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FORTBILDUNG
Ursachen und Therapie der chronischen Rhinosinusitis
Nicht immer gleich zu Antibiotika greifen
Bei der chronischen Rhinosinusitis handelt es sich um ein klinisches Syndrom, das eine heterogene Gruppe von Erkrankungen umfasst, welche durch eine sinunasale Schleimhautentzündung charakterisiert sind. Verschiedene Auslöser sind an der Pathophysiologie beteiligt, und Ziel der Therapie ist es, diese Auslöser zu identifizieren und zu beseitigen. Eine zentrale Rolle bei der medikamentösen Behandlung spielen topische und orale Steroide sowie Nasenspülungen, während systemische Antibiotika in den Hintergrund gerückt sind.
SOUTHERN MEDICAL JOURNAL
Die chronische Rhinosinusitis (CRS) ist eine in sämtlichen Altersgruppen häufige Erkrankung, von der jedes Jahr etwa 15 Prozent der Bevölkerung betroffen sind; überdurchschnittlich oft erkranken 44- bis 64-Jährige.
Differenzialdiagnose Das Hauptkriterium zur Abgrenzung der CRS von der akuten oder subakuten Rhinosinusitis ist ihr zeitlicher Verlauf: Für die Diagnose einer CRS müssen mindestens zwei der folgenden Symptome über 12 aufeinanderfolgende Wochen fortbestehen: O anteriorer oder posteriorer schleimig-eitriger
oder verfärbter nasaler Ausfluss O Nasenverstopfung O Druckgefühl/Schmerzen im Gesichtsbereich O verminderter Geruchssinn.
Merksätze
O Die chronische Rhinosinusitis (CRS) ist definiert als über mehr als 12 Wochen ununterbrochen fortbestehende Symptome bei gleichzeitigem Nachweis von Schleimhautentzündung oder -infektion.
O Biofilme und koexistierende Erkrankungen können an der CRS beteiligt sein.
O Die Behandlung ist facettenreich, richtet sich nach dem Erkrankungstyp und umfasst typischerweise intranasale Steroide und Salzspülungen.
All die genannten Symptome sind unspezifisch, weshalb für eine CRS-Diagnose zusätzlich durch körperliche oder bildgebende Untersuchungen das Vorliegen eines entzündlichen Prozesses (eitriger Schleim, Nasenhöhlenödeme, polypöse Schleimhautveränderungen) nachzuweisen ist. Häufig ist hierzu zwar die anteriore Rhinoskopie mit einem Nasenspekulum ausreichend, jedoch lassen sich mittels nasopharyngealer Endoskopie auch potenzielle der CRS ursächlich zugrunde liegende Abnormalitäten (Septumdeviation, Nasenpolypen, pneumatisierte mittlere Nasenmuschel [Concha bullosa]) darstellen. Die Leitlinien der American Academy of Otolaryngology – Head and Neck Surgery (AAO-HNS) aus dem Jahr 2007 empfehlen, in bestimmten Situationen die Diagnose mittels Computertomografie (CT) zu bestätigen und so mögliche chirurgisch korrigierbare anatomische Fehlbildungen aufzuspüren. Die Strahlungsdosis sollte dabei allerdings in Absprache mit dem Radiologen minimiert werden, zumal sich sinonasale Strukturen laut Studien auch mit Niedrigdosisscans in ausreichend hoher Qualität darstellen lassen.
Pathophysiologie Die CRS ist in erster Linie eine entzündliche Erkrankung, für die es mehrere Auslöser gibt, was auch ihre vielen verschiedenen Phänotypen erklärt. Die beiden häufigsten sind: O CRS mit nasaler Polypenbildung (CRSwNP) O CRS ohne nasale Polypenbildung (CRSsNP). Obwohl ihre Symptome histologisch und immunologisch ähnlich sein können, unterscheiden sich diese beiden Phänotypen deutlich voneinander. Ursprünglich wurde angenommen, dass die CRSsNP hauptsächlich aus einer TH1-(T-Helfer-Zellen-Typ-1)- und die CRSwNP aus einer TH2-gesteuerten Immunantwort resultiert. Inzwischen hat sich gezeigt, dass sowohl die TH1- als auch die TH2-Antwort zur Polypenbildung führen können. Der dritte CRS-Subtyp ist die allergische fungale Sinusitis (AFS), die durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet ist: O Typ-1-Hypersensitivität O nasale Polypen O charakteristische CT-Befunde O Vorliegen von Pilzkulturen (nachgewiesen mikroskopisch
oder in Kultur) O allergisches Muzin.
Eine AFS kann radiografisch leicht erkannt werden, weil zumeist eine unilaterale oder asymmetrische Beteiligung der Nasenhöhlen vorliegt.
