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Entwicklung und Einsatz von Probiotika bei Gesunden und bei Kranken
Für diverse Krankheiten und Symptome gibt es Hinweise aus Studien, dass Probiotika von Nutzen sein könnten. Bevor jedoch definitive Therapie- oder Ernährungsempfehlungen gegeben werden können, ist es erforderlich, Schwächen und Limitationen der existierenden klinischen Untersuchungen aufzudecken. Für einen umfassenden Einsatz probiotischer Interventionen sind die Definition der wirksamen Bakterienstämme und ihrer Dosierungen, die Identifikation von Populationen, die darauf ansprechen, die Quantifizierung der zu erwartenden Effekte sowie die Charakterisierung der den Störungen möglicherweise zugrunde liegenden Mängel in der Mikrobiota von entscheidender Bedeutung.
GUT
Probiotika sind lebende Mikroorganismen, welche, in adäquaten Mengen zugeführt, der Gesundheit des Wirtsorganismus dienlich sind. Sie wirken mutmasslich durch eine Veränderung der Zusammensetzung und/oder der Aktivität der koloni-
Merksätze
O Zahlreiche Störungen wie Fettleibigkeit, metabolisches Syndrom, nichtalkoholische Steatohepatitis, entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom (IBS), Atherosklerose, Diabetes Typ 1, Autismus, Allergien, Asthma und Zöliakie werden mit einer veränderten Mikrobiota in Verbindung gebracht, deren kausale Beziehung zur Pathogenese dieser Erkrankungen bleibt jedoch noch nachzuweisen.
O Ob eine krankheitsanfällige Mikrobiota durch entweder präventive oder therapeutische Probiotika-Interventionen robuster und widerstandsfähiger wird, ist eine entscheidende, bis anhin unbeantwortete Frage.
O Einige Probiotika sind in der Lage, die klinischen Symptome bei akuter infektiöser Diarrhö, nekrotisierender Enterokolitis, IBS, bei Krebstherapien, Pouchitis und eventuell bei Colitis ulcerosa zu verbessern. Auch bei gesunden Individuen sind manche Probiotika von Nutzen, indem sie das Risiko für gewöhnliche Infektionskrankheiten reduzieren oder die intestinale Funktion verbessern.
sierenden Mikrobiota sowie durch direkte Interaktion mit dem Wirt über immunologische Signalmechnismen. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über derzeit verfügbare Probiotika und Präbiotika (Substanzen, die das Wachstum bestimmter Darmbakterien stimulieren und so indirekt probiotikaähnliche Effekte ausüben) und ihre zugelassenen Indikationen. In der Vergangenheit hat sich die Forschung zum möglichen gesundheitlichen Nutzen von Probiotika meist auf Krankheitszustände fokussiert, die im Tiermodell oder an entsprechenden Patientenpopulationen untersucht wurden. In letzter Zeit wurden vermehrt Versuche unternommen, den Einfluss von Probiotika, wie etwa die Verminderung des Risikos, bestimmte Krankheiten zu entwickeln, oder die Optimierung physiologischer Funktionen im normalen Bereich, an gesunden Individuen unter die Lupe zu nehmen. Die Unterscheidung zwischen Forschung zum Zweck der Gesunderhaltung und einer solchen mit dem Ziel, Krankheiten zu behandeln, hat wichtige regulative Auswirkungen: Erstere kann Nahrungsmittel und Nahrungssupplemente einbeziehen, Letztere ist beschränkt auf Medikamente. Die Autoren des hier referierten Übersichtsartikels liefern ein Update zu therapeutischen oder präventiven Effekten von Probiotika sowohl bei relevanten gastrointestinalen Störungen wie Reizdarmsyndrom, infektiöse Diarrhö inklusive nosokomialer Infektionen, entzündlichen Darmerkrankungen und nekrotisierender Enterokolitis als auch bei Krebserkrankungen.
Reizdarmsyndrom Obwohl vorläufige Daten vermuten lassen, dass bei Patienten mit Reizdarmsymptomatik («irritable bowel syndrome», IBS) Veränderungen der Darmmikrobiota vorliegen, bleibt zu klären, ob diese Veränderungen Ursache oder Folge einer veränderten Darmmotilität und -sekretion sind. Neuere präklinische Untersuchungen unterstützen das Konzept, dem zufolge Darmmikrobiota und -probiotika das enterale Nervensystem und die Signalübertragung im Gehirn beeinflussen; auch wurden positive Effekte durch Probiotika auf viszerale nozizeptive Reflexe bei Nagern beschrieben. Ob solche Mechanismen allerdings auch bei gesunden Individuen oder solchen mit IBS eine Rolle spielen, ist nicht hinreichend geklärt. Eine zunehmende Anzahl von Metaanalysen variiert bezüglich ihrer Schlussfolgerungen, was die Effektivität von Probiotika bei IBS angeht, dies zum Teil aufgrund von unzureichenden Stichprobengrössen, mangelhaftem Studiendesign und Verwendung unterschiedlicher probiotischer Stämme in den einzelnen untersuchten Studien.
