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FORTBILDUNG
Antikoagulation bei Vorhofflimmern
Indikationsstellung und Wirkstoffwahl
Um sicherzustellen, dass bei der Antikoagulation für Patienten mit Vorhofflimmern der Behandlungsnutzen das Blutungsrisiko übersteigt, ist eine adäquate Patientenauswahl essenziell. Die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) umgehen viele Nachteile der Vitamin-K-Antagonisten, erfordern aber einige Vorsichtsmassnahmen.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Bei Patienten mit Vorhofflimmern sind Stroke und thromboembolische Ereignisse eine wichtige Ursache für Morbidität und Mortalität. Eine Langzeitantikoagulation kann diesen Risiken vorbeugen, ist ihrerseits aber mit der Gefahr von schweren, sogar tödlichen Blutungen verbunden. Dem ist durch eine geeignete Risikostratifikation sowohl hinsichtlich des Thromboembolie- als auch hinsichtlich des Blutungsrisikos zu begegnen. Heute sind zur Erfassung des Strokerisikos der CHADS2- und der CHA2DS2-Vasc-Score gebräuchlich. Beide haben aber Limitationen. Insbesondere sind bei den niedrigsten Risiken die Konfidenzintervalle immer noch gross. Studien ergeben vor allem bei Frauen widersprüchliche Risikoschätzungen, wenn der einzige Punkt vom weiblichen Geschlecht herrührte.
Merksätze
O Stroke ist die hauptsächliche Erkrankungs- und Todesursache bei Vorhofflimmern.
O Eine orale systemische Antikoagulation bietet bei Patienten mit Vorhofflimmern und mittlerem oder hohem Risiko dank Reduktion von Stroke und systemischen Embolien einen signifikanten klinischen Nutzen.
O Vitamin-K-Antagonisten waren zwar Mittel der Wahl, inzwischen haben sich direkte Thrombinhemmer und Faktor-Xa-Inhibitoren aber als sicherer und wirksamer erwiesen.
O Obwohl diese neuen oralen Antikoagulanzien einen grossen Fortschritt bedeuten, sind Dosierung, potenzielle Interaktionen und Therapieadhärenz sorgfältig zu beachten.
O Noch ist das Management bei Blutungen unter oraler systemischer Antikoagulation eine Herausforderung.
Zur Abschätzung des Blutungsrisiko, werden ATRIA-, HAS-BLED- und HEMORR2Hages-Scores angeboten. Die dafür benötigten Angaben sind aber nicht immer ohne Weiteres verfügbar oder berechenbar, und keine robuste prospektive Studie konnte bisher einen Nutzen belegen, wenn eine Antikoagulation aufgrund eines hohen Blutungsscores vorenthalten wurde. Auch grosse Beobachtungsdatenbanken konnten keine Gruppe von Patienten mit Vorhofflimmern identifizieren, bei der das Blutungsrisiko durch Antikoagulation das Strokerisiko ohne Antikoagulation übertrifft, wie die Autoren dieser State-of-the-Art-Review im «British Medical Journal» schreiben.
Heutige Antikoagulanzien Vitamin-K-Antagonisten Wirkstoffe dieser Gruppe wie Warfarin, Phenprocoumon (Marcoumar®) und Acenocoumarol (Sintrom®) sind vielfach und langjährig erprobt. Sie sind in der Strokeprophylaxe Plättchenhemmern allein oder in Kombination mit Clopidogrel überlegen. Im Vergleich zu klinischen Studien mit ihren geschützten Bedingungen führt Warfarin bei Patienten unter Alltagsbedingungen nur zu einem minimal höheren Blutungsrisiko. Trotz eines kleinen, aber signfikant erhöhten Risikos für intrakranielle Blutungen ist eine Warfarinprophylaxe mit einer deutlich geringeren Gesamtmortalität assoziiert.
