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FORTBILDUNG
Personalisierte Therapie bei Morbus Crohn
Vielversprechende Resultate durch Monitoring von Wirkstoffkonzentrationen und Dosisanpassungen
Ziel sämtlicher Therapien bei Morbus Crohn ist das Erreichen einer klinischen und endoskopischen Krankheitsremission in einem angemessenen Zeitraum. Aufgrund des multifaktoriellen Krankheitsgeschehens kann und muss dieses Ziel im individuellen Fall jedoch auf ganz unterschiedlichen Wegen angestrebt werden. Molekulare Marker haben bis anhin noch keinen Platz im Entscheidungsprozess für eine adäquate individualisierte Therapiestrategie gefunden, und den bis anhin vorgeschlagenen klinischen Parametern mangelt es an Spezifität. Vielversprechende Resultate liessen sich in jüngster Zeit aber mit dem Monitoring von Wirkstoffkonzentrationen zum Zwecke einer patientenspezifischen Dosisanpassung von Immunmodulatoren oder AntiTNF-Antikörpern erzielen.
GUT
Die personalisierte Anwendung therapeutischer Optionen ermöglicht unter anderem eine individuelle Medikamentenauswahl und die Entscheidung für ein mehr oder weniger intensives Follow-up. In jüngster Zeit ist die Palette des personalisierten Managements bei Morbus Crohn (MC) um die
Merksätze
O Klinische Parameter wie perianale Krankheitsausbreitung, tiefe Ulzera und extensive Dünndarmbeteiligung erfordern ein aggressiveres Management mit frühem Einsatz von Anti-TNF-Antikörpern.
O Das Monitoring von 6-Thioguanin-Nukleotid- und 6-Methylmercaptopurin-Spiegeln bei mit Thiopurinen behandelten Patienten kann nachweislich deren Effektivität erhöhen und ihre Nebenwirkungen reduzieren.
O Das Messen der Anti-TNF-Antikörper-Konzentration hat in jüngster Zeit an Bedeutung gewonnen, da Anti-TNF-Spiegel offenbar mit den Remissions- und Heilungsraten in Beziehung stehen.
Möglichkeit einer individuellen Dosisanpassung durch ein Monitoring von Wirkstoff-Serumkonzentrationen ergänzt worden. Die Hauptursache, warum nicht alle Patienten ein und dieselbe Therapie erhalten sollten, liegt in der Komplexität der Phänotypen bei MC. Ausmass, Lokalisation und Schwere der Erkrankung variieren sowohl inter- als auch – während des Krankheitsverlaufs – intraindividuell. Dennoch besitzen bestimmte Empfehlungen zu Diagnostik und Therapiezielen auch allgemeingültige Relevanz: Magnetresonanz-(MR-)Enterografie und Ileokoloskopie sind der Goldstandard zur Untersuchung von Dünn- und Dickdarm, MR-Aufnahmen des Beckens sind zur Diagnostik von perianalem MC angezeigt. Jegliche Therapie sollte eine zügige Krankheitsremission und Mukosaheilung ohne Steroide anstreben. In aktuellen klinischen Studien gelang es mit einer frühzeitigen Anti-Tumor-Nekrose-Faktor-(TNF-)Behandlung in Kombination mit Azathioprin relativ gut, sich diesen Zielen zu nähern. In der individuellen Situation stehen dem jedoch oft Unverträglichkeiten, Kontraindikationen, mangelnde Wirksamkeit, Schwangerschaftsplanung oder Bedenken hinsichtlich Infektions- oder Malignitätsrisiken entgegen.
