Transkript
Durchbruchschmerzen: Behandlung in der Hausarztpraxis
FORTBILDUNG
Tumorpatienten und Patienten mit chronischen Schmer-
zen, zum Beispiel mit postherpetischer Neuralgie, Lum-
balgie, neuropathischen oder Phantomschmerzen – vor
Durchbruchschmerzen ist niemand gefeit. Umso wichtiger
sind eine korrekte Schmerzanamnese und eine daraus
resultierende, patientenfreundliche Anwendung verschie-
denster Therapieoptionen in der hausärztlichen Praxis.
Tanja Hohenwarter, Stefan Neuwersch und Rudolf Likar
Durchbruchschmerzen können bei verschiedensten chronischen Schmerzsyndromen benignen oder malignen Ursprungs auftreten. Es handelt sich dabei um Schmerzsensationen, welche sich entweder spontan oder getriggert einstellen. Triggerfaktoren können unter anderem willkürliche oder unwillkürliche Bewegung, psychische oder physische Belastung oder das Ende des Dosierintervalls sein. Diese plötzlich auftretenden Schmerzsensationen durchbrechen aufgrund ihrer Intensität den ansonsten suffizient behandelten Basisschmerz. Die Schmerzstärke wird mit stark bis sehr stark beschrieben. Zumeist hält der Durchbruchschmerz rund 30 Minuten lang an; das Schmerzmaximum tritt im Durchschnitt nach 3 bis 5 Minuten auf. Über den Tag verteilt berichten die Patienten von meist vier Durchbruchschmerzepisoden. Der Basisschmerz besteht unbehandelt mehr als 12 Stunden pro Tag und wird mit retardierten Schmerzmedikamenten behandelt. Er gilt als suffizient behandelt, wenn die Schmerzstärke für mindestens 12 Stunden pro Tag als mild angegeben wird.
Schmerzanamnese und Diagnostik
Eine ausführliche Schmerzanamnese (Schmerzqualität, -lokalisation, -intensität, -trigger usw.) sowie eine gründliche klinische Untersuchung sind Voraussetzungen für eine suffiziente Schmerztherapie. Die Diagnostik umfasst ebenso bildgebende Verfahren, um gegebenenfalls durch kausale Therapieoptionen oder invasive Schmerztherapie eine Linderung der Beschwerden bewirken zu können.
Behandlungsoptionen von Durchbruchschmerzen
Voraussetzung für eine erfolgreiche und individuelle Therapie von Durchbruchschmerzen ist eine suffiziente Basisschmerztherapie. Eine alleinige Erhöhung der Basismedikation zur Coupierung der Schmerzspitzen ist aufgrund der möglichen unerwünschten Wirkungen nicht zielführend. Ausserdem müssen mögliche Einnahmeformen sowie die jeweilige Betreuungssituation berücksichtigt werden. Die aus der Schmerzanamnese hervorgegangene Kenntnis über die Schmerzqualität gibt Aufschluss über die Wahl des Analgetikums. So können sich Kombinationen von zwei verschiedenen Wirkstoffen als durchaus sinnvoll erweisen.
Nichtopioide Die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR; Hauptwirkstoffklasse der Nichtopioide) eignen sich nur bedingt zur Behandlung von Durchbruchschmerzen. Der Wirkeintritt erfolgt frühestens nach 30 Minuten, und die Wirkdauer beträgt mehrere Stunden. Aufgrund ihres antiinflammatorischen Wirkprofils haben sie jedoch bei bestimmten Schmerzformen einen guten schmerzstillenden Effekt und beeinflussen somit die Durchbruchschmerzen positiv. Die Dosis ist aufgrund der relativ hohen Toxizität (v. a. renal und kardiovaskulär) jedoch begrenzt. Metamizol und Paracetamol sind vor allem bei viszeralen, krampfartigen Schmerzen indiziert. Es muss jedoch aufgrund der Wirkdauer (4–6 h) auf eine mindestens viermal tägliche Verabreichung geachtet werden.
MERKSÄTZE
O Durchbruchschmerzen dauern meist etwa 30 Minuten lang an mit einem Schmerzmaximum nach 3 bis 5 Minuten.
O Bei plötzlich auftretenden Durchbruchschmerzen wirkt Fentanyl sehr rasch und kumuliert nicht.
