Transkript
FORTBILDUNG
Schwerhörigkeit – was steckt dahinter?
Ursachen schnell und effektiv eingrenzen
Die Hypakusis als ein häufiges Leitsymptom kann viele Ursachen haben. Eine Verdachtsdiagnose kann bereits durch die in der Hausarztpraxis zur Verfügung stehenden Mittel gestellt werden. Der folgende Artikel bietet einen Überblick über die häufigen Ursachen einer Hörminderung und mögliche Therapieansätze. Ein zentraler Punkt ist die frühzeitige Therapie der Presbyakusis.
MINOO LENARZ UND HASIBE SÖNMEZ
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind in Deutschland 60 Prozent der Bevölkerung zu einem Zeitpunkt in ihrem Leben von einer Schwerhörigkeit betroffen (1). Eine richtungsweisende Diagnose kann bereits durch eine Anamnese und orientierende Untersuchung in der Allgemeinarztpraxis gestellt werden. Abgesehen von der Zeit des Auftretens sind folgende Begleitsymptome bei einer Hypakusis entscheidend: Otorrhö, Schwindel, Otalgie und Tinnitus. Die orientierende Untersuchung erfolgt mit einem Otoskop und einer Stimmgabel. Durch den otoskopischen Befund können bereits einige Krankheitsbilder ausgeschlossen oder auch gleich die Diagnose gestellt werden.
Ort der Störung eingrenzen Die Stimmgabelprüfungen helfen, eine Schallleitungsschwerhörigkeit von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit abzugrenzen. Bei Lateralisation im Weber-Versuch (Abbildung 1) muss auf jeden Fall ein Rinne-Versuch (Abbildung 2) erfolgen, um aufzudecken, welches Ohr betroffen ist. Einer akuten Schallempfindungsschwerhörigkeit kann eine traumatische (z.B. Schädelbasisfraktur) oder toxisch-infektiöse
Merksätze
O Bei einer Schwerhörigkeit ist zur Eingrenzung der Ursache nach Begleitsymptomen wie Otorrhö, Schwindel, Otalgie und Tinnitus zu fragen.
O Bei Presbyakusis ist das Ergebnis der Tonaudiometrie unter Ruhebedingungen deutlich besser als mit begleitendem Störschall.
(u.a. Diuretika, Aminoglykoside, Zytostatika) Ursache zugrunde liegen. Häufig kann eine akute Schallempfindungsschwerhörigkeit auch im Rahmen eines Knalltraumas ausgelöst werden oder idiopathisch sein. Die häufigste Ursache für eine Schallleitungsschwerhörigkeit ist ein Zeruminalpfropf (Abbildung 3). Wegweisende Symptome sind eine akute Hörminderung begleitet von Druckgefühl bis zur Otalgie. In diesem Fall empfehlen wir, von einer Gehörgangsspülung, die noch weitverbreitet durchgeführt wird, abzusehen wegen der Gefahr von Trommelfellperforationen, Mittelohrinfekten und Tinnitus. Stattdessen sollte eine Überweisung zum HNO-Facharzt zur Gehörgangreinigung unter mikroskopischer Sicht erfolgen. Bei festsitzendem Zeruminalpfropf ist eine vorherige Anwendung von zerumenauflösenden Ohrentropfen wie zum Beispiel Cerumenex® sinnvoll. Eine weitere Ursache für eine passagere Schallleitungsschwerhörigkeit ist der Paukenerguss nach Rhinosinusitis (akute Otitis media, Abbildung 4). Eine persistierende, gar progrediente Schallleitungsschwerhörigkeit spricht eher für eine chronische Otitis media (Abbildung 5) oder eine Otosklerose, das heisst eine Fixation der Steigbügelplatte an der runden Fenstermembran. Begleitsymptome einer Hypakusis wie Juckreiz und fötide Otorrhö, die typischerweise nach Baden oder bei Patienten mit trockener Haut auftreten, können Hinweis für eine akute Otitis externa mit Verlegung des Gehörgangs sein (Abbildung 6). Hier steht die lokale antibiotische Therapie mit Ciprofloxacin-Ohrentropfen oder bei Verlegung des Gehörgangs mit antibiotischen Salbenstreifen in Kombination mit Kortison im Vordergrund. Eine Differenzierung von Schallleitungs- und Schallempfindungsstörung ist auch mittels Tonaudiogramm möglich.
