Transkript
BERICHT
Das Organ Knochen
Wie sich unser Knochen den Belastungen anpasst
Unser Knochen zeichnet sich durch eine hohe Anpassungsfähigkeit aus. Er habe die einzigartige Fähigkeit, Schäden zu lokalisieren und zu reparieren, erklärte Prof. Dr. med. Marius Kränzlin. Der Basler Endokrinologe gab einen kurzen Einblick in die Funktion des Knochens und seinen Alterungsprozess.
Uwe Beise
An den Knochen werden zwei gegensätzliche Anforderungen gestellt: Einerseits soll er widerstandsfähig sein, um den Gewichtsbelastungen standzuhalten. Der Knochen benötigt eine gewisse Steifigkeit, um die Fortbewegung gegen die Schwerkraft zu ermöglichen. Andererseits muss der Knochen hinreichend flexibel sein, um eine Stossbelastung auszuhalten. Bei jeder Belastung wird schliesslich Energie generiert, die vom Knochen aufgenommen werden muss, und zwar, indem sich dieser verbiegt. Andernfalls muss die Energie nach aussen abgegeben werden, etwa durch Microcracks (Mikrofraktur), schlimmstenfalls durch eine Fraktur.
Was macht die Widerstandskraft
aus?
Wie widerstandsfähig unser Knochen ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der Knochenmasse. Kränzlin sprach von dem erstaunlichen biologischen Phänomen,
Knochenmasse
Mikro- und
Makroarchitektur
Materialeigenschaften: • Mineralgehalt
• Kollagen • Microcracks • Osteozyten
Knochenumbau
Abbildung: Determinanten der Widerstandsfähigkeit des Knochens (nach Kränzlin).
dass 50 Prozent der Knochenmasse während der Pubertät aufgebaut werde, also in einem sehr kurzen Lebensabschnitt. Später wird der Knochen etwa alle zehn Jahre durch Umbau vollständig ausgewechselt: «Der Knochen einer 80-Jährigen ist nicht älter als derjenige einer 30-Jährigen», sagte Kränzlin. Der Aufbau von Knochenmasse bedeutet einen hohen Energieaufwand. Knochen ist, mit den Worten von Kränzlin, teuer im Unterhalt. Dabei wirtschaftet der Knochen wahrscheinlich nicht nur auf eigene Rechnung. Es mehren sich die Hinweise, dass der Knochen zum Beispiel über das in den Osteoblasten gebildete Osteocalcin den Insulinstoffwechsel und damit den Energiehaushalt des Gesamtorganismus beeinflusst. Neben der Knochenmasse machen aber auch die Makro- und die Mikroarchitektur sowie die Materialeigenschaften die Widerstandsfähigkeit des Knochens aus. Es geht darum, wie der Knochen mineralisiert ist, wie das Kollagen aufgebaut ist und ob bereits Mikrofrakturen bestehen (Abbildung). Es gehört zu den wichtigen Charakteristika des Knochens, dass er sich Mehrbelastungen anpassen kann, durch Veränderungen seiner Masse wie auch seiner Struktur. Das ist ständig notwendig, denn allein durch stärkere mechanische Belastung, etwa nach dem Joggen, können Mikrorisse auftreten. Eine Reparatur kann an der geschädigten Stelle nur erfolgen, wenn zunächst
eine Resorptionslakune durch die Osteoklasten gebildet wird, die dann mit neuem Knochen aufgefüllt wird – ein Prozess, der mehrere Monate in Anspruch nimmt. Bei dem Remodelling treten die verschiedenen Knochenzellen – Osteoblasten, Osteozyten, Osteoklasten – in ein Wechselspiel gegenseitiger Beeinflussung.
