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FORTBILDUNG
Symptomatische Migränetherapie mit Triptanen
Leitlinien empfehlen frühen Einsatz bei moderaten bis schweren Kopfschmerzattacken
Die Migräne ist ein weitverbreitetes klinisches Problem, das die Betroffenen mit starken Kopfschmerzen, oft begleitender Übelkeit und Lichtempfindlichkeit episodisch für ganze Tage ausser Gefecht setzt. Frei verkäufliche Schmerzmittel wie Paracetamol oder Ibuprofen sind bei Migräneattacken vielfach nicht ausreichend wirksam. Hier können dann Triptane eine raschere Rückkehr zu normalen Aktivitäten ermöglichen.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Mit einer Prävalenz von knapp 15 Prozent ist die Migräne die weltweit achthäufigste Ursache für mit Behinderung belastete Lebensjahre (years lived with disability, YLD). Triptane, selektive 5-Hydroxytryptamin-(5HT-)Rezeptoren, die eine hohe Affinität für 5HT1B- und 5HT1D-Rezeptoren aufweisen, stellen eine Behandlungsalternative bei unzureichender Wirksamkeit unspezifischer Schmerzmittel dar. 5HT1B-Rezeptoren befinden sich auf den glatten Muskelzellen der Blutgefässe und vermitteln bei Stimulation die Vasokonstriktion. 5HT1D-Rezeptoren sitzen an den perivaskulären Endigungen des Trigeminusnervs und im Dorsalhorn, und
ihre Reizung blockiert die Freisetzung von vasoaktiven Peptiden durch Trigeminusneuronen und von Neurotransmittern im Dorsalhorn, welche nozizeptive Informationen an den Thalamus weiterleiten. Derzeit sind sieben verschiedene Triptane (Tabelle) am Markt verfügbar, die nur geringfügige pharmakokinetische und pharmakodynamische Unterschiede aufweisen. Als erstes kommerziell erhältliches Triptan ist Sumatriptan seit den frühen Neunzigerjahren in der klinischen Praxis eingesetzt worden. Triptane können auf dem Weg der subkutanen Injektion, als nasales Spray oder in (Schmelz-)Tablettenform verabreicht werden. Einzelne Darreichungsformen können in bestimmten Situationen Vorteile gegenüber anderen besitzen, daher sollte bei der Auswahl der individuell geeigneten Formulierung neben der Patientenpräferenz auch die Charakteristik der Migräneattacken mitberücksichtigt werden. Bei Attacken, die rasch maximale Intensität erreichen oder mit frühzeitigem Erbrechen verbunden sind, ist subkutan verabreichtes Sumatriptan möglicherweise effektiver. Patienten, die im späteren Verlauf des Migräneanfalls unter schwerer Übelkeit und Erbrechen leiden, profitieren womöglich eher von einer per Nasenspray als per Tabletten verabreichten Dosis. Die Darreichungsform als im Mund schnell schmelzende Tablette kann zum andern bei Patienten hilfreich sein, bei denen die Übelkeit durch Flüssigkeitsaufnahme noch verstärkt wird.
Merksätze
O Welche Triptanformulierung im Einzelfall idealerweise einzusetzen ist, hängt vom individuellen Migränecharakter des Patienten ab.
O Triptane sollten bei Migräneattacken so früh wie möglich, wenn die Schmerzen noch gering sind, eingenommen werden.
O Triptane sollten nicht öfter als an 9 Tagen pro Monat eingenommen werden, um das Risiko medikationsinduzierter Kopfschmerzen zu vermeiden.
O Bei Personen, die an kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall, unkontrollierte Hypertonie) leiden oder diese durchgemacht haben, sind Triptane nicht geeignet.
