als Beispiele können folgende Geschäfte genannt werden: O die Revision des Medizinalbe-
rufegesetzes;
O die Umsetzung des Psychologieberufegesetzes;
O die Umsetzung des Bundesgesetzes über die Forschung am Menschen;
O die Revision des Betäubungsmittelgesetzes;
O die Totalrevision des Epidemiengesetzes;
O die Änderung des Krankenversicherungsgesetzes im Zusammenhang mit der Einführung der subsidiären Kompetenz des Bundesrates zur Anpassung der Tarifstruktur im Tarmed;
O die Erarbeitung des Nationalen Tabakpräventionsprogramms.
FRAGE vom 9.3.2015
Zu häufige Herzuntersuchungen ohne vorherige Abklärung
Yvette Estermann Nationalrätin SVP Kanton Luzern
Die meisten medizinischen Leitlinien betrachten eine Koronarangiografie ausser in ausgewählten Fällen erst dann als angezeigt, wenn ein vorgängiges BelastungsEKG einen auffälligen Befund ergeben hat. Eine Studie hat nun gezeigt, dass in der Schweiz in über einem Drittel der Fälle (37,5 Prozent) die Koronarangiografie ohne Belastungs-EKG erfolgt war. O Was sagt der Bundesrat dazu? O Sieht er Handlungsbedarf, und
falls ja, in welcher Form?
Dies die Antwort des Bundesrates vom 16.3.2015
Der Bundesrat erachtet Verbesserungen im Bereich der Angemessenheit, wie beispielsweise die Beachtung von klinischen Leitlinien, und der Qualität der erbrachten Leistungen als wichtig und hat daher auch in seinem Bericht Gesundheit 2020 die Themen Effizienz- und Qualitätssteigerung hervorgehoben. Der Bundesrat begrüsst deshalb die Initiative der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften, diese Thematik aufzunehmen. In erster Linie ist hier die Ärzteschaft gefordert, wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Leistungen zu erbringen und dabei insbesondere klinische Leitlinien zu beachten. Die Versicherer haben hierzu Möglichkeiten, zusammen mit
den Leistungserbringern Modelle zu entwickeln, wie die Befolgung von Leitlinien überwacht und gefördert werden kann. Das Thema der Angemessenheit der Anwendung von Leistungen ist aber auch Teil der Qualitätsstrategie des Bundes. Der Bund wird zusammen mit den Akteuren das Thema weiterverfolgen und Mass-
«Herzkatheterlabor» von Vuk aus der deutschsprachigen Wikipedia. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons – http://de.wikipedia.org/wiki/Herzkatheter untersuchung#/media/File:Herzkatheter labor.jpg
nahmen evaluieren, die geeignet sind, die Qualität der Verschreibung zu verbessern. Die konkrete Thematik der Koronarangiografie wird das Bundesamt für Gesundheit in den nächsten Wochen mit den Versicherern aufnehmen, um die Handlungsmöglichkeiten zu klären.
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