Dabigatran Der direkte Thrombinhemmer Dabigatran-etexilat (Pradaxa®) war die erste zugelassene Alternative zu den Vitamin-K-Antagonisten zur Verhütung von Stroke und systemischen Embolien bei Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern. Die RE-LY-Studie verglich bei 18 113 Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern 2 × 150 mg beziehungsweise 2 × 110 mg Dabigatran täglich per os mit Warfarin. In der niedrigeren Dosierung war das kombinierte Stroke- und Embolierisiko demjenigen unter Warfarin ähnlich (relatives Risiko [RR] 0,91; p < 0,001 für Nichtunterlegenheit), in der 150-mg-Dosierung hingegen tiefer (RR 0,66; p < 0,001). Die Raten schwerer Blutungen waren unter 110 mg Dabigatran am tiefsten (2,71%) und unter Warfarin und Dabigatran 150 mg äquivalent (3,36 vs. 3,11%). Intrakranielle Blutungen waren unter Warfarin am häufigsten und unter den beiden Dabigatrandosierungen ähnlich. Mit beiden Dabigatrandosierungen waren gastrointestinale Blutungen häufiger als mit Warfarin. Eine Beobachtungsstudie als Verlängerung der RE-LY-Studie (RELY-ABLE) konnte belegen, dass die Wirksamkeit von Dabigatran bis zu 28 Monate über die originale Beobach-
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Kasten:
Pharmakologische Eigenschaften der zugelassenen neuen oralen Antikoagulanzien und Vitamin-K-Antagonisten
Warfarin
Dabigatran (Pradaxa®)
Rivaroxaban (Xarelto®)
Apixaban (Eliquis®)
Mechanismus
Vitamin-K-Antagonist direkter Thrombinhemmer
Faktor-Xa-Hemmer
Faktor-Xa-Hemmer
Dosierung*
variabel gemäss INR 2 × 150 mg/Tag resp. 2 × 110 mg/Tag
1 × 20 mg 1 × 15 mg/Tag bei Kreatininclearance 15–50** < 15 nicht empfohlen
2 × 5 mg 2 × 2,5 mg wenn > 2 der folgenden Punkte: Kreatinin ≥ 133 µmol/l, Alter > 80 J., Gewicht < 60 kg Kreatininclearance < 15**: keine Daten vorhanden
Orale Bioverfügbarkeit 100%
3,7%
60% 58%
Zeit bis Wirkungseintritt 72–96 Stunden
1–2 Stunden
2–4 Stunden
3–4 Stunden
Halbwertszeit
ca. 40 Stunden
12–17 Stunden
5–9 Stunden
8–15 Stunden
Gewichtige Medikamenteninteraktionen
zahlreich
starke P-Glykoproteininduktoren starke P-Glykoproteininduktoren bei gleichzeitiger Nierenfunktionsstörung
starke P-Glykoproteininduktoren, starke Zytochrom-P 450Induktoren und -Inhibitoren
*Patienten mit einer Kreatininclearance < 30 ml/min/1,73 m2 waren in keiner der klinischen Studien mit den neuen oralen Antikoagulanzien eingeschlossen. **Kreatininclearance in ml/min/1,73 m2
tungszeit hinaus erhalten blieb und dass unter der 110-mgDosierung das gegenüber 150 mg konsistent tiefere Blutungsrisiko fortbestand. Die primären Ergebnisse der RE-LYStudie hatten ein potenzielles Signal für ein höheres Risiko ischämischer myokardialer Ereignisse gezeigt. Eine spätere Metaanalyse bestätigte die Assoziation. Bis heute haben aber Beobachtungsstudien unter Alltagsbedingungen (Real-worldKohorten) die Sicherheit und die Effektivität der RE-LY-Studie bestätigt, ohne ein Signal für ein erhöhtes kardiales Risiko oder für höhere als die zu erwartenden Blutungsraten.