Wirksamkeit Zur Wirksamkeit von Sumatriptan zur Behandlung akuter Migräneattacken sind im Jahr 2012 drei systematische Reviews in der Cochrane-Library erschienen, welche das Medikament in der Darreichungsform als orale Tablette, Nasenspray und subkutane Injektion mit Plazebo und mit anderen Behandlungsmöglichkeiten verglichen hatten. Dabei errechneten sich für eine zwei Stunden nach Einnahme erreichte schmerzstillende Wirkung des Medikaments NNT-Werte (number needed to treat) von 6,1 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 5,5–6,9; 50-mg-Tablette), 4,7 (95%-KI: 4,3–5,1; 100-mg-Tablette), 2,3 (95%-KI: 2,1–2,4; 6 mg subkutan) und 4,7 (95%-KI: 4,0–5,9; 20 mg Nasalspray). Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von 74 randomisierten, kontrollierten Studien zum Vergleich von oralen Triptanen mit Plazebo oder anderen Triptanen zur akuten Migränebehandlung ergab, dass alle sieben Triptane der Plazebobehandlung überlegen waren, mit einer signifikant grösseren Wahrscheinlichkeit für Schmerzfreiheit nach zwei Stunden und Odds-Ratios zwischen
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Tabelle:
Pharmakokinetische Eigenschaften von Triptanen und NNT-Werte1 für Schmerzfreiheit nach 2 h
Triptan Sumatriptan
Almotriptan Eletriptan
Frovatriptan
Naratriptan Rizatriptan
Zolmitriptan
Handelsname Imigran® u. Generika
Almogran® Relpax®
Menamig®
Naramig® Maxalt®
Zomig® u. Generika
Verfügbare Formulierung Suppositorien 25 mg; Injektionslösung (subkutan) 6 mg; Nasalspray 10 mg, 20 mg; Tablette 50 mg, 100 mg Filmtablette 12,5 mg Filmtablette 40 mg, 80 mg
Filmtablette 2,5 mg
Filmtablette 2,5 mg (Lingual-)Tablette 5 mg, 10 mg
Film-/Schmelztablette 2,5 mg; Nasalspray 5 mg
NNT für Schmerzfreiheit nach 2 h vs. Plazebo
Einsetzen der Wirkung
Wichtige Medikamenteninteraktionen
subkutan: 2,3 (95%-KI: 2,1–2,4); Nasalspray: 4,7 (4,0–5,9); 50-mg-Tabl.: 6,1 (5,5–6,9); 100-mg-Tabl.: 4,7 (4,3–5,1)
subkutan: 15 min; nasal: 15 min; oral: 30 min
MAOI (vermeiden innerhalb von 14 Tagen); Ergotamin, DHE, andere Triptane (innerh. 24 h)
5,2 (4,0–7,2)
0,5–2 h
Ergotamin, DHE, andere Triptane (innerh. 24 h)
40-mg-Tabl.: 4,5 (3,9–5,1)
0,5–1 h
kontraindiziert innerhalb von 72 h nach Gabe von potenten CYP3A4-Hemmern (Ketoconazol, Itraconazol); Ergotamin, DHE, andere Triptane (innerh. 24 h)
12 (10–15)
keine präzisen Daten verfügbar, langsamer Wirkungseintritt bei den meisten Patienten
Ergotamin, DHE, andere Triptane (innerh. 24 h)
8,2 (5,1–21)
1–3 h Ergotamin, DHE, andere Triptane (innerh. 24 h)
10-mg-Tabl.: 3,1 (2,9–3,5)
0,5–1 h
MAOI (vermeiden innerh. 14 Tagen); Propranolol (erhöhte Bioverfügbarkeit von Rizatriptan; max. Einzeldosis 5 mg Rizatriptan und 10 mg/24 h); Ergotamin, DHE, andere Triptane (innerh. 24 h)
Tabl.: 5,9 (4,5–8,7)
oral: 45 min; nasal: 10–15 min
MAOI (vermeiden innerh. 14 Tagen); CYP1A2-Hemmer (z.B. Cimetidin, Fluvoxamin, Ciprofloxacin); Ergotamin, DHE, andere Triptane (innerh. 24 h)
1NNT-Werte stammen nicht aus Head-to-head-Vergleichsstudien KI: Konfidenzintervall; CYP3A4/1A2: Cytochrom P 450 3A4/1A2; DHE: Dihydroergotamin; MAOI: Monoaminoxidaseinhibitor; NNT: number needed to treat
1,68 (95%-KI: 1,04–2,72; Naratriptan) und 4,95 (95%-KI: 3,75–6,59; Eletriptan). Obwohl die Metaanalyse für die diversen Triptantablettenformulierungen Differenzen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit aufzeigte, scheinen in der klinischen Praxis Unterschiede zwischen einzelnen Patienten wichtiger zu sein als solche zwischen einzelnen Medikamenten. Die Leitlinien der Canadian Headache Society empfehlen Triptane ausdrücklich zur Akutbehandlung voraussichtlich moderater oder schwerer Migräneattacken. Wenn ein Triptan die Kopfschmerzen substanziell zu lindern in der Lage ist, diese aber innerhalb von 24 Stunden verstärkt wieder auftreten, ist meistens eine zweite Triptandosis wirkungsvoll. Ausserdem empfehlen die kanadischen Leitlinien, bei ungenügender Wirksamkeit eines Triptans oder bei Unverträglichkeit im Falle nachfolgender Attacken und nach 24 Stunden Wartezeit einen anderen Vertreter dieser Substanzklasse auszuprobieren. Das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt in seiner Guideline zur Behandlung akuter Migräneattacken eine Kombination eines oralen Triptans mit einem nicht steroidalen Entzündungshemmer (NSAID) oder mit Paracetamol.
Patienten, die unter moderaten bis schweren Migräneattacken leiden, sollten angewiesen werden, Triptane so früh wie möglich nach Einsetzen des Kopfwehs einzunehmen, wenn die Schmerzen noch schwach sind. In kontrollierten Studien hat eine solche frühe Behandlung eine bessere Wirksamkeit gezeigt.
