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Keine Atempause!
So erkennen und behandeln Sie die obstruktive Schlafapnoe
FORTBILDUNG
Obwohl Schnarchen und apnoische Atemaussetzer während des Schlafs recht häufig auftreten, setzt die Diagnose eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms (OSAS) das Vorhandensein von wiederholten Apnoen sowie von Symptomen einer Schlafdiskontinuität, meist eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit, voraus. In einem Review haben britische Mediziner für Nichtspezialisten Physiologie und Diagnostik des OSAS sowie die Möglichkeiten der Behandlung und der Identifizierung der höchstwahrscheinlich davon profitierenden Patienten zusammengefasst.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Das OSAS geht mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen sowie für Verkehrsunfälle einher und ist damit auch für das öffentliche Gesundheitswesen von erheblicher Bedeutung.
Definition und Häufigkeit Eine Apnoe ist als Unterbrechung des Atemstroms von 10 s Dauer definiert und oft mit einer Sauerstoffdesaturierung assoziiert. Kürzere Atempausen werden als Hypopnoen bezeichnet. In Schlafanalysen wird der sogenannte Apnoe/Hypopnoe-Index (AHI) ermittelt, der die Anzahl der Atmungsereignisse pro Stunde angibt. Als unterer Grenzwert für die
Diagnose eines OSAS gilt ein AHI von 5. Ab dieser Frequenz sind die Atmungsstörungen häufiger mit ausgeprägter Tagesmüdigkeit verbunden. Die im Rahmen bevölkerungsbasierter Studien per Fragebogen und Schlaf-Monitoring ermittelte Häufigkeit des OSAS lag in nordamerikanischen und chinesischen Kohorten bei 24 und 18,8 Prozent (AHI >5) respektive bei 9 und 5,3 Prozent (>15) für Männer sowie bei 9 und 3,7 Prozent respektive 4 und 1,2 Prozent für Frauen.
Ursachen für Apnoen und deren Einfluss auf die Tagesmüdigkeit Kommt es während des Schlafs durch Erschlaffen der pharyngealen Muskulatur zur Verengung oder zum Verschluss der oberen Atemwege, muss die Atemmuskulatur gegen diesen Widerstand anarbeiten. Durch autonome Aktivierung wird dabei der Tonus der Rachenmuskulatur um den Preis eines neurophysiologischen Arousals wiederhergestellt. Die dadurch bedingte abrupt geringere Schlaftiefe lässt sich im Elektroenzephalogramm (EEG) nachweisen. OSAS-Patienten erreichen so nur unzureichende Verweildauern in den Phasen des REM («rapid eye movement»)- und des erholsamen Tiefschlafs. Darüber hinaus kommt es durch intrathorakale Druckschwankungen zu systemischer und pulmonaler arterieller Hypertonie und Sympathikusaktivierung. Eine einzelne genetische Ursache für OSAS konnte zwar nicht ermittelt werden, jedoch scheint eine hereditäre Komponente, wahrscheinlich hinsichtlich der kranofaziellen Morphologie oder der Atmungskontrolle, im Entstehungsprozess eine Rolle zu spielen.
Merksätze
O Das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) ist eine häufige und unterschätzte Ursache für ausgeprägte Tagesschläfrigkeit; es lässt sich aber leicht und effektiv behandeln.
O Grundversorger spielen eine wichtige Rolle bei der Identifikation von Symptomen und für eine Weiterweisung zum Spezialisten.
O Unbehandelte Patienten haben ein erhöhtes Risiko für Verkehrsunfälle.
O Das OSAS ist möglicherweise ein modifizierbarer Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen.
Symptomatik Die Schläfrigkeit als typisches Symptom des OSAS wird am einfachsten über die Epworth Sleepiness Scale (ESS) erfasst (Abbildung 1). Werden hierbei Werte von >10 erreicht, sind weitere Untersuchungen angezeigt. Wichtige Aspekte der Schlafanamnese und relevante Befunde sind in Kasten 1 zusammengefasst. Das Vorliegen von komplikationsfreiem Schnarchen oder zeitweiligen Apnoen allein (ohne Tagesmüdigkeit) erfordert keine weitere Diagnostik. Symptome, welche die Durchführung einer Schlafanalyse nahelegen, sind in Kasten 2 zusammengestellt.