Rivaroxaban Dieser als Erster zugelassene Faktor-Xa-Hemmer wurde in der ROCKET-AF-Studie bei 14 246 Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern zur Strokeprävention im Vergleich mit Warfarin untersucht. Die Patienten erhielten entweder Warfarin oder 1 × 20 mg Rivaroxaban (Xarelto®) täglich per os. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininclearance 30–49 ml/min/1,73 m2) wurde die Dosis auf 1 × 15 mg/Tag reduziert. In der Intention-to-treat-Analyse war Rivaroxaban Warfarin für den primären Endpunkt Stroke plus systemische Embolien nicht unterlegen (1,7 vs. 2,2%; p < 0,001 für Nichtunterlegenheit). Schwere sowie klinisch relevante Blutungen traten in den Vergleichsgruppen ähnlich häufig auf (14,9 Ereignisse pro 100 Patientenjahre mit Rivaroxaban; 14,5 mit Warfarin; p = 0,44). Mit Rivaroxaban waren jedoch die Raten intrakranieller Blutungen signifikant tiefer (Hazard Ratio [HR]: 0,67; p = 0,02). Demgegenüber waren unter Rivaroxaban gastrointestinale Blutungen häufiger als mit Warfarin (3,15 vs. 2,16%; p < 0,001).
Apixaban Als zweiter Faktor-Xa-Hemmer wurde Apixaban (Eliqis®) zur Strokeprävention bei nicht valvulärem Vorhofflimmern
zugelassen. Apixaban erwies sich in der AVERROES- Studie im Vergleich mit Acetylsalicylsäure und in der ARISTOTLEStudie im Vergleich mit Warfarin zur Strokeprävention als sicher und effektiv. Die AVERROES-Studie hatte 5599 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, bei denen die behandelnden Ärzte Warfarin für nicht geeignet hielten, weshalb sie entweder zu Aspirin oder zu 2 × 5 mg Apixaban täglich per os randomisiert wurden. Die Studie wurde vorzeitig gestoppt, und nach einjährigem Follow-up favorisierte der kombinierte Endpunkt aus Stroke und systemischen Embolien eindeutig Apixaban (1,6 vs. 3,7%; p < 0,001). Die Blutungsraten waren tief, aber statistisch äquivalent in beiden Gruppen (HR für Apixaban 1,13; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,74–1,75; p = 0,057). Das galt auch für die gastrointestinalen Blutungen (HR: 0,86; 95%-KI: 0,40–1,86; p = 0,71). In der ARISTOTLE-Studie wurden 18 201 Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern entweder zu Warfarin oder zu 2 × 5 mg Apixaban täglich randomisiert. Patienten mit mindestens zwei von drei spezifizierten Risikofaktoren (hohes Alter, tiefes Körpergewicht, erhöhtes Serumkreatinin, Kasten) erhielten eine tiefere Dosis von 2 × 2,5 mg/Tag. Apixaban war hinsichtlich Vorbeugung von Stroke und systemischer Embolien Warfarin überlegen (HR für Apixaban 0,79; p = 0,01 für Überlegenheit). Pro Jahr erlitten unter Apixaban 2,13 Prozent eine schwere Blutung, unter Warfarin waren es 3,09 Prozent (p < 0,001). Die Häufigkeit gastrointestinaler Blutungen war bei beiden Gruppen äquivalent (0,89; 95%-KI: 0,70–1,15; p = 0,37). Als einzige der Studien mit den NOAC konnte ARISTOTLE für Apixaban eine signifikant tiefere Gesamtmortalität im Vergleich zu Warfarin nachweisen (3,52 vs. 3,94%; p = 0,047). Ein nicht signifikanter Trend in diese Richtung wurde aber auch für die anderen NOAC beobachtet.
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Zukünftige Antikoagulanzien Verschiedene weitere NOAC befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Dazu gehört Edoxaban, ein weiterer Faktor-Xa-Hemmer, für den die Studie ENGAGE AF-TIMI 48 günstige Resultate lieferte. Noch in früheren Entwicklungsstadien stehen die Faktor-Xa-Hemmer Betrixaban und Darexaban sowie der direkte Thrombinhemmer AZD0837.