Sicherheit Im Allgemeinen sind Triptane gut verträglich. Gemäss dem Cochrane-Review zu oralem Sumatriptan beträgt die NNH (number needed to harm) im Vergleich mit Plazebo für jegliche Nebenwirkungen ungeachtet deren Schwere 24 Stunden nach der Gabe 13 (50-mg-Dosis) respektive 5,2 (100-mgDosis). Bedenken hinsichtlich möglicher kardiovaskulärer Nebenwirkungen von Triptanen haben ihren Ursprung in der Tatsache, dass 5HT1B-Rezeptoren auch in Koronararterien zu finden sind. Daher sind Triptane bei Patienten mit koronarer Arterienkrankheit (CAD), zerebro- oder peripherer vaskulärer Erkrankung sowie bei unkontrollierter Hypertonie kontraindiziert. Obwohl sich unter Triptangabe schon
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schwerwiegende unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse ereignet haben, ist die Häufigkeit solcher Zwischenfälle jedoch in klinischen Studien wie auch in der Praxis laut den Angaben der American Headache Society mit weniger als 1:1 000 000 sehr gering. Auf der Basis von 29 Fallberichten hat die US Food and Drug Administration (FDA) 2006 vor der Gefahr eines möglichen Serotoninsyndroms bei Patienten gewarnt, welche Triptane zusätzlich zu selektiven Serotonin- (SSRI) oder Serotonin/ Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) einnehmen. Nach eingehender Untersuchung dieser 29 Fälle durch die American Headache Society konnte diesbezüglich allerdings Entwarnung gegeben werden. Kontraindiziert ist dagegen eine zusätzliche Gabe von Ergotamin (innerhalb von 24 h) sowie von Monoaminoxidasehemmern (innerhalb von 2 Wochen) nach Triptangebrauch. Ausserdem sollten Triptane während der Schwangerschaft nicht eingenommen werden (FDA-Kategorie C); während der Stillzeit gelten Triptane dagegen als unbedenklich. Triptane sollten lediglich für maximal neun Tage pro Monat verwendet und die Patienten über mögliche Medikamentenübergebrauchssymptome aufgeklärt werden, welche sich nach einem drei- oder mehrmonatigen exzessiven Einsatz dieser Präparate in Form nahezu täglicher Kopfschmerzen entwickeln können. Die maximale Tagesdosis ist abhängig vom jeweiligen Präparat, von der initial eingesetzten Dosis sowie von der jeweiligen Rechtsprechung. Bei Migräne mit typischer Aura gibt es Hinweise, dass die Einnahme von Triptanen während der Aura unproblematisch ist. Auf der anderen Seite ist das Medikament wahrscheinlich wirksamer, wenn es erst nach Einsetzen der Schmerzen statt früher während der Aura eingenommen wird. Was gegen die Einnahme des Medikaments während der Auraphase spricht, ist die Gefahr, dass es möglicherweise Schwierigkeiten bereitet, eine Migräneaura von frühen Schlaganfallsymptomen zu unterscheiden.
Triptane im Vergleich mit anderen Medikamenten
Zum Vergleich von Triptanen mit anderen Substanzklassen
zur Behandlung akuter Migräne existieren nur wenige ran-
domisierte, kontrollierte Studien, die meisten davon haben
Sumatriptan Wirkstoffen wie Ergotamin, Dihydroergotamin
oder diversen NSAID- oder Paracetamolkombinationen
mit und ohne Antiemetika gegenübergestellt. Dabei zeigten
sich überwiegend nicht signifikante Unterschiede zwischen
den verschiedenen Behandlungen, abgesehen vom Vergleich
von Sumatriptan mit Ergotamin und Dihydroergotamin, wo
sich signifikant bessere Ergebnisse mit Sumatriptan erzielen
liessen.
Ein aktueller Cochrane-Review zum Einsatz von Naproxen
bei akuter Migräne berichtete über eine NNT von 11 (8,7–
17), um zwei Stunden nach der Gabe von 500 bis 825 mg
Naproxen im Vergleich mit Plazebo Schmerzfreiheit zu errei-
chen. Dieser NNT-Wert für Naproxen liegt über denjenigen
sämtlicher Triptane. Die Nichtüberlegenheit von Triptanen
gegenüber NSAID in randomisierten, kontrollierten Studien
steht im Widerspruch zu Erfahrungen aus der klinischen Pra-
xis, wonach Triptane unspezifischen akuten Medikamenten
zumeist überlegen sind. Gründe für diese Diskrepanz könn-
ten unter anderem in der Patientenauswahl liegen: Einige der
Vergleichsstudien haben Patienten mit schweren Symptomen
ausgeschlossen, und die meisten Patienten in spezialisierten
Kopfschmerzkliniken haben bereits unspezifische Therapien
ausprobiert, aber nicht darauf angesprochen.
O
Ralf Behrens
Pringsheim T, Becker WJ: Triptans for symptomatic treatment of migraine headache. BMJ 2014; 348: g2285.
Interessenkonflikt: W. Becker war Mitglied eines Advisory Boards der Firma Tribut Pharmaceuticals, die in Kanada orales Diclofenacpulver vertreibt, und erhielt Forschungsgelder von der Firma Pfizer, dem Hersteller von Eletriptan.
Kosten-Nutzen-Analyse Die NICE-Guidelines enthalten auch eine Kosten-NutzenAnalyse der oralen Migränebehandlung, laut welcher eine Kombinationstherapie, bestehend aus Triptan und NSAID, die kosteneffektivste Variante darstellt, vor Triptan plus Paracetamol sowie der Triptanmonotherapie.
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