Transkript
ANTIKOAGULATION AKTUELL
5 Jahre Rivaroxaban in der Schweiz
Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern: Erfahrung bestätigt Studien
Die Ärzte in der Schweiz können auf bis zu fünf Jahre Erfahrung – in mittlerweile fünf Indikationen – in der Anwendung von Rivaroxaban (Xarelto®) zurückblicken. Die Zulassung zur Prophylaxe von Schlaganfällen sowie systemischen Embolien bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern (VHF) Anfang 2012 basierte auf den Ergebnissen der ROCKET-AF-Studie, die Vorteile der einmal täglich oral zu nehmenden Substanz gegenüber Vitamin-K-Antagonisten (VKA) zeigte (1). Subgruppenanalysen sowie Real-Life-Daten bestätigen den Nutzen von Rivaroxaban für VHF-Patienten über verschiedenste Risikogruppen hinweg (2–6).
ROCKET-AF-Studie
Die randomisierte doppelblinde ROCKETAF-Studie untersuchte Rivaroxaban versus Warfarin bei 14 264 Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern, viele davon multimorbid mit einem mittleren CHADS-VASc-Score von 3,5 (1). Der Faktor-Xa-Hemmer reduzierte Schlaganfälle und systemische Embolien während der Behandlung (On-Treatment-Analyse der Safety Population) signifikant (HR 0,79; p = 0,015). Die Blutungsrate war gegenüber Warfarin vergleichbar. Intrakranielle sowie tödliche Blutungen aber waren unter Rivaroxaban signifikant seltener (0,5 vs. 0,7%, p = 0,019 respektive 0,2% vs. 0,5%, p = 0,003), bei signifikant mehr chronischen gastrointestinalen Blutungen.
Dank des breiten Indikationsspektrums liegen über die Zulassungsstudien hinaus bereits zahlreiche Erfahrungen aus dem klinischen Alltag vor; neben der Schlaganfallprävention ist Rivaroxaban zur Thromboseprophylaxe bei grösseren orthopädischen Eingriffen an den unteren Extremitäten wie Hüft- und Knieprothesen, zur Behandlung tiefer Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE) sowie zur Rezidivprophylaxe einer TVT und LE zugelassen.
Indikationen für Rivaroxaban
O seit 12/2008: Thromboseprophylaxe bei grösseren orthopädischen Eingriffen an den unteren Extremitäten wie Hüft- und Knieprothesen
O seit 4/2012: Behandlung der tiefen Venenthrombosen (TVT) sowie Rezidivprophylaxe einer TVT und Lungenembolie (LE); Schlaganfallprophylaxe und Prophylaxe systemischer Embolien bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern
O seit 9/2013: Behandlung von LE
Wirksamkeit und Sicherheit der Schlaganfallprävention im Alltag untersuchte das prospektive Dresdner NOAK-Register (2). Von den bis Ende 2012 rekrutierten 1665 VHF-Patienten erhielten 58 Prozent Rivaroxaban als orales Antikoagulans. Die Adhärenz war hoch, 90,7 Prozent nahmen den Faktor-Xa-Hemmer nach 9 Monaten immer noch wie verschrieben ein. Die Raten schwerer Blutungen und kardiovaskulärer Ereignisse bezeichnete PD Dr. Jan BeyerWestendorf, Dresden, am letzten Jahrestreffen der European Society of Cardiology (ESC) mit 2,2 respektive 6,2 Ereignissen pro 100 Patientenjahre als gering und folgerte, dass Rivaroxaban auch bei unselektionierten Patienten eine wirksame Alternative zur Standardtherapie darstelle (2).
Rocket AF: Subgruppenanalysen zeigen umfassenden Nutzen Die ROCKET-AF-Studie (Kasten) wurde mittlerweile hinsichtlich diverser praxisrelevanter Aspekte weiter ausgewertet, wie deren Hauptautor Prof. Dr. Manesh Patel, Durham, USA, am letztjährigen ESC-Jahrestreffen berichtete.