Welches Antikoagulans auswählen? Wegen ihrer relativ unspezifischen Beeinflussung der Gerinnungskaskade haben Vitamin-K-Antagonisten einen verzögerten Wirkungseintritt und -verlust, was den Vorteil bietet, dass verpasste Dosen oder eine schlechte Adhärenz die klinische Wirkung nicht gleich zunichtemachen. Zudem ist die Clearance von Warfarin nicht von der Nierenfunktion abhängig, sodass es bei Patienten mit dem ganzen Spektrum von Nierenerkrankungen angewendet werden kann. Vitamin-KAntagonisten werden also weiterhin für ausgewählte Patientengruppen den Vorzug haben. Dazu gehören Patienten mit Herzklappenerkrankungen oder -ersatz. NOAC sind hier aufgrund der vorliegenden Studien eindeutig nicht indiziert. In den grossen NOAC-Studien wurden Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate < 30 ml/min/1,73 m2) nicht eingeschlossen, bei solchen Patienten sollten die NOAC daher auch nicht eingesetzt werden. Warfarin kann auch weiterhin eine gute Wahl sein bei Patienten mit Adhärenz- oder medikamentösen Sicherheitsproblemen, die ein einfaches und objektives Monitoring zwingend machen. Bei allen anderen Patienten mit Vorhofflimmern kann eine auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Auswahl der Antikoagulation erfolgen, die auch die NOAC umfasst. Für die neuen Antikoagulanzien (Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban) konnte gemeinsam eine grössere Sicherheit (intrakranielle Blutungen) und eine bessere Effektivität im Vergleich mit Warfarin nachgewiesen werden, weshalb ihnen einige Guidelines den Vorzug geben. Sie haben aber eine kürzere Latenz bis zum Eintritt der Wirkung, und diese fällt auch schneller wieder ab (Kasten). Vorderhand kann keiner der neuen Wirkstoffe mit einfachen Labortests überwacht werden. Bisher gibt es keine direkten Vergleichsstudien, und die grossen Zulassungsstudien erlauben wegen unterschiedlicher Methodik nur unsichere Vergleiche zwischen den Wirkstoffen, sodass vergleichende Schlussfolgerungen zu Sicherheit und Effektivität nicht wirklich belegt werden können. Dennoch gibt es einige für die Wahl der Therapie wichtige Gesichtspunkte. Alle Antikoagulanzien erhöhen das Blutungsrisiko, aber nur für Apixaban wurde gezeigt, dass es gegenüber Aspirin wirksamer und ähnlich sicher ist. In der ARISTOTLE-Studie konnte zudem nachgewiesen werden, dass Apixaban auch in einer niedrigeren Dosis bei Patienten mit besonderem Blutungsrisiko ähnlich wirksam und sicher ist wie unter der Standardosis. Im Gegensatz dazu erscheint Dabigatran bei besonderem Risiko für einen ischämischen Stroke das am besten geeignete NOAC zu sein. Denn obwohl Apixaban und Rivaroxaban im Vergleich zu Warfarin durch eine Verminderung der Zahl hämorrhagischer Ereignisse mehr Strokes verhüteten, senkte
Dabigatran in der RE-LY-Studie als einziges NOAC auch nicht hämorrhagische Hirnschlagereignisse signifikant. Einschränkend ist daran zu denken, dass Patienten mit hohem Risiko für ischämischen Stroke auch ein höheres Risiko für akute Koronarsyndrome tragen könnten, was eher gegen den Einsatz von Dabigatran in dieser Konstellation spräche. Noch ist hierzu die Datenlage nicht abschliessend geklärt. Patienten mit chronischer Nierenerkrankung sind für die Verschreibung und die Überwachung einer