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Infektiöse Diarrhö Einhergehend mit einem zunehmend besseren Verständnis der intestinalen Mikrobiota und möglicher Wirkmechanismen von Probiotika wurden diverse Studien mit dem Ziel durchgeführt, die Effektivität von Probiotika bei akuter infektiöser Gastroenteritis sowie bei persistierender Diarrhö
abzuschätzen. Es zeigte sich, dass eine probiotische Behandung von akutem Durchfall in Industrieländern die Dauer der Symptome um etwa einen Tag verkürzt. In Entwicklungsländern wurde gar eine um etwa 4 Tage verkürzte Symptomatik in Kombination mit verbesserten Wachstumskenngrössen bei Kindern beobachtet.
Tabelle 1:
Pro-/Präbiotika: Wirkstoffe und Indikationen
Probiotika Stamm Bakterien
Hefepilze
Gattung/Art
Enterokokken: Enterococcus faecalis vivus typus SF 68 (= Streptococcus faecium) Laktobazillen: • Lactobacillus rhamnosus GG • Lactobacillus acidophilus
Lactobacillus casei rhamnosus Bifidobakterien: • Bifidobacterium infantis
E. coli Nissle 1917 Lactococcus lactis Propionibacterium Saccharomyces boulardii (= Saccharomyces cerevisiae Hansen CBS 5926)
Präparat
Bioflorin®
SolcoTrichovac®, Donaflor®, Gynoflor®, Infloran® (mit Bifidobacterium infantis), Lactéol®, Lactoferment®, Gynophilus®
Infloran® (mit Lactobacillus acidophilus) Mutaflor®
Perenterol®, Perenterol® travel, Mephenterol®
Zugelassene Indikation
Störungen der Darmflora, Durchfall Diarrhö, antibiotikainduzierte Diarrhö, Fluor vaginalis, Vaginalinfekte, Scheidentrockenheit
Durchfall
Durchfall, antibiotikainduzierter Durchfall, Reisedurchfall
Präbiotika
(Nahrungsbestandteile, die in den Dickdarm gelangen und dort von der Darmflora abgebaut werden, stimulieren das Wachstum bestimmter Darmbakterien)
Wirkstoff
Präparat
Inulin Lactulose
Lactitol Oligofructose, Oligosaccharide; Fructo-Oligosaccharide und GalactoOligosaccharide in Säuglingsmilchen Topinambur Glutamin
Gatinar®, Duphalac® Importal®
BioLogos®, Biorganic Geri Gisand®, Biovigor® sciroppo, Vita-Logos®, Vitasprint B12®
Synbiotika
= Kombination von Probiotika und Präbiotika; das zugesetzte Präbiotikum soll das Wachstum und Überleben des Probiotikums sicherstellen (nach pharmawiki.ch, compendium.ch)
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Tabelle 2:
Mögliche Erklärungen und vorgeschlagene Lösungen für unbefriedigende therapeutische Ergebnisse mit Probiotika bei entzündlichen Darmerkrankungen und anderen Störungen
Grund für Versagen Falsche Targets Falsches probiotisches Agens
Auf falschen Krankheitsmechanismus abgezielt Produkt nicht so wirksam wie nötig
Produkt nicht in entsprechendem zeitlichem Abstand zum Krankheitsbeginn verabreicht, in dem es wirksam ist Alter des Patienten
Vorgeschlagene Lösung Individualisieren der Therapie basierend auf molekularem Muster der Dysbiose Verwenden von protektiven kommensalen enteralen Spezies, welche geeigneter sind als Probiotika aus Nahrungsmitteln, von komplexen Gruppen kommensaler Spezies oder sogar von intakten normalen Bakteriengemeinschaften (Fäkaltransplantation) Anpassen des therapeutischen Agens an den entsprechenden beim jeweiligen Individuum zugrunde liegenden genetischen Defekt/inflammatorischen Signalweg Gentechnisches Verstärken der bakteriellen Wirkung durch Hinzufügen oder Ausschalten bioaktiver Gene (Pharmabiotics) Anpassen der Therapie an die entsprechende Phase im Krankheitsprozess
Anpassen der Therapie an das jeweilige Alter/den Entwicklungsstand des Individuums
Mehrere Studien mit Probiotika, unter anderem Saccharomyces boulardii, Lactobacillus rhamnosus GG, berichten über reduzierte Raten sowohl nosokomialer als auch antibiotikaassoziierter Diarrhöen sowie ein geringeres Wiederauftreten von Clostridium-difficile-Diarrhö. Nosokomiale Infektionen stellen in den USA nach wie vor ein bedeutendes und kostenintensives Problem im Gesundheitswesen dar, das nach vorbeugenden Massnahmen ruft. Die Ergebnisse aus Studien zur präventiven Wirksamkeit von Probiotika sind jedoch bis anhin nicht einheitlich. Obwohl einige Probiotika, insbesondere L. rhamnosus GG, in bestimmten Populationen vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich einer Reduzierung nosokomialer Infektionen gezeigt haben, wird ihr Einsatz für kritisch kranke, hospitalisierte Patienten derzeit nicht empfohlen.