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Tabelle:
Behandlungsempfehlungen für die chronische Rhinosinusitis mit oder ohne Bildung nasaler Polypen
Therapeutische Intervention
Nasale Salzspülung Topische Steroide Orale Steroide Orale Antibiotika
CRSsNP Leicht
Ja Ja Nein Nein
Moderat oder schwer
Ja Ja Nein Option: Langzeittherapie, falls IgE nicht erhöht
CRSwNP Leicht
Ja Ja Nein Nein
CRSsNP: chronische Rhinosinusitis ohne nasale Polypenbildung CRSwNP: chronische Rhinosinusitis mit nasaler Polypenbildung IgE: Immunglobulin E
Moderat oder schwer
Ja Ja Ja Option: Langzeittherapie, falls IgE nicht erhöht
Die Hinweise mehren sich, dass Biofilm – eine muköse Matrix, die die in ihr befindlichen Bakterien schützt und die sich an die Nasenhöhlenschleimhaut anheftet – für die Ätiologie und die Persistenz der Erkrankung eine entscheidende Rolle spielt. In mehreren Studien liess sich auf den Schleimhäuten von Patienten mit CRS Biofilm nachweisen, welcher, insbesondere, wenn er Staphylococcus aureus enthält, mutmasslich auch die Erfolgsraten chirurgischer Behandlungsmassnahmen beeinträchtigt. In Übereinstimmung mit dem Konzept der vereinigten Atemwege geht die CRS häufig mit Komorbiditäten wie allergische Rhinitis oder Asthma einher. Laut epidemiologischen Studien beträgt die Prävalenz von Asthma bei CRS-Patienten 20 Prozent und die von allergischer Rhinitis 40 bis 85 Prozent. Bei Patienten mit CRS und Asthma kann die Erkrankung durch Acetylsalicylsäure oder nicht steroidale Entzündungshemmer (NSAID) exazerbiert werden (Samter-Trias). Bei etwa 8 bis 20 Prozent der Patienten mit chronischer oder rezidivierender Sinusitis liegt ursächlich eine Immundefizienz zugrunde. In diesen Fällen stellt eine gegen bestimmte Kulturen gerichtete antibiotische Therapie oder gegebenenfalls die intravenöse oder subkutane Supplementierung mit Immunglobulinen die Behandlung der Wahl dar. Bei Patienten, bei denen medikamentöse Massnahmen versagen, ist eine genetische Evaluierung angeraten, um eine zystische Fibrose oder andere ziliäre Dyskinesien wie Kartageneroder Young-Syndrom auszuschliessen. Daneben sind auch Patienten mit hypereosinophilem Syndrom oder Autoimmunerkrankungen (Churg-Strauss-Syndrom, Wegener-Granulomatose) häufig von CRS betroffen.
Therapie Systemische Antibiotika Aufgrund der Tatsache, dass man es bei der CRS mit einem entzündlichen Geschehen zu tun hat, sollten dessen Auslöser gesucht und behandelt werden. In der Vergangenheit ist blindes Vertrauen in Antibiotika gesetzt worden. Im EPOS2012 (2012 European Position Paper on Rhinosinusitis and Nasal Polyps) wurde der Stellenwert einer Antibiotikatherapie deutlich reduziert: Entgegen der früheren Empfehlung zugunsten von Langzeitantibiotika gilt diese Behandlung nun
lediglich noch als Therapieoption, falls Steroide oder nasale Salzspülungen sich als unwirksam erweisen (siehe Tabelle). Dies geht auf mehrere plazebokontrollierte Studien zurück, in denen die Ansprechraten auf Antibiotika nicht überzeugen konnten. Auch laut einer Cochrane-Metaanalyse ist eine routinemässige Anwendung von systemischen Langzeitantibiotika bei CRS-Patienten nicht gerechtfertigt. Roxithromycin, ein halbsynthetisches Makrolid, hatte zwar bei dreimonatiger niedrig dosierter Anwendung den durchschnittlichen Responsescore der Patienten leicht anheben können, beim Vergleich der Ergebnisse des vor beziehungsweise nach der Behandlung durchgeführten Sinonasal-Outcome-Tests, eines validierten krankheitsspezifischen QOL-(«quality of life»-)Instruments, schnitten roxithromycinbehandelte Patienten jedoch nicht besser ab als die Plazebogruppe. Dennoch gelten Makrolide als entzündungshemmende Substanzen, für die in zahlreichen Untersuchungen gezeigt wurde, dass sie in der Lage sind, die bakterielle Virulenz und die Biofilmentstehung zu reduzieren und proinflammatorische Zytokine herunterzuregulieren. Weitere prospektive, randomisierte Studien sind jedoch vonnöten, um Patienten zu identifizieren, welche von einer Antibiotikatherapie profitieren.
Topische Antibiotika Mit einer topischen Antibiotikatherapie kann bei minimaler systemischer Absorption eine hohe Wirkstoffkonzentration in den Nasenhöhlen erreicht werden. Diese Behandlung ist insbesondere bei biofilmbedingten oder bei hartnäckigen Erkrankungen nach Nasenhöhlenchirurgie wirkungsvoll.
