Transkript
EDITORIAL
Die Antibabypillen kommen nicht aus den Schlagzeilen heraus: 2009 gerieten die Drospirenon-Präparate und
kürzlich dann die gestodenhaltige Kombination unter Verdacht, vermehrt Thrombosen und Embolien hervorzurufen. Nachdem nun in Frankreich seit 1987 die vierte mit einer Cyproteron-EthinylestradiolKombination behandelte Frau an den Folgen eines Blutgerinnsels verstarb, hat die nationale Arzneimittelbehörde ANSM angekündigt, das dort als Aknemittel und Antiandrogen zugelassene, aber oft zur Verhütung verschriebene Medikament vom Markt zu nehmen. Auch hierzulande wurden bereits mehrere Todesfälle mit der Einnahme von Cyproteron in Verbindung gebracht – den jüngsten meldete Anfang Februar das Kantonsspital Olten. Inzwischen hat die Europäische ArzneimittelAgentur (EMA) ein Risikobewertungsverfahren für Gestagene der 3. und 4. Generation gestartet.
rechnen ist. Wie hoch diese beispielsweise für ein modernes Gestagen sein könnte, lassen die Fallberichte auf der Internetseite der Selbsthilfegruppe Drospirenon-Geschädigter (www.risiko-pille.de) erahnen. Die Hersteller müssen nur auf handfeste Daten reagieren, die andere zu liefern haben. Im Falle der Drospirenon angelasteten Nebenwirkungen zahlte der Pharmakonzern Bayer in den USA bis anhin insgesamt 750 Mio. Dollar an die Klägerinnen – eine stolze Summe, die weiter anwachsen könnte, von den mit einem Rückzug vom Markt verbundenen Verlusten aber bei weitem übertroffen würde. Und die modernen Pillen mögen ja auch Vorteile bieten, welche bei der Nutzen-RisikoBewertung zu berücksichtigen sind. Dennoch – und unabhängig von den Berichten über Todesfälle – zeichnet sich seit einiger Zeit insbesondere bei jungen Frauen ein Trend hin zu nicht hormonellen Kontrazeptionsmethoden ab. Bedenklich wäre es, wenn daraus Marketing-Strategien resultieren, die etwa die dermatologische oder die gewichtsreduzierende Wirkkomponente der neuesten Kombinationen in den Fokus rücken und
Kein Lifestyleprodukt
Die Diskussionen um Sicherheitsaspekte der hormonellen Kontrazeption jenseits der reinen Empfängnisverhütung sind damit neu entfacht. Herstellerseits wird auf die hinreichende Deklaration möglicher Nebenwirkungen und den Off-Label-Use von Cyproteron verwiesen und die Verantwortung an die verschreibenden Ärzte delegiert. Und in der einmal mehr aufgeschreckten Öffentlichkeit mehren sich die Stimmen, die eine Ausdehnung des Verbots cyproteronhaltiger Medikamente, wenn nicht gar der Hormonpillen insgesamt, fordern. Dabei wäre es durchaus notwendig zu differenzieren. Denn «die» Pille gibt es nicht. Die neuen Kombinationspräparate der 3. und 4. Generation bergen Studien zufolge ein höheres Thromboserisiko als ihre Vorgänger. Weil Ursache und Wirkung hier aber oft nicht in eindeutige Beziehung zu bringen sind, stehen Statistiken zu Komplikationen auf tönernen Füssen – und mit ihnen die Entscheide der Arzneimittelbehörden, welchen sie als Basis dienen. Dazu kommt, dass generell bei Nebenwirkungen mit einer hohen Dunkelziffer zu
schon bei jungen Mädchen – womöglich noch bevor diese überhaupt ein Bedürfnis nach Verhütung entwickeln – entsprechende Begehrlichkeiten wecken. Die jüngsten fatalen Komplikationen haben – neben dem Schicksal der betroffenen Frauen und dem schier unermesslichen Leid ihrer Angehörigen – vor allem eines bewirkt: Sie haben das Bewusstsein geschärft, dass Antibabypillen keine Lifestyleprodukte, sondern tief in Regelkreise des Organismus eingreifende Medikamente sind – auch wenn ihre bisweilen blumigen, an Frauenmagazine oder Light-Joghurt erinnernden Namen etwas anderes suggerieren. Für Ärzte gilt es, sich der daraus erwachsenden Verantwortung gewissenhaft zu stellen und Frauen mit dem Wunsch nach weitestgehend wirklich sicherer Verhütung umfassend zu beraten und ihre individuellen Risikoprofile gründlichst abzuklären.
Ralf Behrens
ARS MEDICI 5 ■ 2013
233