Individuelle Therapieauswahl: prognostische Faktoren Entsprechend den individuellen Erscheinungsbildern des MC ist auch die Bandbreite der jeweils angemessenen Therapien gross. In seltenen Fällen ist gar keine Behandlung nötig, und bei milder Ausprägung kann eine kurzzeitige Steroidgabe ausreichend sein. In den meisten Fällen sind jedoch eine medikamentöse Erhaltungstherapie und bisweilen, im Falle von Stenosen und/oder Komplikationen, auch eine chirurgische Versorgung erforderlich. Als Entscheidungshilfe, ob eine Erhaltungstherapie stufenweise intensiviert werden oder eher einer mehr proaktiven Top-Down-Strategie folgen soll, sind verschiedene prognostische Faktoren vorgeschlagen worden. Zu den klinischen Faktoren, die mit einem eher aggressiveren Krankheitsverlauf assoziiert sind (Tabelle 1), zählen O jüngeres Lebensalter bei Diagnosestellung O tiefe Ulzera (Kolon) O extensive Dünndarmbeteiligung O signifikanter Gewichtsverlust O perianale Ausbreitung.
Häufig weisen die Patienten jedoch eine Mischung von Faktoren sowohl für einen milderen als auch einen aggressiveren Krankheitsverlauf auf, was die therapeutische Entscheidung erschwert.
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Tabelle 1: Klinische Parameter von prognostischem Wert
Milder Krankheitsverlauf O höheres Lebensalter O höherer Bildungsstand O längere Krankheitsdauer O Nichtraucher O keine rektale Beteiligung
Aggressiver Krankheitsverlauf O Alter bei Diagnose < 40 Jahre O perianale Ausbreitung O Gewichtsverlust > 5 kg O Raucher O tiefe Kolonulzera O Bedarf an Steroiden O extensive Dünndarmbeteiligung
Tabelle 2: Bedeutung von 6-TGN- und 6-MMP-Spiegeln für die Optimierung von Azathioprin/6-Mercaptopurin-Dosen
Wirkstoffmetabolite 6-TGN und 6-MMP sehr niedrig
Vorgehen Mangel an Compliance, mit dem Patienten besprechen
6-TGN subtherapeutisch und 6-MMP niedrig bis normal
Dosis erhöhen, falls nicht ausreichend effektiv
6-TGN und 6-MMP therapeutisch Wenn in Remission, Therapie in gleicher Dosierung fortsetzen; wenn nicht in Remission, Therapie stoppen
6-TGN subtherapeutisch und 6-MMP hoch
Patient ist «TPMT-Verschieber»; Azathioprindosiserhöhung könnte zu Hepatotoxizität mit geringer Wahrscheinlickeit für Erreichen therapeutischer 6-TGN-Levels führen
6-TGN hoch bei Patienten in Remission
Dosis reduzieren
TPMT: Thiopurinmethyltransferase, 6-MMP: 6-Methylmercaptopurin, 6-TGN: 6-Thioguanin-Nukleotide
Anders als etwa in der Onkologie spielen molekulare (genetische, serologische, immunologische oder Gewebs-)Marker im Entscheidungsprozess für eine adäquate Therapie bei MC trotz diverser dahingehender Forschungsbemühungen noch keine Rolle.
Therapieoptimierung: Messung von Wirkstoffkonzentrationen und Metaboliten Auch nach einer Entscheidung für eine bestimmte therapeutische Strategie bei MC muss die Behandlung in vielen Fällen neu angepasst werden, um ihre Wirksamkeit zu erhalten oder wiederherzustellen.