Nierenfunktion: Bei Patienten mit nichtvalvulärem VHF und moderat eingeschränkter Nierenfunktion (n = 2950), sprich einer Kreatinin-Clearance von 30 bis 49 ml/min, waren Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie (reduzierte Dosis von 15 mg Rivaroxaban einmal täglich) vergleichbar mit derjenigen von VHF-Patienten mit normaler Kreatinin-Clearance (Standarddosis 20 mg Rivaroxaban einmal täglich) (3). Sekundärprävention: Eine Subgruppenanalyse der Patienten mit Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke in der Anamnese konnte zeigen, dass Rivaroxaban und Warfarin in der Sekundärprävention von Schlaganfall oder systemischen Embolien gleichwertig waren (4). Diese Daten bestätigen, so Patels Fazit, dass sich Rivaroxaban zur Behandlung eines breiten Kollektivs von Patienten mit nicht-valvulärem VHF eignet.
Fazit für die Praxis O Rivaroxaban ist in der Prävention von
Schlaganfall bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern wirksam (1). O Intrakranielle sowie tödliche Blutungen waren unter Rivaroxaban signifikant seltener als unter VKA (1). O Patienten mit moderat eingeschränkter Nierenfunktion profitieren gleichermassen (3). O Erfahrungen der täglichen Praxis bestätigen die ROCKET-AF-Daten (2).
Literatur: 1. Patel MR et al.: Rivaroxaban versus warfarin in nonvalvular
atrial fibrillation. N Engl J Med 2011; 365: 883-891. 2. Beyer-Westendorf J et al.: Real life efficacy and safety of riva-
roxaban for stroke prevention in atrial fibrillation: updated results of the prospective NOAC registry (NCT01588119). Eur Heart J, 2013; 34 (Abstract Supplement): 888. 3. Fox KA et al.: Prevention of stroke and systemic embolism with rivaroxaban compared with warfarin in patients with nonvalvular atrial fibrillation and moderate renal impairment. Eur Heart J, 2011; 32 (19): 2387-2394. 4. Hankey GJ et al.: Rivaroxaban compared with warfarin in patients with atrial fibrillation and previous stroke or transient ischaemic attack: a subgroup analysis of ROCKET AF. Lancet Neurol, 2012; 11 (4): 315-322. 5. Camm AJ et al.: 2012 focused update of the ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation. Eur Heart J, 2012; 33: 2719–2747. 6. Man-Son-Hing M et al.: Choosing antithrombotic therapy for elderly patients with atrial fibrillation who are at risk for falls. Arch Intern Med 1999; 159 (7): 677–685.
Die gekürzte Fachinformation ist auf Seite 759.
Text: Dr. med. Christine Mücke Redaktion: Dr. med. Richard Altorfer
Die Rubrik «Antikoagulation aktuell» behandelt den verantwortungsvollen Einsatz von Rivaroxaban. Sie wird mit freundlicher Unterstützung der Firma Bayer Schweiz AG realisiert.
ARS MEDICI 14/15 I 2014 757
L.CH.HC.07.2014.0446-DE/FR/IT
ANTIKOAGULATION AKTUELL
NACHGEFRAGT
Interview mit PD Dr. med. Michael Kühne, Oberarzt Elektrophysiologie, Universitätsspital Basel.
gezeigt haben, dass unter NOAK weniger intrazerebrale Blutungen auftreten. Hier kann man es diskutieren, aber da belasse ich es eher. Bei starken Schwankungen, wenn die Patienten es wünschen, viel reisen oder das einfachere Handling ein Thema ist, dann stelle ich um. Bei Patienten, die schwere Blutungen gehabt haben, z.B. intrazerebral oder gastrointestinal, gibt es zwei Situationen: Lag ein völlig entgleister INRWert zugrunde, dann ist eine Umstellung auf ein NOAK eine gute Alternative. Waren die INR-Werte im Normbereich wird die Umstellung keine Lösung sein. In dieser Situation kommt eine interventionelle Alternative, der Vorhofsohrverschluss, in Frage.