Opioide In retardierter Form werden sie zur Behandlung der Basisschmerzen verwendet, in unretardierter Form als RescueMedikation. Bei leicht vorhersehbaren Durchbruchschmerzen sollte die Rescue-Medikation entsprechend früh eingenommen werden. Orales, unretardiertes Hydromorphon und Oxycodon eignen sich sehr gut als Rescue-Medikation. Andere Applikationswege sind intravenös oder subkutan. Morphin i.v. wirkt nach
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Eckdaten zu neueren Fentanylpräparationen zur Behandlung von Durchbruchschmerzen
Abstral® (in der Schweiz nicht mehr im Handel)
Wirkeintritt
Eintritt einer klinisch relevanten Schmerzreduktion** Wirkdauer*
5 min Evidenzgrad: Ib [1]
10 min Evidenzgrad: Ib [7]
60 min Evidenzgrad: Ib [7]
Plasmakonzentration Cmax
Eintritt der maximalen Plasmakonzentration tmax
Bioverfügbarkeit (absolut)
0,2–1,3 ng/ml nach Applikation von Einzeldosen von 100, 200 und 400 µg bei opioidtoleranten Tumorpatienten Evidenzgrad: Ib [7]
30–60 min nach Applikation von Einzeldosen von 100, 200 und 400 µg bei opioidtoleranten Tumorpatienten Evidenzgrad: Ib [7]
70% geschätzt, keine Studien
Actiq®
Effentora®
Instanyl® (in der Schweiz nicht im Handel)
5 min Evidenzgrad: Ib [2]
5 min Evidenzgrad: Ia [3, 4]
10 min
10 min
Evidenzgrad: Ia [8, 9] Evidenzgrad: Ia [3]
60 min Evidenzgrad: Ib [8] 145 min Dosis 200 µg gemessen bei Patienten mit postoperativen Schmerzen Evidenzgrad: Ib [2]
120 min Evidenzgrad: Ia [3]
1,26 ng/ml Dosis 800 µg Evidenzgrad: Ia [13]
1,02 ng/ml Dosis 400 µg Evidenzgrad: Ia [14]
90 min Probe aus venösem Blut Evidenzgrad: Ia [13]
29 min Probe aus arteriellem Blut 46,8 min Probe aus venösem Blut Evidenzgrad: Ia [14]
47% Evidenzgrad: Ia [13]
65% Evidenzgrad: Ia [17]
5 min Evidenzgrad: Ib [5] 10 min Evidenzgrad: Ia [10] 56 min Evidenzgrad: Ib [11]
0,35–1,2 ng/ml nach Applikation von Einzeldosen von 50, 100 bzw. 200 µg bei opioidtoleranten Tumorpatienten Evidenzgrad: Ib [15] 12–15 min (nach Applikation von Einzeldosen von 50, 100 bzw. 200 µg bei opioidtoleranten Tumorpatienten Evidenzgrad: Ib [15] 89% Evidenzgrad: Ib [18]
PecSys® (in der Schweiz nicht im Handel) 5 min Evidenzgrad: Ia [6] 10 min Evidenzgrad: Ia [6] 60 min Evidenzgrad: Ia [6, 12]
337 pg/ml Dosis 100 µg Evidenzgrad: Ia [16]
19,8 min Evidenzgrad: Ia [16]
absolute Bioverfügbarkeit nicht untersucht 133% im Vergleich zu OTFC*** Evidenzgrad: Ia [16]
Evidenzgrade: Level Ia: mehrere randomisierte, kontrollierte Studien beziehungsweise deren Metaanalyse; Level Ib: einzelne randomisierte, kontrollierte Studien; Level IIb: gut geplante experimentelle Studie; Level III: gut geplante, nicht experimentelle Studie, Vergleichsstudie, Korrelations- oder Fallkontrollstudie; Level IV: nicht evidenzbasierte Expertenmeinung. *Zeitraum, über den die Wirksamkeit des Arzneimittels in den angegebenen klinischen Studien untersucht wurde. Aufgrund der begrenzten Dauer von Durchbruchschmerzen von im Median 30 Minuten lässt sich aus den klinischen Studien die Wirkdauer des Arzneimittels in der Regel nicht ermitteln; **PID (Schmerzintensitätsunterschied) > 2; ***orales transmukosales Fentanylzitrat Quelle: Illias W et al.: Empfehlungen zur Behandlung von Durchbruchschmerzen unter besonderer Berücksichtigung neuer Applikationsformen, Schmerznachrichten Nr. 2/2010
