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STUDIE REFERIERT
Schützt Vitamin D vor rheumatoider Arthritis?
In einer Fallkontrollstudie waren die Vitamin-D-Spiegel von Rheumapatienten deutlich niedriger als diejenigen gesunder Personen. Zudem stand der Vitamin-D-Status der Patienten mit der Krankheitsaktivität und den Serumspiegeln inflammatorischer Zytokine in Zusammenhang. Diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass Vitamin D bei der Ätiologie und der Pathogenese der rheumatoiden Arthritis eine Rolle spielen könnte.
Rheumatology
Bei der rheumatoiden Arthritis (RA) handelt es sich um eine entzündliche Autoimmunerkrankung, die vorwiegend die Synovialgelenke betrifft. Trotz der relativ hohen Prävalenz (in der Schweiz etwa 1% der Bevölkerung, ca. 70 000 Personen) konnte die Ätiologie der RA bis anhin noch nicht vollständig geklärt werden. In die Pathogenese scheinen zahlreiche Faktoren involviert zu sein – im Zusammenhang mit dem Autoimmungeschehen vermutlich auch ein Vitamin-D-Mangel. Das Secosteroidhormon Vitamin D wird in der Haut aus 7-Dehydrocholesterin unter dem Einfluss von Sonnenlicht gebildet. Zusätzlich werden kleinere Mengen mit der Nahrung aufge-
MERKSÄTZE
O Bei RA-Patienten war der 25(OH)DSerumspiegel niedriger als bei gesunden Kontrollpersonen.
O Die 25(OH)D-Serumspiegel korrelierten mit der Krankheitsaktivität.
O Die 25(OH)D-Serumspiegel korrelierten invers mit den IL-17- und den IL-23Serumspiegeln.
O Bei RA-Patienten mit Osteopenie und Osteoporose waren die 25(OH)D-Spiegel niedriger als bei Patienten mit normaler Knochendichte.
nommen. In der Leber wird Vitamin D in 25-Hydroxyvitamin D (25[OH]D) umgewandelt. Die Serumkonzentration dieses Metaboliten dient der Beurteilung des Vitamin-D-Status einer Person. In einem weiteren Schritt wird 25(OH)D, hauptsächlich in der Niere, zu Calcitriol (1,25 [OH]2D3) hydroxiliert. Diese physiologisch aktive Form bindet an den Vitamin-D-Rezeptor und vermittelt darüber die vielfältigen Wirkungen des Secosteroidhormons. Calcitriol wirkt immunmodulierend, indem es in Immunzellen wie Makrophagen und Lymphozyten die Produktion der inflammatorischen Zytokine Interleukin (IL-) 17, IL-23 und TumorNekrose-Faktor (TNF-) alpha herunterreguliert und gleichzeitig die Expression der antientzündlichen Interleukine 4 und 10 fördert. In Studien waren erhöhte IL-17- und IL-23-Serumkonzentrationen bei RA-Patienten mit zunehmender Krankheitsaktivität assoziiert. Deshalb könnte auch der Vitamin-DStatus im Zusammenhang mit dem Entzündungsgeschehen und der Krankheitsaktivität stehen. Neben der Entzündung ist die RA durch eine artikuläre und subartikuläre Knochenerosion charakterisiert. Mittlerweile ist bekannt, dass Entzündungsfaktoren die Progression des Knochenverlusts beschleunigen und dass sowohl die fokale Entzündung als auch die Glukokortikoidtherapie bei RA-Patienten eine Osteoporose induzieren können. Vitamin D reguliert den Kalzium-
und den Phosphorstoffwechsel und fördert so die Mineralisierung, das Wachstum und das Remodelling der Knochen. Zu niedrige Vitamin-D-Spiegel könnten daher bei RA auch mit Knochenerosion und Osteoporose assoziiert sein. In einer Fallkontrollstudie untersuchten chinesische Wissenschaftler die Verbindungen zwischen dem 25(OH)DSerumspiegel und der Krankheitsaktivität, den IL-17/IL-23-Serumspiegeln und dem Knochenverlust/der Knochenerosion bei RA-Patienten. Um den Einfluss saisonaler Schwankungen der Vitamin-D-Werte zu minimieren, wurden alle Teilnehmer im Zeitraum von Oktober 2011 bis April 2012 rekrutiert.