Osteozyten –
Märtyrer der Knochengesundheit
Eine zentrale Rolle spielen dabei die Osteozyten, durch die der Knochenumbau erst angestossen wird. Diese Zellen, die miteinander durch dendritische Ausläufer zu einem Netzwerk verbunden sind, liegen in der Tiefe des Knochens vergraben und können dort jahre- bis jahrzehntelang überdauern. Osteozyten seien, wie Kränzlin sich ausdrückte, Märtyrer der Knochengesundheit, weil sie sich gewissermassen bei lebendigem Leibe vergraben liessen. Denn im Grunde handelt es sich bei ihnen um Osteoblasten, die bereits Knochen aufgebaut haben, der über sie gewachsen ist. Schon lange weiss man, dass Osteozyten als Mechanosensoren fungieren, und als solche sind sie die Ersten, die bemerken, wenn irgendein physikalischer Stress auf den Knochen einwirkt, eine Schädigung wie etwa ein Microcrack, der die Verbindung zwischen den Osteozyten unterbricht, oder eine andere vermehrte mechanische Belastung auftritt. Osteozyten sind aber, wie man heute weiss, keineswegs nur passive Detektoren. Vielmehr greifen sie in die Regulationsvorgänge des Knochenumbaus massgeblich ein und steuern das Nachrichtensystem, ähnlich wie die Osteoblasten, durch Bildung verschiedener Signalgeber. Indem sie etwa den makrophagenstimulierenden Faktor und den RANKL (Receptor Activator of NF-kappa B
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Ligand) bilden, sorgen sie dafür, dass sich Osteoklasten aus mesenchymalen Vorläuferzellen entwickeln und schliesslich in Aktion treten. Der Knochenabbau wird dagegen über Osteoprotegerin gehemmt, das als lösliche Rezeptorsubstanz RANKL vor dem Andocken an die Rezeptoren der Osteoklasten abfängt. Die Osteozyten ihrerseits unterliegen unter anderem der Regulation durch das Parathormon (PTH). Bei Hypokalzämie stimuliert PTH über die Osteozyten den Knochenabbau, damit eine entsprechende Menge an Kalzium bereitgestellt werden kann. Dass die von Osteoklasten hergestellte Resorptionslakune anschliessend wieder aufgefüllt wird, ist Sache der Osteoblasten, die neues Osteoid bilden. Osteoblasten werden mechanisch stimuliert, aber auch durch Sexualhormone und verschiedene Wachstumsfaktoren. Doch woher «wissen» die Osteoblasten, wann sie genügend Knochen aufgebaut haben? Hier tritt wieder der Osteozyt als Dirigent auf, der über die Ausschüttung von Sclerostin das Signal zum Aufhören erteilt. «In der Jugend kommt das Sclerostinsignal später, damit mehr Knochenwachstum gebildet wird», erklärte Kränzlin. Ein Teil der Osteoblasten geht nach getaner Arbeit zugrunde, ein anderer gelangt als Lining Cells an die Knochenoberfläche.
Sclerostinantikörper als Alter-
native zum Parathormon
Diese physiologischen Erkenntnisse eröffnen neue Therapieansätze. Gelänge es, Sclerostin vorübergehend auszuschalten, liesse sich folglich der Knochenanbau unterstützen. Tatsächlich ist es inzwischen gelungen, Sclerostinantikörper herzustellen. Kränzlin liess wissen, dass vermutlich in etwa zwei Jahren ein entsprechendes Medikament zur Verfügung stehen wird. Ein Sclerostinantikörper wird bereits in einer Phase-3-Studie getestet. Sollte sich die Therapie als wirksam und verträglich erweisen, stünde damit eine Alternative zum knochenanabolen Parathormon (Forsteo®) zur Verfügung, meinte Kränzlin.
Beschleunigter Knochenumbau
im Alter
Etwa bis zum 40. Lebensjahr halten sich Knochenanbau und -abbau nor-
malerweise in einem Gleichgewicht. Mit steigendem Lebensalter beschleunigt sich dann der Knochenumbau, es werden mehr Osteoklasten aktiviert, die Osteoblasten werden müder und schneller apoptotisch, es entsteht allmählich ein Knochensubstanzdefizit. «Je schneller sich der Knochen umbaut, desto mehr Knochen werden wir verlieren», sagte Kränzlin. Frauen haben zudem einen besonderen Nachteil: Das Sistieren der Sexualhormonproduktion in der Menopause befördert den Knochenabbau. Beschleunigter Knochenumbau wiederum bedeutet, dass der Knochen nicht lange genug liegen bleibt, um vollständig auszumineralisieren. Mit anderen Worten: «Der Knochen wird jünger, je älter wir werden.» Bei Hypomineralisation entwickelt sich eine Osteomalazie. Der Knochen ist in diesem Zustand zwar noch recht widerstandsfähig und bricht – ausser bei Anorexie – für gewöhnlich nicht. Er verbiegt sich jedoch allmählich, und man findet vermehrt Fissuren und Pseudofrakturen, so Kränzlin.