Entzündlich Darmerkrankungen Probiotische Therapien von entzündlichen Darmerkrankungen («inflammatory bowel diseases, IBD) konnten bis anhin den hohen Erwartungen, die basierend auf mechanistischen Studien und Untersuchungen an Tiermodellen in sie gesetzt wurden, noch nicht gerecht werden. Insbesondere für Morbus Crohn sind in Studien noch keine einheitlichen Effekte hinsichtlich der Behandlung oder der Rezidivprävention beobachtet worden. Für die Colitis ulcerosa liess sich ein Nutzen einer Kombination von probiotischen Lactobacillus-, Bifidobakterien- und Streptococcus-Stämmen nachweisen, und Escherichia coli Nissle scheint bei milder bis mittelschwerer Ausprägung eine Remission der Krankheitsaktivität induzieren und aufrechterhalten zu können. Auch waren darunter eine Primärprävention von Pouchitis sowie eine Verminderung der Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv nach erfolgreicher antibiotischer Therapie gelungen, was zu einer A-Empfehlung in der Konsensuspublikation des 3. Yale-Workshops zum Probiotikagebrauch führte.
Mögliche Ursachen für die gegenwärtige Diskrepanz zwischen dem therapeutischen Potenzial und den aktuellen klinischen Ergebnissen des Probiotikagebrauchs bei IBD sowie Vorschläge für Massnahmen, um die klinischen Resultate zu verbessern, sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Dieses Rahmenkonzept lässt sich auch auf andere komplexe Störungen wie Darm- und Magenkrebs, nichtalkoholische Steatohepatitis und Autoimmunerkrankungen übertragen, bei denen ebenfalls genetische, mikrobielle und umweltbedingte Einflüsse miteinander wechselwirken. Die Gewinnung oder die Synthese von Molekülen aus probiotischen oder protektiven Darmbakterienstämmen, so zum Beispiel immunaktive gereinigte Produkte mit genau definierter biologischer Wirkung wie etwa p40 aus L. rhamnosus GG oder Polysaccharid A aus Bacteroides fragilis, könnte ebenfalls von Nutzen sein. Eine mögliche therapeutische Vorgehensweise zum Management von IBD könnte in der Induktion einer raschen klinischen Remission und Mukosaheilung mittels Kortikosteroiden und/oder einer Biologikabehandlung, an welche sich pro- oder präbiotische Interventionen zur Remissionserhaltung anschliessen, bestehen.
Nekrotisierende Enterokolitis Als ein Beleg dafür, dass eine veränderte Mikrobiota Kinder für die Entwicklung einer nekrotisierenden Enterokolitis (NEC) prädisponiert, kann die hohe Prävalenz des Antibiotikagebrauchs in dieser Altersgruppe angesehen werden. Wie Metaanalysen zeigten, sind Probiotika, die Stämme von Bifidobacterium, Lactobacillus, Saccharomyces und/oder Streptococcus thermophilus enthalten, in der Lage, die Häufigkeit der Erkrankung sowie die Gesamtsterblichkeit zu reduzieren. Obwohl die American Academy of Pediatrics einräumt, dass Probiotika bei Neugeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht NEC offenbar verhindern können, fordert sie als Voraussetzung für die Herausgabe von klinischen
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Empfehlungen weitere Studien, um die effektive Dosis und die wirksamen Bakterienstämme genauer zu identifizieren.