Klinische Erfahrungen mit Rivaroxaban bei der
Prophylaxe von Schlaganfall und systemischen
Embolien
Seit Anfang 2012 wird Rivaroxaban (Xarelto®) in der Schweiz zur Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern (VHF) eingesetzt. Über Erfahrungen aus dem klinischen Alltag unterhielten wir uns mit PD Dr. Michael Kühne.
ARS MEDICI: Im Jahr 2012 gab es ein Update der ESC-Guidelines (5) zum VHF. Diese empfehlen neu die Verwendung des CHA2DS2-VASc-Scores und einen bevorzugten Einsatz der NOAKs bei Indikation für eine orale Antikoagulation … PD Dr. Michael Kühne: Darin wurde zum ersten mal mit einer 2a-Empfehlung den NOAK der Vorzug gegeben, weil sie mehr Schlaganfälle verhindern, mit weniger schweren – also tödlichen und intrazerebralen – Blutungen einhergehen und für die Patienten einfacher in der Handhabung sind als Vitamin-K-Antagonisten. In gewissen Studien konnte sogar ein besseres Überleben gezeigt werden. Die neuen Produkte stellen eine Bereicherung für die medizinische Therapie dar, das wichtigste aber bleibt, dass erkannt wird, ob ein VHF vorliegt, dann eine Risikostratifizierung erfolgt und, falls erforderlich, auch wirklich antikoaguliert wird.
Wie beurteilen Sie die Umsetzung dieser Empfehlungen in der Schweiz? Kühne: Die konkrete Umsetzung ist in den einzelnen Ländern massgeblich durch den Zulassungszeitpunkt der einzelnen Substanzen geprägt. In der Schweiz war zuerst Rivaroxaban verfügbar und wurde entsprechend gut aufgenommen. Ausserdem kannten die Ärzte dieses Medikament bereits aus der Orthopädie, das war sicher ein zusätzlicher Punkt für die Substanz.
Wie könnte die Umsetzung aus Ihrer Sicht weiter verbessert werden? Kühne: Grundlage für eine bestmögliche Umsetzung ist eine gute Risikostratifizierung – und bei uns erfolgt diese gemäss Score. Hat jemand ein sehr tiefes Thromboembolierisiko, also einen CHA2DS2-VASc-Score von 0, dann ist das Risiko der Antikoagulation bezüglich Blutung grösser als ihr Nutzen. Das Risiko für intrazerebrale Blutungen ist jedoch alles in allem sehr gering, sodass ab einem CHA2DS2-VAScScore von 1 der Nutzen der Antikoagulation wahrscheinlich überwiegt. Wir haben das Gefühl, dass Scores heute zunehmend eingesetzt werden, und das ist sehr sinnvoll – auch wenn man manchmal denkt, das könne man doch aus der Erfahrung einschätzen. Am häufigsten wird die Sturzgefahr als Argument gegen eine Antikoagulation angeführt. Dazu gibt es eine Untersuchung, die zeigt, dass man sehr häufig stürzen muss, bevor das damit einhergehende Blutungsrisiko den Nutzen einer Antikoagulation überwiegt (6). Und gerade die sehr Betagten haben nicht nur das höchste Sturzrisiko, sondern auch das höchste Schlaganfallrisiko – und würden am meisten von einer Antikoagulation profitieren. Der Verzicht darauf schadet eher, denn das Risiko für einen Schlaganfall ist im Vergleich zur intrazerebralen Blutung deutlich erhöht.
