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FORTBILDUNG
Verstopfung bei Kindern
Obstipation tritt im Kindesalter sehr häufig und oft mit sehr unterschiedlichen Symptomen in Erscheinung. Wichtig ist es, bestimmte Alarmsignale nicht zu übersehen. Bei rechtzeitiger Therapie lassen sich die Beschwerden in den meisten Fällen durch die Gabe von Laxanzien, je nach Schwere in unterschiedlicher Dosierung und Kombination, gut in den Griff bekommen.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Kasten 1:
Definition der funktionellen Obstipation
❖ ≤ 2-mal Stuhlgang/Woche ❖ ≥ 1 Stuhlinkontinenzepisode/Woche ❖ stuhlzurückhaltende Gebärden oder exzessiver
willentlicher Stuhlrückhalt ❖ beschwerliche oder schmerzhafte Darmbewegungen ❖ Ansammlung grosser Mengen Stuhls im Rektum ❖ Stühle grossen Durchmessers, die die Toilette ver-
stopfen können
Der Begriff «Verstopfung» beschreibt bei Kindern weniger eine spezifische Erkrankung als vielmehr eine Ansammlung von Symptomen, die sich von Fall zu Fall ganz unterschiedlich präsentieren können. Bei vielen der jungen Patienten mit diesem häufigen Beschwerdebild hat sich der Zustand zum Zeitpunkt ihrer Vorstellung in der Arztpraxis bereits so weit verschlechtert, dass sie unter massiven Schmerzen und Begleiterscheinungen leiden, die einer effizienten und langwierigen Therapie bedürfen. Damit man eine solche einleiten kann, müssen zunächst die häufigsten Ursachen erkannt und seltene ausgeschlossen werden. Die Diagnostik stützt sich auf die klinische sowie auf die von den Kindern beziehungsweise ihren Eltern geschilderte Symptomatik einschliesslich einer genauen Beschreibung von Stuhlgewohnheiten und -beschaffenheit. Mit eben diesen Kriterien hat auch die internationale Konsensusgruppe PACCT (Paris Consensus on Childhood Constipation Terminology) das Symptomenbild Obstipation definiert und gegenüber
Merksätze
❖ Obstipation bei Kindern ist oft assoziiert mit Stuhlinkontinenz.
❖ Zentrales Behandlungsziel ist die Beseitigung von Schmerzen beim Stuhlgang.
❖ Invasive Untersuchungen sind für die Diagnose nicht routinemässig erforderlich.
❖ Indikationen zur Weiterweisung sind Zeichen organischer Erkrankungen und die Überprüfung der Therapie.
anderen funktionellen Darmstörungen abgegrenzt (Kasten 1). Diagnose und Behandlung können in den meisten Fällen durch die Grundversorgung erfolgen. Bei refraktärer Obstipation oder zur Untersuchung sekundärer Symptome (z.B. Gedeihstörungen) ist ein Pädiater, bei vermuteten organischen Ursachen oder rektalen Blutungen ein pädiatrischer Gastroenterologe oder Chirurg hinzuzuziehen. Mitunter kann zur Desimpaktion, also zum Entfernen des festen Stuhlballens im Darm, auch eine Spitaleinweisung vonnöten sein.
Häufigkeit Laut systematischen Reviews schwanken die globalen Prävalenzwerte der Obstipation bei Kindern je nach Region sowie der Dauer des Auftretens entsprechender Beschwerden zwischen 0,7 und 29,6 Prozent. In den USA und Grossbritannien werden Werte von 10 bis 20 Prozent, in Australien, Südafrika und China sogar von 20 bis 30 Prozent erreicht. Bisweilen können mehrere Familienangehörige aus verschiedenen Generationen betroffen sein.