Krebs und Krebstherapien Inzwischen ist nachgewiesen, dass Umweltfaktoren einschliesslich Fettleibigkeit und Ernährung im Entstehungsprozess von Krebserkrankungen eine prominente Rolle spielen. Beide genannten Faktoren gehen mit einer Veränderung der Darmmikrobiota einher, und wie Laboruntersuchungen ergaben, sind Tumorinzidenz und -masse bei konventionellen Nagern grösser als bei keimfreien Tieren. Zwar deuten diese Ergebnisse insgesamt stark darauf hin, dass der Mikrobiota eine entscheidende Rolle bei kolorektalen Krebserkrankungen (CRC) zukommt – die Kausalität bleibt allerdings noch zu belegen. Studien an Nagern haben sich überwiegend auf den Effekt von Probiotika auf präkanzeröse Läsionen und Tumoren konzentriert und hier durchgängig positive Resultate erbracht. Dabei konnten mehrere potenzielle Mechanismen wie etwa die Veränderung der Zusammensetzung und des Stoffwechsels der Mikrobiota, des pH-Milieus im Kolon, der Bindung oder Inaktivierung von Karzinogenen und eine gesteigerte Immunantwort, die Reduktion von Dickdarmentzündungen und epithelialer Proliferation sowie eine vermehrte Apoptose identifiziert werden. Darüber hinaus könnten Probiotika einen schützenden Einfluss vor den Nebenwirkungen einer Strahlentherapie ausüben. In Tierversuchen an Mäusen haben vor allem L.-rhamnosus-GG sowie entsprechend konditioniertes Medium intestinale Schäden und die strahlenbedingte Apoptose im proximalen Jejunum reduzieren können. In Biomarkerstudien an Menschen war durchgängig zu beobachten, dass es bei Verwendung symbiotischer Präparationen offenbar effektiver gelang, die Marker des CRC-Risikos zu verändern, als mit einem einzelnen Pro- oder Präbiotikum. In einer Studie ergab sich nach 4-jähriger Gabe von Lactobacillus casei eine reduzierte Rate für ein Rezidiv eines atypischen Adenoms. Trotz der ermutigenden Ergebnisse aus den wenigen an Menschen durchgeführten Studien zum Effekt von Probiotika bei Krebserkrankungen sind angesichts der Diversität der bis anhin untersuchten Endpunkte noch umfassende Daten erforderlich, bevor klinische Empfehlungen ausgesprochen werden können.
Allergien Allergische Erkrankungen gehen nachweislich mit einer anomalen Darmmikrobiota einher. In den letzten Jahrzehnten entwickelt eine zunehmende Anzahl von Kindern (ca. 10% der Allgemeinbevölkerung) eine Allergie im Zuge einer auch als «atopic march» bezeichneten klinischen Progression (Ekzem – Rhinitis – Asthma). In diesem Kontext sind Probiotika als diätetische Interventionen untersucht worden, welche möglicherweise in der Lage sein könnten, diese Erkrankungssequenz zu unterbrechen. Besonders betroffen sind Kinder in Familien mit einer Allergiehistorie. Bei ihnen sollten Vorbeugungsstrategien, die sich auf den Einsatz von Probiotika stützen, bereits frühzeitig angewendet werden, da entsprechende Studien zur Prävention atopischer Dermatitis während der letzten Schwangerschaftsstadien und der Stillzeit durchgeführt wurden.
In mehreren Studien zeigte sich eine bleibende signifikante Reduktion der Rate von atopischer Dermatitis in einem Zeitraum von bis zu 7 Jahren, ein Effekt auf die spätere Entwicklung von Asthma liess sich jedoch nicht nachweisen. Insgesamt reicht die Datenlage im Moment nicht dazu aus, dass pädiatrische Organisationen den Routineeinsatz von Probiotika empfehlen könnten.
Gewöhnliche Infektionskrankheiten Vorliegende Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass bestimmte Probiotika an entscheidenden Stellen im Immunsystem, etwa auf der Ebene der Lymphozyten, Antikörper oder natürlichen Killerzellen, regulierend eingreifen. Auf diesem Weg wäre es möglich, dass sie auch gewöhnliche Infektionskrankheiten reduzieren können, was in Studien vielfach untersucht wurde. Eine Metaanalyse über zehn einzelne Studien mit insgesamt 3451 Patienten ergab, dass Probiotika in der Lage waren, die Häufigkeit von akuten oberen Atemwegsinfektionen zu reduzieren. In anderen Untersuchungen, darunter zwei Kohortenstudien, zeigte sich unter Probiotika eine Minderung der Dauer und der Schwere von grippeähnlichen Symptomen bei Kindern. Im Rahmen populationsbezogener Studien ergab sich zum einen in den USA unter der Gabe probiotikahaltiger Milch eine verminderte Häufigkeit akuter Durchfallerkrankungen um 24 Prozent und oberer Atemwegsinfekte um 18 Prozent. Zum anderen wurde bei 3758 unter ärmlichen Verhältnissen in Indien lebenden 1- bis 5-jährigen Kindern der Effekt einer Ernährung mit entweder mit L. casei Shirota angereicherter Milch oder einem Nährstoffdrink auf die Infektionshäufigkeit untersucht. Hierbei ergab sich eine 14-prozentige Reduktion akuter Durchfallerkrankungen in der Probiotikagruppe. Insgesamt lassen die Studien den Schluss zu, dass Probiotika in der Lage sein könnten, bei ansonsten gesunden Individuen das Auftreten gewöhnlicher Infektionserkrankungen zu reduzieren.