Intranasale Steroide Intranasale Steroide haben sich als effektiv zur Behandlung von nasalen Polypen sowie von Nasenausfluss und -verstopfung erwiesen, was sich auch in einer Verbesserung der QOLScores widerspiegelte. Eine wirkungsvolle Therapie erfordert möglicherweise höhere Dosen als bei der allergischen Rhinitis. So haben Fluticason (400–800 µg/Tag für 12 bis 26 Wochen) und Mometason (200–400 µg 1- bis 2-mal/Tag für 16 Wochen) ihren Nutzen in doppelblinden, randomisierten kontrollierten Studien an CRSwNP-Patienten in jeweils relativ hoher Dosis erbracht. Dennoch liegt die systemische
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Bioverfügbarkeit beider Substanzen bei unter 1 Prozent, und auch im Langzeitgebrauch zeigten sich keinerlei systemische Nebenwirkungen auf die Hypothalamus-Hypophysen-Achse.
Orale Kortikosteroide Häufig zum Einsatz kommen auch orale Kortikosteroide, da sie ebenfalls entzündungshemmende Eigenschaften besitzen. In Kombination mit anderen Therapiemodalitäten ergaben sich für orale Steroide in einem systematischen Review verlängerte Intervalle bis zum Wiederauftreten der Symptome und verbesserte Befunde bei nasalen Endoskopien oder CTUntersuchungen. Insbesondere bei Patienten mit CRSwNP und AFS haben sich orale Steroide als effektiv erwiesen. Für Dosierung und Dauer der Anwendung existieren keine standardisierten Vorgaben; im Rahmen einer doppelblinden, plazebokontrollierten Studie hat eine Methylprednisolongabe, beginnend mit 32 mg und binnen 20 Tagen abnehmend auf 8 mg, zu einer signifikanten Abnahme der Polypengrösse und der Spiegel von inflammatorischen Zytokinen geführt.
Salzspülungen Eine wirksame, kostengünstige Behandlungsoption für alle CRS-Typen stellt die Spülung der Nasenhöhlen mit iso- oder hypertonischer Salzlösung dar. Mit dieser Massnahme lassen sich laut vielen randomisierten Studien die mukoziliäre Funktion und der Abtransport von infektiösen Ablagerungen verbessern sowie das Auftreten von Mukosaödemen reduzieren. Die AAO-HNS empfiehlt die Nasenhöhlenspülung als primäre präventive Massnahme, als sekundäre präventive Massnahme nach Operation und als Teil einer kombinierten Therapie für alle Sinusitistypen.
Bei AFS-Patienten ist eine Nasenhöhlenchirurgie in den aller-
meisten Fällen gerechtfertigt. Mittels der funktionellen endo-
skopischen Nasennebenhöhlenchirurgie lassen sich zum einen
die Auslöser der Entzündung (Polypen, Eiter, allergisches
fungales Muzin) entfernen und zum anderen die natürlichen
nasalen Abflusswege öffnen und weiten, wodurch gleichzei-
tig, falls erforderlich, auch ein besserer Zugang für topische
Medikamente geschaffen wird. Die Ostien müssen einen
Durchmesser von mindestens 4,7 mm aufweisen, damit
Spülungen verlässlich den gesamten Nasenhöhlenbereich
erreichen. Als minimalinvasives Verfahren ist inzwischen
die Ballonsinuplastik verfügbar, die jedoch noch nicht in
randomisierten Studien validiert worden ist.
Ziel der postoperativen Nachsorge ist die Kontrolle von ent-
zündlichen Reaktionen der nasalen Mukosa, um die nasozi-
liäre Funktion zu optimieren. Dies kann fast ausschliesslich
mit topischen Medikamenten (oberflächenaktive Stoffe, An-
tibiotika, Steroide) erreicht werden. Oberflächenaktive Sub-
stanzen («surfactants») führen über eine Herabsetzung der
Schleimviskosität und eine Veränderung der mikrobiellen
Oberflächenbeschaffenheit zum Zusammenbruch der kom-
plexen Interaktionen und mechanischen Abwehreigenschaf-
ten des Biofilms. Als einfache, kostengünstige, sichere und
effektive Substanz für diesen Zweck hat sich kommerziell
erhältliches Babyshampoo erwiesen. In Studien zur nasalen
Spülung mit Kinderhaarwaschmittel (Johnson’s Baby Sham-
poo) haben sich eine 1-prozentige Konzentration und eine
zweimal tägliche Anwendung über 4 Wochen als optimale
Dosierung beziehungsweise geeignete Therapiefrequenz er-
wiesen; signifikante Nebenwirkungen waren darunter nicht
aufgetreten.
O
Nasenhöhlenchirurgie Falls die CRS-Symptome trotz gründlicher Aufarbeitung und medikamentöser Behandlung nicht verschwinden und ein Fortbestehen der Erkrankung auch im CT nachweisbar ist, sollte eine Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Abklärung erfolgen.
Ralf Behrens
Sarber KM et al.: Approaching chronic sinusitis. South Med J 2013; 106(11): 642–648. Interessenkonflikte: keine deklariert.
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