10 bis 15 Minuten, subkutan etwas langsamer. Hydromorphon ist aufgrund seines Wirkprofils auch bei höhergradiger Niereninsuffizienz einsetzbar. Diese Medikamente sollten bei Beginn des Durchbruchschmerzes so rasch wie möglich verabreicht werden. Bei entsprechender Versorgung des Patienten (z.B. 24-hPflege, mobiles Palliativteam, Angehörige usw.) können auch im häuslichen Bereich i.v.- oder s.c.-Gaben erfolgen. Buprenorphin als Sublingualtablette gilt ebenso als RescueMedikament. Es sind jedoch der verzögerte Wirkeintritt von
etwa 30 Minuten und die lange Wirkdauer von 4 bis 6 Stunden zu beachten. Fentanyl scheint aufgrund seiner Pharmakokinetik (schneller Wirkeintritt, kurze Halbwertszeit, bildet keine aktiven Metaboliten, verursacht keine Enzyminduktion in der Leber) besser zur Behandlung von Durchbruchschmerzen geeignet zu sein. Bei plötzlich auftretenden Durchbruchschmerzen wirkt Fentanyl sehr rasch und kumuliert nicht. In der letzten Zeit haben sich verschiedene Applikationsformen (oral-transmukosal; bukkal, intranasal, sublingual) etabliert und als
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gute Rescue-Medikation erwiesen (vgl. Tabelle). Die Dosierung von Fentanyl ist unabhängig von der Basismedikation, und es muss individuell titriert werden. Oral-transmukosales Fentanyl ähnelt einem Lutscher, wobei der Wirkstoff in eine Zuckermatrix eingebettet ist. Die Wirkung tritt nach gut 5 Minuten ein. Einschränkende Faktoren für die Anwendung sind Mundtrockenheit, Entzündungen im Mund-RachenRaum oder Übelkeit. Einen noch schnelleren Wirkeintritt erreicht man mit der Fentanylbukkaltablette, da diese zu einer höheren Plasmakonzentration führt. Die Bukkaltablette wird in die obere Wangentasche über einen der Backenzähne gelegt; die Wirkstoffresorption wird durch das in der Tablette enthaltene Kohlendioxid unterstützt. Transnasales Fentanyl eignet sich vor allem für Patienten, welche oral-transmukosal oder bukkal Fentanyl aus oben genannten Gründen nicht anwenden können. Transnasales Fentanyl besitzt eine sehr hohe Bioverfügbarkeit. Eine deutliche Schmerzreduktion konnte bereits nach 10 Minuten gezeigt werden.
Co-Analgetika Co-Analgetika dienen der Verstärkung der Wirkung der Schmerzmittel und/oder zur Therapie unerwünschter Wirkungen. Bei entsprechender Indikation können durch Anwendung der Co-Analgetika die Dosis der Basismedikation und das Auftreten der Durchbruchschmerzepisoden reduziert werden. Bei neuropathischen Schmerzsyndromen haben sich Antidepressiva wie Amitriptylin oder Antiepileptika wie Gabapentin oder Pregabalin bewährt. Auch Kortikoide kommen als Co-Analgetika zur Anwendung. Sie werden aufgrund ihrer entzündungshemmenden, abschwellenden und antiemetischen Wirkung zum Beispiel bei Leberkapselschmerzen oder Knochenschmerzen angewendet. Bisphosphonate können ebenso unterstützend bei ossärer Metastasierung eingesetzt werden.
Nicht pharmakologische Massnahmen
Viele Patienten berichten, dass nicht pharmakologische
Massnahmen, wie zum Beispiel Akupunktur, TENS-Gerät-
Anwendungen, Physiotherapie und Psychotherapie die
Schmerzsituation deutlich verbessern.
O
Dr. med. Tanja Hohenwarter Abt. für Anästhesie und Intensivmedizin Klinikum Klagenfurt, A-9020 Klagenfurt
Co-Autoren: Stefan Neuwersch, Rudolf Likar
Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.
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Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2014. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren. Anpassungen an Schweizer Verhältnisse erfolgten durch die Redaktion von ARS MEDICI.
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