Ausblick Forschungsergebnisse entfalten erst dann ihr volles Potenzial, wenn sie sich in wirksame Produkte übertragen lassen. Weite Teile dieses Prozesses erfordern die genaue Kenntnis und beachtung regulativer Aspekte, die auf dem Weg zu Technologietransfer und Kommerzialisierung, bei der Planung von klinischen Studien und bei der Zulassung von Nahrungsergänzungsmitteln oder Medikamenten zu beachten sind. Dass ein Zusammenhang zwischen Änderungen der natürlichen mikrobiellen Flora und der Entstehung von Krankheiten besteht, scheint unstrittig. Eine entsprechende Kausalität oder gar die Beseitigung von Erkrankungen als Reaktion auf eine probiotikainduzierte Mikrobiomveränderung bleibt jedoch noch nachzuweisen. Solange nicht klar definiert ist, wie sich ein «gesundes» Mikrobiom zusammensetzt, und daher auch noch keine genauen mikrobiologischen Targets für probiotische Interventionen existieren, muss sich ein gesundheitlicher Nutzen von Probiotika zumindest im Kontext einer physiologischen oder klinischen Besserung ergeben. Neben den in der hier referierten Arbeit vorgestellten vielversprechenden immunologischen und gastrointestinalen Ansatzpunkten wie etwa pädiatrische Rotavirus-Diarrhö, antibiotika- oder C.-difficile-assoziierte Diarrhö, Colitis ulzerosa, Pouchitis, Reizdarmsyndrom, NEC und Strahlen-
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enteritis finden probiotische Interventionen auch für Einsatzzwecke ausserhalb des Gastrointestinaltrakts vermehrt Beachtung. Die vielleicht interessantesten dieser neuen Einsatzmöglichkeiten zielen auf durch die Mikrobiota beeinflusste Formen von Diabetes, metabolischem Syndrom und Fettleibigkeit ab. Probiotika der Zukunft werden höchstwahrscheinlich das Spektrum der momentan für diesen zweck eingesetzten Mikroorganismen erweitern. Vorstellbar sind Weiterentwicklungen auf dem Gebiet genetisch veränderter Mikroorganismen, welche als Epitope für die effektive Zufuhr oraler Impfstoffe fungieren, die natürliche oder vakzingetriggerte Immunantwort verbessern oder die antigenspezifische Toleranz wiederherstellen. Probiotische Stämme mit veränderten Zelloberflächenkomponenten wie Lipoteichonsäure könnten eine mögliche Strategie zur Behandlung von entzündlichen Darmerkrankungen darstellen. Auch der Einsatz von Fäkaltransplantation zur Wiederherstellung einer gestörten bakteriellen Balance hat sich etwa bei C.-difficile-Infektionen, IBD oder IBS als wirkungsvoll erwiesen und könnte möglicherweise für andere Störungen wie etwa das metabolische Syndrom ebenfalls eine Option darstellen.
Weitere Anwendungsmöglichkeiten für Probiotika bei mikro-
biotaassoziierten Störungen setzen ein umfassenderes Ver-
ständnis der Interaktionen zwischen genetischen, mikrobiellen
und umweltbedingten Einflussfaktoren beim individuellen
Patienten voraus. Eine solche Herangehensweise dürfte auch
dabei helfen, diejenigen Patienten, die auf Manipulationen
der Darmflora reagieren, sowie die im Einzelfall optimal
wirksamen Agenzien zu identifizieren.
O
Ralf Behrens
Quelle: Sanders ME et al.: An update on the use and investigation of probiotics in health and disease. Gut 2013; 62: 787–796.
Interessenkonflikte: Die Autoren des referierten Übersichtsartikels unterhalten diverse Beziehungen zu Firmen der Pharmaindustrie und zu Herstellern probiotischer Produkte.