Transkript
EDITORIAL
Eine Hand wäscht die andere
In diesen winterlichen Wochen waren sie wieder allenthalben präsent: die Mahnungen, sich doch möglichst mehrmals täglich die Hände zu waschen. Allerlei infektionsbedingter gesundheitlicher Unbill wäre durch diese relativ einfache Massnahme leichter vom Leibe zu halten. Nach dem Toilettenbesuch, vor dem Essen, nach Umgang mit Abfall, Aufenthalt an vielfrequentierten Orten sowie Kontakt mit Mensch und Tier – die Anlässe zur Händehygiene sind bekannt und mehr oder weniger von Kindesbeinen an («Das Lied vom Hände waschen») verinnerlicht. Vor dem Essen und dem Naschen wollen wir die Hände waschen … Doch nicht selten mangelt es an Gelegenheiten, meistens jedoch eher an der nötigen Konsequenz, sich auch daran zu halten. Egal, wird so schlimm nicht sein. Doch zart regt sich das Gewissen: Was, wenn tatsächlich alle mit vorbildlich sauberen Vorderfüssen umherliefen? Selbst nach extensivem Schütteln fremder Hände wäre das Einseifen und Abspülen der eigenen dann vernachlässigbar. Zielen die Handwaschappelle vielleicht nur vordergründig auf Selbstschutz ab? Zwar würde die Welt durch zwei Dreckflossen weniger noch kein besserer Ort – folgten allerdings andere dem guten Beispiel, dann wären Gegenstände des öffentlichen Raums wie Türgriffe, Treppenläufe oder Tramhaltestangen weit weniger kontaminiert. Zu Ende gedacht, ist das natürlich Quatsch, setzte es doch voraus, dass die Leute ihre Hände so gut wie kaum noch aus der Seifenlauge herausbekämen, was im Alltag nicht nur unmöglich, weil irgendwie unpraktisch ist, sondern letztendlich auch wieder ungesund wäre. Ein einziger Nieser in die hohle Hand – und alle Reinlichkeit
ist sowieso für die Katz. Dann also doch: Waschen ja, aber aus purem Egoismus – die anderen sollen gefälligst für sich selbst sorgen? … Hände waschen ist nicht schwer und hilft der Gesundheit sehr … Wohl kaum: Denn ganz anders liegt der Fall dort, wo «die anderen» dies eben nicht können, weil sie bereits krank, infiziert oder geschwächt sind. Hier steht Rücksicht im Vordergrund. Insbesondere gilt dies in Arztpraxis und Spital, wo die Patienten wiederum anderen, ebenfalls ihre Erreger dort hinterlassenden Leidensgenossen nicht ausweichen können. Für Ärzte und medizinisches Personal wird das Händewaschen im Interesse der sich ihnen Anvertrauenden schliesslich zur unerlässlichen Voraussetzung, um ihnen überhaupt helfen zu können. Klingt selbstverständlich – ist es aber offenbar nicht. Wie, wenn nicht durch den Umstand, dass hier noch substanzielles Verbesserungspotenzial besteht, liesse sich sonst erklären, warum auch in medizinischen Kreisen immer wieder Kampagnen, beispielsweise von der WHO, für eine bessere Händehygiene gefahren werden? … Ganz ohne Zauber mit Wasser und Seife werden sie sauber … Eine aktuelle US-amerikanische Studie (1) zeigt nun, dass wie in anderen Lebensbereichen auch punkto Händewaschen ein gewisser Gruppendruck für den Einzelnen und damit letztlich für alle zielführender sein kann als es Gewissensappelle allein je vermögen: Die im Oktober 2014 in Infection Control and Hospital Epidemiology, dem Fachjournal der Society for Healthcare Epidemiology of America (SHEA) publizierten Ergebnisse einer Untersuchung an Ärzten und Pflegepersonal einer 20-Betten-Intensivstation des University of Iowa Hospital, belegen, dass die Händehygienerate in Situationen, in denen die Mitarbeiter in nächster Nähe zu Kollegen arbeiteten, um 7 Prozent (28 vs. 21%) höher war als dann, wenn sie sich allein wähnten. So wie sich eine Hand allein kaum waschen kann, jedoch im Reiben mit der jeweils anderen beide Hände profitieren, so können auch die sich vereinzelt vergeblich Bemühenden erst im gegenseitigen aufmerksamen Miteinander dem Kollektiv insgesamt zum Wohle gereichen … … Hände waschen ist nicht schwer und hilft der Gesundheit sehr.
Ralf Behrens
1. Monsalve MN et al.: Do peer effects improve hand hygiene adherence among healthcare workers? Infect Control Hosp Epidemiol 2014; 35(10):1277–1285.
ARS MEDICI 4 I 2015
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