Einseitige Hörstörung, normale Otoskopie Eine akute, anhaltende einseitige Hörminderung, eventuell Taubheit, welche auch in Kombination mit Tinnitus auftreten kann und ein unauffälliges otoskopisches Bild zeigt, sollte den Verdacht auf einen akuten Hörsturz lenken. Mit einer Inzidenz von 160 bis 400 /100 000 Einwohner pro Jahr ist dieses Krankheitsbild häufig und erfordert einen zeitnahen Therapiebeginn (2). In den AWMF-Leitlinien wird klar geregelt, bei welchen Patienten die Indikation für eine stationäre Therapie besteht (vgl. Kasten) (3). Die Therapiekosten werden erfahrungsgemäss durch die Krankenkassen übernommen und bestehen in einer frühzeitigen hoch dosierten intravenösen Kortisongabe und eventuell einer rheologischen Infusionstherapie mit Pentoxifyllin oder HES-Lösungen.
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FORTBILDUNG
Befunde beim Weber-Versuch a) seitengleiches Gehör b) Schallleitungsschwerhörigkeit re. c) Schallempfindungsschwerhörigkeit re.
Abbildung 1: Weber-Versuch: Die schwingende Stimmgabel wird auf den Scheitel aufgesetzt. Hört der Patient den Schall über Knochenleitung in einem Ohr lauter (Lateralisierung), ist das pathologisch und spricht entweder für eine Schallleitungsstörung im lateralisierten Ohr oder eine Schallempfindungsstörung im anderen Ohr.
Befunde beim Rinne-Versuch a) normales Gehör b) Schallleitungsschwerhörigkeit
Abbildung 2: Rinne-Versuch: Die schwingende Stimmgabel wird zuerst auf das Mastoid aufgesetzt und, wenn der Patient den Ton (über Knochenleitung) nicht mehr wahrnimmt, vor das Ohr gehalten. Er mus̈ ste ihn dann wieder hören, da bei Luftleitung eine Verstärkung ub̈ er die Gehörknöchelchen stattfindet. Hört er ihn nicht mehr, spricht das fur̈ eine Schallleitungsstörung.
Da viele Patienten mit neu aufgetretenen Beschwerden als Erstes ihren Hausarzt aufsuchen, ist er derjenige, der die Verdachtsdiagnose stellt und dem Patienten die Dringlichkeit der Situation nahelegt. Bei entsprechender Indikation empfehlen wir, den Patienten unverzüglich in die Klinik einzuweisen. In einer aktuellen Studie zeigten die Kollegen Reineke et al., dass ein Therapiebeginn innerhalb eines Fensters von acht Tagen zu einem besseren Ergebnis führt (4). Die Therapie des Hörsturzes ist und bleibt jedoch weiterhin ein umstrittenes Thema (5). Die therapeutischen Mittel, die zur Verfügung stehen, sind gering, und Ziel jedes Arztes ist es, seinem Patienten die maximal mögliche Therapie zukommen zu lassen.
Hörminderung und Schwindel Eine passagere Hörminderung, begleitet von Drehschwindel und Tinnitus, führt zur Verdachtsdiagnose des M. Menière. Der otoskopische Befund und die Stimmgabelprüfung sind unauffällig. Auch die weiterführende Diagnostik wie Tonaudiometrie und kalorische Vestibularisprüfung ist vor allem in den Anfangsstadien der Erkrankung ausserhalb des akuten Anfalls unauffällig. Die Symptome akute Hörminderung, akuter Tinnitus und Schwindel müssen in allen Fällen mit einer kraniellen Magnetresonanztomografie (MRT) mit Gadolinium abgeklärt werden. Bei einem akuten Hörsturz oder Tinnitus sollte aufgrund der Lärmbelästigung ein Intervall von vier bis sechs
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FORTBILDUNG
Abbildung 3: Cerumen obturans
Abbildung 4: akute Otitis media
Abbildung 5: chronische Otitis media
Abbildung 6: akute Otitis externa
Wochen eingehalten werden. Bei alleinigem Schwindel kann und muss eine Raumforderung zeitnah durch ein MRT ausgeschlossen werden. Auch wenn das Akustikusneurinom mit 8 Fällen pro 1 Million Einwohner/Jahr insgesamt selten ist, kann eine frühzeitige Diagnostik die Therapiealternativen – operative Tumorexstirpation versus Bestrahlungstherapie – erhöhen. In 80 Prozent der Fälle ist der Tinnitus das Erstsymptom eines Akustikusneurinoms.