Ursachen Es wird davon ausgegangen, dass die Obstipation im Kindesalter in 90 Prozent der Fälle auf funktionelle und multifaktorielle, organische und nicht organische Ursachen, unter anderem Störungen des autonomen und somatischen Nervensystems, der Darmmotilität sowie der Beckenbodenmuskulatur oder des Schliessmuskels, zurückgeht. Laut prospektiven Kohortenstudien liegt bei einem Teil der Patienten eine verzögerte Darmpassage vor, bei anderen die Unfähigkeit, bei der Defäkation die Beckenbodenmuskulatur zu entspannen. Aus Beobachtungsstudien geht hervor, dass die Beschwerden als Folge einer Ernährungsumstellung, von Schmerzzuständen,
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FORTBILDUNG
Kasten 2:
Häufige Symptome und assoziierte Störungen
Symptom
Häufigkeit (%)
fäkale Impaktierung
40–100
Stuhlinkontinenz (Verschmutzung der Unterwäsche oder Einkoten)
75–90
sporadische Darmaktivität (< 3 Stuhlgänge/Woche) 75 schmerzhafte Defäkation 69 (angestrengtes) Zurückhalten des Stuhlgangs 58 abdominale Massen 30–50 aufgeblähter Unterleib 20-40 Einnässen oder Harnwegsinfektion 30 Appetitlosigkeit 25 Anorexie 10–25 Analfissuren oder Hämorrhoiden 5–25 Erbrechen 10 rektale Blutung 7 Analprolaps 3 übelriechende Darmwinde und Stühle empirisches Symptom exzessive Flatulenz empirisches Symptom gelegentlich grossvolumiger Stuhl oder häufig empirisches Symptom kleine Kügelchen Energiemangel, Unwohlsein empirisches Symptom unglückliche, zornige oder gereizte Stimmungslage empirisches Symptom zeigen drei oder mehr Symptome (Kasten 2). Bei Verdacht auf zugrunde liegende Verdauungsstörungen (Kuhmilchproteinintoleranz, Zöliakie) oder Fehlbildungen (Spina bifida, M. Hirschsprung) ist ein Pädiater oder ein Spezialist hinzuzuziehen. Besonderes Augenmerk ist auf Gedeihstörungen zu richten, die eine systemische Ursache nahelegen. Auf der anderen Seite könnten Empfindungsstörungen in der perianalen Region ein Hinweis auf eine spinale oder eine andere Neurolopathologie sein. Die NICE-Leitlinien raten von einer digital-rektalen Untersuchung ab, wenn keine ausreichende Expertise in der Beurteilung anatomischer Abnormalitäten besteht. Eine bildgebende abdominelle Untersuchung ist nicht notwendig, wenn Anamnese und körperliche Untersuchung das Vorliegen eine Verstopfung klar anzeigen. Auch Bluttests sind zur Bestätigung der Diagnose nicht erforderlich, können aber hilfreich sein, um Hypothyreose, Zöliakie oder Elektrolytverschiebungen bei Kindern auszuschliessen, bei welchen die Verstopfung therapieresistent oder mit anderen klinischen Symptomen vergesellschaftet ist. Invasive Untersuchungen (Endoskopie, anorektale Manometrie, Darmpassage) sind nur selten erforderlich, um eine funktionelle Verstopfung gegen andere Ursachen abzugrenzen, und bleiben besonderen Situationen (rektale Blutung, chronischer Abdominalschmerz) vorbehalten. Assoziierte psychologische Probleme ❖ Launenhaftigkeit ❖ Ungehorsam, störendes Verhalten ❖ ADHS ❖ geringe Sozialkompetenz und Lernschwierigkeiten ❖ Ängstlichkeit oder Depressionssymptome ❖ wenig gefühlvolles und schlecht organisiertes familiäres Umfeld ❖ schlechte schulische Leistungen fiebrigen Infektionen oder Dehydrierung auftreten können, aber zu einem gewissen Anteil auch auf eine genetische Prädisposition zurückgehen. Zum Teil ist das Auftreten von Verstopfungssymptomen mit psychischen Belastungen beziehungsweise einschneidenden Erlebnissen (Sauberkeitserziehung, Mobbing, Scheidung der Eltern, sexueller Missbrauch), aber auch mit Störungen der Neuroentwicklung oder des autistischen Formenkreises sowie mit Drogenkonsum (Opiate) assoziiert. Eine Rolle spielt auch das Zurückhalten des Stuhlgangs aufgrund von vorausgegangenen grossen, harten oder schmerzhaften Stühlen, von Analfissuren, mangelnder Zeit für den Toilettengang oder Aversionen gegenüber fremden Toiletten. Bei den meisten Kindern lassen sich die Ursachen für die Verstopfung allerdings nicht eindeutig bestimmen. Symptomatik und Diagnose Gemäss den Leitlinen des National Institute of Health and Clinical Excellence (NICE) lässt sich die Diagnose einer funktionellen Verstopfung anhand von gründlicher Anamnese und körperlicher Untersuchung stellen. Die meisten Kinder 20 Therapie Die Behandlung der Verstopfungssymptomatik hat generell das Ziel, einen schmerzfreien Stuhlgang mit normaler Frequenz und Konsistenz und ohne rektale Blutungen oder Inkontinenz zu erreichen. Therapieprinzipien sind Schulung, Vermeidung von Kotstau und -wiederansammlung sowie ein kontinuierliches Follow-up. Wie wichtig eine Unterrichtung der Kinder und ihrer Eltern zu Fragen rund um Verstopfung