Diagnostische Tests Obwohl die Sauerstoffdesaturierung nur einen ungenauenSurrogatmarker apnoischer Ereignisse darstellt, gilt eine per Übernacht-Oxymetrie ermittelte Desaturierung von 4 Prozent
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FORTBILDUNG
Kasten 1:
Anamneseerhebung und Untersuchungen bei Verdacht auf OSAS
Fragen:
O Schnarchen Sie? O Tritt das Schnarchen in bestimmen Schlafpositionen auf? O Ist bei Ihnen eine Operation der oberen Atemwege durchgeführt
worden? O Hat irgendjemand bei Ihnen Atemaussetzer oder Atemnot während
des Schlafs beobachtet? O Wie lange schlafen Sie? O Fühlen Sie sich erholt beim Aufwachen? O Stellen Sie bei sich Tagesschläfrigkeit oder mangelnde Konzentra-
tions- bzw. Gedächtnisleistungen fest? O Hatten Sie jemals (Beinahe-)Verkehrsunfälle? O Müssen Sie nachts zur Toilette gehen? O Leiden Sie morgens unter Kopfschmerzen? O Stellen Sie einen Libidoverlust fest?
Untersuchungen:
O Body-Mass-Index, Halsumfang O Blutdruck O Schilddrüsendiagnostik O Abklärung hinsichtlich nasaler Obstruktion und Retrognathie O orale Diagnostik auf Tonsillenvergrösserung und oropharyngealen
Engstand
Kasten 2:
Indikationen zur Durchführung einer Schlafanalyse
O Symptome exzessiver Tagesmüdigkeit oder Epworth Sleepiness Score (ESS) ≥11*
O wiederholt aufgetretene Apnoen O nächtliche Schnappatmung, Erstickungsanfälle oder «Dyspnoe» O Kopfschmerzen am Morgen O nicht erholsamer Schlaf trotz ausreichender Schlafdauer und
-kontinuität O (Beinahe-)Unfälle aufgrund reduzierter Aufmerksamkeit beim
Fahren* O Screening vor bariatrischen Operationen oder Chirurgie der oberen
Atemwege wegen Schnarchens O anderweitig nicht erklärbare Polyzythämie, pulmonale Hypertonie
oder Atmungsstörung
*Eine notfallmässige Zuweisung zur Schlafanalyse ist erforderlich bei ESS >18 oder (Beinahe-)Verkehrsunfällen
als Indikator einer Schlafapnoe. Sensitivität und Spezifität der Übernacht-Oxymetrie betragen lediglich 87 respektive 65 Prozent. Gemäss dem Scottish Intercollegiate Guideline Network (SIGN) sollten Personen mit entsprechender Anamnese sowie > 10 Desaturierungen von jeweils 4 Prozent pro Stunde ohne weitere Abklärung einer Therapie zugeführt werden, da auch eine «normale» Oxymetrie das Vorliegen eines OSAS nicht ausschliessen kann.
Die Beschränkung auf eine eindimensionale Diagnostik wie die Oxymetrie gilt in den USA und in Westeuropa als nicht adäquat. Respiratorische Mehrkanalaufzeichnungen erfassen das Schnarchen, den nasalen Atemstrom, die Schlafposition, die Oxymetrie sowie die Pulsrate und sind in der Lage, Apnoen und Hypopnoen zu detektieren. Thorax- und Unterleibsbandagen erfassen die Brustbewegungen und können so zwischen obstruktiven und zentralen Atmungsaussetzern differenzieren. Die SIGN-Guidelines ziehen den AHI zur Klassifikation der Schwere von OSAS heran: O AHI 5–15: leicht O 15-29: moderat O > 30: schweres OSAS
Der AHI korreliert allerdings nicht linear mit den Symptomen, weshalb immer auch die Schlafanamnese interpretiert werden muss. Als ideale diagnostische Methode gilt die vollständige Polysomnografie (Mehrkanalaufzeichnung über Nacht inkl. EEG). Aufgrund ihrer begrenzten Verfügbarkeit sowie der hohen Kosten werden die Oxymetrie und ein limitiertes Atmungs-Monitoring allerdings weitaus häufiger durchgeführt und sind ebenso effektiv. Der Stellenwert von Voruntersuchungen im Rahmen der Grundversorgung wird derzeit evaluiert.
Behandlungsmöglichkeiten Im Allgemeinen gilt ein moderates bis schweres OSAS als behandlungsbedürftig. Als Therapieoptionen kommen hauptsächlich Massnahmen infrage, die die Verengung der oberen Atemwege beheben können («continuous positive airway pressure»[CPAP], orale Geräte, Chirurgie der oberen Atemwege). Ausserdem können Gewichtsreduktion und bariatrische Chirurgie hilfreich sein. Behandlungsziel ist derzeit vornehmlich die Symptomverbesserung, insbesondere hinsichtlich Müdigkeit, und weniger die Minderung kardiovaskulärer Risiken.
