Transkript
FORTBILDUNG
Krebsbedingte Knochenschmerzen
Orale und transdermale Opioide, Bisphosphonate, Denosumab
Der Knochenschmerz ist die häufigste Schmerzform bei
malignen Erkrankungen. Starke Opioide zählen zu den
Grundpfeilern der Behandlung. Aktuelle Studien zeigten
zudem eine gute Wirksamkeit von Bisphosphonaten, Deno-
sumab, Radioisotopen sowie einer Radiotherapie.
British Medical Journal
Im Verlauf einer Tumorerkrankung leiden bis zu 90 Prozent der Patienten an Schmerzen, die nozizeptiven oder neuropathischen Charakter haben können. Am häufigsten ist der Knochenschmerz; etwa ein Drittel der Patienten mit Knochenmetastasen ist betroffen. Knochenmetastasen führen zu Störungen der Homöostase. Es kommt zu einer erhöhten Expression von RANKL (receptor activator of NF-κB ligand). RANKL aktiviert zusammen mit weiteren Faktoren über die Stimulierung der Osteoklastenreifung den Knochenabbau. Krebszellen stimulieren auch lokale Entzündungsmediatoren und schaffen ein saures Milieu, welches die peripheren Nervenenden innerhalb des Knochenmarks und der Knochenmatrix reizt. Zugleich zerstören eingewanderte Krebszellen die Nervenenden direkt. Dies führt zu chronischen Schmerzen.
Typische Symptome Knochenschmerzen sind zumeist im unteren Rückenbereich, im Becken, in den Röhrenknochen und im Rippenbereich
MERKSÄTZE
O Der Knochenschmerz ist die häufigste Schmerzform bei malignen Erkrankungen.
O Neben der Schmerzlinderung ist die Funktionserhaltung des Bewegungsapparats ein wichtiges Therapieziel. Hierzu trägt eine Verhaltensanpassung wesentlich bei.
O Starke Opioide der WHO-Stufe 3 zählen zu den Grundpfeilern der Schmerztherapie.
O Besteht der Schmerz trotz Verhaltensanpassung, Einnahme eines nicht opioiden Analgetikums und eines starken Opioids weiterhin, muss ein Spezialist in die Behandlung einbezogen werden.
O Die Evidenz für eine Schmerzlinderung durch Radiotherapie ist hoch.
O Auch Bisphosphonate und Denosumab sind bei zahlreichen Patienten gut wirksam.
lokalisiert. Bewegungen verstärken die Schmerzen. Bereits ein schwacher Stoss oder eine schnelle Bewegung kann zu einer pathologischen Fraktur führen. Die Patienten sollten anstrengende Bewegungen meiden, eventuell Gehhilfen nutzen und den Wohnraum angepasst ausstatten (z.B. ebenerdige Dusche). Zerstörungen der Wirbelkörper können das Rückenmark beschädigen, was mit sensorischen und motorischen Störungen oder einer Blasenschwäche einhergehen kann. Treten diese Symptome auf, muss unverzüglich eine neurologische Untersuchung durchgeführt werden. Retrospektive Kohortenstudien haben gezeigt, dass frühzeitige Diagnose und Therapie einer Rückenmarkkompression Prognose und Lebensqualität deutlich verbessern.
Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation
Nach dem Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Therapie von Tumorschmerzen wird empfohlen: O in der ersten Stufe ein nicht opioides Analgetikum allein
oder zusammen mit einem Ko-Analgetikum (Adjuvans); O in der zweiten Stufe ein schwaches Opioid (z.B. Tramadol)
allein oder in Kombination mit einem nicht opioiden Analgetikum und/oder einem adjuvanten Stoff, O in der dritten Stufe ein stark wirksames Opioid allein oder in Kombination mit einem nicht opioiden Analgetikum und/oder einem Ko-Analgetikum. Zu den nicht opioiden Analgetika zählen nicht steroidale Antiphlogistika und nicht saure antipyretische Analgetika wie Paracetamol. Mehrere systematische Übersichtsarbeiten ergaben, dass Paracetamol bei Tumorpatienten zwar gut verträglich, jedoch nicht ausreichend wirksam ist. Nicht steroidale Antiphlogistika zeigen eine höhere Wirksamkeit. Es wurde jedoch nicht geprüft, ob dies speziell für krebsbedingte Knochenschmerzen zutrifft. Auch für die zweite Stufe des WHO-Schemas fehlen Studien, welche die Wirksamkeit der Analgesie bei krebsbedingten Knochenschmerzen untersuchen. Im Allgemeinen wird bei nicht ausreichender Wirksamkeit eines nicht opioiden Analgetikums sofort mit der Gabe eines stark wirksamen Analgetikums begonnen.
Starke Opioide
Beobachtungsstudien zeigten, dass bei 73 Prozent der Patienten mithilfe des Stufenschemas eine ausreichende Analgesie erreicht werden kann. Starke Opioide der WHO-Stufe 3 zählen zu den Grundpfeilern der Behandlung knochenbedingter Krebsschmerzen. Mehrere Studien ergaben keinen signifikanten Unterschied in Wirksamkeit und Verträglichkeit von schnell und verzögert freigesetzten Morphinderivaten. Deshalb sollte der Arzt in Absprache mit dem Patienten eine individuelle Entscheidung bei der Wahl des Präparats treffen. Mehrere stark wirksame Opioide stehen zur Verfügung. Eine
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Metaanalyse zeigte keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen Morphin und anderen stark wirksamen Opioiden. Eine randomisierte, kontrollierte Studie ergab, dass bei etwa 75 Prozent der Patienten die Schmerzen mit stark wirksamen Opioiden gut kontrollierbar sind, wobei zumeist zwei verschiedene Präparate zum Einsatz kamen. Morphin ist nach wie vor das Standardopioid. Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt die Gabe von Morphin bei Patienten, welchen die orale Einnahme möglich ist. Der Vergleich von Morphin mit Oxycodon ergab keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit. Bei der transdermalen Applikation von Opioiden wie Fentanyl- oder Buprenorphinpflastern sind Obstipation und Sedierung seltener. Noch immer ist die Behandlung des akuten Durchbruchschmerzes wenig zufriedenstellend. Die zeitliche Koordinierung von Medikamentengabe und Schmerzprofil stellt eine Herausforderung dar. Der Schmerz erreicht innerhalb von 5 Minuten seine volle Stärke und ist oft bewegungsabhängig. Bei etwa der Hälfte der Patienten mit krebsbedingten Knochenschmerzen klingt der Schmerz innerhalb von 15 Minuten ab. Eine Metaanalyse, welche eine schnell freisetzende Fentanylformulierung mit oralem Morphin verglich, ergab eine Überlegenheit von Fentanyl bei der Behandlung des akuten Durchbruchschmerzes. Bei alleiniger Gabe von Fentanyl war die Schmerzkontrolle zumeist aber nicht ausreichend. Daher wird zunächst die Gabe eines schnell wirksamen oralen Opioids empfohlen. Falls dies nicht ausreicht, sollte zusätzlich eine schnell freisetzende Fentanylformulierung zum Einsatz kommen. Zur Verfügung stehen oral-transmukosale therapeutische Systeme, welche bei Durchbruchschmerzen als Lutsch- beziehungsweise Bukkaltablette zum Einsatz kommen können.
Adjuvanzien
Vor allem in fortgeschrittenen Stadien spielen neben nozizeptiven auch neuropathische Schmerzmechanismen eine Rolle, welche durch Schädigungen der nozizeptiven Systeme selbst entstehen. Adjuvanzien wie Antidepressiva oder Antikonvulsiva können bei neuropathischen Schmerzmechanismen wirksam sein und so die analgetische Wirkung der Opioide verstärken. Zurzeit ist nicht geklärt, ob Steroide bei krebsbedingten Knochenschmerzen wirksam sind. Zwei randomisierte, kontrollierte Studien zeigten im Allgemeinen keinen Nutzen. Ob lidocainhaltige Pflaster bei krebsbedingten Knochenschmerzen wirksam sind, ist unbekannt.