Antikoagulation eine Herausforderung. Solche Patienten haben ein erhöhtes Risiko sowohl für Stroke als auch für Blutungen und sind in klinischen Studien oft untervertreten. Nur in grossen Studien mit Apixaban und Rivaroxaban wurden angepasste Dosierungen bei Nierendysfunktion geprüft. Als Gruppe genommen haben die NOAC weniger Interaktion mit anderen Medikamenten und weniger Wechselwirkungen mit Nahrungsbestandteilen als die Vitamin-K-Antagonisten. Dennoch gilt es einige Warnhinweise zu beachten. Fast alle Antimykotika haben gewichtige Interaktionen mit den NOAC, ebenso HIV-Proteaseinhibitoren und Rifampicin. Sowohl Rivaroxaban wie Apixaban sind starke Hemmer oder Induktoren von Zytochrom P 450 3A4. Dabigatran zeigt Interaktionen mit Verapamil, Chinidin, Amiodaron und Dronedaron. Generell sind die Interaktionsdaten für Rivaroxaban und Apixaban beschränkter. Insgesamt sind die NOAC gut verträglich. Bei Dabigatran tritt allerdings bei ungefähr 10 Prozent der Patienten eine Dyspepsie auf, die durch den Wechsel auf einen anderen Wirkstoff behoben werden kann. Bei vorbestehender Dyspepsie, Reflux oder Störung der gastrointestinalen Motilität ist es besser, nicht auf Dabigatran zu setzen. Als einziges bisher zugelassenes NOAC ist Apixaban nicht mit vermehrten Magen-Darm-Blutungen assoziiert. Für manche Patienten ist die Adhärenz im Rahmen einer Antikoagulationsprophylaxe ein Problem, besonders wenn sie mehr als eine Einzeldosis einnehmen sollten. Dann ist nur Rivaroxaban eine Alternative zum Vitamin-K-Antagonisten. Kosten-Nutzen-Analysen haben bisher die neuen Antikoagulanzien favorisiert, vornehmlich weil sie kein Monitoring erfordern.
Wann von Vitamin-K-Antagonisten auf NOAC wechseln? Die Entscheidung, bei einem Patienten, der stabil auf einen Vitamin-K-Antagonisten eingestellt ist, auf ein NOAC zu wechseln, muss individuell angepasst erfolgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die klinischen Daten darauf hinweisen, dass die NOAC sicherer und wirksamer sind als dosisangepasstes Warfarin. Zudem ist die «stabile» Einstellung unter Warfarin höchst variabel, das heisst, viele Patienten vertragen ihren Vitamin-K-Antagonisten zwar gut, aber die für den klinischen Nutzen entscheidende Zeit innerhalb des therapeutischen Bereichs ist nicht ausreichend lang. Bei unter Vitamin-K-Antagonist schlecht eingestellten Patienten dürften die NOAC eine bessere INR-Kontrolle bewirken. Aus Patientensicht kann sich ein Widerstand gegen einen Wechsel der Antikoagulation ergeben, wenn die Quick-Kontrollen immer zufriedenstellend ausfielen, andere Patienten können das Wegfallen der Laborkontrollen und der Einschränkungen bei der Ernährung besonders positiv gewichten. Daher sollte mit allen Patienten – unter Erwähnung von
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Vor- und Nachteilen – über die NOAC gesprochen werden. Das Engagement und die Adhärenz des Patienten sind für die Effektivität der neuen Medikamente entscheidend. Was ein Vorteil ist – der Wegfall der regelmässigen Laborkontrollen –, erschwert die Abschätzung der Therapieadhärenz. Allgemeine Gerinnungsparameter wie Prothrombinzeit oder partielle Thromboplastinzeit können zwar eingesetzt werden, sind aber weder medikamenten- noch dosisspezifisch.
