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BERICHT
Mythos vom guten und bösen Cholesterin hat ausgedient
Haben Sie schon vom hässlichen Cholesterin gehört?
3. Labormedizin-Update-Seminar Mannheim, 8. und 9. März 2013
Es sei an der Zeit, einige Mythen aus dem Bereich der Lipidologie zu entlarven, so Professor Dr. med. Arnold von Eckardstein, Direktor am Institut für Klinische Chemie, Universitätsspital Zürich. Er stellte die drei gängigsten Mythen vor und erläuterte, warum sie nicht zutreffen.
ANKA STEGMEIER-PETROIANU
Mythos Nummer 1: «HDL ist das gute Cholesterin. Man sollte es erhöhen.» Unumstritten ist, dass eine HDL-Konzentration unter 1 mmol/l (40 mg/dl) mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden ist. Umgekehrt bedeutet ein hohes HDL aber keineswegs
Take Home Messages
❖ Es gibt eine kausale Beziehung zwischen postprandialer Triglyzeridkonzentration und KHK.
❖ Die bislang als obligatorisch angesehene Nüchternblutprobe zur Bestimmung des Lipidstatus ist obsolet.
❖ Für Triglyzerid-senkende Interventionen (Fibrate, Nikotinsäure) konnte in Studien keine kardiovaskuläre Risikoreduktion gezeigt werden. Wegen fehlender Effektivitätsnachweise gibt es kein Therapieziel für HDL-Cholesterin.
❖ Remnants triglyzeridreicher Lipoproteine (Chylomikronen, VLDL) haben atherogene Eigenschaften.
Entwarnung: Ein hoher HDL-Wert impliziert kein niedrigeres Risiko als ein mittlerer. Polymorphismen sowie ein möglicher Funktionalitätsverlust tragen dazu bei, dass die Quantität von HDL nichts über seine Qualität, das heisst seine Funktionsfähigkeit, aussagt – etwa über die Fähigkeit, die Stickstoffmonoxidproduktion in Endothelzellen anzukurbeln. Aus Studien an Patienten mit Diabetes mellitus oder rheumatoider Arthritis ist bekannt, dass die protektive Funktion des HDL verloren gehen kann. Normales HDL verfügt über antiinflammatorische und antioxidative Eigenschaften. Genau diese können bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen abhandenkommen, und aus einem antiatherogenen Lipoprotein wird ein proatherogenes Lipoprotein. Trotz der vielen potenziell antiatherogenen Eigenschaften von HDL sei seine protektive Rolle in der Pathogenese der Atherosklerose umstritten, sagte von Eckardstein, insbesondere nachdem die Behandlung von fast 16000 Patienten mit Statinen versus Dalcetrapib, einen Hemmer des Cholesterinestertransferproteins, keinen klinischen Nutzen für Dalcetrapib gezeigt hatte, obwohl die Therapie mit einer 30-prozentigen Erhöhung des HDL-Cholesterins einherging. Ein anderes Erklärungsmodell ist, dass das im Labor gemessene HDL nicht das antiatherogene Agens ist und auch nicht die Menge des aus atherosklerotischen Plaques rücktransportierten Cholesterins darstellt. Vielmehr handelt es sich bei HDL um eine Mischung heterogener Lipoproteine, die quantitativ und qualitativ durch pathogene Prozesse modifiziert werden können. Möglicherweise liegt hierin auch die Erklärung, warum alle Studien, die eine HDL-Erhöhung zum Ziel hatten, kei-
nerlei kardiovaskuläre Risikoreduktion zeigen konnten.
Mythos Nummer 2: «Der Lipidstatus wird obligat in einer Nüchternblutprobe bestimmt.» Fakt ist, dass erstens eine erhöhte Konzentration von Triglyzeriden im Nichtnüchternplasma stärker mit dem KHKRisiko assoziiert ist als in einer Nüchternblutprobe und dass zweitens HDLCholesterin und LDL-Cholesterin nur wenig durch den prandialen Status beeinflusst werden.
Mythos Nummer 3: «LDL ist das gefährlichste Cholesterin.» Fakt ist: Die Mehrzahl der kardiovaskulären Ereignisse wird trotz effektiver LDL-Senkung nicht verhindert. Einer neuen dänischen Studie* zufolge sind die Überbleibsel triglyzeridreicher Lipoproteine (Remnants) direkt proatherogen. Anette Varbo und Kollegen von der Universität Kopenhagen werteten Daten von 73000 Patienten aus. Um den direkten Zusammenhang zwischen Remnant-Cholesterin und KHK zu klären und Störvariablen wie den individuellen Lebensstil als Ursache weitgehend auszuschliessen, untersuchten sie den Einfluss genetischer Polymorphismen, welche Triglyzerid- und Remnantkonzentration beeinflussen, auf das kardiovaskuläre Risiko. Es zeigte sich, dass Menschen, die eine genetische Veranlagung für eine hohe Remnantkonzentration im Serum haben, ein dreimal so hohes Herzinfarktrisiko haben wie Menschen ohne diese genetische Veranlagung. Besonders gefährdet sind Adipöse und Patienten mit einer Fettleber. Erhöhte Werte für RemnantCholesterin gehen mit einem erhöhten Risiko für koronare Herzerkrankungen einher, und zwar unabhängig von ungesunden Gewohnheiten wie Rauchen
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ARS MEDICI 13 ■ 2013
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oder einer fettreichen Ernährung, die das Risiko zusätzlich erhöhen. Eine Erhöhung des Remnant-Cholesterins um 1 mmol/l (39 mg/dl; Nichtnüchternblutprobe) war in der Studie mit einer 2,8-fachen Risikoerhöhung für eine koronare Herzerkrankung verbunden, unabhängig von niedrigen HDL-Werten. In ihrer Publikation sprechen die Autoren vom Remnant-Cholesterin als dem «hässlichen» Cholesterin. Es wurde mit dem Remnant-Cholesterin aber keine mysteriöse oder neue Cholesterinart entdeckt. Vielmehr handle es sich um einen PR-Gag, um es in die Presse zu schaffen, so von Eckardstein.
Der Begriff Remnant-Cholesterin beschreibt die Konzentration des Cholesterins in den triglyzeridreichen Lipoproteinen VLDL und IDL im Nüchternplasma sowie in diesen Lipoproteinen plus Chylomikronen im postprandialen Plasma. Diese wird abgeschätzt, indem man die Differenz von Gesamtcholesterin minus HDL minus LDL berechnet, wobei LDL in der Regel nicht direkt bestimmt wird, sondern aus den gemessenen Werten Gesamtcholesterin, Triglyzeride und HDL berechnet wird. Die Formel für diese Berechnung nach Friedewald lautet LDL-Cholesterin = Gesamt-Cholesterin − (HDL + [Triglyzeridwert : 5]).
Wenn die Triglyzeride unter 400 mg/dl
(4,6 mmol/l) liegen und diese Formel
zur Anwendung kommt, handelt es
sich um einen direkt von der Triglyzer-
idkonzentration abgeleiteten Wert, so
von Eckardstein: «Die Berechnung des
Remnant-Cholesterins wird zu 100 Pro-
zent von der Triglyzeridkonzentration
abgeleitet und stellt somit keine neue
Messgrösse dar.»
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Anka Stegmeier-Petroianu
*Varbo A et al., J Am Coll Cardiol 2013; 29: 61(4): 427–436.
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