6-TGN und 6-MMP Eine Möglichkeit, Hinweise auf das Therapieansprechen zu erhalten, bietet die Messung der 6-Thioguanin-Nukleotid(6-TGN-)Spiegel. 6-TGN sind die aktiven Metabolite von Azathioprin, das das Prodrug von 6-Mercaptopurin darstellt, und korrelieren mit dem Ansprechen auf diesen Wirkstoff, wenn auch die Sensitivität und die Spezifität hierfür mit etwa 70 Prozent eher suboptimal sind. In den Stoffwechselweg von Azathioprin/6-Mercaptopurin ist auch das Enzym Thiopurinmethyltransferase eingeschaltet, das die Bildung von 6-Methylmercaptopurin (6-MMP) katalysiert. Hohe 6-MMP-Spiegel wurden mit einem gesteigerten Risiko für Hepatotoxizität in Verbindung gebracht. Die Berücksichtigung der 6-TGN- (Effektivität) und der 6-MMP-Spiegel (Hepatotoxizität) kann dem Kliniker dabei helfen, die Azathioprin/6-Mercaptopurin-Dosis individuell anzupassen (Tabelle 2), insbesondere bei Patienten, bei denen sich trotz 16-wöchiger Behandlung mit diesem Medikament noch keine oder nur eine ungenügende Heilung abgezeichnet hat. Wie eine kürzlich in London durchgeführte Studie ergab, hat bei Patienten, die auf Azathioprin nicht ansprachen, die Analyse der Metabolite in 73 Prozent der Fälle zu einer Änderung der Therapiestrategie geführt, und bei 90 Prozent der Patienten liess sich durch eine TGN-basierte Therapieoptimierung eine Verbesserung ihres Zustands erzielen. Ein interessantes Ergebnis dieser Untersuchung war auch, dass bei Azathioprin-Respondern eine TGN-geführte Dosisreduktion möglich war, ohne dadurch ein Rezidiv hervorzurufen. Einer anderen Studie zufolge lässt sich bei Patienten, die Azathioprin/6-Mercaptopurin präferenziell zu 6-MMP verstoffwechseln, durch die Gabe von Allopurinol womöglich der Metabolismus in Richtung 6-TGN verschieben und damit das klinische Ansprechen verbessern.
Anti-TNF-Serumwerte und -Antikörper Anti-TNF-Antikörper spielen eine entscheidende Rolle für die Aufrechterhaltung der Krankheitsremission, für die Einleitung eines vollständigen Abheilens der Mukosaläsionen sowie für das Management von Perianalfisteln. Bei mehr als der Hälfte der Patienten kommt es jedoch im Verlauf meist aufgrund von neutralisierenden Antikörpern (antidrug antibodies, ADA) zu einer verminderten Wirksamkeit. Diese ADA führen zu reduzierten Konzentrationen des aktiven Wirkstoffs und zur Bildung von Substanz-Antikörper-Komplexen, welche von Leber und Milz resorbiert und beschleunigt abgebaut werden. Dem Response-Verlust wird klinisch gewöhnlich durch geringere Intervalle zwischen den einzelnen Infusionen oder Injektionen, durch Dosiserhöhung, durch zusätzliche Gabe von Immunsuppressiva (Methotrexat, Azathioprin) oder durch einen substanzklasseninternen Wechsel auf vermehrt humanisierte oder humane Antikörper begegnet. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht selten vergebens und führt lediglich zu höheren Kosten und einem potenziell grösseren Nebenwirkungsrisiko. Eine optimale Behandlung mit Anti-TNF-Wirkstoffen erfordert deren korrekte Dosierung, was auch beinhaltet, dass die Spitzen- und Durchschnittskonzentrationen nicht die mit einer erhöhten Toxizität assoziierten Werte übersteigen dürfen. Mehrere retrospektive Studien konnten zeigen, dass anhaltend gute Anti-TNF-Talspiegel mit besseren Mukosa-
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Wenn möglich Anti-TNF-Induktion + Immunsuppressivum Bestimmung der Serumkonzentrationen in den Wochen 10–14 nach Induktion
Talspiegel > 3 mg/ml: Fortsetzung der Anti-TNF-
Erhaltungstherapie