Invasive Eingriffe unter NOAC Das Vorgehen bei geplanten und ungeplanten Eingriffen unter chronischer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten kann schwierig sein. Bestehende Daten deuten auf ein geringes Thromboserisiko bei kurzfristiger Unterbrechung von bis zu fünf Tagen. Eine Überbrückungstherapie mit kürzer wirkenden Antikoagulanzien (sog. bridging) hat in einigen Studien keinen Nutzen ergeben, obwohl dazu noch eine grosse Studie läuft. Mit den NOAC ist das Überbrückungskonzept weniger notwendig, denn sie erreichen ihre systemische Antikoagulationswirkung innert Stunden und ähneln damit den zur Überbrückung eingesetzten niedermolekularen Heparinen. Im Gegensatz zu den Vitamin-KAntagonisten ist es bei den NOAC wichtig, die Therapie nicht zu früh nach einem Eingriff wieder zu beginnen, da sonst Blutungskomplikationen drohen. Das gilt besonders bei neurochirurgischen Eingriffen oder spinalen Operationen. Es gibt Daten, die zeigen, dass NOAC bei Patienten, die sich geplanten Eingriffen unterziehen müssen, zu günstigen Outcomes führen, wenn das Gerinnungsmanagement sorgfältig durchgeführt wird. So erlebten in der RE-LY-Studie 4591 Patienten invasive Prozeduren. Während des Zeitraums von einer Woche vor dem Eingriff bis zu 30 Tagen danach verhielten sich die Raten schwerer Blutungen in allen drei Gruppen ähnlich (3,8% für Dabigatran 110 mg, 5,1% für Dabigatran 150 mg und 4,6% für Warfarin; p < 0,05 für jeden Vergleich zwischen den Gruppen). Dabei wurde Dabigatran median 49 Stunden, Warfarin aber 114 Stunden vor dem Eingriff gestoppt. Ähnliche Analysen aus der ROCKET-AF- und der ARISTOTLE-Studie deuten auch auf konsistent günstige Resultate.
Und wenn es unter NOAC blutet?
Bei Vitamin-K-Antagonisten bietet sich zum Management
von Blutungen die Vitamin-K-Gabe an, die sich auf langjäh-
rige Erfahrungen stützt, obwohl die klinische Evidenz vor
allem, was die dauerhaften klinischen Outcomes betrifft,
nicht robust ist. Für Spezialisten, die invasive Prozeduren
oder Operationen durchführen, ist diese Möglichkeit jedoch
beruhigend.
Im Gegensatz dazu gibt es für keinen einzigen der direkten
Thrombin- beziehungsweise Faktor-Xa-Hemmer prospek-
tive Daten, die eine effektive Strategie zur Aufhebung der Ge-
rinnungshemmung belegen. Verschiedene Optionen wurden
bisher getestet, etwa rekombinante Gerinnungsfaktorkon-
zentrate oder in Entwicklung befindliche kleine Moleküle;
die Aussagekraft ist jedoch beschränkt, da es sich um Beob-
achtungsstudien mit kleinen Fallzahlen und ohne Auskunft
über die Langzeitfolgen handelt. Immerhin zeigen die limi-
tierten Daten, dass Patienten, die unter NOAC eine Blutung
erfahren, im Vergleich zu solchen, die unter Vitamin-K-Ant-
agonisten bluten, keine erhöhte Morbidität oder Mortalität
aufweisen. Daher gehen heute die Empfehlungen dahin, sich
im Fall einer Blutung unter NOAC meistens nur auf suppor-
tive Massnahmen zu stützen. Die Verabreichung von Plasma
ist ausser bei primärer Koagulopathie kaum nützlich, Gerin-
nungsfaktorkonzentrate sind zu wenig getestet und bergen
ein schwerwiegendes Risiko thrombotischer Komplikatio-
nen (Stroke), das gegen die blutungsstillenden Eigenschaften
abzuwägen ist.
O
Halid Bas
Steinberg BA, Piccini JP: Anticoagulation in atrial fibrillation. BMJ 2014; 348: g2116.
Interessenkonflikte: Die Autoren deklarieren Forschungsgelder und Beratertätigkeit für verschiedene Pharmafirmen.
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