Transkript
FORTBILDUNG
Management bei Vorhofflimmern
Was die NICE-Leitlinien empfehlen
Das britische National Institute for Health and Excellence (NICE) hatte 2006 eine erste Guideline zum Vorgehen bei Vorhofflimmern herausgegeben. Diese ist kürzlich überarbeitet und der neuesten Evidenzlage angepasst worden.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Seit 2006 fanden Neuerungen bei der Risikostratifizierung, Hirnschlagprävention und beim Rhythmusmanagement statt. Die Entwicklungsgruppe (Guideline Development Group, GDG) hat dem nun Rechnung getragen. Die NICEEmpfehlungen basieren auf systematischen Reviews der besten verfügbaren Evidenz und entstehen unter expliziter Berücksichtigung der Kosteneffektivität.
Diagnose und Evaluation An den Empfehlungen, wie bei Verdacht auf Vorhofflimmern vorzugehen ist, hat sich nichts geändert. Ein unregelmässiger Puls bei Patienten mit Kurzatmigkeit, Palpitationen, Synkope oder Benommenheit, Beschwerden in der Brust, Stroke oder
transient ischämischer Attacke muss immer an Vorhofflimmern denken lassen. Unabhängig von Symptomen ist bei Verdacht auf Vorhofflimmern immer die Indikation für ein EKG gegeben. Bei paroxysmalem Vorhofflimmern ohne Dokumentation im Standard-EKG ist ein ambulantes 24-Stunden-EKG oder eine längerfristige EKG-Aufzeichnung zu veranlassen. Neu wird empfohlen, für jeden Patient ein personalisiertes Betreuungspaket («package of care») zu schnüren (Kasten 1) (basiert auf Evidenz mässiger bis sehr schlechter Qualität aus randomisierten kontrollierten Studien [RTC] sowie Erfahrung und Meinung der GDG). Eine neue Empfehlung lautet, Patienten in jedem Behandlungsstadium zum Spezialisten zu überweisen, wenn eine Kontrolle der Symptome des Vorhofflimmerns nicht gelingt (basiert auf Evidenz niedriger bis hoher Qualität aus RTC, ökonomischer Evidenz mit potenziell schwerwiegenden Einschränkungen und nur teilweiser Anwendbarkeit sowie Erfahrung und Meinung der GDG). Die Risiken für Stroke sollen bei symptomatischem und asymptomatischem, paroxysmalem, persistierendem oder permanentem Vorhofflimmern, Vorhofflattern oder anhaltendem
Merksätze
O An den Empfehlungen, wie bei Verdacht auf Vorhofflimmern vorzugehen ist, hat sich nichts geändert.
O Neu wird empfohlen, für jeden Patienten ein personalisiertes Betreuungspaket («package of care») zu schnüren.
O In der Diskussion zu Nutzen und Risiken der Antikoagulation ist festzuhalten, dass der Nutzen der Antikoagulation für die meisten Patienten das Risiko überwiegt.
O Für die Antikoagulation kommen gemäss den NICE-Einschätzungen für die verschiedenen Wirkstoffe entweder die traditionellen Vitamin-K-Antagonisten oder die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) in Betracht.
O Zurzeit gibt es keine Evidenz, die zeigt, dass das Rhythmusmanagement der Frequenzkontrolle hinsichtlich Stroke-Prävention und Mortalitätsreduktion überlegen ist; Hauptziel der Behandlung ist daher die Symptomkontrolle.
Kasten 1:
Das «care package» für Menschen mit Vorhofflimmern
O Bewusstsein («awareness») für Stroke und Massnahmen zur Strokeprävention schaffen
O Frequenzkontrolle
O Symptome im Hinblick auf eine Rhythmuskontrolle erfassen
O Anlaufstelle für Beratung bei Problemen bezeichnen
O bei Bedarf psychologische Unterstützung anbieten
O aktualisierte und umfassende Patientenschulung und Information zu: – Ursache, Auswirkungen und möglichen Komplika– tionen von Vorhofflimmern – Management von Frequenz- und Rhythmuskontrolle – Antikoagulation – praktischen Ratschlägen zur Antikoagulation – Vermittlung von Hilfsnetzwerken für Patienten
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FORTBILDUNG
Kasten 2:
Neue Empfehlungen zur antithrombotischen Therapie
Empfehlung
Personen unter 65 Jahren mit Vorhofflimmern und keinen Risikofaktoren ausser dem Geschlecht (d.h. CHA2DS2-VASc-Score 0 für Männer oder 1 für Frauen) sollen keine Behandlung zur StrokePrävention erhalten.
Eine Antikoagulation soll für Männer mit CHA2DS2-VASc-Score von 1 in Betracht gezogen werden. Dabei ist das Blutungsrisiko zu berücksichtigen.
Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von 2 oder mehr ist eine Antikoagulation anzubieten, wobei das Blutungsrisiko zu berücksichtigen ist.
Die verschiedenen Optionen zur Antikoagulation sind mit den Patientinnen und Patienten zu diskutieren. Die Wahl soll auf den klinischen Parametern sowie der Patientenpräferenz basieren. Eine Aspirinmonotherapie soll bei Vorhofflimmern zur StrokePrävention nicht angeboten werden. Bei Patienten, die einen Vitamin-K-Antagonisten erhalten, ist regelmässig zu überprüfen, ob die Gerinnungshemmung adäquat ist (INR sowie individuelle Berechnung der Zeit im therapeutischen Bereich, «time in therapeutic range» [TTR]). Bei schlechter Einstellung ist nach möglichen Ursachen (Kognition, Adhärenz, interkurrente Erkrankung, Medikamenteninteraktionen, Lifestylefaktoren wie Ernährung und Alkoholkonsum) zu fragen. Wenn eine schlechte Einstellung unter einem Vitamin-K-Antagonisten nicht korrigiert werden kann, sind Risiken und Nutzen von Alternativen zur Strokeprävention zu evaluieren.
Evidenzbasis
Basiert auf Evidenz sehr schlechter bis hoher Qualität aus randomisierten kontrollierten Studien (RTC), ökonomischer Evidenz mit geringen bis potenziell schwerwiegenden Einschränkungen und direkter oder partieller Anwendbarkeit, einer originalen ökonomischen Analyse mit potenziell schwerwiegenden Einschränkungen und direkter Anwendbarkeit sowie Erfahrung und Meinung der Guideline Development Group (GDG). Basiert auf Evidenz sehr schlechter bis hoher Qualität aus RTC, ökonomischer Evidenz mit geringen bis potenziell schwerwiegenden Einschränkungen und direkter oder partieller Anwendbarkeit, einer originalen ökonomischen Analyse mit potenziell schwerwiegenden Einschränkungen und direkter Anwendbarkeit sowie Erfahrung und Meinung der GDG. Basiert auf Evidenz sehr schlechter bis hoher Qualität aus RTC, ökonomischer Evidenz mit geringen bis potenziell schwerwiegenden Einschränkungen und direkter oder partieller Anwendbarkeit, einer originalen ökonomischen Analyse mit potenziell schwerwiegenden Einschränkungen und direkter Anwendbarkeit sowie Erfahrung und Meinung der GDG. Basiert auf Erfahrung und Meinung der GDG.
Basiert auf Erfahrung und Meinung der GDG.
Basiert auf Erfahrung und Meinung der GDG.
Basiert auf Erfahrung und Meinung der GDG. Die GDG war sich einig, dass in dieser Situation ein neues orales Antikoagulans (NOAC) eine logische Alternative ist.
Rezidivrisiko nach erfolgreicher Kardioversion mit dem CHA2DS2-VASc-Score abgeschätzt werden (basiert auf Evidenz geringer bis hoher Qualität aus Beobachtungsstudien, einer einzigen ökonomischen Analyse mit potenziell schwerwiegenden Einschränkungen und nur teilweiser Anwendbarkeit sowie Erfahrung und Meinung der GDG). Bei Antikoagulation ist das Risiko für Blutungen mit dem HAS-BLED-Score abzuschätzen und muss modifizierbare Risikofaktoren wie unkontrollierte Hypertonie, Komedikationen (v.a. Aspirin®, nicht steroidale Antirheumatika) und schädlichen Alkoholkonsum berücksichtigen (basiert auf Evidenz geringer bis hoher Qualität aus Beobachtungsstudien sowie Erfahrung und Meinung der GDG).
In der Diskussion zu Nutzen und Risiken der Antikoagulation ist festzuhalten, dass der Nutzen der Antikoagulation für die meisten Patienten das Risiko überwiegt. Hingegen ist bei Personen mit erhöhtem Blutungsrisiko dieser Vorteil nicht immer gegeben, was eine sorgfältige Überwachung des Blutungsrisikos erforderlich macht (basiert auf Erfahrung und Meinung der GDG). Neu hält die Leitlinie fest, dass eine Antikoagulation nicht wegen eines Sturzrisikos allein vorenthalten werden soll (basiert auf Erfahrung und Meinung der GDG).