Ergebnisse
An der Studie nahmen 130 Rheumapatienten (73,1% Frauen) und 80 gesunde Kontrollpersonen mit einem durchschnittlichen Alter von 54 Jahren teil. Die Rheumapatienten litten im Durchschnitt bereits 6 Jahre (Bereich: 2 Monate bis 40 Jahre) unter ihrer Erkrankung. Bei den Rheumapatienten waren die durchschnittlichen 25(OH)D-Serumwerte signifikant niedriger als bei den Kontrollpersonen (43,12 nmol/l vs. 57,93 nmol/l). Zudem lagen die Vitamin-D-Spiegel nur bei 1,5 Prozent der RA-Patienten im empfohlenen Bereich (> 75 nmol/l). Bei 33,1 Prozent von ihnen waren die Werte zu niedrig (50–75 nmol/l), und bei 65,4 Prozent stellten die Forscher einen Vitamin-DMangel (< 50 nmol/l) fest. Von den gesunden Kontrollpersonen wiesen 12,5 Prozent Vitamin-D-Werte im empfohlenen Bereich auf. Bei 55 Prozent waren die Serumspiegel zu niedrig, und bei 32,5 Prozent lag ein VitaminD-Mangel vor. Bei den RA-Patienten war somit die zusammengefasste Prävalenz von unzureichenden Vitamin-DSpiegeln und 25(OH)D-Mangel mit 98,5 Prozent signifikant höher als bei den gesunden Kontrollpersonen. Des Weiteren beobachteten die Forscher bei den RA-Patienten eine signifikante inverse Verbindung zwischen dem 25(OH)D-Spiegel und klinischen Parametern der Krankheitsaktivität. Dazu gehörten die Anzahl geschwollener Gelenke, die Anzahl druckschmerzempfindlicher Gelenke, die Intensität der Gelenkschmerzen, die Dauer der
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Morgensteifigkeit und der Punktwert auf dem Health Assessment Questionnaire (HAQ). Zudem waren die IL-17- und die IL-23-Serumspiegel bei den Rheumapatienten deutlich höher als bei den gesunden Kontrollpersonen (p < 0,001). Beide Konzentrationen standen in einem signifikanten Zusammenhang mit dem DAS28, und beide Serumspiegel waren signifikant invers mit dem 25(OH)DSerumspiegel assoziiert. Zwischen der radiografischen Knochenerosion und dem 25(OH)D-Spiegel der RA-Patienten fanden die Wissenschaftler dagegen keinen Zusammenhang. Die Bestimmung der mineralischen Knochendichte ergab, dass bei 39,6 Prozent der Rheumapatienten eine Osteoporose und bei weiteren 39,6 Prozent eine Osteopenie vorlag. Bei 20,8 Prozent der RA-Patienten war die Knochendichte im Normalbereich. Bei den Rheumapatienten mit Osteopenie und Osteoporose waren die 25(OH)D-Spiegel signifikant niedriger als bei denjenigen mit normaler Knochendichte. Diese Verbindungen blieben nach einem rechnerischen Abgleich für Alter, Geschlecht und BMI signifikant.
Diskussion
Vitamin D beeinflusst sowohl die angeborene als auch die
adaptive Immunantwort. Zudem trägt das Secosteroidhormon
zur Immuntoleranz von Selbstantigenen bei. Ein Vitamin-D-
Mangel bewirkt einen gewissen Verlust dieser Immuntoleranz
und könnte daher eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von
Autoimmunerkrankungen wie der RA spielen.
Auch in älteren Studien war 25(OH)D mit der Krankheitsakti-
vität der RA assoziiert. In einer Metaanalyse war das Risiko für
die Entwicklung einer RA in der Gruppe mit der höchsten Vit-
amin-D-Aufnahme um 24 Prozent geringer im Vergleich zur
Gruppe mit der niedrigsten Vitamin-D-Zufuhr.
IL-17 und IL-23 fördern die Immunaktivierung und die chro-
nische Entzündung über die Differenzierung und die Aktivie-
rung von Th17-Zellen. Der inverse Zusammenhang zwischen
25(OH)D- und IL-17/IL-23-Spiegeln legt nahe, dass die anti-
entzündlichen und immunregulatorischen Effekte von Vitamin D
bei RA auf die Inhibierung dieser Th17-Zellen zurückzuführen
sind.
Die Autoren weisen auf verschiedene Limitationen ihrer Un-
tersuchung hin. Zum einen lassen das Fallkontroll- und das
Querschnittsdesign ihrer Studie keinen Rückschluss auf ur-
sächliche Zusammenhänge zu. Zudem umfasste die Studien-
population nur 130 Patienten. Diese Teilnehmerzahl reicht
möglicherweise nicht aus, um eine signifikante Verbindung
zwischen 25(OH)D-Serumwerten und der radiologischen Pro-
gression der RA aufzeigen zu können. Auch blieben weitere
Einflüsse wie Rauchen oder Medikamente unberücksichtigt,
sodass Störungen durch diese Faktoren nicht ausgeschlossen
werden können. Schliesslich führten die Wissenschaftler keine
Bestimmungen des freien bioverfügbaren Vitamin D und des
Vitamin-D-bindenden Proteins durch. Beide Parameter könn-
ten für die Pathogenese der RA wichtiger sein als der
25(OH)D-Serumspiegel.
O
Petra Stölting
Interessenkonflikte: keine deklariert.
Hong Q et al.: Associations between serum 25-hydroxyvitamin D and disease activity, inflammatory cytokines and bone loss in patients with rheumatoid arthritis. Rheumatology 2014; 53: 1994–2001.