und Sauber- keitserziehung sowie eine kontinuierliche Überwachung der Therapieadhärenz und der Wirksamkeit der eingesetzten Medikamente sind, konnten grosse prospektive Studien belegen. Hilfreich für die Kinder kann auch das Führen eines Tagebuchs zu Toilettengewohnheiten einschliesslich eines Belohnungssystems sein. Kinder sollten angehalten werden, täglich nach jeder Mahlzeit für fünf Minuten auf der Toilette zu versuchen, Stuhlgang zu haben. Für alle Altersgruppen ist eine orale Behandlung mit einem osmotischen Laxans (Polyethylenglykol [PEG], Laktulose) allein oder in Kombination mit einen stimulierendem Laxans (z.B. Bisacodyl, Senna) indiziert. Als Erstlinientherapie empfiehlt die NICE-Leitlinie PEG, das weniger Nebenwirkungen als Laktulose aufweist. Generell sind unerwünschte Effekte von Laxanzien und Stuhlweichmachern aber selten und dann eher gering ausgeprägt. Eine kleinere prospektive Studie konnte zeigen, dass PEG3350 in einer Dosierung von 1 bis 1,5 g/kg/Tag über drei Tage zu einem effizienten und sicheren Abführen des Stuhlballens führt. Falls dies allerdings auch nach zwei Wochen ausbleibt, wird als Zweitlinientherapie die zusätzliche Gabe eines stimulierenden Laxans empfohlen. 198 ARS MEDICI 4 ■ 2013 FORTBILDUNG Tabelle: Empfohlene Laxanzien Laxans (Wirkstoff) Präparat/Darreichungsform Lactulose PEG3350 (Macrogol) PEG3350-Spülung oral/Nasensonde Bisacodyl oral Bisacodyl rektal Glyzerinsuppositorien Natriumdocusat Natriumphosphat Einlauf ❖ Duphalac® Sirup ❖ Gatinar® Sirup ❖ Rudolac® Sirup ❖ Dulcolax Macrogol® Pulver ❖ Isocolan® Granulat ❖ Movicol®/Movicol® Junior Pulver (<12 Jahren) ❖ Pegicol Liquid Orange® Konzentrat ❖ Transipeg® Pulver ❖ Dulcolax Bisacodyl® Dragees ❖ Prontolax® Dragees ❖ Generika ❖ Dulcolax Bisacodyl® Suppositorien ❖ Generika ❖ Bulboid®/Bulboid® Kind (<12 Jahre) Suppositorien ❖ Norgalax® Minieinlauf ❖ Freka Clyss® Klistier Natriumzitrat-/Natriumlaurylsulfoacetat-Einlauf Senna-Sirup ❖ Microklist® Applikator ❖ Zeller Feigen mit Senna® Sirup Natriumpicosulfat ❖ Dulcolax Picosulfat® Kapseln/Tropfen ❖ Fructines® Pastillen ❖ Laxasan® Tropfen ❖ Laxoberon® Tropfen Nebenwirkungen Flatulenz, abdominale Schmerzen dünner Stuhl, unangenehmer Geschmack (PEG +Elektrolyte), Blähungen, Übelkeit, Erbrechen Übelkeit, Erbrechen, abdominale Krämpfe, pulmonale Aspiration oder Lungenödem abdominale Krämpfe/Schmerzen, Durchfall abdominale Krämpfe/Schmerzen, Afterreizung Afterreizung abdominale Krämpfe Bei Patienten mit Nierenproblemen oder M. Hirschsprung: Hyperphosphatämie, Elektrolytstörung. Afterreizung abdominale Krämpfe, Melanosis coli, gelblichbrauner Urin abdominale Krämpfe Ausser für Sennaglykosid liegen zur Wirksamkeit stimulierender Laxanzien allerdings keine prospektiven Studiendaten vor. Wenn die orale Therapie auch über längere Zeit nicht zum Erfolg führt, ist zur Vermeidung von Komplikationen (z.B. Megarektum) nach entsprechender Indikationsstellung durch einen Spezialisten oder Pädiater die Durchführung eines Einlaufs (Natriumzitrat, Mikroklist®) in Erwägung zu ziehen. Zur besseren Wirksamkeit der rektalen Therapie sollten orale osmotische Laxanzien zuvor abgesetzt werden. Zur Erhaltungstherapie ist first-line ebenfalls PEG (alternativ Laktulose) in einer Anfangsdosierung von etwa der Hälfte der zur Darmentleerung eingesetzten Menge indiziert; auch hier kann die Therapie mit einem stimulierenden Laxans kombiniert werden. Die Dosis ist so zu titrieren, dass ein täglicher weicher Stuhlgang resultiert. Ballaststoffe haben einen positiven Effekt auf Stuhlfrequenz und -konsistenz sowie auf Abdominalschmerzen. Ausserdem sollte nach Kuhmilch als Auslöser für Obstipationsbeschwerden gefragt werden. Eine kuhmilchreiche Ernährung war laut einem systematischen Review in vier prospektiven Studien mit Verstopfung und Analfissuren assoziiert, was in einer Subgruppe der beobachteten Kinder nach Verzicht auf Milch wieder reversibel war. Prognose Zwei grosse Langzeitstudien berichteten über multiple Re- zidive nach erster Therapie, insbesondere bei Knaben, bei Kindern unter 4 Jahren und bei solchen mit psychosozialen Problemen oder Verhaltensauffäligkeiten. Im Allgemeinen aber konnte nach einem Jahr Behandlungsdauer bei rund der Hälfte der Kinder und nach zwei Jahren bei etwa 65 bis 70 Prozent eine Auflösung der Verstopfungsbeschwerden erreicht werden; bei immerhin einem Drittel persistierten schwerwiegende Probleme jedoch bis in die Pubertät oder darüber hinaus. ❖ Ralf Behrens Quelle: Marcus KH Auth et al.: Childhood constipation. BMJ 2012; 345: e7309. Interessenkonflikte: keine deklariert ARS MEDICI 4 ■ 2013 199