Altersschwerhörigkeit Die Presbyakusis gehört zu den häufigsten Formen der Hypakusis. Bei der immer älter werdenden Population steht eine progrediente beidseitige Hörminderung im Vordergrund, die ab dem 50. Lebensjahr immer mehr an Bedeutung gewinnt. Im Tonschwellenaudiogramm zeigt sich ein symmetrischer Hörverlust im Hochtonbereich, der von Tinnitus begleitet sein kann. Entscheidend für die Lebensqualität ist jedoch nicht das Tonaudiogramm, sondern das Sprachverständnis, das mittels Freiburger Einsilbertests ermittelt wird. Dabei handelt es sich um einen Test aus 40 Gruppen mit je 20 einsilbigen Substantiven. Dieser wird den Patienten über einen Lautsprecher vorgetragen. Insgesamt werden 20 Einsilber präsentiert und das Ergebnis pro richtig verstandenem Einsilber als 5 Prozent von möglichen 100 Prozent erfasst (6). Zu beachten ist ausserdem, dass die Testergebnisse unter Ruhebedingungen deutlich besser sind als mit Störschall. Ein begleitender Störschall bei dem Sprachtest spiegelt den Alltagszustand des Patienten wider und passt auch häufig zu den von
Kasten:
Hörsturz: Indikationen für eine stationäre Therapie (3)
O akuter ein- oder beidseitiger, kommunikativ stark beeinträchtigender oder vollständiger Hörverlust
O Hörsturzprogredienz oder unzureichender Erfolg unter ambulanter Therapie O wenn stationär andere Therapieoptionen möglich sind O akuter Hörverlust bei kontralateraler höhergradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit O Hörsturz mit objektivierbarer vestibulärer Begleitsymptomatik O Komorbiditäten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, neurolo-
gische Erkrankungen) O besonderes berufliches Betroffensein, wie z.B. Musiker
dem Patienten beschriebenen Beschwerden, wie zum Beispiel,
dass das Telefonieren kein Problem sei, aber dass das Verste-
hen in lauter Umgebung (Strassenlärm, Familienfeiern) sehr
problematisch ist.
Die Therapie der Presbyakusis besteht in einer frühzeitigen
und vor allem beidseitigen Hörgeräteversorgung. Die Vor-
teile für eine Hörgeräteversorgung sind neben einer Steige-
rung der Lebensqualität die Überdeckung des Tinnitus durch
die Verstärkung des Gehörs im Hochtonbereich und die Vor-
beugung der Hörbahndegeneration (7). Eine elegante Lösung
stellt heutzutage die offene Hörgeräteversorgung dar, bei der
nur die hohen Töne verstärkt werden. Der Vorteil ist, dass
durch Ohrpassstücke der Gehörgang nicht abgedichtet wird
und der Patient seine eigene Stimme und körpereigenen
Geräusche nicht als störend wahrnimmt. Durch einen feinen
Silikonschlauch und einen HdO-Prozessor (hinter dem Ohr)
wird hierdurch für viele Patienten eine akzeptable Lösung
erreicht.
O
PD Dr. med. Minoo Lenarz Dr. med. Hasibe Sönmez Charité – Universitätsmedizin Berlin Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie Hindenburgdamm 30 D-12200 Berlin
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 10/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
Literatur: 1. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Themenhefte Januar 2006, Heft 29: Hör-
störungen und Tinnitus. 2. Zahnert T: The differential diagnosis of hearing loss. Dtsch Arztebl Int 2011; 108 (25):
433–444. 3. Vijayendra H et al.: Sudden sensorineural hearing loss: an otologic emergency. Indian
J Otolaryngol Head Neck Surg 2012; 64(1): 1–4. 4. Reineke U et al.: (2012) Tympanoskopie mit Abschottung der Rundfenstermembran
beim idiopathischen Hörsturz. HNO 2013; 61(4): 314–320. 5. Cinamon U et al.: (2001) Steroids, carbogen or placebo for sudden hearing loss: a pro-
spective double-blind study. Eur Arch Otorhinolaryngol 258(9): 477–480. 6. Hahlbrock KH (1953). Über Sprachaudiometrie und neue Wörterteste. Arch Ohren
Nasen Kehlkopfheilkd 162(5): 394–431. 7. Mazurek B et al.: Die Entstehung und die Behandlung der Presbyakusis. HNO 2008;
56(4): 429–432, 434–435.
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