Lebensstilmassnahmen/Gewichtsreduktion Sedativa können OSAS-Symptome verschlechtern und ausgeprägte Schläfrigkeit verursachen. Hier kann möglicherweise ein Verzicht auf solche Medikamente sinnvoll sein. Auf die Schlafposition abzielende Therapien haben sich ebenso als wenig effektiv erweisen können wie die Gabe von trizyklischen und serotonergen Medikamenten zur Stabilisierung der Muskulatur der oberen Atemwege. Bis zu 70 Prozent der OSAS-Patienten sind übergewichtig. Studien zufolge kann bereits eine geringe Gewichtsreduktion das Auftreten von Apnoen deutlich eindämmen (Abnahme des AHI-Werts). Einem Cochrane-Review zufolge ist die Gewichtsabnahme allerdings eher als unterstützende denn als kurative Massnahme effektiv. Bariatrische Chirurgie dagegen kann für manche Patienten das Problem dauerhaft beseitigen.
CPAP CPAP («continuous positive airway pressure»), bei der über eine Maske zugeführte gefilterte Luft einen individuell angepassten positiven Druck in den Atemwegen aufrechterhält, ist die Therapie der Wahl bei moderatem oder schwerem
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OSAS. Ein Cochrane-Review zu 36 Studien bescheinigt dieser Behandlung eine hohe Wirksamkeit hinsichtlich der Reduktion von Tagesmüdigkeit (durchschnittliche Abnahme des ESS-Score um 3,8, p < 0,001). Mindestens 20 Prozent der Patienten brechen die Behandlung allerdings ab, weil sie nicht wirkt oder nicht toleriert wird. Orale Geräte In Mund oder Rachenraum zu applizierende Vorrichtungen, die auf verschiedene Weise die oberen Atemwege offenhalten sollen, können bei Patienten mit leicht bis mittelgradig ausgeprägtem OSAS oder bei solchen, die CPAP nicht tolerieren, in Erwägung gezogen werden. Einer Metaanalyse zufolge lässt sich durch derartige Hilfsmittel etwa bei der Hälfte der untersuchten Patienten das Auftreten von Apnoen und Schläfrigkeit reduzieren. Chirurgie der oberen Atemwege Chirurgische Massnahmen zur Verbesserung des Luftstroms in den oberen Atemwegen (Tonsillektomie, Laser-Palatoplastik, Uvulopalatopharyngoplastik, Radiofrequenzablation des Zungengrunds, Zungenbein-Suspension) kommen bei Patienten infrage, bei denen CPAP oder orale Geräte nicht wirken oder aufgrund von Klaustrophobie oder Zahnproblemen nicht eingesetzt werden können. Schlafapnoe und kardiovaskuläres Risiko Prospektiven Studien zufolge besteht eine Assoziation zwischen OSAS und einem erhöhten Risiko für Hypertonie und Schlaganfall. Ein kausaler Zusammenhang ist allerdings nicht belegt. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Behandlung der Schlafapnoe auch positiven Einfluss auf mögliche kardiovaskuläre Konsequenzen nehmen kann. Mehrere Metaanalysen haben hierzu lediglich einen gering ausgeprägten Effekt auf die Senkung des Blutdrucks (als Surrogatparameter des kardiovaskulären Risikos) ausmachen können. Noch ist die Evidenz aus kontrollierten Studien nicht ausreichend, um etwa CPAP in Abwesenheit von Symptomen der Schlafdiskontinuität allein zur Reduktion möglicher kardiovaskulärer Risiken empfehlen zu können. Empfehlungen zur Teilnahme am Strassenverkehr für OSAS-Patienten Patienten mit OSAS sollten auf ihre Fähigkeit untersucht werden, ein Fahrzeug zu führen oder generell Aufgaben auszuführen, welche eine hohe Aufmerksamkeit erfordern. Personen, die unter Schläfrigkeit leiden, sollte geraten werden, auf das Fahren solange zu verzichten, bis eine Kontrolle der Symptome erreicht ist. Ralf Behrens Greenstone M, Hack M: Obstructive sleep apnoea. BMJ 2014; 348: g3745. ARS MEDICI 21 I 2014 1065