Talspiegel < 3 mg/ml: Optimierung durch Intervallverkürzung und/oder Dosissteigerung auf 10 mg/kg Anti-TNF-Erhaltungstherapie Keine Zeichen von Response-Verlust: Beibehalten der Dosis Zeichen von Response-Verlust: Messung der Talspiegel (+/- Antikörper) Talspiegel detektierbar: Bildgebung oder Endoskopie Talspiegel nicht detektierbar: Antikörpertestung Abbildung: Empfohlener Algorithmus zur Durchführung eines AntiTumor-Nekrose-Faktor-(TNF-) Substanz-Monitorings Bei Entzündungen: Therapiestopp und Medikamentenwechsel auf andere Substanz- klasse Bei Abheilung: Suche nach anderen Ursachen für Symptome (Stenose, bakterielle Überwucherung, Reizdarmsyndrom) Antikörperkonzentration nicht nachweisbar oder gering: Optimierung (Intervallverkürzung, Dosissteigerung, evtl. zusätzlich Immunsuppressivum) Antikörperkonzentration hoch: Medikamentenwechsel innerhalb derselben Substanzklasse heilungsraten und günstigeren Langzeitresultaten einhergehen und zu mehr Lebensqualität sowie zu weniger krankheitsbedingten Operationen und Spitalaufenthalten führen. Theoretisch könnten demzufolge die Dosen nicht selten im supratherapeutischen Bereich liegen und Dosisreduzierungen bei diesen Patienten zudem mit geringeren Kosten für das Gesundheitssystem verbunden sein; das muss allerdings in prospektiven randomisierten Vergleichsstudien noch überprüft werden. Wann Metabolite und Wirkstoffkonzentrationen messen? Solange noch keine Ergebnisse aus Studien vorliegen, die belegen, dass das Monitoring von Wirkstoffkonzentrationen und auf diesen basierende Dosisanpassungen zu besseren Therapieresultaten und/oder reduzierten Kosten führen, können Routinemessungen von Talspiegeln oder ADA noch nicht empfohlen werden (Abbildung). Eine Post-hoc-Analyse der ACCENT1-Studie konnte zumindest Hinweise dafür liefern, dass eine früh nach Infliximab-Induktion erfolgende Messung der Talspiegel von prognostischem Wert sein könnte. Daher kann es durchaus hilfreich sein, bei Anti-TNFbehandelten Patienten mit Symptomen und Entzündungszeichen, die auf einen Response-Verlust hindeuten, die Talspiegel zu bestimmen und, falls diese nicht detektierbar sind, die ADA zu messen. Talspiegel sollten stets jeweils unmittelbar vor der nächsten bevorstehenden Infusion gemessen werden. Bei Patienten mit nicht detektierbaren Talspiegeln und niedrigen ADA-Werten sollte die Therapie mit dem gleichen Wirkstoff optimiert werden. Dabei sind Dosiserhöhungen oder eine Verringerung der Dosisintervalle hinsichtlich eines wiederkehrenden Ansprechens genauso zielführend wie die zusätzliche Gabe eines Immunsuppressivums. Patienten mit nicht detektierbaren Talspiegeln und hohen ADA-Werten sollten dagegen auf einen anderen Wirkstoff derselben Substanzklasse umgestellt werden. Bei Vorliegen von Symptomen trotz adäquater Talspiegel sind endoskopische oder MR-enteroskopische Untersuchungen angezeigt; falls hierbei signifikante Läsionen entdeckt werden, sollte die Therapie abgebrochen und wenn möglich auf eine Substanz mit einem anderen Wirkmechanismus ausgewichen werden. Die breite Anwendung von Talspiegel- oder ADA-Konzentrations-Bestimmungen in der klinischen Praxis setzt die Entwicklung eines schnellen und vom Patienten selbst zu Hause oder in der Klinik anwendbaren Assays voraus. Bis ein solcher zur Verfügung steht, müssen die derzeit gebräuchlichen Assays standardisiert und validiert werden. Ralf Behrens Quelle: Vermeire S et al.: Recent advances: personalised use of current Crohn’s disease therapeutic options. Gut 2013; 62: 1511–1515. Interessenkonflikte: Die Autoren geben an, dass in Zusammenhang mit ihrer Publikation keine Interessenkonflikte bestehen. 50 ARS MEDICI 1 I 2014