Welche Patienten mit nicht-valvulärem VHF sind Kandidaten für eine orale Antikoagulation mit Rivaroxaban? Kühne: Für mich kommt eigentlich jeder neu mit nicht-valvulärem VHF diagnostizierte Patient dafür in Frage. Wenn ein Patient mit Vitamin K-Antagonisten gut eingestellt ist und mehr als 70 Prozent seiner Werte im therapeutischen Bereich sind, ist der zusätzliche Nutzen durch eine Umstellung kleiner; auch wenn die Studien
Welche Patienten sollten kein Rivaroxaban erhalten? Beziehungsweise in welchen Fällen bedarf es einer Dosisadaption? Kühne: Ganz allgemein ist zu sagen, dass Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz nicht mit NOAK behandelt werden sollten. Bei einer Kreatininclearance unter 50 ml/min ist eine Anpassung der Rivaroxaban-Dosis erforderlich, hier muss von 20 auf 15 mg pro Tag reduziert werden. Die Guidelines sprechen vorsichtshalber davon, dass man die NOAK mit einer Kreatininclearance unter 30 ml/min nicht mehr empfehlen soll, laut Fachinformation kann Rivaroxaban bis zu einer Kreatininclearance von 15 ml/min eingesetzt werden – in adaptierter Dosis. Bei Polypharmazie und Hochbetagten kann die Wirkung unerwartet verstärkt werden, da die Kinetik verändert ist. Interaktionen machen u.a.auch HIV-Medikamente und Azol-Antimykotika (zu hohe Rivaroxabanspiegel) sowie Rifampicin, Carbamazepin und Phenytoin (zu niedrige Rivaroxabanspiegel).*
Welches sind die wichtigsten Vorteile dieser Therapie im Vergleich zur herkömmlichen Antikoagulation mit VKA? Kühne: Meiner Meinung nach ist die etwas grössere Wirksamkeit ein Vorteil, aber nicht der wichtigste Aspekt. Der grosse Unterschied liegt in der Reduktion der intrazerebralen und tödlichen Blutungen und in der einfacheren Handhabung. Es gibt vielleicht noch nicht viel mehr antikoagulierte Patienten. Aber wir können jetzt davon ausgehen, dass diese, sofern compliant, mit NOAK immer im Zielbereich sind. Auch ohne Kontrollen – Quick und INR sind nicht mehr erforderlich. Nur eine schlechte Compliance wird auch durch die neuen Medikamente nicht besser. Manche, die lange mit den alten Substanzen gearbeitet haben, sorgen sich ohne regelmässige Kontrollen darum. Aber dass wir überhaupt so viele notwendige Kontrollen hingenommen haben, war einfach historisch gewachsen, heute hätte ein neues Medikament damit keine Chance.
Auf was schauen Sie speziell, wenn Sie einen Patienten auf Rivaroxaban einoder umstellen? Kühne: Vor Einstellung auf Rivaroxaban ist es wichtig, das Kreatinin zu messen, da erlebt man manchmal Überraschungen. Auch im Verlauf der Therapie sollte man die Kreatinin-Clearance mindestens einmal im Jahr kontrollieren. Vor Beginn empfiehlt es sich darüber hinaus einmal den Hb-Wert zu überprüfen, um keine okkulte Blutung zu übersehen. Natürlich gehört auch ein Blick auf die Ko-Medikation dazu.
Mittlerweile ist Rivaroxaban seit 2008 in der Schweiz verfügbar und kann unter den NOAK auf den grössten Erfahrungsschatz zurückblicken. Wie sind Ihre Erfahrungen in der Praxis? Kühne: Diese Frage ist schwierig zu beantworten, da die Unterschiede zwischen den verschiedenen Substanzen in der Effektivität eher klein sind. Auch insgesamt sind die Schlaganfallraten der antikoagulierten Patienten mit VHF so niedrig, dass wir in unserer Praxis diese Unterschiede wahrscheinlich nie sehen werden. Wichtiger ist es, aus dem Nichtauftreten oder Auftreten einzelner Ereignisse unter den NOAK nicht auf die Güte dieser neuen Medikamente zu schliessen, hier müssen wir uns auf die grossen Studien verlassen. Was wir hingegen sagen können, ist, dass Rivaroxaban gut vertragen wird. Das breite Indikationsspektrum ist ein grosser Vorteil der Substanz. Rivaroxaban war schon bekannt von der Thromboseprophylaxe in der Orthopädie und kann neben dem nichtvalvulärem VHF zusätzlich auch bei tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien eingesetzt werden – hier muss man nur bedenken, dass die Empfehlungen zur Dosierung und zur Dosisadaptation in den verschiedenen Indikationen unterschiedlich sind und entsprechend berücksichtigt werden müssen.
*Eine vollständige Auflistung der Kontraindikationen finden Sie in der Fachinformation.
758 ARS MEDICI 14/15 I 2014