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Medikamentöse Therapien zur Stroke-Prävention Die Guideline-Revision hebt hervor, dass zuerst jene Individuen mit sehr geringem Risiko herausgefiltert werden müssen, die kein Antikoagulans erhalten sollen, und dass in einem zweiten Schritt den Verbliebenen unter Berücksichtigung des Blutungsrisikos eine Antikoagulation angeboten werden soll. Für die Antikoagulation kommen gemäss den NICE-Einschätzungen für die verschiedenen Wirkstoffe entweder die traditionellen Vitamin-K-Antagonisten oder die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) wie Apixaban (Eliquis®), Dabigatran (Pradaxa®) sowie Rivaroxaban (Xarelto®) in Betracht. Wenn eine Antikoagulation gemäss CHA2DS2-VASc-Score indiziert ist, müssen mit den Patientinnen und Patienten die medikamentösen Optionen diskutiert werden. Die Entscheidung für einen der verfügbaren Wirkstoffe soll sich auf die individuellen klinischen Charakteristika und die Patientenpräferenz abstützen (Kasten 2). NOAC kommen nur bei nicht valvulärem Vorhofflimmern in Betracht. Die Abschätzung des Stroke-Risikos muss bei Patienten mit Vorhofflimmern mindestens einmal jährlich wiederholt werden. Bei Individuen, die keine Antikoagulation erhalten, muss das Stroke-Risiko erneut beurteilt werden, wenn sie 65 Jahre alt werden oder wenn neu Diabetes, Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Erkrankung oder Stroke, transiente ischämische Attacke oder systemische Thromboembolie hinzutreten (basiert auf Erfahrung und Meinung der GDG). Bei Patienten, die ein Antikoagulans einnehmen, ist die Notwendigkeit und Qualität der Antikoagulation mindestens einmal pro Jahr zu überprüfen, jedoch häufiger, wenn klinisch relevante Ereignisse mit Einfluss auf Antikoagulation und Blutungsrisiko auftreten (basiert auf Erfahrung und Meinung der GDG). Neu erwähnen die Guidelines die Empfehlung, dass für Patienten, bei denen eine Antikoagulation kontraindiziert ist oder nicht vertragen wird, der Verschluss des linken Vorhofohrs zu erwägen ist (basiert auf Evidenz sehr geringer bis mässiger Qualität aus RTC, ökonomischer Evidenz mit geringen Einschränkungen und partieller Anwendbarkeit sowie Erfahrung und Meinung der GDG).
Frequenz- oder Rhythmuskontrolle
Zurzeit gibt es keine Evidenz, die zeigt, dass das Rhythmus-
management der Frequenzkontrolle hinsichtlich Stroke-
Prävention und Mortalitätsreduktion überlegen ist. Haupt-
ziel der Behandlung ist daher die Symptomkontrolle.
Als First-Line-Strategie soll Patienten mit Vorhofflimmern
eine Frequenzkontrolle angeboten werden. Ausnahmen sind
Patienten, bei denen Massnahmen zur Rhythmuskontrolle
aufgrund der klinischen Einschätzung adäquater sind, bei-
spielsweise bei neu aufgetretenem Vorhofflimmern oder bei
Vorliegen reversibler Ursachen (basiert auf Evidenz sehr ge-
ringer bis mässiger Qualität aus RTC, ökonomischer Evidenz
mit geringen bis potenziell schwerwiegenden Einschrän-
kungen und partieller Anwendbarkeit sowie Erfahrung und
Meinung der GDG).
Zur Frequenzkontrolle empfehlen die Guidelines generell
Betablocker oder Kalziumantagonisten als initiale Monothe-
rapie, ohne einzelne Wirkstoffe hervorzuheben. Digoxin hat
in den Empfehlungen nur einen kleinen Platz bei Patienten,
die einen vorwiegend sitzenden Lebensstil haben, oder in aus-
gesuchten Fällen im Rahmen einer Kombinationstherapie.
Zur Rhythmuskontrolle kommen pharmakologische oder
elektrische Interventionen dann infrage, wenn die Frequenz-
kontrolle nicht gelungen ist oder weiter Symptome bestehen
(basiert auf Evidenz sehr geringer bis hoher Qualität aus RTC
sowie Erfahrung und Meinung der GDG).
Wenn die medikamentöse Therapie gescheitert ist, stellt die
Vorhofablation eine effektive Behandlungsoption dar. Der
Eingriff hat bessere Erfolgsaussichten, wenn er früher anstatt
später erfolgt und wenn ein paroxysmales (gegenüber einem
persistierenden) Vorhofflimmern vorliegt.
O
Halid Bas
Jones C et al.: The management of atrial fibrillation: summary of updated NICE guidance. BMJ 2014; 348: g3655.
Interessenlage: Die Erarbeitung der Leitlinie wurde vom National Institute for Health and Excellence (NICE) in Auftrag gegeben und finanziert. Ein Mitglied der Entwicklungsgruppe deklarierte Bindungen zu Pharmafirmen und trat bei der Diskussion der Empfehlungen zur antithrombotischen Therapie in den Ausstand.
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