Bisphosphonate:
das Risiko atypischer Frakturen
Medikamentöse antiresorptive Therapien, etwa mit Bisphosphonaten, bremsen den Knochenabbau innert weniger Wochen, und zwar über das physiologische Gleichgewicht hinaus. Unter der Therapie werden die Resorptionslakunen besser aufgefüllt, es sind weniger Knochenumbaueinheiten aktiviert, «der Knochen wird insgesamt ruhiger», sagte Kränzlin. Nach einiger Zeit entsteht ein neues Gleichgewicht bei geringerem Knochenumbau, der Knochen bleibt folglich länger liegen und kann besser mineralisieren. So nimmt unter Alendronat die Mineralisation um etwa 7 bis 11 Prozent zu, wodurch sich die Widerstandsfähigkeit des Knochens erhöht. Setzt man Bisphosphonate allerdings zu lange ein, wird der Knochenumbau zu stark gebremst, und es steigt das Risiko atypischer Frakturen. Das Parathormon bildet den entgegengesetzten, den anabolen Therapieansatz: PTH steigert den Knochenanbau. Auch wenn daraufhin ein verstärkter Knochenabbau folgt, bleibt für eine gewisse Zeit die Knochenbilanz positiv. Insgesamt erhöht sich der Knochenumbau unter PTH wie zu Zeiten des
jugendlichen Wachstums. Damit entsteht folglich vermehrt jüngerer Knochen, der noch nicht mineralisiert ist. Das ist der Grund dafür, weshalb im Anschluss an die knochenanabole Therapie ein antiresorptives Therapieprinzip eingesetzt wird, um den Knochenumbau zu bremsen, damit der Knochen in Ruhe mineralisieren kann.
Strukturelle Veränderungen
im Alter
Kränzlin erinnerte schliesslich an die
Unterschiede zwischen kortikalem und
trabekulärem Knochen.
Ersterer toleriert eine viel höhere Ge-
wichtsbelastung, er verbiegt sich dafür
aber praktisch nicht. Trabekulärer
Knochen toleriert weniger Gewicht,
verhält sich aber wie eine Springfeder,
die man komprimieren kann und die
sich wieder ausdehnt. Zwischen dem
30. und dem 80. Lebensjahr nimmt die
Elastizität im kortikalen Knochen um
8 Prozent, die Widerstandsfähigkeit
um 34 Prozent ab.
Mit dem Älterwerden nimmt der Kno-
chenumbau zu, es kommt zu einer Aus-
dünnung der Trabekel und schliesslich
mit dem Östrogenmangel auch zu Per-
forationen der Trabekel und damit zu
Strukturveränderungen, die den Kno-
chen schwächen. Die Widerstands-
fähigkeit der Knochen nimmt bei
Frauen viel stärker ab als bei Männern,
bei denen das Trabekelwerk zwar eben-
falls ausdünnt, die Verbindungen zwi-
schen den Trabekeln bleiben jedoch
grösstenteils erhalten.
Mit dem Alter verlieren wir zunächst
trabekulären Knochen, weshalb die Zahl
der Wirbelfrakturen zwischen dem 60.
und dem 65. Lebensjahr anzusteigen
beginnt. Beim trabekulären Knochen
lassen Bruchfestigkeit, Widerstands-
fähigkeit und Elastizität in viel grösse-
rem Ausmass nach als beim kortikalen
Knochen, der eine viel kleinere Ober-
fläche hat und sich langsamer abbaut,
weshalb Schenkelhalsfrakturen zumeist
erst jenseits des 70. Lebensjahres häu-
figer auftreten.
O
Uwe Beise
Quelle: «Das Organ Knochen», Vortrag am Rheuma Top 2014, Seedamm Plaza, Pfäffikon, 21. August 2014.
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