Radiotherapie
Die Radiotherapie kann die Schmerzen bei Knochenmetastasierung effektiv bekämpfen. Ein Review, welcher eine einmalige Bestrahlung mit Mehrfachbehandlungen verglich, kam zu dem Ergebnis, dass keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Verfahren bestanden. Beide Behandlungsansätze führten bei rund 60 Prozent der Patienten zu einer deutlichen Verringerung der Schmerzen. Etwa ein Viertel der Patienten wurde vollständig von den Schmerzen befreit.
weisen, dass Radioisotope zu einem vollständigen Rückgang der Schmerzen innerhalb eines Zeitraums von ein bis sechs Monaten führten. Schwere unerwünschte Ereignisse (Leukozytopenie oder Thrombozytopenie) traten jedoch häufig auf.
Bisphosphonate
Durch Hemmung der Osteoklastentätigkeit blockieren Bisphosphonate wie Pamidronat und Zoledronat die Kalziumfreisetzung aus dem Knochen sowie den Knochenabbau. Ausserdem unterdrücken sie die Adhäsion von Tumorzellen an die Knochenmatrix und damit tumorbedingte Osteolysen. Mehrere randomisierte Studien konnten eine mehrjährige Schmerzlinderung bei Brust- und Prostatakrebs nachweisen.
Denosumab
Denosumab ist ein humaner monoklonaler Antikörper, der RANKL abfängt, sodass dessen Rezeptor RANK nicht aktiviert wird. In der Folge werden Bildung, Funktion und Überleben der Osteoklasten gehemmt und dadurch die Knochenresorption vermindert. In einer randomisierten, kontrollierten Studie bei Patienten mit Brustkrebs konnte Denosumab die Entwicklung moderater bis schwerer Schmerzen im Vergleich zu Zoledronat signifikant stärker verzögern.
Interventionelle Verfahren
Falls bei Patienten trotz Einnahme von Opioiden oder Bisphosphonaten beziehungsweise einer Strahlentherapie keine adäquate Schmerzlinderung erzielt wird, können interventionelle Verfahren in Erwägung gezogen werden. Wie eine randomisierte, kontrollierte Studie zeigte, führte die kontinuierliche intrathekale Applikation von Morphin zu einer deutlichen Verringerung der Schmerzen und erhöhte die Überlebensrate von Patienten, welche unter sonst therapierefraktären Schmerzen litten.
Chirurgie
Bei Patienten mit einem guten Allgemeinzustand kann eine prophylaktische Operation in Betracht gezogen werden. Wie eine randomisiert-kontrollierte Studie zeigte, kann eine perkutane Stabilisierung der langen Röhrenknochen in den Beinen die Schmerzen signifikant verringern. Sobald eine pathologische Fraktur aufgetreten ist, kann auch eine orthopädisch-chirurgische Intervention die Fraktur stabilisieren.
Komplementärtherapie
Für komplementärmedizinische Verfahren besteht eine un-
klare Evidenz. Eine systematische Übersichtsarbeit der Coch-
rane Collaboration wies einen Nutzen für die Akupunktur
nach. Der Review kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Evi-
denz für eine Empfehlung zu gering sei. Dies traf auch für die
transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) zu. Für
manche Patienten scheint die TENS jedoch eine aktive Aus-
einandersetzung mit dem Schmerz zu bedeuten und kann zu
einer besseren Schmerzverarbeitung beitragen.
O
Claudia Borchard-Tuch
Radioisotope
Verschiedene Studien, welche zumeist bei Patienten mit Prostatakarzinom durchgeführt worden waren, konnten nach-
Kane CM et al.: Cancer induced bone pain. BMJ 2015; 350: h315. Interessenkonflikte: keine
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